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Neue Fassung: Februar 2003

Irak-Krieg: Das Dilemma der Berliner Regierung

Joachim Hirsch

Die in Berlin Regierenden haben ein Problem. Die letzte Wahl haben sie unter anderem mit dem Versprechen gewonnen, sich nicht an einem Krieg gegen den Irak zu beteiligen. Eigentlich ist das eine Selbstverständlichkeit, verbietet doch schon die Verfassung das Führen eines Angriffskriegs. Allerdings sind bekanntlich Völker- und Verfassungsrecht in der "neuen Weltordnung" kaum noch das Papier wert, auf dem sie stehen, auch hierzulande. Indessen hat sich die deutsche Regierung mit dieser Positionierung in einen ernsthaften Konflikt mit den USA manövriert. Er wird noch dadurch verschärft, dass sie im UN-Sicherheitsrat gegebenenfalls offen und möglicherweise allein gegen die USA stimmen müsste, falls diese es für angebracht halten, dieses Gremium überhaupt zu beschäftigen und nicht gleich losschlagen – in "Selbstverteidigung", wie die abenteuerliche Begründung dafür heißt. Nun ist von einer "Vertrauenskrise" und von einer "schwer belasteten", wenn nicht gar schon von einer "aufgekündigten" "Freundschaft" die Rede. Als seien Staaten Protagonisten einer Seifenoper und nicht Akteure einer harten Macht- und Interessenpolitik.

In diesem Dilemma ist Durchlavieren das oberste politische Prinzip. Meinte man zunächst, die Wahlkampfaussagen einfach wieder zu dem machen können, was sie üblicherweise sind, nämlich Schnee von gestern, so mussten sich Schröder und Fischer angesichts eines deutlichen öffentlichen Drucks dann doch wieder entschlossener geben. Praktisch heißt das, an der Ablehnung eines Militäreinsatzes festzuhalten und ihn ansonsten so gut es geht zu unterstützen. Man will zwar offiziell keine Soldaten in den Krieg schicken, gesteht aber sonst fast alles zu, was zur Unterstützung des Angriffs denkbar ist: die Beteiligung an den Avacs-Flügen zur Koordinierung der Militäroperationen, Überflugrechte, Raketenlieferungen an Israel und die Türkei, die Bundeswehr als Ersatz für aus Deutschland abgezogene US-Truppen, "Fuchs"-Panzer in Kuwait, Hilfsmaßnahmen für die zu erwartenden Flüchtlingsmassen, recht putzig als "privat" deklarierte Einsätze der Bundeswehr im Irak und vieles andere mehr. "Verteidigungs"-Minister Struck hat jüngst auch noch "humanitäre" Hilfe für die angreifenden US-Truppen angeboten, womit dieser Begriff endgültig in sein Gegenteil verkehrt wäre. Es geht also darum, die US-Regierung irgendwie zufriedenzustellen und gleichzeitig am Wahlversprechen festzuhalten, dessen Bruch nicht nur einen neuen Tagesordnungspunkt für den einschlägigen Untersuchungsausschuss liefern, sondern auch die Koalition in ernste Schwierigkeiten bringen würde. Dies selbst dann, wenn die eisern an den Regierungsposten klebenden Grünen schließlich auch diesen Schwenk noch mitmachen würden.

Wieso hat die deutsche Regierung eigentlich so große Schwierigkeiten, einen Konflikt mit den USA riskieren? Dazu muss man sich die etwas komplizierten Machtverhältnisse vergegenwärtigen, die die bestehende internationale Ordnung prägen. Die Welt wird ökonomisch und politisch beherrscht von den drei kapitalistischen Zentren USA, Europäische Union und – da von einer tiefen Wirtschaftskrise gebeutelt – mit einigen Abstrichen Japan. Diese Zentren stehen in einem starken Konkurrenzverhältnis, sind aber zugleich zu einer gewissen Kooperation gezwungen. Dieses komplizierte Kooperations- und Konkurrenzverhältnis besteht auch zwischen den Staaten der Europäischen Union, die nicht aus Zufall zu keiner wirklichen gemeinsamen Außenpolitik in der Lage sind. Innerhalb dieser "Triade" dominieren ganz eindeutig die USA, wobei deren militärische Überlegenheit zugleich die Grundlage ihrer technologisch-ökonomischen ist.

Daraus ergeben sich zunächst einmal erhebliche Interessenkonflikte. Inzwischen hat es sich bis in die etablierte Presse hinein herumgesprochen, dass es im Falle des Irak weder um Terrorismus, noch um die Abwehr einer militärischen Bedrohung, sondern schlicht um den Zugriff auf Ölvorkommen geht. Selbst die deutsche politische Intellektuellenszene, die im zweiten Golfkrieg noch geglaubt hatte, es ginge um die Durchsetzung von Demokratie und Menschenrechten, musste sich inzwischen eines Besseren belehren lassen. Die ehemals entschlossensten Teile ihrer Stahlhelmfraktion üben sich seither in eher betretenem Schweigen. Insbesondere nachdem die Ölstaaten des nahen Ostens von immer deutlicheren politischen Instabilitäten geprägt werden - immerhin kamen die Attentäter des 11. September weitgehend aus Saudi-Arabien - haben die USA ein ganz massives Interesse an der Festigung ihrer Kontrolle über den Ölreichtum der Welt entwickelt. Die spritfressenden Jeep-Verschnitte, die dort inzwischen die Hälfte aller verkauften Autos ausmachen, sollen weiter fahren dürfen. Ein US-Besatzungsregime im Irak, der die zweithöchsten Vorkommen in der Welt aufweist, wäre dafür sehr hilfreich, zumal damit zugleich die mit dem Afghanistan-Krieg eingeleitete militärische Kontrolle über Zentralasien und die dort liegenden Ölreserven gefestigt werden könnte. Der Iran – auch ein nicht sehr kooperationsbereiter "Schurkenstaat" – wäre damit militärisch eingekreist und mit Russland wird gerade über einen Deal verhandelt, der das Wohlwollen gegenüber Putins Autokratie im Gegenzug zu Energielieferungen zum Gegenstand hat.

Nun kann es den europäischen Regierungen nicht ganz gleichgültig sein, wenn die USA die wesentlichen Ölvorkommen noch stärker kontrollieren als es jetzt schon der Fall ist. Das würde eine weiter vertiefte ökonomische Abhängigkeit bedeuten. Insbesondere Frankreich und Deutschland zeigen da eine gewisse Nervosität, während Großbritannien eher darauf setzt, sich durch bedingungslose Unterordnung in einer sozusagen privilegiert subalternen Position das amerikanische Wohlwollen zu sichern. Deshalb gibt sich Blair als Bushs Pudel. Da den Europäern allerdings die militärischen Mittel zur Durchsetzung ihrer Interessen fehlen, sind sie auf Kooperation mit den entsprechenden Regimen, in diesem Fall dem von Saddam Husssein angewiesen. Gerade die Bundesrepublik Deutschland hat diesbezüglich bekanntlich eine lange Tradition. Ein Krieg würde diese Kooperation unmöglich machen und genau darauf zielt die US-Politik auch ab. Die Ablehnung des Kriegs ist insofern nicht allein Wahltaktik, sondern durchaus von klaren ökonomischen und politischen Interessen bestimmt.

Dagegen steht der Zwang zur Kooperation mit den USA. Diese sind es nämlich vor allem, die mit ihren militärischen und politischen Mitteln die Verwertungsbedingungen des Kapitals und damit auch die wirtschaftliche "Stabilität" und die herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse hierzulande garantieren: den weltweiten Schutz des Privateigentums, den Zugang zu Märkten und Investitionsgebieten, gefügige Regimes und natürlich auch die Verfügbarkeit von Rohstoffen und Öl. Insofern ist das US-Interesse eben auch ein "deutsches" und die Konflikte beziehen sich eher auf die Art und Weise, wie dieses durchzusetzen ist. Abgesehen davon haben es die USA durchaus in der Hand, hauptsächlich in Deutschland oder Europa ansässigen multinationalen Unternehmungen erhebliche Schwierigkeiten zu machen, und der Wirtschaftskrieg kennt bekanntlich viele Mittel. Die "Solidarität" mit den USA hat also weniger mit Gefühlsduselei als mit harten ökonomischen und politischen Interessen zu tun.

Das aktuelle Problem besteht darin, dass die USA aufgrund der mit der Bush-Regierung etablierten inneren Machtkonstellation nicht in der Lage sind, eine hegemoniale Führungsrolle zu übernehmen. Dies würde heißen, eine Politik zu verfolgen, die auf Kompromisse mit den konkurrierenden Staaten baut und deren Interessen verlässlich mit berücksichtigt. Stattdessen dominiert der platte Unilateralismus, d.h. es werden unverblümt die eigenen "nationalen" Interessen verfolgt und der Rest der Welt zur Unterordnung gezwungen oder eben bekämpft. Diese Politik, bei der man ein längerfristig orientiertes rationales Kalkül vergebens sucht und die einiges mit spezifischen inneramerikanischen ideologischen und sozialpsychologischen Dynamiken insbesondere nach dem 11. September zu tun hat, beinhaltet enorme Risikopotentiale. Dies gilt nicht zuletzt für den geplanten Irak-Krieg. Der würde wahrscheinlich genau das Gegenteil einer Eindämmung des "internationalen Terrorismus" bewirken und die politische Lage zumindest im nahen und mittleren Osten weiter destabilisieren. Er könnte darüber hinaus der ohnehin höchst fragilen und zunehmend krisenhafteren Weltwirtschaft einen Schlag mit kaum absehbaren Folgen versetzen. Nicht zuletzt dieses ist es, das die europäischen Regierungen alarmieren muss.

Das Verhältnis zwischen den die Welt beherrschenden "starken" Staaten des globalen Nordwestens ist also durch recht komplexe Widersprüche geprägt, die eindeutige Interessenfronten und politische Positionen verhindern. Dies zeigt nicht zuletzt die nur notdürftig überkleisterte innereuropäische Spaltung in Bezug auf den Irak-Konflikt. Die Ergebenheitsadressen Großbritanniens, Italiens, Portugals und einiger osteuropäischer Staaten an die USA haben nicht nur mit dem dubiosen Charakter einiger der beteiligten Regierungen zu tun, sondern werden auch von der Angst vor einer deutsch-französischen Vorherrschaft gespeist, die von den Vereinigten Staaten wiederum benutzt wird, ihren Einfluss zu wahren. Auf der anderen Seite artikuliert sich selbst dort die Kritik an der Politik der derzeitigen Regierung zunehmend deutlicher. Diese Konstellation eröffnet eine Chance für soziale Bewegungen und kritische politische Initiativen. Nicht zuletzt diese haben es geschafft, in fast allen europäischen Ländern der Ablehnung der Kriegspolitik eine Mehrheit zu verschaffen. Inzwischen hat dies auch etabliertere Institutionen wie die Kirchen oder einige wichtige Medien erreicht. Unter diesen Bedingungen lassen sich auch Wahlversprechen nicht mehr so einfach brechen. Man darf allerdings gespannt sein, wie lange der neueste Schwenk hält und was passiert, wenn der Krieg offen ausbricht. Dann wird man irgendwie bei der Verteilung des Kuchens dabei sein wollen. Vorerst werden aber noch andere Wege anvisiert. Der französisch-deutsche Plan für einen massiven militärischen Einsatz der UN im Irak hätte den schönen Nebeneffekt, ganz legal an der Besetzung dieses Landes beteiligt zu sein.

Man kann vermuten, dass die deutsche Regierung ohne den vergleichsweise massiven öffentlichen Druck wie schon im Falle Afghanistan schon längst auf den Kriegskurs eingeschwenkt wäre. Inzwischen hat die Massenmobilisierung gegen den Krieg weltweit ein bemerkenswertes Maß erreicht. Die Tatsache, das sich viele Regierungen offen gegen den deutlich artikulierten Willen der Bevölkerungen stellen, sagt einiges über den Charakter der demokratischen Systeme aus. Die Wirksamkeit des Protests resultiert allerdings nicht zuletzt daraus, dass auch etablierte Machtgruppen kein unbedingtes Interesse daran haben, der US-Politik zu folgen und am Ende dafür bezahlen zu müssen. Auch die oppositionelle Szene wird von den Widersprüchen der aktuellen Macht- und Interessenkonstellation geprägt.

Die historische Bedeutung der Irak-Krise liegt darin, dass es dabei auch um einen Kampf um die US-Hegemonie geht und sich die Möglichkeit einer grundlegenderen Verschiebung der globalen Kräfteverhältnisse andeutet. "Europa", oder besser gesagt: die politische Positionierung relevanter europäischer Staaten spielt dabei eine entscheidende Rolle. Wenn der US-Verteidigungsminister abschätzig von Deutschland und Frankreich als dem "alten" Europa spricht, so liegt er dabei möglicherweise richtiger, als ihm selbst bewusst ist.

© links-netz Februar 2003