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Geplante Krisen oder Alan Greenspans „Tsunamis“

Joachim Hirsch

Die zentrale These des unter dem Titel „Krisen, Kämpfe, Kriege“ erschienenen Buches von Detlef Hartmann lautet, dass die beiden letzten offen ausgebrochenen Krisen des Kapitalismus, das Platzen der New Economy – Blase 2001 und die Weltfinanzkrise 2008 keinesfalls als ein Versagen der ökonomischen Regulierungsmechanismen mit der darauf folgenden Katastrophe zu begreifen seien, sondern dass es sich dabei um „eine gezielte Offensive zur Zerstörung der alten kapitalistischen Welt und zum Aufbau einer neuen“ gehandelt habe (8). Als zentralen Akteur dieser Strategie macht er Alan Greenspan, den damaligen Chef der US-amerikanischen Zentralbank (Fed) aus, dessen Politik von seinen NachfolgerInnen weiter geführt wurde. Sein Ziel sei gewesen, mit Hilfe eines finanzpolitischen „Tsunami“, d.h. der Erzeugung einer Schwemme billigen Geldes die Vorherrschaft der USA gegenüber Europa und Japan wieder herzustellen. Dabei sei es vor allem um den Aufbau einer von den USA aus die Welt dominierenden informationstechnischen Industrie gegangen, heute verbunden mit den Namen Google, Microsoft, Apple, Amazon und andere mehr. Um dies zu begründen, hat Hartmann eine Fülle interner Protokolle der Fed-Sitzungen einschließlich ihres Begleitmaterials sowie die Reden Greenspans und seiner Kollegen im Gouverneursrat der Zentralbank durchgearbeitet.

Greenspans (anscheinend zumindest bis Hartmanns Veröffentlichung) „unentdeckte Agenda“ (33) beschreibt der Autor so: Bei der New Economy-Geldschwemme sei es darum gegangen, die informationstechnologischen Start-Ups mit billigem Kapital zu versorgen, um deren Erfolg und Aufschwung zu finanzieren, der eine massive Erhöhung der gesamtwirtschaftlichen Produktivität nach sich gezogen habe. Dies zielte auf einen Bruch mit dem fordistischen Regime in allen gesellschaftlichen Bereichen und führte zugleich zu einem Niedergang der traditionellen Industrien. Das Erbe vorausgegangener emanzipativer Bewegungen sei zu einem Regime der Selbstunterwerfung und Selbstoptimierung umfunktioniert worden. Neue, nicht zuletzt von Greenspan selbst in die Welt gesetzte Visionen von Freiheit, Unternehmertum und Privatisierung hätten diesem Prozess seine Legitimation verschafft. Eine durch die neuen Technologien und die damit verbundene Umwälzung der Arbeitsverhältnisse möglich gemachte, zugleich massiv ideologisch begleitete Desorganisierung der Arbeiterklasse als neue Strategie im Klassenkampf also. Greenspan sei klar gewesen, dass seine Politik eine Finanzblase erzeugen musste, die schließlich platzen würde. Die darauf folgende Krise sei bewusst in Kauf genommen worden, zumal sie den Prozess der „schöpferischen Zerstörung“ und damit das Ende des fordistischen Regimes und den Aufbau eines neuen Kapitalismus unter US-Vorherrschaft weiter vorangetrieben habe. Die oft kritisierte „Finanzialisierung“ des Kapitalismus, Spekulation und Gier seien daher keine Fehlentwicklungen, sondern in diesem Sinne funktonale Bestandteile der neuen Politik, gewissermaßen Bestandteile kapitalistischer Logik (77).

Auf die durch das Platzen der New-Economy-Blase verursachte Krise habe Greenspan – sekundiert durch die Bush-Regierung – mit dem In-Gang-Setzen einer neuen Schuldenbase reagiert. Jetzt ging es um die Ankurbelung der privaten Nachfrage durch Hypothekenverschuldung. Womit die krisenbedingt schwachen Unternehmensinvestitionen kompensiert werden sollten. Möglich wurde dies dadurch, dass Bedingungen dafür geschaffen wurden, Kredite für Häuser aufzunehmen, die deren realen Wert überstiegen und die nie zurückgezahlt werden konnten („subprime“). Die Möglichkeit, diese Schulden zu verbriefen und damit international handelbar zu machen, erleichterte diese Politik und verlagerte zugleich das Risiko auf die privaten Sparer. Die massive private Verschuldung führte zugleich dazu, dass weite Teile der Lebensführung dem Finanz- und Kreditregime unterworfen wurden. „Das Versprechen der Ownership-Society (zielte) auf eine umfassende Enteignung“ (183). Eine weitere Phase des Klassenkampfs also, die auf eine Degradierung der Mittelklasse zielte. Auf das Platzen der Subprime-Blase und die darauf folgende Finanzkrise wurde mit einem neuen geldpolitischen Tsunami reagiert, der weltweite Dimensionen hatte – siehe z.B. Mario Draghis EU-Zentralbankpolitik.

Im letzten Teil seines Buches setzt sich Hartmann mit den herrschenden ökonomischen Theorien, insbesondere der Neoklassik und dem Monetarismus auseinander. Ihnen wirft er vor, mit ihren mathematischen Modellkonstruktionen und Rationalitätsannahmen die ökonomische und soziale Wirklichkeit nicht fassen zu können. Für die marxistische Ökonomietheorie gelte Ähnliches. Es sei dagegen notwendig, die subjektiven Triebkräfte der ökonomischen Prozesse, die Bedeutung von Weltsichten und Erzählungen in den Blick zu nehmen. Greenspan habe sich diese Sicht zueigen gemacht. Krisenerklärungen griffen zu kurz, wenn sie diese Seite, die Strategien und die zentralen Akteure nicht berücksichtigen. Hartmann plädiert also für eine Art von Verhaltensökonomie, die nicht von der Existenz ökonomischer Gesetzmäßigkeiten ausgeht, sondern bewusstes Handeln in den Vordergrund stellt. In der Analyse der ökonomischen Entwicklung der letzten eineinhalb Jahrzehnte glaubt er ausgemacht zu haben, was die ökonomische Entwicklung wirklich vorantreibt: der von Joseph A. Schumpeter so genannte „Prozess der schöpferischen Zerstörung“, mit dem überkommene Verhältnisse umgewälzt und Widerstände gegen Neuerungen gebrochen werden. Dieser Prozess ist bei ihm kein mechanischer Vorgang, sondern die Tat von strategisch handelnden Unternehmern und Politikern.

Derartige Überlegungen sind gewiss nicht falsch. Hartmanns Schrift verschafft einige Einblicke in das, was geläufig und verkürzt als Finanzkrise gehandelt wird. Die scheinbare Verselbständigung des Finanzsektors erscheint bei hm genau genommen als ein Mittel der Industrie- und noch weiter gefasst der Gesellschaftspolitik. Auch seine Kritik an den herrschenden Wirtschaftswissenschaften, insbesondere an deren Modellplatonismus trifft zu. Sie wurden schon vielfach geäußert. Allerdings neigt Hartmann zu gewissen Übertreibungen. Etwa in Gestalt von extremen Personalisierungen, die die Welt als von großen Individuen beherrscht und gesteuert erscheinen lassen. So auch die Stilisierung von Alan Greenspan zu einer Art Generalmanager der Weltökonomie, der diese planmäßig zu steuern vermag. Theoretisch gesehen präsentiert Hartmann eine Art umgekehrten Operaismus: Bei ihm machen nicht die Arbeiter die Krise, sondern die Kapitalisten mit ihren politischen Helfershelfern. Als gäbe es in der kapitalistischen Ökonomie nicht Krisenmechanismen, die sich hinter dem Rücken der Akteure durchsetzen. Auch lassen sich große Innovationsschübe wohl kaum aus dem Wesen der Unternehmer begründen, die nur motiviert und mit den richtigen Bedingungen ausgestattet werden müssen. Sie werden nämlich zwecks Sicherung ihres Profits dazu gezwungen. Und da entsteht beispielsweise die Frage, was denn nun die Profitrate periodisch zum Sinken bringt. Wahrscheinlich doch „objektive“ ökonomische Prozesse. Den Grund für ökonomische Stockungen und Überakkumulation sieht Hartmann dagegen „in dem Missverhältnis zwischen den ungestümen Kräften der Offensive dem der Transformations- und Anpassungsfähigkeiten, ... die sich ihnen entgegenstellen“ (139). So hätte es in der Tat auch der von ihm so hoch geschätzte Greenspan ausdrücken können. Dass die „ungestümen Prozesse der Offensive“ etwas mit der Struktur der kapitalistischen Ökonomie und den ihr innewohnenden Gesetzmäßigkeiten zu tun haben könnte scheint keiner Berücksichtigung wert. „Den“ Marxismus – was immer damit gemeint sei – als überholt zu erklären, greift daher zu kurz, zumal wenn man sich nicht damit auseinandersetzt, dass sich in dieser Theoriesparte seit Marx einiges getan hat. Für eine solche Behauptung ausgerechnet den griechischen Ex-Finanzminister Varoufakis ins Feld zu führen, mutet jedenfalls sehr apart an.

Da Hartmann nun trotz aller Bewunderung eigentlich nicht eine Lobpreisung des Kapitalismus und seiner Manager präsentieren will, folgt am Ende selbstverständlich ein Aufruf zur sozialen Revolution. Dieser kommt indessen einigermaßen unvermittelt daher und die Untersuchung gibt auch keinen Hinweis dazu, von wem und wie diese ausgehen sollte. Das ist auch nicht einfach, wenn man vom Faktum eines strategisch gemanagten kapitalistischen Prozess ausgeht, in dem keine Widersprüche, sondern nur zu überwindende Hemmnisse gibt.

Den „Prozess der schöpferischen Zerstörung“ zum entscheidenden und planmäßig eingesetzten Movens der kapitalistischen zu erklären, lässt sich aus Hartmanns Untersuchungen kaum ableiten. Für die New-Economy-Blase ist dies vielleicht begründbar. Die späteren Manöver der Fed müssen dagegen als in ihrer Wirksamkeit eher beschränkte Reaktionen verstanden werden, die am Fortbestand der Krise nichts geändert haben. Etwas einseitig ist auch die Behauptung, Greenspans Politik habe die Vorherrschaft der US-Ökonomie wieder hergestellt. In der Tat wurde damit die Dominanz der amerikanischen IT-Industrie bekräftigt. Ob das ausreicht, eine wiedererlangte US-Hegemonie zu begründen, bleibt aber fraglich und ist in der Literatur zumindest umstritten. Der deutsche Maschinenbau zum Beispiel, dem es gelingt, die neuen Technologien zu inkorporieren, hat von dieser Entwicklung ebenfalls profitiert und ist weltweit führend geblieben.

Hartmanns Schrift ist trotz der vielfältigen Überzeichnungen lesenswert, weil es den Blick auf ansonsten eher weniger beleuchtete Zusammenhänge lenkt – vorausgesetzt man macht sich die Mühe, sich mit seinen theoretischen Kurzschlüssen kritisch auseinanderzusetzen. Auch seine ökonomietheoretischen Überlegungen sind durchaus interessant. Sehr informativ sind die Einblicke, die er in die Finanzwelt und ihre Manipulationsinstrumente liefert. Wichtig ist auch der Hinweis darauf, dass ökonomische Prozesse sehr wesentlich von den Aktionen strategisch handelnder Akteure beeinflusst werden, auch wenn man dabei nicht zu Verschwörungstheorien greifen muss. Der Verfasser würde den Nutzen seines Buches größer machen, wenn er sich etwas selbstkritischer geben, zu Reflexionen anregen und sich nicht zum Inhaber der einzigen Wahrheit stilisieren würde. Der Verlag hätte den LeserInnen einen Gefallen getan, wenn er dafür gesorgt hätte, dass dem Text wenigstens ein Inhalts- und Literaturverzeichnis angefügt wird.

Detlef Hartmann: Krisen, Kämpfe, Kriege, Band 1: Alan Greenspans endloser „Tsumani“. Eine Angriffswelle zur Erneuerung kapitalistischer Macht. Verlag Assoziation A, Berlin und Hamburg 2015, 235 Seiten.

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