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Was ist eigentlich Imperialismus?

Joachim Hirsch

Der Begriff Imperialismus oszilliert im Sprachgebrauch wie kaum ein anderer zwischen politischem Schlagwort, Kampfformel und wissenschaftlicher Definition. Sieht man von den antiken und mittelalterlichen Imperien ab, so verweist er auf die Existenz von internationalen Ausbeutungs-, Gewalt- und Abhängigkeitsverhältnissen, die durch die kapitalistische Produktionsweise hervorgebracht werden. Ob und wie dies geschieht, ist allerdings umstritten. Auf diese Weise ist Imperialismus zugleich ein kritischer und kritisierter Begriff. Er wird von denen in Frage gestellt, die an die prinzipielle Möglichkeit eines „zivilisierten“, d.h. allgemein Freiheit, Demokratie und Menschenrechte garantierenden Kapitalismus glauben. Eine konservative und gewissermaßen positive Lesart sieht im Imperialismus ein notwendiges Gewalt- und Herrschaftsverhältnis, das dazu dient, Ordnung und Fortschritt in die Teile der Welt zu bringen, wo sie sich nicht durchsetzen konnten. Die Verbindung mit rassistischen Denkweisen ist dabei offenkundig. Die Propagierung eines solchen „wohltätigen“ Imperialismus als Legitimation imperialer Expansion hat eine lange Geschichte – von Cecil Rhodes’ Beschwörung der „Bürde des weißen Mannes“ bis hin zu neueren Konzepten imperialer Treuhänderschaft, die den entwickelten kapitalistischen Metropolen gegenüber „unentwickelten“ und als unfähig zur Selbstregierung gehaltenen Gesellschaften der Peripherie zugewiesen wird (vgl. z.B. Menzel 1992).

Der Begriff hat also sowohl im politischen als auch im wissenschaftlichen Diskurs höchst unterschiedliche Bedeutungen. Und er unterliegt wechselvollen Konjunkturen. In der Protestbewegung der sechziger und siebziger Jahre gehörte er noch zum politischen Standardvokabular. Zu Beginn der neunziger Jahre, nach dem Ende der Blockkonfrontation, dem „Sieg“ des Kapitalismus, dem propagierten „Ende der Geschichte“ und den damit zusammenhängenden Visionen einer friedlichen „Weltgesellschaft“ war er aus dem politischen und wissenschaftlichen Sprachgebrauch selbst des linken Spektrums weitgehend verschwunden. Dazu trugen nicht zuletzt die ernüchternden Erfahrungen mit den verschiedenen antiimperialistischen Befreiungsbewegungen in der sogenannten Dritten Welt bei. Die Auffassung setzte sich durch, dass mit Imperialismus bestenfalls eine historische Phase bezeichnet werden könne, die bereits 1945, spätestens aber seit dem Ende der achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts zu Ende gegangen sei. Genau genommen vertreten auch Hardt und Negri diese These, weil sie von der Auflösung des nationalstaatlichen Systems ausgehen, ohne das Imperialismus nicht gedacht werden kann (Hardt/Negri 2002). Die Entstehung des „Empire“ markiert hier sozusagen zugleich das Ende des Imperialismus. In dieser politischen Konstellation wurde Imperialismus schließlich in umgekehrter Richtung als Kampfbegriff verwendet und gegen die gerichtet, die immer noch die herrschende Vergesellschaftungsweise mit dem Verweis auf internationale Ausbeutungs- und Gewaltverhältnisse kritisierten. Sie traf der Vorwurf eines nationalistischen oder gar antisemitischen „Antiamerikanismus“.

Inzwischen hat sich auch dies wieder geändert. In jüngster Zeit ist Imperialismus wieder zu einem wissenschaftlichen und politischen Thema geworden. Nicht nur in der linken Debatte, sondern auch bei denen, die – erneut einen „wohltätigen“ Imperialismus beschwörend – den „Krieg“ der USA gegen „Fundamentalismus“ und „Terrorismus“ und für die Durchsetzung „westlicher Werte“ zu rechtfertigen versuchen. Ein wichtiger Hintergrund für die wiederaufgelegte Debatte ist die Zunahme von Militärinterventionen und Kriegen in den neunziger Jahren und die nicht zuletzt im Zusammenhang des zweiten Irakkrieges wieder deutlicher hervortretenden Rivalitäten zwischen den kapitalistischen Zentren – eine weltpolitische Konstellation, die Erinnerungen an die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts geweckt hat. Ein anderer ist die Tatsache, dass das Scheitern nationaler Befreiungsbewegungen nach dem Ende des Kalten Kriegs und infolge der neoliberalen Restrukturierung des globalen Kapitalismus einen Raum für terroristische Aktivitäten geöffnet hat, die sich selbst als „antiimperialistisch“ verstehen. Dazu kommt, dass die neoliberale Globalisierungsoffensive offensichtlich keine einheitlicher werdende „Weltgesellschaft“ hervorbringt, sondern ökonomisch-soziale Fraktionierungen und Ungleichheiten eher verstärkt. Nach dem Ende der das 20. Jahrhundert bestimmenden Blockkonfrontation, die imperialistische Konflikte bis zu einem gewissen Grade eingedämmt hatte, scheint also wieder so etwas wie kapitalistische Normalität einzukehren. Es sieht so aus, als würde der in den neunziger Jahren sowohl wissenschaftlich wie politisch von „Globalisierung“ und „Global Governance“ beherrschte Diskurs von der Imperialismusfrage wenn nicht verdrängt, so doch erheblich modifiziert. Nun ist wieder von „imperialistischer Globalisierung“ die Rede. Ausbeutung, Ungleichheit, Gewalt und Krieg, die vormals tendenziell ausgeblendet wurden, geraten wieder in den Focus auch wissenschaftlicher Aufmerksamkeit (Kößler 2003, 536ff.). Dies ist zweifelsohne ein Fortschritt.

Eine zentrale Frage dabei ist, wie die weltpolitische Stellung der USA einzuschätzen ist. Ist sie Ausdruck eines „Superimperialismus“, der die Welt von einem Zentrum her ökonomisch, politisch und militärisch organisiert und beherrscht oder verdeckt ihre unbestreitbare militärische Überlegenheit nur das Fortwirken fundamentaler Rivalitäten zwischen wichtigsten kapitalistischen Metropolen? (Albo 2003). Damit verbindet sich die Debatte um die US-Hegemonie, über deren Niedergang in den sechziger und siebziger Jahren relative Übereinstimmung herrschte, die sich aber mit der von den Vereinigten Staaten ausgehenden neoliberalen Globalisierungsoffensive und dem damit zusammenhängenden Zusammenbruch der Sowjetunion erneut zu etablieren schien. Fragen dieser Art können allerdings nur dann beantwortet werden, wenn ein theoretisches Instrumentarium entwickelt wird, das es erlaubt, Struktur und Dynamik des globalen Kapitalismus und des Staatensystems zu begreifen.

I. Imperialismustheorie

Abgesehen von politischen Orientierungsproblemen nach den weltpolitischen Umbrüchen der letzten Jahrzehnte, resultiert die Schwierigkeit der Linken, mit diesen Problemen umzugehen, daraus, dass es eine einigermaßen überzeugende und konsistente materialistische Imperialismustheorie bis heute bestenfalls in Ansätzen gibt. Das Defizit der klassischen Theorien etwa von Lenin, Kautsky oder Hilferding besteht darin, dass sie eine historisch spezifische Phase der kapitalistischen Entwicklung, die Herausbildung eines staatsinterventionistisch hoch organisierten Monopolkapitalismus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit seinen spezifischen Strukturen und Konflikten, als „Endstadium“ des Kapitalismus angesehen haben, ohne jedoch genauer auf die grundlegenden ökonomisch-politischen Strukturen und Dynamiken dieser Gesellschaftsformation einzugehen (vgl. Kößler 2003, 522ff.). Zu dem ist diesen Ansätzen ein gewisser Ökonomismus eigen, der Staat und Politik zu abgeleiteten Überbauphänomenen erklärt und die darin begründeten spezifischen Dynamiken ausblendet (Panitch/Gindin 2003). Dabei wurde unterschlagen, dass imperialistische Strukturen und Mechanismen grundsätzlich und von Anfang an – siehe zum Beispiel die Rolle des frühen Kolonialismus bei seiner Entstehung – ein notwendiger Bestandteil des Kapitalismus sind und dass sich diese, entsprechend der ökonomisch-technischen Entwicklungen und sich verändernder politisch-sozialer Kräfteverhältnisse, historisch in höchst unterschiedlichen Formen und Konstellationen manifestieren. Allein Rosa Luxemburg hatte versucht, den Imperialismus aus der grundlegenden Akkumulations- und Krisendynamik des Kapitalismus zu erklären. Das ist eine Ursache dafür, weshalb gerade ihr Ansatz in der gegenwärtigen Debatte wieder stärker rezipiert wird (siehe etwa Harvey 2003 und Ahmad 2003).

Imperialismustheoretische Überlegungen müssen von zwei Grundvoraussetzungen ausgehen: der krisenhaften Akkumulationsdynamik des Kapitals und der spezifischen politischen Form des Kapitalismus:

Akkumulationsdynamik

Kapitalakkumulation ist grundsätzlich Akkumulation auf erweiterter Stufenleiter. Unter dem Zwang der Konkurrenz und unter Drohung des Untergangs sind die einzelnen Kapitale gezwungen, den erzielten Mehrwert wieder in Kapital zu verwandeln, also zu akkumulieren. Dem Kapitalismus ist demnach grundsätzlich eine expansive Tendenz eigen, das Bestreben, sich die ganze Welt zu unterwerfen, wie es Marx und Engels im „Kommunistischen Manifest“ ausgedrückt haben. Dieser Prozess ist indessen grundsätzlich krisenhaft. Der dem Akkumulationsprozess zugrundeliegende Krisenzusammenhang ist von Marx im so genannten Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate formuliert worden. Es besagt, dass sich – unter sonst gleichbleibenden Umständen – im Zuge des konkurrenzvermittelten Akkumulationsprozesses der Anteil des konstanten, in Produktionsmitteln und Rohstoffen verkörperten Kapitals am Gesamtkapital zu Lasten des variablen, für den Kauf lebendiger Arbeitskraft eingesetzten Kapitals erhöht. Der Grund dafür ist das Bestreben der einzelnen Kapitale, zwecks Erhöhung ihres Profits lebendige Arbeit durch Maschinerie zu ersetzen. Dies führt dazu, dass bei gleichbleibender Mehrwertrate die auf das gesamte Kapital bezogene Profitrate tendenziell sinkt, was infolge fehlender profitabler Anlagemöglichkeiten zu einem krisenhaften Stocken des Akkumulationsprozesses führt. Von den mit diesem „Gesetz“ verbundenen, nicht zuletzt werttheoretischen Problemen soll hier zunächst einmal abgesehen und seine prinzipielle Wirksamkeit unterstellt werden (so auch Harvey 2003). Dies erscheint insofern zulässig, als es zumindest einen empirisch plausiblen Ansatz zur Erklärung der kapitalistischen Krisendynamik enthält, ohne die der widersprüchliche Prozess der globalen Kapitalakkumulation nicht verstanden werden kann. Allerdings muss dabei berücksichtigt werden, dass es sich dabei um kein Gesetz im naturwissenschaftlichen Sinne handelt, sondern um die genauere Formulierung eines im Akkumulationszusammenhang grundsätzlich verankerten Widerspruchs. Das heißt, dass das Gesetz keinen empirischen historischen Entwicklungs- und Krisenverlauf beschreibt, sondern eine Konfiguration des Klassenkampfs, die – entsprechend den gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen und politischen Strategien – unterschiedliche Konsequenzen haben kann. Es lässt sich nicht dazu verwenden, Aussagen über die tatsächliche Entwicklung der Profitrate zu machen und schon gar nicht kann es dazu dienen, einen ökonomisch bedingten Zusammenbruch des Kapitalismus zu prognostizieren. Es begründet nur, weshalb das Kapital – zwecks Mobilisierung der von Marx so genannten „entgegenwirkenden Tendenzen“ – zu einer permanenten Reorganisation seiner Verwertungsbedingungen gezwungen ist.

Bei diesen entgegenwirkenden Tendenzen sind grundsätzlich drei Formen zu unterscheiden:

(1) die Realisierung von Produktionsprozessen mit niedrigerer organischer Zusammensetzung des Kapitals etwa durch die Verlagerung von Kapital in neu erschlossene Produktionsräume unter Verwendung eines größeren Quantums (billiger) Arbeitskraft, also Kapitalexport oder aber durch Kapitalvernichtung, die in der Regel eine Folge größerer Krisen ist;

(2) die technische Umwälzung der Produktionsprozesse, die im Wege der Rationalisierung zu einer Verbilligung des Werts der Arbeitskraft und damit zu einer Erhöhung der Mehrwertrate und/oder zu einer Wertminderung des Werts des konstanten Kapitals führt. In diesen Kontext gehört auch die Wertminderung des konstanten Kapitals durch Erschließung billiger Rohstoffquellen;

(3)die Senkung der Löhne (was allerdings längerfristig seine Grenze an den Reproduktionsnotwendigkeiten der Ware Arbeitskraft findet) bzw. die Einbeziehung von Arbeitskräften in den Produktionsprozess, die sich z.B. deshalb mit geringeren Löhnen begnügen (müssen), weil ihre Reproduktion zumindest teilweise auf außerhalb des Kapitalverhältnisses liegenden Strukturen beruht.

Daraus lässt sich folgern, dass die Expansion des Kapitals grundsätzlich in zwei Richtungen gehen kann:

(1) Innere Expansion durch technische Umwälzung der Produktionsprozesse („Rationalisierung“) sowie durch die Einbeziehung nicht kapitalistischer Produktionen (z.B. landwirtschaftliche und häusliche Produktion) in den unmittelbaren Kapitalverwertungsprozess (Kommodifizierung, „Innere Landnahme“). Innere Expansion setzt allerdings in der Regel entsprechende soziale Kräfteverhältnisse und unter Umständen weitgehende Veränderungen der politisch-institutionellen Konstellationen voraus, die z.B. eine Ausweitung und Stabilisierung des Massenkonsums und soziale Reformen erlauben (Harvey 2003). Insofern innere Expansion unter Umständen gewisse Konzessionen des Kapitals (Massenkonsum, Sozialstaat) voraussetzt, kann sie mit den bestehenden sozialen Machtverhältnissen und Klassenstrukturen kollidieren. Schon deshalb bleibt die Tendenz zu äußerer Expansion grundlegend wirksam.

(2) Äußere Expansion geschieht im wesentlichen durch Kapitalexport und Rekrutierung billiger Arbeitskräfte sowie Erschließung kostengünstiger Rohstoffquellen. Sie setzt nicht zuletzt die Verfügung über entsprechende militärische Gewaltmittel und technologische Kapazitäten voraus. Sie kann auch darauf gerichtet sein, die Märkte zu erweitern, was die technische Umwälzung der Produktionsprozesse und damit verbundene Rationalisierungseffekte begünstigt.

Bei der äußeren Expansion können grundsätzlich zwei Formen, nämlich formelle und informelle unterschieden werden. Formelle Expansion beruht auf der direkten militärischen Unterwerfung und Kontrolle von Territorien, typisch im Fall des Kolonialismus. Informelle Expansion dagegen findet dann statt, wenn dominierende Mächte die Staaten und Regierungen ihres Einflussgebiets dazu zwingen können, sich so zu verhalten, dass der Expansion des Kapitals keine Hindernisse entgegengesetzt werden, also durch die Schaffung offener Waren- und Kapitalmärkte, Garantie des Privateigentums, Eindämmung der materiellen Ansprüche der Lohnabhängigen, gegebenenfalls durch einen geeigneten Ausbau der Infrastruktur usw. Informelle Expansion verbindet also die freie Beweglichkeit des Kapitals mit der Existenz formell unabhängiger Staaten. „The movement of capital must be as unimpeded as possible but the nation-state form must be maintained throughout the peripheries, not only for historical reasons but also to supplement internationalization of capitalist law with locally erected labour regimes...“ (Ahmad 2003). Daraus ergibt sich ein spezifischer Widerspruch, auf den später noch eingegangen wird. Auch informelle Expansion setzt die Verfügung über militärische Gewaltpotentiale voraus, die aber in der Regel nicht zu territorialen Eroberungen, sondern dazu benutzt werden, formell selbständige Regierungen zu einer geeigneten Politik zu veranlassen. Sowohl formelle als auch informelle Expansion beruht nicht nur auf Gewalt, sondern auch auf politischem und kulturellem Einfluss, also dem Export kultureller und politischer Normen und Institutionen.

In der Realität können äußere und innere, formelle und informelle Expansion nicht absolut getrennt werden. Gemeinhin wird unter Imperialismus eine Form der äußeren Expansion verstanden, die sich auf den Einsatz staatlicher Gewaltmittel stützt. Die Art und Weise der Gewaltanwendung nimmt aber historisch sehr unterschiedliche Formen an. Äußere und innere Expansion stehen dabei in einem engen wechselseitigen Bedingungsverhältnis. Historisch erscheinen die verschiedenen Formen der Expansion daher in immer neuen Verbindungen. Welche Form dominiert, hängt entscheidend von den bestehenden Klassenstrukturen und Klassenkräfteverhältnissen, den technologischen Grundlagen des Produktions- und Verwertungsprozesses sowie von den internationalen Macht- und Gewaltverhältnissen ab (Harvey 2003).

Die politische Form des Kapitalismus

Panitch und Gindin stellen fest, dass „capitalist imperialism ... needs to be understood through an extension of the theory of the capitalist state, rather than derived from the theory of economic stages or crises“ (2003a, 7). Dies ist insoweit nicht ganz zutreffend, als zur Erklärung des Imperialismus durchaus eine Ökonomie- und Krisentheorie benötigt wird. Allerdings bildet in der Tat die Staatstheorie einen zentralen Bestandteil der Imperialismustheorie. Dies deshalb, weil der Staat als „materielle Verdichtung von Kräfteverhältnissen“ (Poulantzas 2002) entscheidende Bedeutung für die Organisation und das Verhältnis der Klassen hat und sowohl Ausdruck als auch Grundlage historisch spezifischer politisch-sozialer Kräfteverhältnisse ist. Der Staat als von Gesellschaft und Ökonomie formell getrennte Instanz und die Pluralität des Staatensystems stellen einen grundlegenden Bestandteil des kapitalistischen Produktionsverhältnisses dar (Hirsch 2002, 12ff.). Klassenverhältnisse verdichten sich den Staaten und ihre Veränderung impliziert eine Transformation ihrer institutionellen Struktur. In dieser Form bilden die Staaten das organisatorische Terrain zur Gewährleistung des gesellschaftlichen Zusammenhalts, woraus eine eigene politische Dynamik resultiert, die ökonomische Prozesse strukturiert und modifiziert.

Die Staatsapparatur ist das Terrain, durch das hindurch sich eine – gewaltförmige und konsensuelle – Regulation der Klassenbeziehungen herstellt und sich über die bestehenden Konkurrenzverhältnisse hinaus eine relativ konsistente Politik des Kapitals herausbilden kann. Im Staatensystem reflektiert sich sowohl das kapitalistische Konkurrenz- als auch das antagonistische Klassenverhältnis. Mittels des Staates ist es möglich, soziale Kompromisse zu organisieren, aber gleichzeitig operiert das Kapital grundsätzlich über einzelstaatliche Grenzen hinweg. Aus diesem Verhältnis ergeben sich zwei wichtige Folgerungen:

Erstens ist die Existenz eines Systems von Einzelstaaten eine wesentliche Grundlage einer raum-zeitlich ungleichen Entwicklung des Kapitalismus. Das Kapital operiert nicht auf der Ebene eines homogenen ökonomisch-sozialen Raums, sondern trifft auf politisch unterschiedlich organisierte gesellschaftliche Zusammenhänge, d.h. Produktionsstrukturen und Klassenverhältnisse. „The extended reproduction of capital must attain a certain ‘coherence’and ‘materialization’ in time and space if capital is to valorize itself and accumulate, but the space of capital is continuously altering across time by shifting production processes, ‘condensig’ distances ... and ceaselessly seeking out new markets“ (Albo 2003, 91). Die räumliche Expansion des Kapitals zielt nicht zuletzt darauf ab, unterschiedliche Produktionsbedingungen zu erschließen und zugleich löst das Eindringen des Kapitalverhältnisses nichtkapitalistische Produktions- und Vergesellschaftungsformen tendenziell auf. Die ungleiche ökonomisch-soziale Entwicklung ist eine wesentliche Bedingung für die Herstellung profitabler grenzüberschreitender „Wertschöpfungsketten“ und die damit verbundene Mobilisierung von Gegentendenzen zum Fall der Profitrate.

Zweitens sind Staaten prinzipiell gezwungen, zwecks Aufrechterhaltung der ökonomischen Reproduktion im Interesse des Kapitals zu operieren, das innerhalb ihrer Grenzen investiert. In welcher Weise dies geschieht, hängt allerdings ganz wesentlich von den jeweils existierenden sozialen Kräfteverhältnissen ab. Gleichzeitig ist das Kapital aber prinzipiell nicht an einzelstaatliche Räume gebunden, sondern kann grenzüberschreitend operieren. Daraus ergibt sich ein grundlegender Widerspruch zwischen Kapitalbewegung und einzelstaatlicher politischer Organisationsform. Staaten müssen versuchen, das in ihrem Bereich operierende Kapital zu organisieren und zugleich bleiben die einzelnen Kapitale bei ihren Verwertungsstrategien immer auf staatliche Potentiale angewiesen. Staaten können deshalb als Vertreter spezifischer Kapitalinteressen auf dem Feld der internationalen Konkurrenz auftreten und sind zugleich mit deren tendenziell grenzüberschreitender Organisationsform konfrontiert. Deshalb existiert ein struktureller Widerspruch zwischen der Rivalität „nationaler“ Kapitale und der Tendenz zu deren Internationalisierung. Die sich in den Staaten ausdrückenden Klassenbeziehungen und damit sowohl ihre innere Struktur als auch ihr wechselseitiges Verhältnis werden entscheidend von dem Grad und der Art und Weise der Internationalisierung des Kapitals bestimmt.

Festzuhalten bleibt zunächst, dass die grundsätzlich expansive Tendenz des Kapitals ein Faktum ist, das für die kapitalistische Produktionsweise grundlegende und generelle Bedeutung hat. Wie sie sich aber historisch konkret manifestiert, hängt sehr wesentlich von den sich in den einzelnen Staaten verdichtenden Klassenkräfteverhältnissen und von internationalen Machtrelationen ab. Es gibt also eine grundsätzlich imperialistische Tendenz des Kapitals, die jedoch in historisch sehr unterschiedlichen Formen zum Ausdruck kommt.

II. Historische Phasen der imperialistischen Entwicklung

Folgt man Panitch und Gindin, so entwickelte sich im Rahmen des britischen Empire im 19. Jahrhundert zunächst ein informeller Imperialismus, der aber am Ende dieses Jahrhunderts deswegen zusammenbrach, weil es Großbritannien nicht gelang, die neu aufkommenden kapitalistischen Mächte USA, Deutschland und Japan in das System seines „Freihandelsimperialismus“ zu integrieren (Panitch/Gindin 2003a, 8ff.). Theoretisch manifestierte sich dieser Konflikt im Übrigen in der „klassischen“ Freihandelskontroverse zwischen Adam Smith und Friedrich List. Die kapitalistischen Emporkömmlinge setzten in der Konkurrenz mit dem fortgeschritteneren britischen Rivalen auf Staatsinterventionismus und Protektionismus. Im Gegensatz zu Lenin interpretieren Panitch und Gindin den dadurch bewirkten Übergang zu einem formellen Imperialismus nicht als Folge der Herausbildung des Monopol- und Finanzkapitals, sondern der sich verschärfenden Rivalität zwischen den kapitalistischen Staaten, die durch das Aufholen von Englands Konkurrenten verursacht wurde. Die auf den spezifischen inneren Klassenverhältnissen in den kapitalistischen Metropolen beruhende Schwäche des Massenkonsums, ein beschränkter innerer Markt und damit fehlende Anlagemöglichkeiten für das Kapital drängten auf äußere Expansion. Der informelle, auf Freihandel beruhende britische Imperialismus wurde schließlich allgemein durch Kolonialismus, Protektionismus und verstärkten Staatsinterventionismus abgelöst. Das so genannte „Zeitalter des Imperialismus“ brach an und dies ist der Hintergrund für die in der Theorie dann maßgebende Identifizierung des Imperialismus mit einer bestimmten historischen Phase des Kapitalismus. Grundlage dieser Entwicklung ist, dass das Kapital in dieser Periode noch wesentlich national organisiert war.

Auf den ersten Weltkrieg folgte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine lange Phase zwischenstaatlicher imperialistischer Auseinandersetzungen und Kriege. Sie gingen vor allem auf die Versuche des faschistischen Deutschlands und Japans zu einer quasi-kolonialen territorialen Expansion zurück. Aus diesen Auseinandersetzungen gingen die USA als ökonomisch und militärisch dominierende Macht hervor. Zugleich aber entstand mit der erfolgreichen russischen Revolution der Systemkonflikt des Kalten Kriegs, der Auswirkungen sowohl für die internationalen Macht- als auch für die internen politisch-sozialen Kräfteverhältnisse in den einzelnen Staaten hatte. Diese neue Konstellation hatte erhebliche Auswirkungen für die Gestalt des Imperialismus. Sie bildete einen wesentlichen Hintergrund für die Durchsetzung des Fordismus, der einen starken Schub der inneren Expansion des Kapitals in Form der Durchkapitalisierung dem Verwertungsprozess bislang nicht real subsumierter gesellschaftlicher Sphären und damit eine wesentliche Ausdehnung der inneren Märkte bedeutet hat. Damit wurde die innere Expansionsweise des Kapitals dominant. Die dafür erforderliche Veränderung der sozialen Kräfteverhältnisse und politisch-institutionellen Strukturen (New Deal, sozialdemokratische Reformpolitik) sind zu einem wesentlichen Grad dem Ost-West-Systemkonflikt geschuldet, der das Kapital aus legitimatorischen Gründen dazu veranlasste, gewisse soziale Zugeständnisse zu machen. Infolge ihrer spezifischen ökonomischen, sozialen und politischen Strukturen setzte sich die fordistische Transformation zunächst vor allem in den USA durch und ihre Verallgemeinerung erfolgte durch wachsende US-Direktinvestitionen besonders in die anderen kapitalistischen Zentren. Damit begannen die USA mit der Errichtung eines neuen informellen Imperiums. Im Konflikt mit den alten Kolonialmächten, insbesondere England und Frankreich, unterstützten sie nach 1945 den Entkolonialisierungsprozess und die Entstehung einer Vielzahl formal selbständiger Staaten. Wichtiges Mittel dafür waren der ökonomische Wiederaufbau Europas und die allmähliche Wiederherstellung des freien Welthandels im Rahmen des GATT und der Bretton-Woods-Institutionen, also eines internationalen Regulierungssystems, in das nun auch die untergeordneten kapitalistischen Zentren eingebunden wurden. Die „containment“-Politik der USA gegenüber dem sowjetischen Machtbereich fand ihre gewissermaßen positive Seite im Bestreben einer aktiven, ökonomischen, kulturellen und politischen „Öffnung“ der Welt für den kapitalistischen Markt (Panitch/Gindin 2003a), 16). „...In general terms, the new informal form of imperial rule, not only in the advanced capitalist world but also in those regions of the third world where it held sway, was characterized by the penetration of borders, not their dissolution. It was not through formal empire, but rather through the reconstitution of states as integral elements of an informal American empire, that the international capitalist order was now organized and regulated. Nation states remained the primary vehicles through which (a) the social relations and institutions of class, property, currency, contract and markets were established and reproduced; and (b) the international accumulation of capital was carried out“ (Panitch/Gindin, 2003a, 17). Dass dies nicht ohne Gewalt abging, zeigt die Vielzahl der militärisch-politischen Interventionen der USA. Sie zielten oft auf eine gewaltsame „Befreiung“ durch die Beseitigung nicht kooperationswilliger, nicht zuletzt auch nationalistischer Regime. Dies schloss auch die Unterstützung von Militärdiktaturen ein. In diesen Zusammenhang gehört insbesondere der Vietnamkrieg, bei dem die USA versuchten, diesen Teil Südostasiens nach der Verdrängung der Kolonialmacht Frankreich unter ihre Kontrolle zu bringen. Die Niederlage im Vietnamkrieg stellt einen wesentliche Ursache für die Erosion der US-Hegemonie dar, die sich mit der Krise des Fordismus beschleunigte.

Zu den Ursachen der in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts ausbrechenden Krise des Fordismus gehört auf der einen Seite, dass sich die staatlich institutionalisierten sozialen Kräfteverhältnisse in den kapitalistischen Metropolen zunehmend als Hindernis für die Kapitalverwertung erwiesen und auf der anderen Seite die ökonomische Dominanz der USA durch das erneute Aufholen insbesondere der ehemaligen Kriegsgegner Japan und Deutschland in Frage gestellt wurde. Die Folge war der Zusammenbruch des Bretton-Woods- Systems und die Weltwirtschaftskrise der siebziger Jahre. Die von den USA zur Wiederherstellung ihrer Dominanzposition und zur Überwindung der Fordismus-Krise in den achtziger Jahren eingeschlagene Strategie bestand in einer Politik ökonomischer Deregulierung, d.h. einer systematischen Liberalisierung der Waren-, Finanz- und Kapitalmärkte, die in Gestalt einer Art selbstauferlegten Strukturanpassungsprogramms im Sinne eines neoliberalen Konstitutionalismus die Regierungen der einzelnen Staaten unvermittelter den Zwängen der Kapitalverwertung aussetzte („Reaganomics“, „Volcker-Schock“, vgl. Panitch/Gindin 2003a, 23ff., 2003b, 128ff.). Damit wurden einzelstaatlich organisierte Produktions- und Zirkulationsräume aufgebrochen und die Regierungen beraubten sich wesentlicher wirtschafts- und sozialpolitischer Interventionsinstrumentarien. Diese „Globalisierung“ muss als politische Antwort „to the democratic gains that had previously been achieved by the subordinate classes“ angesehen werden, „which had become, in a new context and from capital’s perpective, barriers to accumulation“ (Panitch/Gindin 2003a, 21). Klassenstrukturell wurde diese Politik dadurch möglich, dass in der Phase des Fordismus die Internationalisierung des Kapitals sehr weit vorangetrieben worden war. Auf diese Weise erhielten die USA auch die Unterstützung der Regierungen der anderen kapitalistischen Zentren für ihre neoliberale Restrukturierungspolitik. Neben der Internationalisierung spielt dabei die verstärkte Bedeutung des Finanzkapitals eine Rolle, die zunächst eine Folge des krisenbedingten Stockens der Kapitalakkumulation in den siebziger Jahren war und durch die neoliberale Restrukturierung weiter vorangetrieben wurde. Damit wurde es möglich, die hoch defizitäre Leistungsbilanz der USA und deren steigende private und staatliche Verschuldung durch Kapitalimporte zu kompensieren. Zugleich wurde dadurch ein Prozess in Gang gesetzt, der die technischen Produktionsbedingungen beschleunigt revolutionierte, die Bildung internationaler Unternehmensnetzwerke ermöglichte, erhebliche Rationalisierungseffekte zeitigte und die Kommodifizierung der gesellschaftlichen Beziehungen – etwa durch umfangreiche Privatisierungen – weiter vorantrieb. Den USA ist es damit gelungen, ihr informelles Empire auf eine neue Grundlage zu stellen. Im Gegensatz zu den Zeiten des Fordismus steht nun nicht mehr die koordinierte Regulierung nationaler Wirtschaftsräume wie im Rahmen des Bretton-Woods-Systems, sondern der durch die neoliberal transformierten internationalen Institutionen (WTO, IMF, Weltbank) gemanagte neoliberale Konstitutionalismus im Zentrum. Auf ihre ökonomische und militärische Dominanz gegründet, konnten die USA damit die kapitalistische Welt erneut nach ihrem Muster formen und die anderen kapitalistischen Zentren – siehe zum Beispiel die neoliberale Transformation der EU mit den Binnenmarkt- und Maastricht-Vorhaben – untergeordnet einbinden. Insbesondere die Maastricht-Verträge markieren die Einbindung der EU in das neoliberale Globalisierungsprojekt und der sich seit Ende der achtziger Jahre auch hier durchsetzenden Dominanz des globalisierten Kapitals (Van Apeldoorn 2003). Der Zusammenbruch der Sowjetunion, der selbst zu einem erheblichen Grad der Krise des Fordismus und den darauf folgenden Restrukturierungspolitiken geschuldet ist, hat diese dominierende Position zunächst einmal entscheidend gefestigt.

III. Die gegenwärtige imperialistische Struktur

Die folgenden Ausführungen beziehen sich zunächst einmal auf das kapitalistische Zentrum. Seine Struktur und Dynamik ist jedoch entscheidend für das Verhältnis zwischen Metropolen und Peripherie, d.h. für die sehr unterschiedlichen Formen von Abhängigkeit und Ausbeutung, die die kapitalistische „Weltgesellschaft“ charakterisieren. Ausgeblendet bleiben zunächst einmal die ökonomisch-politischen Entwicklungs- und Ausdifferenzierungsprozesse in der Peripherie sowie vor allem die veränderten Formen, die das Metropolen-Peripherie-Verhältnis unter den Bedingungen der „Globalisierung“ angenommen hat.

Aus der Krise der siebziger Jahre ist also erneut ein von den USA dominierter informeller Imperialismus hervorgegangen, der sich allerdings hinsichtlich der Stellung des Staates und der Struktur des Staatensystems von früheren Phasen der kapitalistischen Entwicklung wesentlich unterscheidet. Grundlage dafür ist die Veränderung der kapitalistischen Klassenverhältnisse infolge der fortgeschrittenen Internationalisierung des Kapitals, die durch eine intensivierte Verflechtung von Direktinvestitionen insbesondere zwischen den kapitalistischen Zentren, grenzüberschreitende Fusionen und die Ausbreitung internationaler Unternehmensnetzwerke eine historisch neue Dimension erreicht hat. Die neoliberale Deregulierung der Kapital- und Finanzmärkte hat dieser Entwicklung einen entscheidenden Antrieb verliehen. Dadurch wurde die von Poulantzas so bezeichnete „innere Bourgeoisie“ (Poulantzas 2001), d.h. die Fraktion des Kapitals, die international verflochten und orientiert ist und gleichwohl – im Unterschied zum Typus der früheren imperialistischen Phasen angehörigen Kompradorenbourgeoisie – über eine eigene produktive Basis in dem jeweiligen Land verfügt, zur bestimmenden Kraft im Machtblock der relevanten kapitalistischen Staaten (Albo 2003, 104, Panitch/Gindin 2003a). Die als „nationale Bourgeoisie“ bezeichnete Klassenformation hat damit zumindest erheblich an Bedeutung verloren. Die innere Bourgeoisie zeichnet sich durch eine vorgängige Orientierung an globalen Akkumulations- und Verwertungszusammenhängen und damit durch ein übergreifendes Interesse an der Durchsetzung neoliberaler Politiken auf einzelstaatlicher wie internationaler Ebene aus. Die Internationalisierung des Kapitals äußert sich auch auf der personellen Ebene, in Gestalt einer sich grenzüberschreitend verflechtenden und global interagierenden „internationalen Managerklasse“ (Sklair 1997, Van der Pijl 1997, Van Apeldoorn 2003). Diese Entwicklung spiegelt sich in der Universalisierung „amerikanischer“ kultureller Werte, Ausdrucks- und Verhaltensformen und wird verstärkt durch die Stellung des US-amerikanischen Ausbildungssystems, das stark auf die wissenschaftliche und kulturelle Kooptation politischer und unternehmerischer Führungskräfte angelegt ist (Ahmad 2003, 55).

Diese Neuformierung der Klassenverhältnisse, d.h. die Tatsache, dass die innere Bourgeoisie als dominierende Fraktion innerhalb der einzelstaatlichen Machtblöcke sehr stark gleichgerichtete Interessen verfolgt und bei ihren Verwertunsgsstrategien auf veränderte Formen der ökonomischen Expansion setzt, ist eine wesentliche Ursache dafür, dass die zwischenstaatlichen Rivalitäten, die den Imperialismus noch bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts geprägt hatten, an Bedeutung eingebüßt haben. Dies wird noch dadurch verstärkt, dass die USA nach dem Untergang der Sowjetunion die militärisch absolut dominierende Macht sind, gegen die oder ohne deren Unterstützung praktisch kein konventioneller Krieg geführt werden kann. Verschwunden sind die zwischenstaatlichen Rivalitäten allerdings nicht, wie vor allem Panitch und Gindin (2003a,b) annehmen, sondern nehmen neue Formen und Dynamiken an.

Die neoliberale Restrukturierung, die damit verbundene Auflösung einzelstaatlich regulierter Reproduktionszusammenhänge und die fortgeschrittene Internationalisierung des Kapitals haben die Struktur des Staates und des Staatensystems wesentlich verändert. Sie haben zu einer Internationalisierung des Staates geführt, die mehrere Dimensionen aufweist (Vgl. Hirsch 2002, 131ff.). Dazu gehört einmal eine verstärkte Orientierung der einzelnen Staaten an den Bedingungen des Kapitalverwertungsprozesses auf Weltmarktebene, was dazu führt, dass die Schaffung optimaler Voraussetzungen für das international operierende Kapital zur obersten politischen Priorität wird. „A key parameter in state reorganization ... has been managing the national economy in a way that exchange rates and balance of payment sustain the internationalization of the circuits of money–capital“ (Albo 2003, 104). Die Konsequenz ist eine Strategie der „competitive austerity“ zu Lasten sozialstaatlich-massenintegrativer Politiken. Diese Transformation zum „nationalen Wettbewerbsstaat“ wurde den Staaten allerdings nicht von außen aufgezwungen, sondern von ihnen selbst aktiv betrieben. Der Hintergrund dafür ist eine nachhaltige Verschiebung der Klassenkräfteverhältnisse, nämlich die Schwächung der Lohnabhängigenklasse durch die Fordismus-Krise und ihre Folgen sowie die dominant gewordene Position der inneren Bourgeoisie im herrschenden Machtblock. Institutionell drückt sich dies in der Bedeutungsverschiebung der staatlichen Apparate zugunsten der im engeren Sinne „ökonomischen“ wie Zentralbanken, Wirtschafts- und Finanzministerien aus.

Ein zweiter Aspekt der Internationalisierung des Staates ist die wachsende Bedeutung internationaler ökonomischer Regulierungsinstanzen wie WTO, IMF und Weltbank, die in enger Verbindung mit den ökonomischen Steuerungszentren der USA, dem Schatzamt und der Federal Reserve als Institutionen des neoliberalen Konstitutionalismus fungieren und der Wirtschafts- und Sozialpolitik der einzelnen Staaten deutliche Grenzen setzen. Flankiert wird dies durch eine sich trotz hin und wieder auftretender Konflikte verdichtende militärische Kooperation zwischen den führenden kapitalistischen Staaten.

Die Internationalisierung des Staates impliziert eine erhebliche Veränderung der in den Staaten institutionalisierten Klassenbeziehungen und Kräfteverhältnisse. Zwar bleiben die Einzelstaaten wichtig für die Organisation der Klassenbeziehungen. Es bilden sich aber auf internationaler Ebene staatsapparative Gebilde heraus, die wichtige Stützpunkte des internationalen Kapitals darstellen. Die Funktion des Staates, das institutionelle Terrain für eine Formulierung der Politik des Kapitals darzustellen, differenziert sich auf mehrere Ebenen aus: von der bedeutungsvoller werdenden regionalen über die einzelstaatliche bis zur inter- und supranationalen. Die Regulation der Klassenbeziehungen wird dadurch allerdings auch komplexer und konfliktreicher und die Gewährleistung eines konsensualen sozialen Zusammenhalts innerhalb der einzelnen Gesellschaften prekärer.

Der informelle Imperialismus der USA drückt sich also darin aus, dass relativ autonome Zentren der Staatsmacht unter Führung der USA in ein übergreifendes politisch-ökonomisches Regulierungssystem integriert werden (Panitch/Gindin 2003b, 120f., Shaw 2000)). Regionale ökonomische Integrationsprozesse wie vor allem die Europäische Union sind ein Bestandteil dieses staatsapparativen Internationalisierungsprozesses. Schon deshalb ist es problematisch, von der EU als einem Gegengewicht zu den USA zu sprechen (Panitch/Gindin 2203b). Bei der auf den ersten Blick plausibel erscheinenden Bezeichnung „USA-Imperialismus“ muss allerdings berücksichtigt werden, dass es angesichts der Internationalisierung des Kapitals zunehmend problematischer wird, überhaupt von einem „nationalen“ und damit auch vom „amerikanischen“ Kapital zu sprechen. Faktisch fungiert der US-Staat als „globaler Staat“ des Kapitals und vertritt dabei die Interessen der dominanten Bourgeoisien auch der untergeordneten Staaten. Diese Funktion kommt den USA deshalb zu, weil sie aufgrund ihrer inneren Klassenstrukturen – der vergleichsweisen Schwäche der Arbeiterklasse – und der Besonderheiten ihrer politischen Apparatur am ehesten geeignet sind, den Interessen des internationalen Kapitals Nachdruck zu verleihen. Nicht zuletzt verfügen nur sie über die militärischen Gewaltmittel, die notwendig sind, um das neoliberale Ökonomie- und Gesellschaftsregime international abzusichern. „To the extent that relatively similar processes are duplicated in a number of countries under regimes of both nation states and globalized management..., a supervening authority above national and local authorities is again an objective requirement of the system as a whole“ (Ahmad 2003, 45f.). Die USA verkörpern, wenn auch im Verhältnis zu den anderen kapitalistischen Zentren nicht ohne Konflikte und in grundsätzlich prekärer Weise, ein das System der Einzelstaaten übergreifendes „Gewaltmonopol“, welches das international operierende Kapital zu seiner Reproduktion benötigt.

Dies bleibt indessen eine höchst konfliktreiche Konstellation. Die Rivalität insbesondere zwischen den Staaten des kapitalistischen Zentrums wird durch diese Internationalisierungsprozesse zwar eingedämmt, bleibt aber grundsätzlich bestehen (Albo 2003). Die konkurrierenden Kapitale treten den einzelnen Staaten flexibler gegenüber, bleiben aber auf deren Organisations-, Legitimations- und Gewaltpotentiale angewiesen und sie können diese zugleich zur Durchsetzung ihrer Konkurrenzstrategien benutzen. Dies bedeutet, dass sich die kapitalistische Konkurrenz nach wie vor – wenn auch in veränderten Formen – im Staatensystem reproduziert. D.h., dass Staaten in gewissen Situationen durchaus als Vertreter der Interessen spezifischer Kapitalgruppen agieren können. Nach wie vor drücken sich in den verschiedenen Staaten unterschiedliche Klassen- und Kräfteverhältnisse und damit auch politische Legitimationsbedigungen aus, was unter Umständen divergierende Politiken nach sich zieht. Dies kann auch den widersprüchlichen Prozess von Internationalisierung und Nationalisierung erklären, der die aktuellen weltpolitischen Verhältnisse prägt (Albo 2003, 94ff.). Schon deshalb kann kaum von einem geschlossenen US-Imperium gesprochen werden (Harvey 2003, 79ff.). Man kann erwarten, dass diese Konflikte dann eskalieren, wenn die Weltökonomie infolge ihrer unverkennbaren Instabilitäten erneut in eine große Krise gerät.

IV. Widersprüche

Dies ist eine durchaus reale Möglichkeit, was inzwischen auch etablierte Wirtschaftswissenschaftler einräumen. Die neoliberale Offensive mit der Folge einer erheblichen Beschneidung der Masseneinkommen und einer zunehmend ungleichen Einkommens- und Vermögensverteilung hat zwar zunächst zu einer nachhaltigen Erhöhung des Kapitalprofits geführt, erzeugt aber eine strukturelle Nachfragelücke mit einer damit verbundenen Deflationstendenz. Stabilisiert werden konnte dieses globale makroökonomische Ungleichgewicht bislang durch eine wachsende äußere und innere Verschuldung der USA, die in der Art eines globalen Keynesianismus wirkt. Dies ist sozusagen die notwendige Kehrseite des programmatisch antikeynesianischen neoliberalen Projekts. Die Deregulierung der Finanzmärkte hat diese Verschuldungsstrategie zwar erleichtert, aber sie kann kaum unbegrenzt weiter geführt werden. Ob es gelingt, die dadurch drohende Krise durch ein globales finanztechnisches Management – etwa eine planmäßige Abwertung der auf US-$ laufenden Schulden – zu verhindern, ist völlig offen, zumal dies weitere ökonomische Friktionen wie z.B. eine Verstärkung der ökonomischen Stagnationstendenzen in der EURO-Zone zur Folge hätte. Protektionistische Auseinandersetzungen, insbesondere zwischen den USA und der EU, bestimmen schon heute den weltwirtschaftlichen Alltag. Eine tiefer gehende Krise würde die zwischenstaatlichen Rivalitäten auf jeden Fall vergrößern und könnte das bestehende System eines informellen Imperialismus in Frage stellen.

Harvey (2003) geht davon aus, dass der globale Akkumulationsprozess gegenwärtig dadurch ins Stocken gerät, dass auf der einen Seite in allen kapitalistischen Zentren ein Überakkumulationsdruck besteht und dadurch die Spielräume für eine äußere Expansion insgesamt kleiner werden. Auf der anderen Seite habe gerade die neoliberale Restrukturierung mit der damit verbundenen Verschiebung der Kräfteverhältnisse dazu geführt, dass eine innere Expansion mittels Ausweitung des Massenkonsums nicht möglich sei. Daraus leitet er die Entwicklung eines neuen Akkumulationstyps – „Akkumulation durch Enteignung“ – ab, der auf einer massiven Kapital- und Wertvernichtung durch Finanzspekulationen sowie in einer fortschreitenden Kommodifizierung und Privatisierung vormals öffentlicher Güter beruht. Daraus eine Art Zusammenbruchstendenz abzuleiten, wie Harvey andeutet, ist allerdings problematisch. Spekulative Kapitalentwertung ist in der Tat ein Merkmal des postfordistischen Modus der Konkurrenzregulation, wirkt aber zugleich als Gegentendenz zum Fall der Profitrate (Hirsch 2002, 186ff.). Genau genommen sind die von Harvey beschriebenen Enteignungsprozesse grundlegende Momente der „ursprünglichen Akkumulation“, welche die Entwicklung des Kapitalismus von Anfang an begleitet haben. Was er übersieht, ist der Umstand, dass innere Expansion nicht allein auf der Ausdehnung des Massenkonsums beruhen muss, sondern auch technische Umwälzungen zwecks Verbilligung des konstanten Kapitals und Schaffung neuer Anlagemöglichkeiten beinhalten kann. In diesem Zusammenhang kommt den Informations- und Datenverarbeitungs- sowie den Biotechnologien eine zentrale Bedeutung zu. Ihre kapitalverwertungskonforme Entwicklung ist eng mit der Sicherung geistiger Eigentumsrechte verbunden. Dabei wird deutlich, dass sich innere und äußere Expansion eng verzahnen: durch eine weiter fortschreitende Kommodifizierung auch in den kapitalistischen Zentren und durch die Durchsetzung von privaten Eigentumsrechten, z.B. an genetischen Ressourcen, in der Peripherie (Brand/Görg 2003). Die von Harvey angeführten Entwicklungen begründen nicht unbedingt eine fundamentale Krisentendenz, markieren aber ein zunehmend relevanter werdendes gesellschaftliches Konfliktfeld. Privatisierung und Sicherung intellektuellen Eigentums sind in der Tat zu einem zentralen Fokus internationaler ökonomischer Regulierung und darauf bezogener politisch-sozialer Konflikte geworden. Bei deren Durchsetzung kommt einzelnen Staaten mit ihrer Kompetenz zur Gesetzgebung und -durchsetzung eine zentrale Rolle zu. Im Rahmen der WTO wird – insbesondere im Interesse der USA und der EU – ein erheblicher Druck auf periphere Staaten ausgeübt, intellektuelle Eigentumsrechte zuverlässig zu garantieren. Der Erfolg dieser Bemühungen ist eine wesentliche Voraussetzung für das Gelingen des globalen Akkumulationsprozesses, wird aber gleichzeitig durch erhebliche Differenzen zwischen den einzelnen Staaten und Staatengruppen konterkariert, die z. B. die Verhandlungen um das TRIPS – Abkommen im Rahmen der WTO seit Jahren bestimmen (Görg/Wissen 2003, Brand/Görg 2003, 128ff.)

Nicht nur in diesem Zusammenhang hängt der Bestand des herrschenden „informellen Empire“ davon ab, dass es gelingt, global übergreifend „effektive“, d.h. im Sinne des internationalisierten Akkumulationsprozesses fungierende Staaten zu schaffen und zu stabilisieren (Panitch/Gindin 22003a). Das ist – neben der Sicherung billiger Rohstoffquellen und den damit verbundenen staatlichen Rivalitäten – ein zentrales Ziel der in den letzten Jahren durchgeführten Militärinterventionen, auf dem Balkan, in Afghanistan und zuletzt im Irak. Neben einigem anderen sind die zu beseitigenden „Schurkenregime“ dadurch charakterisiert, dass sie sich nicht so einfach in das herrschende System des informellen Imperialismus einbinden lassen können, weil dies die bestehenden Herrschaftsverhältnisse untergraben würde. Aber selbst demokratische Regime, die einen stärkeren ökonomischen Nationalismus verfolgen, geraten in die Gefahr, als „Schurken“ klassifiziert zu werden. Nun lassen sich allerdings „effektive“ Staaten durch militärische Gewalt allein nicht schaffen, wenn die ökonomischen, gesellschaftlichen und kulturellen Voraussetzungen dazu fehlen. Militärinterventionen führen deshalb gegebenenfalls weniger zu einem befriedeten imperialistischen Weltsystem, sondern zu einer Vervielfältigung von Konfliktherden und zu anarchischen Zuständen. Daraus könnte resultieren, dass der informelle Imperialismus zumindest teilweise wieder einem formellen, d.h. der Errichtung von faktischen Kolonien oder der Einsetzung von Kompradorenregimen weichen muss, wie es sich in Afghanistan und im Irak bereits abzeichnet. Dabei steht allerdings in Frage, ob das ökonomische und militärische Potenzial der kapitalistischen Zentren dafür ausreicht. Die USA allein wären dazu auf jeden Fall kaum in der Lage.

Der nicht nur von den USA, sondern auch von den Regierungen der anderen kapitalistischen Zentren propagierte „wohlwollende Imperialismus“ erhält dadurch einige Legitimationsprobleme. Diese werden durch eine weitere Entwicklung verstärkt, auf die Panitch und Gindin (2003a, 23, 2003b, 138ff.) hinweisen: Mit der Internationalisierung des Staates und der Etablierung des „nationalen Wettbewerbsstaats“ verschärft sich strukturell der Konflikt zwischen der einzelstaatlichen Regierungspolitik und den Interessen großer Teile der Bevölkerung. Diese Entwicklung, die mit einer fortschreitenden Erosion der liberaldemokratischen Systeme einhergeht, ist praktisch in allen, auch den entwickelten kapitalistischen Staaten – den sogenannten „westlichen Demokratien“ – festzustellen. Die allenthalben zunehmenden Auseinandersetzungen um den sogenannten Umbau des Sozialstaates legen davon Zeugnis ab. Panitch und Gindin gehen davon aus, dass diese Konfliktverlagerung in das Innere der einzelnen Staaten die imperialistischen zwischenstaatlichen Rivalitäten früherer Epochen abgelöst hat. Einen richtigen Kern hat diese Beobachtung durchaus, ist aber in dieser Absolutheit kaum aufrecht zu erhalten. Die mit der wettbewerbsstaatlichen Transformation verbundene und strukturelle politische Krise und Krise der Repräsentation kann Dynamiken in Gang setzten, die ihrerseits zwischenstaatliche Rivalitäten antreiben. Dies nicht zuletzt dann, wenn die Repräsentationskrise mit populistischen, nationalistischen und rassistischen Strategien der Legitimationsbeschaffung zu kompensieren versucht wird. Ein allerdings eher noch harmloses Beispiel dafür ist der Konflikt zwischen Deutschland beziehungsweise Frankreich und den USA in Bezug auf den Irakkrieg. Er hatte einen wesentlichen Grund in den Wahlkampfstrategien der in Deutschland regierenden Koalition. Die Inszenierung außenpolitischer Rivalitäten sollte das durch die herrschende Wirtschafts- und Sozialpolitik entstandene Legitimationsdefizit ausgleichen, was zunächst auch einmal gelang. Inzwischen hat man sich nach einiger beiderseitiger Eskalation allerdings wieder auf die gemeinsamen Interessen zurückbesonnen.

Damit wäre noch einmal auf die eingangs gestellte Frage nach der Stellung der USA im Weltsystem und der Natur des „US-Imperialismus“ zurückzukommen. Die These von der absoluten Dominanz der USA wird im wesentlichen mit deren militärischer Überlegenheit und ihrem überragenden ökonomischen Potential begründet (Panitch/Gindin 2003a,b, Ahmad 2003). Beides muss indessen relativiert werden. Die militärischen Fähigkeiten reichen zwar aus, um konventionelle Kriege zu gewinnen – auch wenn das bisher nur gegen militärisch äußerst schwache Staaten unter Beweis gestellt wurde: Der Angriff auf den Irak wurde erst gewagt, als der militärisch desolate Zustand des Saddam-Regimes nachgewiesen war. Es ist aber zweifelhaft, ob sie genügen, größere Teile der Welt unter Kontrolle zu halten, ganz abgesehen davon, dass dadurch neue und höchst schwer zu kontrollierende, nicht zuletzt „terroristische“ Formen der Kriegführung provoziert werden. Dazu kommt, dass es mit Russland und China Mächte gibt, die zumindest atomar einigermaßen ebenbürtig sind. Dazu hin erhöht die militärische Dominanz der USA das Bestreben insbesondere peripherer Staaten, in den Besitz von Atomwaffen zu gelangen. Auch militärisch bleiben die USA damit auf die Kooperation mit den anderen kapitalistischen Zentren angewiesen, wie die Entwicklung nach der fehlgeschlagenen Irakintervention zeigt. Auf ökonomischem Gebiet gilt dies sogar verstärkt. Die USA sind zwar aufgrund ihrer schieren ökonomischen Größe das Zentrum des globalen Kapitalismus, können diese Stellung aber nur in Kooperation mit den anderen kapitalistischen Mächten halten. Sowohl die Stabilisierung ihres informellen Imperialismus als auch das notwendige weltwirtschaftliche Krisenmanagement ist ohne die Mitwirkung der zwar subordinierten, aber dennoch ökonomisch gewichtigen Staaten und Staatenblöcke, also insbesondere Europas und Japans unmöglich. Dafür, dass diese Kooperation stattfindet, bietet die Internationalisierung des Kapitals und die Dominanz der inneren Bourgeoisien in den einzelstaatlichen Machtblöcken eine wichtige Voraussetzung. Zwischenstaatliche Rivalitäten bleiben dennoch weiterhin wirksam, was heißt, dass die Struktur des bestehenden imperialistischen Systems durch ein komplexes Kooperations- und Konfliktverhältnis im Rahmen einer „ungleichen Interdependenz“ zwischen den kapitalistischen Metropolen gekennzeichnet ist (Albo 2003, 95ff.).

Dies führt schließlich zu der Frage nach der hegemonialen Qualität des bestehenden imperialistischen Systems. Mit Hegemonie wird ein Herrschaftsverhältnis bezeichnet, das nicht allein auf Gewalt beruht, sondern die Interessen der Untergeordneten partiell berücksichtigt und ihnen eine Entwicklungsperspektive eröffnet. Dies verlangt von der hegemonialen Macht die Bereitschaft zu gewissen politischen und materiellen Konzessionen. Hegemonie hat mehrere Dimensionen, nämlich eine politische, die sich auf die Fähigkeit zur Führung durch Integration bezieht, eine institutionelle, die das Terrain betrifft, in dem politische Aushandlungsprozesse stattfinden und Entscheidungen getroffen werden sowie eine ideologische im Sinne der Verbreitung allgemeiner Wertvorstellungen und gesellschaftlicher Leitbilder.

So gesehen, ergibt sich in Bezug auf die US – Hegemonie ein komplexes Bild. Sie ist in der institutionellen – dem System der stark von den USA beherrschten internationalen Organisationen – und ideologischen Dimension zwar umkämpft, aber bis zu einem gewissen Grade vorhanden. Zweifelhaft ist allerdings, ob die Vereinigten Staaten tatsächlich in der Lage zu einer hegemonialen politischen Führerschaft sind. Dies wurde in der jüngsten Vergangenheit darin deutlich, dass die USA versucht haben, im Rahmen eines forcierten Unilateralismus ihre ökonomische und vor allem ihre militärische Dominanz offen auszuspielen. Verstärkt wurde diese Tendenz dadurch, dass die neoliberale Restrukturierung und die damit verbundene Freisetzung ökonomischer Mechanismen die Fähigkeit nicht nur der USA zu einer hegemonialen Weltpolitik, die darauf beruhen muss, untergeordneten Staaten und Gesellschaften durch materielle Konzessionen eine ökonomisch-politische Entwicklungsperspektive zu geben, strukturell beeinträchtigt hat (Hirsch 2002, 145ff.). Es könnte allerdings sein, dass die so ausgerichtete Politik der auf eine demokratisch etwas fragwürdige Weise an die Macht gekommenen und extrem rechtskonservativen Bush II-Administration eher ein historisches Zwischenspiel bezeichnet. Wie es sich abzeichnet, hat der demokratische Präsidentschaftsaspirant die Absicht, zumindest im Verhältnis zu den anderen kapitalistischen Zentren wieder zu einer kooperativeren, d.h. multilateraleren Politik überzugehen. Dies gebietet allein schon die ökonomische und militärische Zwangslage, in der sich die USA befinden. Mit einer Präsidentschaft Kerrys würde wahrscheinlich die dominante Position des technologisch avancierten internationalisierten Kapitals innerhalb des USA-Machtblocks wieder ihren politischen Ausdruck finden. In den Regierungen der subordinierten kapitalistischen Zentren fände die US-Regierung dabei bereitwillige Kooperationspartner. Deren Konflikte mit den USA haben sich in der Vergangenheit weniger darum gedreht, deren dominante Position in Frage zu stellen, sondern waren im Kern darauf gerichtet, diese wieder zu einem hegemonialen Politikmodus zu veranlassen. Ob die bestehenden ökonomischen, gesellschaftlichen und politischen Strukturen des postfordistisch restrukturierten Kapitalismus dies zulassen, bleibt allerdings offen.

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