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Kampf um Hegemonie

Zur aktuellen Situation und politischen Perspektiven

Joachim Hirsch

Nicht nur die Wahlverluste einschlägiger Parteien deuten darauf hin, dass die neoliberale Hegemonie etwas ins Wanken geraten ist. Das politische Personal und die Rezepturen seiner diversen Berater stoßen auf wachsendes Misstrauen. Dass die Berliner große Koalition einer im wesentlichen unveränderten Politik verbal einen sozialeren Anstrich zu geben versucht, wird daran nicht viel ändern, zumal sie alles dazu tut, die Umverteilung von unten nach oben weiter zu treiben. Die Kluft zwischen Regierenden und Regierten bleibt. Es wird immer deutlicher, dass entgegen allen großspurigen Versprechen das neoliberale Projekt für die große Mehrheit und weltweit das Gegenteil von Frieden und Wohlstand gebracht hat. „Globalisierung“ erscheint vor allem als Bedrohung.

Entwicklungen dieser Art deuten darauf hin, dass sich das Terrain der politischen und sozialen Auseinandersetzungen allmählich neu ordnet. Weil der neoliberal – postfordistische Kapitalismus vor allem auf sozialem und politischem Gebiet deutliche Krisenerscheinungen zeigt, wird die Frage der Hegemonie wieder relevanter. Hegemonie bezeichnet nach Gramsci ein Herrschaftsverhältnis, bei dem es den verschiedenen Gruppierungen der herrschenden Klasse gelingt, sich auf eine gemeinsames Konzept von Ordnung und Entwicklung der Gesellschaft zu einigen, dieses auch in den Köpfen der Beherrschten zu verankern und die damit bewerkstelligte Folgebereitschaft durch gewisse materielle Zugeständnisse abzusichern. Die so geschaffene Einheit von Zwang und Konsens kann einer historischen kapitalistischen Formation eine relative Stabilität und Dauerhaftigkeit verleihen. Ein hegemoniales Verhältnis hat mehrere Dimensionen: eine ideologische, die sich nicht nur in den herrschenden Diskursen, sondern auch im alltäglichen Verhalten, den subjektiven Wertvorstellungen und Verhaltensorientierungen ausdrückt, eine institutionelle in Gestalt eines Systems von gesellschaftlichen Institutionen und Prozeduren, in denen Interessenkonflikte und Beteiligungsmöglichkeiten im Rahmen der bestehenden Ordnung geregelt werden können und eine politische. Damit ist die Fähigkeit der „politischen Klasse“ gemeint, mit einem „national-popularen Programm“ politische Führungsfähigkeit zu demonstrieren und Gefolgschaft zu mobilisieren.

Nimmt man diesen Begriff von Hegemonie, dann bieten die gegenwärtigen Zustände ein widersprüchliches Bild. Zweifellos war die inzwischen schon ein Vierteljahrhundert andauernde neoliberale ideologische Offensive erfolgreich. Entsprechende Weltbilder und Denkmuster beherrschen die Medieninhalte ebenso wie die politische Rhetorik über die Parteigrenzen hinweg. Neoliberale Orientierungen – individualisiertes Konkurrenzverhalten, der Glaube an eine natürliche Ungleichheit der Menschen oder die Entwertung dessen, was einmal gesellschaftliche Solidarität hieß, Aufstiegsmanie und die Attribute einer konsumistischen Spaßgesellschaft – wurden in bemerkenswertem Umfang in den Köpfen verankert. Das geht nicht ohne einige Widersprüche ab, hat sich aber in der Weise konsolidiert, dass andere Orientierungen zumindest im öffentlichen Diskurs als veraltet und rückständig gelten. Jedoch ist dies ist nur die eine Seite. Auf der anderen steht, dass infolge der Aushöhlung der liberalen Demokratie im Zuge der sogenannten Globalisierung und der damit verbundenen Internationalisierung der Staatsapparatur das Vertrauen in die politischen Institutionen und das sie betreibende politische Personal erheblich gelitten hat. Die um sich greifende „Politikverdrossenheit“ weist darauf hin, dass das herrschende politisch-institutionelle Gefüge hegemonialen Anforderungen nicht mehr entspricht. Die politische Klasse hat sich mit ihrer Unterwerfung unter vorgebliche ökonomische Sachzwänge und der von ihr selbst betriebenen Ökonomisierung der Politik der Möglichkeit beraubt, zukunftsweisende, für breitere Mehrheiten akzeptable Konzepte für eine gesellschaftliche Entwicklung formulieren zu können. Eine perspektivlose Verwaltung des Status Quo – neuerdings als Pragmatismus gefeiert – ist die Regel. Dass die Geschichte wohl doch nicht ganz zu Ende ist, hat sich in diesen Kreisen noch nicht herumgesprochen. Vor allem dafür steht die Politik der Berliner Regierung. Entgegen allen Versprechungen hat die neoliberale Umwälzung keine besseren gesellschaftlichen Verhältnisse hervorgebracht, sondern für viele Arbeitslosigkeit, Armut und Not erzeugt, die gesellschaftlichen Ungleichheiten und Spaltungen vergrößert und die soziale Unsicherheit erheblich ansteigen lassen. Selbst im Umkreis der etablierten Wirtschaftswissenschaft, die praktisch zur politischen Theorie des Neoliberalismus geworden war, sind inzwischen gewisse Rückzugsbewegungen zu registrieren. Immer deutlicher wird realisiert, dass ein entfesselter Markt, bedenkenlose Privatisierungen und das immer weitere Zurückdrängen des Staates das Risiko größerer Wirtschaftskrisen verstärkt und der gesellschaftliche Zusammenhalt zu zerbröseln droht. Man kann also durchaus von einer Krise der Hegemonie sprechen. Dies ist auch ein Grund dafür, dass der Zwang als Mittel der Herrschaftssicherung immer stärker in den Vordergrund tritt. Der neoliberal freigesetzte „stumme Zwang der Ökonomie“ wird im Zuge einer buchstäblichen, mit Terrorismus- und Kriminalitätsbekämpfung – vorübergehend auch mit einer Fußballweltmeisterschaft – legitimierten Sicherheitsstaatsorgie immer weiter repressiv flankiert. Dies bedeutet, dass der gesellschaftliche Konsens in verstärktem Maße passiv hergestellt wird, als Unterwerfung unter gesellschaftliche und politische Zustände, die man nicht mehr ändern zu können glaubt. Das zentrale Legitimationsinstrument des neoliberalen Kapitalismus, Margaret Thatchers bekannte Formel „there is no alternative“ zeigt seine Kehrseite in Form eines deutlichen Hegemonieverlustes .

Die Frage ist, was dies für die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen und Kämpfe bedeutet. Oder genauer: wie dieser passive Konsens durchbrochen und sich emanzipatives Handeln entwickeln kann. Über Frust und Resignation hinaus ist davon derzeit recht wenig zu spüren. Angesichts einer sich zu einem Kartell zusammenschließenden „politischen Klasse“ und einer in weite Bereiche hinein kommerzialisierten Kultur- und Medienlandschaft hat das politische System in gewisser Weise totalitäre Züge angenommen. Widerstand und Verweigerung gelten schlicht und undifferenziert als Attribute Ewiggestriger oder bornierter Besitzstandswahrer. Ein Einheitsdenken, das die Lehrsätze des neoliberalen Katechismus zum Dogma erhöht, beherrscht die intellektuellen und medialen Diskurse. Statt sozialem Kampf und Konflikt ist „Anerkennung“ zu einer Leitvokabel des sich aufgeklärt gebenden politphilosophischen Feuilletons geworden, währenddessen die damit gemeinten Diskriminierten und Ausgegrenzten damit beschäftigt sind, ihr physisches und psychisches Leben wenigstens halbwegs zu meistern. Theoretisch wie politisch kommt grundsätzlicher Oppositionelles bestenfalls noch in einigen Nischen vor.

In diesem Zusammenhang spielt der eher desolate Zustand linker Theorie und Politik eine wichtige Rolle, der mit der neoliberalen Wende und den damit einhergehenden Entwicklungen, nicht zuletzt dem Untergang des Staatssozialismus verbunden ist. Ein Subtext der Kritik am „realen“ Sozialismus war die Vorstellung von der Möglichkeit eines „richtigen“, die freilich in keiner Weise konkretisiert werden musste und konnte. Nachdem diese weltpolitische Konstellation verschwunden war, machte sich in den linken Intellektuellenszenen eine erhebliche Orientierungslosigkeit breit und die Anpassungsbewegungen an die Bedingungen des scheinbar siegreichen Kapitalismus wurden stärker. Ein Beispiel dafür sind die Zivilgesellschafts-Debatten der neunziger Jahre, die im Grunde von der Vorstellung ausgingen, der Kapitalismus könne „zivilisiert“ werden, ohne die bestehenden ökonomischen und politischen Strukturen zu verändern. Die „Systemfrage“ wurde damit sozusagen diskursiv entsorgt. Die grüne Partei spielte bei dieser Wende eine wichtige Rolle, indem sie die Tendenz zu etatistischen Politikformen verstärkte, während gleichzeitig die ökonomische und gesellschaftliche Basis für die herkömmliche Form des Staatsreformismus zerschlagen wurde. Nach dem Regierungsantritt der rot-grünen Koalition zerstoben auch die damit verbundenen Hoffnungen. Zugleich entwickelten sich mit der globalisierungskritischen Bewegung seit der zweiten Hälfte der neunziger Jahre neue Ansätze außerparlamentarischer Politik. Der Slogan, eine bessere Welt sei möglich, wurde dabei zu einer Art Leitformel. Sie besagt indessen wenig, solange die damit verbundenen politischen Ziele auf der Ebene partieller Reformen verbleiben.

Für einen Kampf um Hegemonie bedarf es nicht nur radikaler Gesellschaftskritik, sondern auch der konkreteren Formulierung grundlegender, über die bestehenden Verhältnisse hinaus weisender Alternativen. Er verlangt, über den Tellerrand des Bestehenden hinaus zu blicken und nicht bei pragmatischen Korrekturen stehen zu bleiben. Das Spiel darf nicht nur anders gespielt, sondern die Spielregeln müssen aufgekündigt werden. Die Frage ist, welche andere, freiere und humanere Formen von Vergesellschaftung denkbar sind und welche praktischen Wege zu ihrer Realisierung eingeschlagen werden können. Es geht um konkrete Utopie im Sinne einer Wahrnehmung gesellschaftlicher Potenziale, die von den herrschenden Verhältnissen verschüttet werden.

Es ist nicht die Aufgabe kritischer Wissenschaft, Pläne zu verfertigen, gesellschaftliche Projekte konkret auszumalen oder politische Strategien zu entwerfen. Diese entwickeln sich aus gesellschaftlichen Kämpfen und Bewegungen und den damit verbundenen Erfahrungs- und Lernprozessen. Wissenschaftliche Analyse kann jedoch dazu beitragen, historische Erfahrungen zu vergegenwärtigen, die bestehenden Verhältnisse besser zu verstehen, Zusammenhänge zu verdeutlichen und Möglichkeiten zu skizzieren. So ist auch dieser Text zu verstehen. Es wird darin versucht, theoretische Erkenntnisse mit Überlegungen, Plänen und Vorstellungen zu verbinden, die im Kontext sozialer Bewegungen und Projekte entstanden sind.

Bruchstellen des postfordistischen Kapitalismus

Zu einer Analyse der bestehenden Verhältnisse gehört es zunächst, die Bruchstellen auszumachen, die den nach der Krise des Fordismus in den achtziger und neunziger Jahren etablierten neoliberalen oder postfordistischen Kapitalismus kennzeichnen. Von Marx stammt die Formulierung, dass eine gesellschaftliche Formation dann überlebt ist, wenn die bestehenden Produktionsverhältnisse zu einer Fessel für die weitere gesellschaftliche Entwicklung werden. Dieser „Widerspruch zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen“ ist oft im Sinne eines objektiven Krisen- und Zusammenbruchsmechanismus missverstanden worden. Viel eher geht es darum die Konfliktinhalte, Auseinandersetzungsterrains und die sozialen Akteurskonstellationen genauer zu bestimmen, die daraus erwachsen. Diese bleiben im historischen Verlauf nicht gleich, sondern verändern sich in dem Wandel der ökonomischen und politischen Strukturen. Sie sind heute anders als noch um die Mitte des 20. Jahrhunderts.

Die Ende der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts einsetzende neoliberale Offensive hatte zum Ziel, die in der Krise des fordistischen Nachkriegskapitalismus bedrohte Profitabilität des Kapitals wieder herzustellen. Diesem Zweck diente die Deregulierung der Kapital- und Finanzmärkte, die beschleunigte Internationalisierung des Kapitals, die „Flexibilisierung“ der Arbeitsverhältnisse und eine umfassende Welle von Privatisierungen. Damit verschob sich die Einkommensverteilung weltweit zugunsten des Kapitals und ein erneuter Schub der „inneren Landnahme“ machte bisher verschlossene Investitions- und Anlagemöglichkeiten verfügbar. Die so etablierte Akkumulations- und Regulationsweise mit der damit einhergehenden Transformation der Staaten und des Staatensystems hat spezifische ökonomische und politische Krisendynamiken und neue Terrains sozialer Konflikte geschaffen.

Zunächst einmal nimmt die dem Kapitalismus strukturell eigene Überakkumulationskrise, d.h. die Schwierigkeit, den produzierten Mehrwert zu realisieren, neue Formen an. War für den keynesianisch-staatsinterventionistischen Kapitalismus der fordistischen Ära die so genannte „Stagflation“, d.h. schwaches Wachstum bei gleichzeitig hoher Inflation als Krisenerscheinung typisch, so setzte die neoliberale Umstrukturierung zunächst neue Wachstumsimpulse frei. Die verschobene Einkommensverteilung und damit ein tendenziell stagnierender Massenkonsum machen es aber immer schwieriger, für die explodierenden Profite Anlagemöglichkeiten im produktiven Sektor zu finden. Eine Folge davon ist, dass immer größere Finanzmassen auf der Suche nach spekulativen Anlagen um den Globus wandern. Diese „Finanzialisierung“ des postfordistischen Akkumulationsmodus verstärkt die Tendenz zu kurzfristigen Planungshorizonten bei den Unternehmen ohne Rücksicht auf die längerfristigen Bedingungen der gesellschaftlichen Reproduktion („Shareholder-Kapitalismus“) und beschleunigt das Rationalisierungstempo enorm. In wachsendem Umfang wird lebendige Arbeit freigesetzt. Die Herstellung der lebensnotwendigen Güter erfordert immer weniger Arbeit. Unter kapitalistischen Bedingungen heißt dies allerdings, dass nicht die Arbeitszeit für alle verkürzt wird, sondern dass immer weniger Menschen immer härter arbeiten müssen, während der Rest als Überschuss deklariert wird. Massenarbeitslosigkeit paart sich mit der Demontage der sozialen Sicherungssysteme, was in einer scheinbar paradoxen Weise zu einer Ausweitung des Arbeitszwangs benutzt wird. Damit haben sich die gewohnten ökonomischen Koordinaten verschoben. Wirtschaftswachstum geht nicht mehr wie noch im Fordismus mit einer relativen Vergrößerung des allgemeinen Wohlstands einher, sondern die Massenarbeitslosigkeit wächst und gesellschaftliche Spaltungen nehmen zu. Arbeitslosigkeit und die Deregulierung der Arbeitsmärkte erhöhen den Druck auf die Löhne. Dadurch drohen die Sozialsysteme auf der Basis des bestehenden Finanzierungsmodus zusammenzubrechen, der auf einer annähernden Vollbeschäftigung und einer permanenten Steigerung der Arbeitseinkommen beruht. Der wachsende potentielle Reichtum der Gesellschaft äußert sich in einer sich ausbreitenden Armut, die viele Gesichter hat. Die Irrationalität der kapitalistischen Produktionsweise braucht nicht mehr nur theoretisch aufgezeigt zu werden, sondern wird zur Alltagserfahrung.

Der kapitalistische Ausweg aus diesem Dilemma besteht in der Erschließung neuer Anlagesphären und Märkte in der kapitalistischen Peripherie, die nicht zuletzt durch den Zusammenbruch des Staatssozialismus möglich geworden ist. Dies allerdings vergrößert in Form eines entfesselten Standortwettlaufs die sozialen Probleme in den Zentren weiter. Die Folgen der EU-Erweiterung sind nur ein Beispiel dafür. Angesichts der Entwicklung neuer Wachstumspole in der kapitalistischen Peripherie und des Niedergangs metropolitaner Regionen werden die Unterschiede zwischen „erster“ und „dritter“ Welt undeutlicher. Dazu kommt der Prozess der „inneren Landnahme“ durch Privatisierung, d.h. der Überführung bisher öffentlicher, d.h. frei oder kostengünstig verfügbarer Güter in Privateigentum. Während eine wachsende Masse von Waren produziert wird, deren Nutzwert höchst fragwürdig ist und die oft nicht nur im ökologischen Sinne schädlich sind, stellt die Einschränkung öffentlicher Güter einen weiteren Aspekt von Verarmung durch Reichtum dar. Eine grundlegende Strategie der neoliberalen Umstrukturierung zielt auf eine erweiterte Durchkapitalisierung der Gesellschaft, d.h. die Kommerzialisierung weiterer Lebensbereiche und sozialer Beziehungen. Von Anfang an hat die „ursprüngliche Akkumulation“, d.h. die Überführung von Gemein- in Privateigentum die Entwicklung des Kapitalismus begleitet. Der postfordistische Akkumulationsmodus verleiht diesem Prozess einen neuen Schub. Dazu gehört die Privatisierung ehemals öffentlicher Unternehmen und Dienstleistungen ebenso wie die der sozialen Sicherungssysteme oder die Patentierung bislang frei verfügbarer genetischer Ressourcen. Zugleich nimmt infolge der technischen Entwicklung die Bedeutung „immaterieller“ Produkte wie Datenverarbeitungsprogramme, Produktionsdesigns, Erfindungen, Filme oder Musikstücke erheblich zu. „Wissen“ im weitesten Sinne erhält in wachsendem Umfang die Eigenschaft einer Ware. Im Unterschied zu materiellen Produkten hat diese allerdings die Eigenart, ohne größere Kosten vervielfältigbar zu sein. Die Sicherung der Privateigentumsrechte an „geistigem Eigentum“ rückt daher immer stärker in das Zentrum des Kapitalinteresses und bestimmt in hohem Maße auch die internationalen Regelungsbemühungen und Auseinandersetzungen, z.B. im Rahmen der Welthandelsorganisation mit ihren TRIPS- und GATS-Abkommen. Mit dieser Entwicklung ist eine bemerkenswerte Veränderung des Charakters der gesellschaftlichen Arbeit verbunden. Wie das Beispiel der sogenannten freien Software zeigt, können es sich einschlägig Qualifizierte leisten, im Rahmen internationaler Kooperationsnetzwerke Computerprogramme herzustellen, die den kommerziell erzeugten ebenbürtig, wenn nicht sogar überlegen sind. Das heißt, es entwickeln sich Arbeitsformen, die im Korsett privatunternehmerischer Konkurrenzwirtschaft überhaupt nicht realisierbar wären. Dies ist eine Tendenz, die die neoliberale Kommodifizierung in gewisser Weise unterläuft.

Schließlich beinhaltet die mit der Internationalisierung des Kapitalverhältnisses einhergehende Transformation des Staates einen weiteren wichtigen Widerspruch. Die Durchsetzung eines neuen Staatstyps, des internationalisierten Wettbewerbsstaats hat zum Ziel gehabt, den fordistischen Interventions- und Sozialstaat und die diesen kennzeichnenden gesellschaftlichen Steuerungsmechanismen auszuhebeln. Die „Öffnung“ der nationalen Ökonomien setzt der Beschäftigungs- und Sozialpolitik enge Grenzen und zerschlägt korporative Kompromissbildungsstrukturen. Staatliche Politik wird dadurch noch unmittelbarer von Kapitalinteressen und der Dynamik des kapitalistischen Weltmarkts bestimmt. Zugleich wurden politische Entscheidungen in verstärktem Umfang auf die internationale Ebene verlagert, wo demokratische Institutionen selbst im formellen Sinne nicht existieren. Die damit etablierte Politik des Sachzwangs führt zu einer starken Entleerung demokratischer Strukturen und Verfahren auf einzelstaatlicher Ebene. Sie existieren zwar weiter, können aber immer weniger wirksame Mitbestimmungsrechte für einen großen Teil der Bevölkerung gewährleisten. Soziale Kompromisse, die für den längerfristigen Erhalt der Gesellschaft notwendig sind, werden dadurch schwerer durchsetzbar, gesellschaftliche Spaltungen nehmen zu und die politischen Verhältnisse erhalten einen autoritäreren Charakter. Der des öfteren als „Krise der politischen Repräsentation“ bezeichnete Konflikt zwischen den Regierenden bzw. der politischen Klasse insgesamt und der Bevölkerung ist dem postfordistischen Kapitalismus strukturell eingeschrieben und wird durch autoritär-populistische Legitimationsmanöver zu bewältigen versucht.

Zusammengefasst ist der neoliberal – postfordistische Kapitalismus durch drei wichtige Konfliktbereiche gekennzeichnet:

(1) Die Entwicklung der Produktivkräfte hat einen Stand erreicht, bei dem die zur Produktion der lebensnotwendigen Güter notwendige Arbeit erheblich abgenommen hat. Da darauf angesichts der bestehenden sozialen Kräfteverhältnisse nicht mit einer allgemeinen Arbeitszeitverkürzung reagiert wird, führt dies zu struktureller Massenarbeitslosigkeit sowie einer Senkung der Masseneinkommen. Dass (potenzieller) gesellschaftlicher Reichtum Armut erzeugt, wird zur unmittelbaren Erfahrung. Die Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse wird weiter vorangetrieben. Dies zusammen führt wiederum zur Krise der sozialen Sicherungssysteme. Die für die kapitalistische „Arbeitsgesellschaft“ bisher charakteristische Koppelung von Lohnarbeit und Existenzsicherung wird dadurch grundsätzlich in Frage gestellt.

(2) Die Kommerzialisierung und Privatisierung der sozialen Beziehungen geht mit einer immer weiter getriebenen Einschränkung der öffentlichen Güter einher. Der neue Schub der Verwissenschaftlichung der Produktion und der damit wachsende Anteil „immaterieller“ Produkte führt dazu, dass die Bemühungen um eine Privatisierung von „geistigem Eigentum“ immer stärker in den Vordergrund rücken. Die Konflikte um öffentliche Güter und die Kommerzialisierung der sozialen Beziehungen erhalten damit einen zentralen Stellenwert.

(3) Mit der neoliberalen Transformation von Staat und Staatensystem kommt es zu einer Erosion der auf einzelstaatlicher Ebene institutionalisierten liberalen Demokratie, die die Dimensionen einer strukturellen politischen Krise aufweist. Die im Laufe der zurückliegenden zwei Jahrhunderte erkämpften demokratischen Errungenschaften drohen zunichte gemacht zu werden. Damit rückt die „demokratische Frage“ in neuer Weise in das Zentrum der politisch-sozialen Auseinandersetzungen.

Gesellschaft verändern – aber wie?

Beschäftigt man sich damit, welche politischen Perspektiven aus dieser Entwicklung resultieren, so lohnt zunächst ein Blick auf die Geschichte. Die Krise des fordistischen Kapitalismus in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts war nicht nur vom Zusammenbruch des Staatssozialismus im Osten, sondern auch vom Scheitern des sozialdemokratischen Reformismus im Westen begleitet. Das heißt, dass beide Ansätze grundlegenderer Gesellschaftsveränderung gescheitert sind, die das 20. Jahrhundert maßgeblich geprägt haben. Dies legt es nahe, genauer über den Charakter des kapitalistischen Staates nachzudenken und zentrale Aussagen der materialistischen Staatstheorie zur Kenntnis zu nehmen. Der Staat ist weder das einfache Instrument der herrschenden Klasse noch eine neutrale Instanz, die von allen sozialen Kräften für ihre Interessen genutzt werden kann. Er ist als „materielle Verdichtung von Klassenkräfteverhältnissen“ (Poulantzas) ein integraler Bestandteil der kapitalistischen Produktionsweise. Seine institutionelle Struktur beruht auf den kapitalistischen Klassenverhältnissen und hängt in ihrem Bestand von deren Erhalt ab. Insofern lässt sich die historische Erfahrung theoretisch untermauern. Kapitalistische Klassenbeziehungen und Ausbeutungsverhältnisse können durch Staatsintervention nicht grundlegend verändert werden. Und wie das Beispiel des Staatssozialismus zeigt, gibt es gute Gründe für die Annahme, dass gesellschaftliche Strukturen gegenüber administrativen Staatseingriffen einigermaßen resistent sind. Das Vorhaben, auf staatsbürokratischem Wege einen „neuen Menschen“ zu schaffen, ist gründlich gescheitert.

Vor diesem Hintergrund steht die in Teilen der Linken gehandelte Vorstellung, man könne zur fordistischen Form des „keynesianischen“ Interventions- und Sozialstaats zurückkehren, nicht nur im Gegensatz zur Realität des globalisierten Kapitalismus, sondern beinhalten auch kaum emanzipative Potenziale. Der fordistische Sozialstaat war ein Gebilde, das nicht nur auf einer voranschreitenden Zerstörung gesellschaftlicher Naturgrundlagen und strukturellen internationalen Ungleichheiten beruhte, sondern einen administrativen Herrschafts- und Disziplinierungskomplex mit stark fragmentierenden und ausgrenzenden Effekten darstellte. Es bleibt daran zu erinnern, dass die neoliberale Offensive auch linke und alternative Kritiken am fordistischen Staat ausnutzen konnte. Schon deshalb erscheint es als unwahrscheinlich, dass eine „neofordistische“ politische Strategie erfolgreich sein und eine Massenbasis gewinnen könnte.

Kapitalistische Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse beruhen auf einem komplexen Geflecht sozialer Beziehungen. „Kapitalismus“ heißt nicht nur Privateigentum an Produktionsmitteln und die Vorherrschaft von Marktbeziehungen, sondern beinhaltet bestimmte Lebensweisen, Wertvorstellungen, politische Orientierungen und Formen der Arbeitsteilung, Konsumstile, Geschlechterverhältnisse und Naturbeziehungen. Der Staat ist nicht Ursprung und Sitz von Macht, sondern Ausdruck vielfältiger gesellschaftlicher Machtbeziehungen. Eine Veränderung dieses komplexen Verhältnisses ist nicht von einem steuernden Zentrum aus, schon gar nicht mittels des Staates möglich. Eine nur auf den Staat ausgerichtete Politik muss notwendig Gefahr laufen, eben die Machtverhältnisse zu stabilisieren, die sich im Staat verdichten. Notwendig sind vielmehr Prozesse, die auf verschiedenen Ebenen und an vielen Orten ansetzen, also gewissermaßen eine Selbsttransformation der Gesellschaft, die von unterschiedlichen Gruppen, Initiativen und Bewegungen vorangetrieben wird. Wertvorstellungen, Alltagsroutinen und Bewusstseinsformen verändern sich nicht durch administrative Eingriffe, sondern dadurch, dass Menschen beginnen, ihre Verhältnisse anders zu sehen und sich praktisch anders zu verhalten. Radikale Gesellschaftsveränderung hat immer die Dimensionen einer Kulturrevolution. Beispiele dafür waren die studentische Protestbewegung, die nicht nur einiges an traditionellen Bewusstseinsformen und Werten umgewälzt und die autoritäre Adenauer-Republik ein Stück weit demokratisiert hat, sondern auch die Frauenbewegung, die immerhin zu einer gewissen Veränderung der Geschlechterverhältnisse beigetragen hat oder die Ökologiebewegung mit ihrer keineswegs folgenlosen Thematisierung der gesellschaftlichen Naturverhältnisse. Das Parteiensystem und die staatliche Politik haben darauf nur reagiert.

Wie Gramsci gezeigt hat, ist die „zivile Gesellschaft“ der zentrale Ort, auf dem kapitalistische Herrschaft und Hegemonie hergestellt wird. Sie ist zugleich das Feld, auf dem sich alternative Hegemonie herausbilden kann. Dies ist indessen nicht nur ein intellektueller Prozess oder eine Frage politischer Organisation, sondern erfordert die Entwicklung neuer Formen von Vergesellschaftung und sozialer Praxis in einem umfassenderen Sinne. Die bestehende „Zivilgesellschaft“ muss, weil sie die Basis der existierenden Macht und Herrschaftsverhältnisse ist, selbst umgewälzt und verändert werden. Bewegungen und Initiativen entfalten dann eine gesellschaftsverändernde Wirkung, wenn daraus eine neue Hegemonie in Form gemeinsamer Vorstellungen von Ordnung und Entwicklung der Gesellschaft entsteht. Emanzipative Gesellschaftsveränderung erfordert daher vor allem die Entwicklung von gegenüber Staat und Parteien autonomen Formen von Selbstorganisation und Interessenvertretung, einer von Staat und kommerzialisierten Medien unabhängigen politischen Öffentlichkeit und Wissensproduktion. Es geht um eine Politisierung der „zivilen Gesellschaft“ gegen den herrschenden Trend ihrer immer weiter voranschreitenden Durchökonomisierung. Oder, um einen Marx'schen Satz abzuwandeln, die zivile Gesellschaft ist nicht nur anders zu interpretieren, wie es im politischen Feuilleton üblicherweise getan wird. Es kommt vielmehr darauf an, sie praktisch zu revolutionieren.

Man kann dies „radikalen Reformismus“ nennen. „Radikal“, weil die verzweigten gesellschaftlichen Fundamente von Macht, Herrschaft und Ausbeutung in Frage gestellt werden. Und „Reformismus“, weil es sich um einen langwierigen, komplexen Prozess handelt, der äußerst konflikthaft und in seinem Verlauf und seinen Ergebnissen nicht vorausbestimmt ist. Es geht dabei darum, das Verhältnis von „Staat“ und „Gesellschaft“, von „Öffentlich“ und „Privat“ zu verändern und damit einen neuen, nicht etatistisch verengten Politikbegriff wirksam werden zu lassen. Festzuhalten bleibt allerdings, dass „Staat“ und „zivile Gesellschaft“ einen eng verbundenen Komplex darstellen, d.h. dass zivilgesellschaftliche Transformationsprozesse immer mit Interventionen in das System der Staatsapparate verbunden sein müssen. Wichtig ist nur, dass dies aus eigenständigen, nicht etatistisch oder parteimäßig geformten Zusammenhängen heraus geschieht. Wenn sich emanzipative zivilgesellschaftliche Prozesse entwickeln, werden sich Struktur und Funktion der Staatsapparate – als materielle Verdichtung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse – notwendig verändern. Das ist wichtig, weil der Staat eine wesentliche Rolle bei der Reproduktion der Gesellschaft spielt. Mittels der Staaten werden die allgemeinen Bedingungen des Lebens und der gesellschaftlichen Ordnung garantiert, demokratische Entscheidungen kodifiziert und durch gesetzt, nur dadurch ist es möglich, materielle Umverteilungen demokratisch durchzusetzen und sie sind unverzichtbar für die Sicherung individueller und kollektiver Rechte. Das Argument ist also nicht, dass Staaten und staatliche Politik unwichtig wären. Aber sie sind nicht der zentrale Hebel gesellschaftlicher Veränderung. Was also zu entwickeln wäre, ist eine konsequente Politik im und gegen den Staat.

Neue Formen der Vergesellschaftung und der Politik entstehen indessen nicht von selbst. Sie entwickeln sich daraus, dass gesellschaftliche Unzuträglichkeiten bewusst und Alternativen erkannt, Interessen mobilisiert und Forderungen gestellt werden. Daraus resultieren Konflikte und Kämpfe, die wiederum die Voraussetzung dafür sind, dass sich Sichtweisen verändern, praktische Lernprozesse stattfinden und neue Formen der politischen Organisation entwickelt werden. Entscheidend ist, dass die Interessenartikulationen und Forderungen ebenso wie die sich entwickelnden politischen Formen eine die bestehenden Verhältnisse in emanzipativer Weise überschreitende Qualität aufweisen und dass an den Stellen angesetzt wird, an denen die zentralen Widersprüche der bestehenden Verhältnisse zum Ausdruck kommen. Zu diesen gehören heute die oben aufgezeigten Komplexe von Lohnarbeit und Existenzsicherung, von Kommerzialisierung und öffentlichen Gütern und nicht zuletzt die „demokratische Frage“ die durch die neoliberale Transformation von Staaten und Staatensystem in einer neuen und recht grundsätzlichen Weise aufgeworfen worden ist.

Neubestimmung des Sozialen: Garantiertes Grundeinkommen und öffentliche Güter

In der bestehenden Gesellschaft sind die materielle Existenz und die Entfaltungsmöglichkeiten der Menschen grundsätzlich von der Lohnarbeit abhängig. Diese steht infolge der beschleunigten Rationalisierungsprozesse für eine wachsende Zahl nicht oder nur in prekären Formen zur Verfügung. Die zur Produktion der notwendigen Güter erforderliche Zeit geht ständig zurück, was aber nicht zu einer allgemeinen Arbeitszeitverkürzung führt. Zugleich wird dabei unterschlagen, dass der gesellschaftliche Reichtum zu einem entscheidenden Teil auf nicht lohnarbeitsförmigen Arbeiten – Haus- und Reproduktionsarbeit im weitesten Sinne – beruht. Die Entwicklung der Produktivkräfte, d.h. des potenziellen gesellschaftlichen Reichtums macht es aber möglich und notwendig, allen Gesellschaftsmitgliedern eine ausreichende materielle Existenz unabhängig von der Lohnarbeit zu garantieren. Zugleich hat die Arbeitsteilung einen Grad von Intensität und Komplexität erreicht, der es immer schwieriger macht, das Einkommen spezifischen individuellen Arbeitsleistungen zuzurechnen. So sind z.B. hoch bezahlte „Leistungsträger“ darauf angewiesen, dass ihnen in wachsendem Umfang – in der Regel geringer bezahlte – Produktions- und Dienstleistungen zur Verfügung stehen. Die bestehenden Einkommensunterschiede sind weniger das Ergebnis individueller Qualifikationen und Leistungen, sondern vor allem sozialer Selektions- und Diskriminierungsmechanismen, z.B. rassistischer und geschlechtlicher Unterdrückung oder eines ungleichen Bildungssystems.

Beides zusammen genommen erfordert eine zumindest relative Entkoppelung von Arbeit und Einkommen. Die produktiven Möglichkeiten der Gesellschaft lassen es zugleich zu, eine ganze Reihe von lebensnotwendigen Gütern und Dienstleistungen in Form öffentlicher Güter allen und weitgehend kostenlos zur Verfügung zu stellen. Das steht in klarem Gegensatz zur derzeit herrschenden Politik und betrifft nicht nur die Gesundheitsversorgung und die Bildung, sondern auch weite Bereiche des Verkehrs, des Wohnens und der Kultur. Dass Privatunternehmen grundsätzlich effizienter seien als öffentliche, hat sich inzwischen als Irrtum herausgestellt. Privatisierung bedeutet auch keinesfalls weniger Bürokratie. Und dass damit die Zugangschancen zu den entsprechenden Einrichtungen sozial erheblich selektiver gemacht werden, ist ohnehin selbstverständlich und auch beabsichtigt. Das Ziel müsste also sein, eine umfassendere soziale Infrastruktur aufzubauen, die ein erweitertes Angebot an öffentlichen Gütern mit einem bedingungslos zur Verfügung gestellten Grundeinkommen für alle verbindet, das nicht nur das materielle Existenzminimum abdeckt, sondern Persönlichkeitsentfaltung und gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht. Die Bedingungslosigkeit des Grundeinkommens in Verbindung mit einem erweiterten Angebot an öffentlichen Gütern ist dabei von zentraler Bedeutung (vgl. dazu den Schwerpunkt „Sozialpolitik als Infrastruktur“ in www.links-netz.de). Die Auseinandersetzung darüber wird in Zukunft eine zentrale Rolle spielen. Die neoliberale Grundsicherungsvariante, die auf minimale materielle Unterstützung, bürokratische Kontrolle und Arbeitszwang setzt, zielt darauf ab, die Ausgegrenzten ruhig zu stellen, gegebenenfalls als Reservearmee verfügbar zu halten und die sozialen Beziehungen weiter zu kommerzialisieren. Es geht dabei praktisch um die Etablierung eines sozialen Apartheidregimes. Es wird also darum gehen, ob fortschreitender Kommerzialisierung, gepaart mit Arbeitszwang und bürokratischer Disziplinierung ein konkreter ausformuliertes anderes Gesellschaftsmodell entgegengesetzt werden kann. Dabei scheinen sich ganz neue Koalitionen und Konflikte herauszubilden. Während Teile der traditionellen, insbesondere gewerkschaftlich orientierten Linken immer noch zäh an den Prinzipien der Lohnarbeitsgesellschaft festhält, sind ein paar aufgeklärte Unternehmer oder kirchliche Gruppierungen da schon weiter.

Lohnarbeit würde dadurch nicht abgeschafft, aber der Charakter der gesellschaftlichen Arbeit insgesamt würde sich verändern. Unangenehme Arbeiten müssten besser bezahlt werden, der Arbeitszwang würde vermindert, die Arbeitsverhältnisse müssten attraktiver gemacht und die materielle Basis für selbstbestimmtes Arbeiten außerhalb des Lohnverhältnisses würde breiter, d.h. es könnten mehr gesellschaftlich sinnvolle und notwendige Tätigkeiten verrichtet werden, für die es im Rahmen profitbestimmter Arbeitsverhältnisse keinen Platz gibt. Nicht zuletzt wäre ein garantiertes Grundeinkommen in ausreichender Höhe zumindest ein Ansatz zur Veränderung der ungleichen Geschlechterbeziehungen und der Generationenverhältnisse. Insgesamt bedeutete eine Relativierung des Arbeitszwangs einen Schritt zur Entkommerzialisierung der sozialen Beziehungen, die aber erst dann zur vollen Wirksamkeit käme, wenn die Verfügbarkeit öffentlicher Güter, die soziale Infrastruktur im genannten Sinne, entscheidend ausgedehnt würde.

Ein wesentlicher Aspekt eines Ausbaus der sozialen Infrastruktur besteht in seiner demokratisierenden Wirkung. Das neoliberale Arbeitsregime zielt darauf ab, den Menschen immer weniger Zeit und Mittel für gesellschaftliche Tätigkeiten und politische Teilnahme zu lassen. Die Verminderung des Arbeitszwangs und die Möglichkeit, auch ohne Lohnarbeit ein vernünftiges Leben führen zu können, könnte dem Einhalt gebieten. Sowohl die materiellen als auch die zeitlichen Voraussetzungen für politische Aktivität und Selbstorganisation würden größer. Diese Entwicklung würde weiter verstärkt, wenn die Einrichtungen der sozialen Infrastruktur, z.B. im Gesundheits- und Verkehrswesen oder im Bildungsbereich nach Möglichkeit dezentralisiert und von den Betroffenen selbst verwaltet würden. Formelle Staatsbürgerschaft würde auf diese Weise allmählich zu einer wirklichen.

Üblicherweise werden derartige Vorstellungen als utopisch, als weder durchsetzbar noch finanzierbar zurückgewiesen, gepaart mit dem Argument, eine Lockerung des Arbeitszwangs würde die gesellschaftliche Produktion überhaupt zusammenbrechen lassen. Viele diese Einwände lassen sich widerlegen (vgl. den Schwerpunkt Sozialpolitik als Infrastruktur im links-netz). Wichtig ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass das, was politisch durchsetzbar und „realistisch“ ist, ganz wesentlich von den sozialen Kräfteverhältnissen abhängt. Was als „Logik“ des Kapitalismus bezeichnet wird, setzt sich in konkreter Form in einer wesentlich von diesen bestimmten Art und Weise durch. Der Sozialstaat, wie er um die Mitte des 20. Jahrhunderts durchgesetzt wurde, war nicht einfach ein Produkt kapitalistischer Logik, sondern von Revolutionen und jahrzehntelangen sozialen Kämpfen. Im 19. Jahrhundert wäre er wohl noch als unvereinbar mit den kapitalistischen Verwertungsbedingungen angesehen worden. Natürlich sind die Vorstellungen, die sich mit dem Konzept der sozialen Infrastruktur verbinden, nicht unmittelbar durchsetzbar. Viel mehr kommt es darauf an, Leitbilder und Zielvorstellungen zu entwickeln, die politische Bewegungen und Kämpfe vorantreiben. Darin können und werden die Menschen ihr Bewusstsein und ihre Praxis verändern, ihre Einstellungen zu Arbeit und Konsum, zur Form der sozialen Zusammenlebens insgesamt. Entscheidend ist, dass der Horizont einzelner Reformen am gesellschaftlichen und politischen Status Quo überschritten wird und sich das Bewusstsein von der Möglichkeit anderer gesellschaftlicher Verhältnisse verbreitert.

Gesellschaftliche Demokratie jenseits des Staates

Die liberale Demokratie ist eng mit dem Nationalstaat verbunden, sowohl von ihrer historischen Entstehung als auch von ihren grundlegenden Funktionsvoraussetzungen her. Unter den herrschenden kapitalistischen Bedingungen weist sie strukturelle Schranken auf, die eine wirkliche Selbstbestimmung des Volkes unmöglich machen. Es handelt sich um eine „politische“ Demokratie in dem Sinne, dass wichtige gesellschaftliche Bereiche, insbesondere die wirtschaftlichen Machtverhältnisse ausgeklammert bleiben. Und sie ist auf eine Reihe von einzelnen Staaten beschränkt. Jenseits der mehr oder weniger demokratisch verfassten Einzelstaaten, also auf internationaler Ebene, bestehen demokratische Institutionen überhaupt nicht. Aus diesem Grunde hat die mit der neoliberalen Restrukturierung des Kapitalismus verbundene Internationalisierung des Staates ebenso zu einer Schwächung demokratischer Strukturen geführt wie die mit Deregulierung und Privatisierung verbundene Freisetzung des Markts. Man muss indessen davon ausgehen, dass ein Weg zurück in das hergebrachte nationalstaatliche System kaum möglich sein wird. Dies ist wegen seines repressiven, spaltenden und ausgrenzenden Charakters auch nicht unbedingt zu wünschen. Auf der anderen Seite wird es unter den Bedingungen des kapitalistischen Produktionsverhältnisses auch nicht zur Herausbildung eines integralen „Weltstaates“ kommen. Die jüngsten Entwicklungen stützen die Annahme, dass sich das Zeitalter der liberalen Demokratie herkömmlichen Musters seinem Ende zuneigt. Daraus folgt die Notwendigkeit, einen neuen Begriff von Demokratie zu entwickeln und in veränderten institutionellen Formen auf den verschiedenen politischen Ebenen zu verankern. Es geht darum, sowohl die Gesellschaft weiter zu demokratisieren als auch demokratische Strukturen auf internationaler Ebene zu entwickeln.

Im Zentrum steht dabei die Politisierung der „Zivilgesellschaft“ entgegen dem herrschenden Trend ihrer neoliberalen Ökonomisierung, und zwar auf einzelstaatlicher wie auf internationaler Ebene. Dies folgt schon mit einer gewissen Notwendigkeit aus der Erosion der liberalen parteienstaatlichen Demokratie. Eine entscheidende Grundlage dafür ist allerdings die Durchsetzung einer neuen Politik des Sozialen, die gesellschaftliche Solidarität und materielle Sicherung neu definiert. Kampf um Demokratie bedeutet unter diesen Bedingungen vor allem die Stärkung und den Ausbau von politischen Organisationszusammenhängen jenseits von Staat und Parteien und nicht zuletzt den Versuch, eine unabhängige Öffentlichkeiten sowie eigenständige Strukturen der Wissensproduktion zu schaffen. Neue Kommunikationsmedien ermöglichen neue und entwickeltere Formen alternativer Öffentlichkeit. Die Schaffung der Voraussetzungen für kritische Wissenschaft jenseits des Staatsapparats Universität wird um so dringlicher, je mehr dieser Ökonomisierungs- und Privatisierungsprozessen unterworfen wird. Die Entwicklung von Strukturen kritischer Öffentlichkeit und Wissenschaft stellt eine wichtige Voraussetzung dafür dar, sowohl die politischen Prozesse in den sich verselbständigenden Staatsapparaten als auch die Unternehmen einer wirksameren Kontrolle zu unterwerfen. Angesichts dessen, dass nach allen Erfahrungen Verstaatlichungen ebensowenig wie staatsbürokratische Kontrollen eine wesentliche Demokratisierung der Wirtschaft bewirken, sondern eher staatskapitalistische Machtkomplexe hervorbringen, wäre dies ein wichtiger Schritt. Es geht dabei aber nicht nur um Öffentlichkeit und Kontrolle, sondern auch um Projekte und Initiativen, die auf eine praktische Veränderung der Lebensverhältnisse, der Bewusstseinsformen, der Arbeitsverhältnisse und der Konsumstile zielen. Die Dynamik der „neuen sozialen Bewegungen“ seit der 68er Protestbewegung hatte sich in den 80er Jahren – nicht zuletzt als Folge der neoliberalen Offensive – erschöpft, was zu einer starken Retraditionalisierung der Politik, d.h. einer vorherrschenden Orientierung an Wahlen und Parteien geführt hat. Deshalb wäre eine neue politisch-soziale Bewegung mit kulturrevolutionärem Charakter dringend notwendig. Es reicht beispielsweise nicht aus, destruktive Umweltverhältnisse zu skandalisieren, sondern es käme darauf an, die bestehenden gesellschaftlichen Naturverhältnisse praktisch zu verändern. Dazu hat es in der jüngeren Vergangenheit mit Projekten alternativer Ökonomie und alternativer Vergesellschaftungsformen wichtige Ansätze gegeben. In der öffentlichen Wahrnehmung sind sie allerdings in den Hintergrund getreten, wurden schwächer, erscheinen einigermaßen zersplittert und sind kaum noch durch übergreifende politische Orientierungen verbunden.

Eine ganz entscheidende Bedeutung käme der Entwicklung demokratischer Strukturen auf internationaler Ebene zu. Dies ist nicht zuletzt deshalb wichtig, weil internationale Organisationen und Regulierungskomplexe eine immer größere Bedeutung erlangen, die Relevanz grenzüberschreitender Probleme zunimmt und die Position transnationaler, sich dem Einfluss einzelner Staaten weitgehend entziehender Unternehmen beherrschender geworden ist. Geregelte Formen demokratischer Kontrolle und Einflussnahme gibt es hier bislang überhaupt nicht. Bei den internationalen Organisationen handelt es sich um von den dominierenden Staaten kontrollierte gouvernemental-kapitalistische Machtkomplexe mit höchst beschränkter Öffentlichkeit und ohne demokratische Kontrolle. Es ist ein System des „neoliberalen Konstitutionalismus“ entstanden, d.h. ein Komplex internationaler Organisationen und Regelungen, die das Privateigentum und unbeschränkte Marktfreiheit gegen demokratische Einflussnahme absichern sollen. Eine Re-Demokratisierung der Verhältnisse erfordert daher die Entwicklung eines demokratischen Konstitutionalismus auf internationaler Ebene. In den gewohnten liberaldemokratischen Formen ist dies angesichts des Fehlens eines kohärenten „Weltstaats“ nicht möglich. Es bedürfte vielmehr zunächst einer schrittweisen Ausweitung der Informationspflichten für internationale Organisationen sowie einer verbindlichen Kodifizierung von Beteiligungs- und Zugangsrechten für gesellschaftliche Interessen vertretende nichtstaatliche Organisationen und Gruppierungen. Von der öfters beschworenen „Weltzivilgesellschaft“ wäre erst dann wirklich zu sprechen, wenn es zu einer formalisierten und kodifizierten Verzahnung mit den staatsapparativen Gebilden auf internationaler Ebene käme.

Notwendig ist weiterhin die Gewährleistung grundlegender politischer und sozialer Rechte unabhängig von der individuellen Staatsbürgerschaft. Ihre weitgehend ausschließliche Bindung an die Einzelstaaten bedeutet angesichts von ökonomischer Globalisierung und staatsapparativer Internationalisierung eine zunehmende Einschränkung. Es käme darauf an, diese Rechte nicht nur auszuweiten und zu kodifizieren, sondern die institutionellen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sie durchsetzbar sind. Die Staaten müssten dazu gebracht werden, sich einer internationalen Rechtsprechung gemäß allgemeiner grundrechtlicher Normen zu unterwerfen. Zentrale Bedeutung käme in diesem Zusammenhang der Einrichtung eines internationalen Zivilgerichtshofs – neben dem bislang eher als Instrument des herrschenden Staatenblocks fungierenden Strafgerichtshof – zu, die es Privatpersonen möglich machen würde, einzelne Regierungen und internationale Unternehmen auf materiellen Schadenersatz bei der Verletzung grundlegender Rechte zu verklagen, was bisher nur sehr beschränkt möglich ist. Das Zivilrecht bietet weitaus bessere Möglichkeiten zur Durchsetzung von Ansprüchen und zur politischen Gegenwehr als das Strafrecht. Auch eine Internationalisierung der Zivilgerichtsbarkeit ist von den betroffenen Staaten kaum zu erwarten, sondern bedarf des Drucks politischer Bewegungen und Initiativen.

Schließlich käme es auf längere Sicht darauf an, die politischen und ökonomischen Strukturen zu dezentralisieren und in diesem Sinne einen Prozess der „Globalisierung von unten“ durchzusetzen. Das hieße die Stärkung und Entwicklung lokaler und regionaler politischer und ökonomischer Einheiten. Dezentralisierung ist deshalb wichtig, weil wirklich demokratische Prozesse in Räumen und Zusammenhängen ansetzen müssen, die von den Beteiligten überschaut werden können. Demokratie setzt politische Gemeinschaftlichkeit voraus, die auf engeren sozio-kulturellen Zusammenhängen beruht. Die Vorstellung von einer „Weltdemokratie“ ist eine Illusion. Notwendig ist vielmehr eine Verbindung föderaler politischer Einheiten. Dazu kommt, dass eine nachhaltige Form des Wirtschaftens nur in einem kleinräumigeren Rahmen möglich ist (vgl. dazu ausführlicher Serge Latouche, Nachdenken über ökologische Utopien in Le Monde Diplomatique, November 2005, 12f.). Dabei geht es nicht um politisch-ökonomische Autarkie und Isolationismus. Ökonomisch-politische Dezentralisierung müsste vielmehr mit demokratisierenden Prozessen auf staatlicher und internationaler Ebene sowie mit der Möglichkeit verbunden sein, die regionale und politische Zugehörigkeit frei zu wählen. Eine „demokratische Weltgesellschaft“ kann sich nicht als homogene Struktur entwickeln. Ihr emanzipatorischer Charakter hängt davon ab, dass es möglich ist, dezentrale und zugleich offene, nicht nationförmige und exklusive Formen der politischen Vergesellschaftung zu entwickeln.

Bei der Demokratisierung auf internationaler Ebene kommt staatenübergreifend operierenden Nichtregierungsorganisationen eine wichtige Bedeutung zu. Sie haben auf diesem Feld in den vergangenen Jahren zumindest einige Erfolge errungen, eine Arbeit, die es weiter zu entwickeln und zu stärken gilt. Immerhin ist inzwischen ein Zustand erreicht worden, wo etwa die Welthandelsorganisation ihre Politik nicht mehr so unkontrolliert und unbeeinflusst verfolgen kann und mit fundierter Kritik und massiven Protesten zu rechnen hat. Diese wiederum treiben die Interessenskonflikte zwischen den Staaten voran, was dazu geführt hat, dass die WTO in entscheidenden Fragen wie z.B. der Sicherung des „geistigen Eigentums“ praktisch gelähmt ist. Allerdings würden Ansätze einer demokratischen Struktur auf dieser Ebene kaum die klaren und formalisierten Kontroll- und Repräsentationsverhältnisse von liberaldemokratischen Systemen auf einzelstaatlicher Ebene aufweisen. Nichtregierungsorganisationen fehlt, auch wenn sie von Staaten und Unternehmen unabhängig sind, eine formell begründete demokratische Legitimation. Von Selbstregierung und „Volkssouveränität“ wäre man also noch weit entfernt. Man kann jedoch erwarten, dass mit einer derartigen Entwicklung Dynamiken in Gang gesetzt würden, die weitere institutionelle Prozesse auf einzelstaatlicher und internationaler Ebene vorantreiben würden. Demokratie ist kein abgeschlossener Zustand, sondern ein immer umkämpfter Prozess.

Akteure

Die Frage bleibt, welches die Kräfte sind, die eine derartige Entwicklung vorantreiben könnten. Seit einigen Jahren gibt es eine globalisierungskritische Bewegung, für deren Aufschwung nicht zufällig der zapatistische Aufstand im Süden Mexikos eine zentrale Rolle gespielt hat. Dieser war – als Reaktion auf das Inkrafttreten des nordamerikanischen Freihandelsabkommens – gegen die Strategie der neoliberalen Globalisierung gerichtet. Neben dem dort formulierten neuartigen Politikbegriff begründet dies die internationale Resonanz, die er erfahren hat. Gesellschaftliche Veränderungen werden nicht mehr an die Eroberung der Staatsmacht, sondern an politische Selbstorganisation und Bewusstseinsbildung gebunden.

Die globalisierungskritische Bewegung ist inhaltlich und organisatorisch äußerst heterogen. Sie hat keine klar definierte Klassenbasis, was die durch die Globalisierung weiter akzentuierte Unterschiedlichkeit der weltweiten Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse widerspiegelt. Von der früheren Arbeiterbewegung unterscheidet sie, dass die Lohnarbeitsachse nicht mehr ausschließlich im Zentrum steht, von den neuen sozialen Bewegungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Tatsache, dass unmittelbare materielle Lebensbedingungen eine zentralere Rolle spielen. Die Erfahrungen und Interessenlagen sind in den verschiedenen Teilen der Welt nicht gleich und es bedarf schwieriger Prozesse der Interessenkonfrontation und Kompromißbildung, um gemeinsame politische Orientierungen hervorzubringen. Es handelt sich nicht um eine einheitliche und geschlossene Bewegung, sondern eher um ein lockeres, aber kommunikativ gut verzahntes Netzwerk von Organisationen und Initiativen mit einer funktionierenden Infrastruktur. Dabei entwickelt sich ein durchaus spannungsreiches Verhältnis von professionalisierten Nichtregierungsorganisationen, die beachtliche analytische Kapazitäten mit einigem diplomatischen Geschick verbinden, von Interessenorganisationen wie Gewerkschaften und Bauernverbänden, von Basisorganisationen etwa von Indigenen und radikaleren Initiativen und Gruppierungen mit beachtlicher Mobilisierungsfähigkeit. Mit den Weltsozialforen und ihren regionalen Ablegern ist es gelungen, zumindest ansatzweise eine übergreifendere Diskussionsplattform und eine eigene Öffentlichkeit zu erzeugen.

Die globalisierungskritische Bewegung ist eine Reaktion auf die neoliberale Globalisierungsoffensive und stellt in gewisser Weise eine dagegen gerichtete Globalisierung von unten dar. Ihre Entwicklung reflektiert die Internationalisierung des Staates und der politischen Regulierungssysteme. Der staatenübergreifende Charakter der Bewegung ist deshalb wichtig, weil eine emanzipative gesellschaftliche Entwicklung voraussetzt, dass die globalen Spaltungen, die aus ökonomisch-sozialen Ungleichheiten und wettbewerbsstaatliche Konkurrenzen folgen, überwunden werden. Materielle Umverteilungen im globalen Maßstab setzen internationalisierten politischen Druck voraus. Es gibt eine ganze Reihe von Faktoren, die diese Internationalisierung vorantreiben. Dazu gehört, dass die Lebensverhältnisse in den Metropolen und in der Peripherie sich im Zuge der neoliberalen Transformation bis zu einem gewissen Grade angleichen, dass in den kapitalistischen Zentren die sozialstaatlichen Kompromissstrukturen am Zerbröseln sind, globale Abhängigkeiten und Interessengemeinsamkeiten deutlicher werden und die Kluft zwischen Regierenden und Regierten praktisch zu einem allgemeinen Strukturmerkmal der herrschenden politischen Systeme geworden ist.

Die Zukunft wird sehr wesentlich von der Entwicklung dieses politisch-gesellschaftlichen Netzwerks abhängen. Dies bezieht sich nicht nur auf die organisatorische Stärkung, sondern vor allem auf eine politische Orientierung, die nicht in die Falle des Staatsreformismus geht und gesellschaftliche Veränderungen im breitesten Sinne zum Thema und zu politischen Praxis macht. Diese Frage ist nicht entschieden, sondern bleibt Gegenstand von Auseinandersetzungen. Angesichts der neoliberalen Transformation der Staatsapparate und der Verstaatlichung der Parteien liegt hier das zentrale Feld für die Entwicklung einer alternativen Hegemonie. Diese hängt davon ab, ob es gelingt, weiter reichende Prozesse gesellschaftlicher Veränderungen in Gang zu setzen und konkretere Vorstellungen von einer ökonomischen, sozialen und politischen Ordnung der Welt zu entwickeln, die sich nicht auf eine Reform der bestehenden Zustände oder Krisen kompensierende Anpassungsprozesse beschränken, sondern – die vorhandenen gesellschaftlichen Potenziale berücksichtigend – darüber hinaus weisen. Alternative Hegemonie bedarf der konkreten Utopie. Die dazu notwendigen Veränderungen in den Verhaltens- und Bewusstseinsformen müssen sich in den auf Demokratisierung und eine Neuordnung des Sozialen gerichteten Kämpfen herausbilden.

© links-netz Januar 2006