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Sind die USA im Irak wirklich gescheitert?

Joachim Hirsch

Dass die Irak-Invasion der USA ein Fehlschlag war, gilt inzwischen allgemein als ausgemacht. Das Land ist im Chaos versunken. Die Anschläge und Attentate, denen viele Iraker und auch immer wieder US-Soldaten zum Opfer fallen, sind so zur Normalität geworden, dass sie kaum mehr eine Meldung wert sind. Die US-Truppen haben sich auf befestigte Stützpunkte zurückgezogen, was der Bevölkerung zwar keine Sicherheit bringt, aber die Zahl amerikanischer Toter verringert und die militärische Kontrolle über das Land gewährleistet. Die Ziele, mit denen der Einmarsch gerechtfertigt wurde – Demokratie, Menschenrechte, Wohlstand und was noch immer – sind weiter von einer Realisierung entfernt denn je. Bush und seine Clique sehen dies freilich immer noch ganz anders. Haben sie vielleicht sogar Recht? Im Dezember hat der amerikanische Journalist Jim Holt in einem Beitrag in Le Monde Diplomatique behauptet, dass man dies durchaus so sehen könnte.

Was immer über Demokratie, Entwicklung und Nation building gesagt wurde, sollte nicht darüber hinweg täuschen, dass es bei der Besetzung des Irak immer und ganz vorrangig um die Kontrolle der Ölreserven ging. Immerhin gibt es Schätzungen, die im Irak bis zu einem Viertel der globalen Ölvorkommen vermuten. Das ist angesichts der Tatsache, dass dieses zentrale Schmiermittel des Kapitalismus immer knapper zu werden droht, ein nicht zu unterschätzender Faktor. Dem irakischen Parlament liegt jetzt ein Gesetzentwurf vor, der die Verfügung über das Öl weitgehend den internationalen Ölkonzernen überträgt. Damit wäre ein zentrales Ziel der US-Politik immerhin erreicht. Und dies möglicherweise besser als wenn im Irak tatsächlich mehr als ein von den USA völlig abhängiges, nämlich ein halbwegs souveränes Regime entstanden wäre, das – etwa in Kooperation mit anderen Staaten – eine eigenständigere Ölpolitik hätte betreiben können. Es gilt als ausgemacht, dass die US-Besatzung angesichts der herrschenden Zustände auf unabsehbare Zeit fortgeführt werden muss. Dies wiederum sorgt dafür, dass die bewaffneten Auseinandersetzungen und der Bürgerkrieg anhalten werden. Die militärische Kontrolle des Landes und die Abhängigkeit seiner Regierung von den USA werden also auf Dauer gestellt. Dass dies weiterhin das Leben vieler Iraker und gelegentlich einiger US-Soldaten und Privatsöldner kostet, ist ein Kollateralschaden, den man in Kauf nimmt.

Die Kontrolle über das Land und sein Öl sichert die Profite der Ölkonzerne und bleibt auch für Halliburton & Co. einträglich, wenn statt eines zivilen Aufbaus weiterhin Aufträge für die militärische Infrastruktur fließen. Wenn sie erfolgreich ist, bringt sie den USA aber vor allem wesentliche geopolitische Vorteile. Die Rohstoffabhängigkeit der westlichen Staaten von Russland verringert sich und es entsteht ein Druckmittel gegenüber China, das zunehmend von Ölimporten abhängig wird. Zudem würde die OPEC und insbesondere Saudi-Arabien geschwächt, das sich neuerdings als ein etwas unzuverlässigerer Verbündeter erweist. Den mit den USA kooperierenden kapitalistischen Metropolen, nicht zuletzt den europäischen, ist das zumindest nicht ganz unangenehm. Zwar würde sich ihre Abhängigkeit von den USA vertiefen, aber sie könnten bei Wohlverhalten immerhin weiter mit einer sicheren Ölversorgung rechnen. Die US-Militärmaschinerie erweist sich auch in diesem Fall als globaler Gewaltapparat, der – ungeachtet hin und wieder auftretender Differenzen und Konflikte – als bewaffneter Arm des internationalen Kapitals und der "westlichen" Staaten fungiert. Schon deshalb bleibt deren Kritik an der US-Politik verhalten und mit der dauerhaften Besetzung des Irak haben sich alle abgefunden.

Es ist dennoch zweifelhaft, dass dies das Ergebnis einer konsistenten politischen Planung von Seiten der US-Regierung sein soll. Die extrem dilettantische Vorbereitung der Invasion und die Art und Weise der Besatzungspolitik weisen indessen darauf hin, dass die eingetretene Entwicklung von Anfang an zumindest in Kauf genommen wurde. Da es nun aber so weit gekommen ist, glaubt man auch mit den bestehenden Zuständen seine Interessen wahren zu können. Die US-Politik ist flexibel genug, sich auf unterschiedliche Szenarien einstellen zu können. Ob die Rechnung so aufgeht, bleibt indessen ungewiss. Das hängt davon ab, ob das Land wenigstens militärisch so weit "befriedet" werden kann, dass das Öl einigermaßen sicher weggeschafft werden kann. Bisher ist das noch nicht so richtig der Fall. Gleichzeitig zerfällt der Irak mit Nachhilfe der Besatzungsmacht immer stärker in ethnisch-religiöse Zonen. Bräche er vollends auseinander, würde damit sowohl der Konflikt zwischen Kurdistan und der Türkei weiter eskalieren als auch die Annäherung des schiitischen Teils an den Iran befördert werden, der durch die Irak-Invasion ohnehin gestärkt wurde. Selbst dies könnte allerdings einem geostrategischen Kalkül folgen. Eine Macht, die ökonomisch angeschlagen ist und mit einem gravierenden Verlust an internationaler Legitimität konfrontiert ist, muss systematisch Konfliktherde schaffen, um ihre Interessen mit militärischer Gewalt durchsetzen zu können. Die US-Politik im Nahen Osten ist ein schlagendes Beispiel dafür.

Die gegenwärtige US-Regierung mag darauf vertrauen, dass auch solche Situationen militärisch handhabbar bleiben werden. Dass ihre Nachfolgerin – ganz unabhängig davon, wer die kommenden Wahlen gewinnt – an dieser Politik Wesentliches ändert, ist unwahrscheinlich. Einmal muss sie mit der Situation umgehen, die ihre Vorgängerin geschaffen hat und zum anderen bleibt auch sie von den Interessen der mächtigen Kapitalfraktionen abhängig. Schon ein Einblick in die Finanzierung des aktuellen Präsidentschaftswahlkampfs würde da wohl einigen Aufschluss geben.

© links-netz Januar 2008