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Merkels Handy – eine Politikposse

Joachim Hirsch

Der in Moskau festsitzende Edward Snowden hält immer noch ganze Politikerriegen in Atem. Die jüngste, vom Spiegel verbreitete Information besagte, dass auch Kanzlerin Merkels Handys vom US-amerikanischen Geheimdienst NSA abgehört worden sind. Eine Ungeheuerlichkeit, wie diesseits des Atlantiks alle meinen. Lautstark werden Konsequenzen gefordert, wohl wissend, dass auch diesmal daraus nichts werden wird. Außer möglicherweise einer Versicherung der USA, solche Aktionen in Zukunft zu unterlassen. Was davon zu halten ist, kennt man. Falls es je zu den jetzt angestrebten vertraglichen Vereinbarungen und Regelungen kommen wird, sind sie das Papier nicht wert, auf das sie geschrieben sind. Die Regierungen und ihre „Dienste“ tun ohnehin, was sie wollen, und daran hindern will man sie auch nicht, Recht hin und Verträge her. Immerhin, wenn die Abhöraktivitäten tatsächlich von der Berliner US-Botschaft ausgegangen sind, hätte der Botschafter sofort ausgewiesen werden müssen. Das war indessen überhaupt kein Thema. „Freunde“ sollte man ja auch nicht ernsthaft verärgern. So bestellt der Außenminister eben mal den Botschafter zur (Nicht-) Berichterstattung ein und proklamiert das als scharfe Reaktion. Man könnte allerdings auch, wie Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung (vom 28.10.13) vorschlägt, Snowden als Zeugen z.B. eines Untersuchungsausschusses einladen, ihm damit freies Geleit zusichern und ihm damit die Gelegenheit geben, einen Asylantrag zu stellen. Für seine Annahme gäbe es ausreichend Gründe. Das wurde schnell abgetan, sprechen doch die gemeinsamen Interessen der politisch Herrschenden und derer, die hinter ihnen stehen dagegen.

Die allgemeine Aufregung ist überflüssig. Merkel und ihre Umgebung wussten schon längst, dass ihr Telefon abgehört wurde. Die US-Stellen zeigten sich daher zu Recht über die Aufregung hierzulande etwas verwundert. Aus diesem Grunde hat sie wichtige Gespräche über (vielleicht) abhörsichere Leitungen geführt. Es wäre auch merkwürdig, dass wenn die NSA flächendeckend Telefonleitungen anzapft davon ausgerechnet der Anschluss der Kanzlerin ausgenommen wäre. Jenseits der öffentlich geäußerten Empörung möchte man indessen die bewährte Kooperation mit den „befreundeten“ Staaten, von den USA über Großbritannien und Frankreich bis Israel keineswegs in Frage stellen. Man kennt sich schließlich gegenseitig, tauscht Informationen aus und hört sich halt auch gegenseitig ab. Es geht um das gemeinsame Sammeln von Daten, angeblich über Terroristen, de facto über die Privatsphäre aller. Dagegen ist die Affäre um Merkels Handy eher eine Kleinigkeit. Eine abgehobene „politische Klasse“, die über Propagandamanöver und Wahlkampfinszenierungen hinaus den Kontakt zu den angeblich von ihr Repräsentierten längst aufgegeben hat, muss ein gesteigertes Interesse daran haben zu wissen, was sich in der Bevölkerung so tut. Anlässe für Unruhen gibt es ja zuhauf. Das ist das gemeinsame Motiv der Regierungen und ihrer Geheimdienste, und dabei können Veröffentlichungen wie die neueste nur stören. Die früheren Berichte über die NSA-Aktivitäten – auch damals schon als Skandal gebrandmarkt – blieben jedenfalls ohne Konsequenzen. Schließlich schien nur das gemeine Volk davon betroffen. Innenminister Friedrich reiste in die USA, um die Versicherung entgegen zu nehmen, dass alles nach Recht und Gesetz verlaufe – fragt sich nur, nach welchem. Und Kanzleramtsminister Pofalla tönte, an der ganzen Angelegenheit sei nichts dran und die Affäre sei beendet. Das war es dann auch, und in der Öffentlichkeit spielte das Thema keine Rolle mehr. Weder im Wahlkampf noch zunächst einmal in den anlaufenden Koalitionsverhandlungen. Da geht es schließlich im Wichtigeres als Grund- und Bürgerrechte oder gar um die Grundvoraussetzungen eines demokratischen Gemeinwesens. Von der SPD, die von ihrer Regierungszeit her selbst einigen Dreck am Stecken hat, war das auch nicht zu erwarten. Und nun die Kanzlerin selbst. Sicherlich war die Berliner Politik über die neuesten Aufdeckungen höchst verärgert, allerdings nicht wegen der Tatsache selbst, sondern weil die Öffentlichkeit davon erfuhr. Die Verwunderung der Amerikaner über die europäischen Aufgeregtheiten rührt auch daher, dass die Öffentlichkeit in diesem Kernland der Demokratie in diesen Fragen sehr viel weniger sensibel reagiert. Für den Schutz der Privatsphäre hat man ja das Gewehr. Darüber herrscht patriotischer Konsens. Hierzulande sind dagegen jetzt vor allem symbolische Aktivitäten angesagt. An den Verhältnissen wird sich dadurch nichts ändern. Die gemeinsamen Interessen der politisch Herrschenden werden sich als stärker erweisen.

Die USA allerdings haben das Problem, allmählich als global operierender Schurkenstaat zu erscheinen. Das macht selbst ihren staatstragenden Medien etwas zu schaffen. Und es wird heftig an dem Dementi gearbeitet, Obama habe von den Abhöraktionen gewusst. Der „Antiamerikanismus“, mit dem jetzt wieder populistisch gespielt wird, ist aber gerade in diesem Fall nicht am Platze. Man sollte nicht auf das Ablenkungsmanöver hereinfallen, den USA die Verantwortung zuzuschieben, um die Komplizenschaft der eigenen Dienste im Dunkeln zu lassen. Diese sind keineswegs „unkontrollierbar“. Wenn es an Kontrolle mangelt, dann ist das Absicht. Um sich gegebenenfalls herausreden zu können.

© links-netz November 2013