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Tote Hose

Jamaica und die Folgen

Joachim Hirsch

Angesichts des Ergebnisses der Bundestagswahl vom September 2017 wurde gerne von einem politischen Beben gesprochen. Dabei war das Ergebnis insgesamt voraussehbar, abgesehen vielleicht von den hohen Verlusten der Unionsparteien, die die Wahlforscher wieder einmal nicht vorausgesehen hatten. Die Rede vom „Beben“ bezieht sich vor allem auf den Einzug der AfD in das Bundesparlament. Damit hat eine rechtsradikale Partei mit hohem Nazianteil auch im Bund die Ebene der institutionellen Politik erreicht, und dies als drittstärkste Fraktion. Dass jetzt wieder Nazis im Bundestag sitzen ist allerdings keineswegs neu. Sie wurden durchaus auch von anderen „demokratischen Parteien“ – von CDU/CSU ebenso wie von FDP und SPD – aufgestellt. Das Wahlergebnis bedeutet aber auf jeden Fall einen erheblichen Rechtsruck in der Parteienlandschaft. Großzügig gerechnet dürfte gerade noch ein Viertel der ParlamentarierInnen im weitesten Sinne der Linken zuzurechnen sein. Mit linken Themen lässt sich anscheinend kein Blumentopf mehr gewinnen. Die neoliberal-konservative Hegemonie scheint gefestigter denn je.

Der Erfolg der AfD hat viele Ursachen. Dazu gehört natürlich auch die Vernachlässigung der Interessen und Bedürfnisse breiter Gesellschaftskreise oder die nicht ausreichend vermittelte und schlecht geplante Flüchtlingspolitik der Merkel-Regierung. Er ist vor allem eine Konsequenz des neoliberal-autoritären Politikstils, der nicht nur in diesem Land seit langem herrscht und dafür sorgt, dass sich viele von „denen da oben“ nicht mehr vertreten fühlen und damit die liberale Demokratie zu einer Formalie zu werden droht. Dazu beigetragen hat auch der Mechanismus der Medienkonkurrenz, der im sensationsheischenden Streben nach Quote der AfD eine enorme Publizität verschaffte, wobei sie bei ihrem Image als Protestpartei auch von negativen Schlagzeilen profitieren konnte. Dass es sich für die anderen Parteien nicht auszahlt, wenn sie sich nach rechts profilieren, musste vor allem die CSU erfahren. Da wird dann schon eher das Original gewählt. Das hält aber in CDU und CSU nicht davon ab, nun eine „Rechtswende“ zu fordern. Dass die AfD im Osten so stark ist, kann im Übrigen auch als eine Folge der Fehler betrachtet werden, die bei der Angliederung der Ex-DDR gemacht wurden. Die Ostländer wurden praktisch zur Kolonie des Westens gemacht, was für die Menschen dort bedeutete, dass eine als feindlich wahrgenommene Herrschaft nur durch eine andere ersetzt wurde.

Insgesamt war festzustellen, dass die AfD-Programmatik den politischen Diskurs in der Zeit vor der Wahl maßgeblich bestimmt hat. Die Inszenierung des TV-Duells zwischen Merkel und Schulz, bei dem es fast ausschließlich um die „Flüchtlingsfrage“ ging, ist nur ein Beispiel dafür. Wenig aussagekräftig ist dagegen der Hinweis, bei den AfD-Wählern handle es sich im Wesentlichen um ökonomisch und sozial Abgehängte. Neuere Untersuchungen zeigen, dass sie ihre Wähler (die männliche Form ist hier weitgehend zutreffend) aus allen sozialökonomischen Schichten rekrutiert. Das weist darauf hin, dass rechtskonservative und rechtsradikale Milieus in der Gesellschaft weit verbreitet sind. Wenn die Wahlforscher nun feststellen, dass die AfD gerade in der von Globalisierungs- und Modernisierungsängsten geplanten „bürgerlichen Mitte“ Erfolg hatte, so verschleiert das nur diesen Zusammenhang. Neu ist, dass der rechtsradikale Stammtisch nicht mehr vereinzelt und privatisiert ist, sondern sich – vermittelt vor allem durch die so genannten Sozialen Medien – zu einer öffentlichkeitswirksamen Bewegung formen konnte. Dadurch konnte das immer schon vorhandene rechtskonservativ bis rechtradikale Milieu in der AfD seinen politisch-institutionellen Ausdruck und seine öffentliche Artikulationsmöglichkeit finden. Die inzwischen gängige Rede davon, dass der AfD-Erfolg eine wesentliche „kulturelle“ Dimension habe, verschleiert nur die Brisanz dieser Situation.

Angesichts des Wahlergebnisses blieb, nachdem die SPD sich für die Opposition entschieden hat, nur noch die „Jamaica-Koalition“ aus CDU/CSU, FDP und GRÜNEN für eine Regierungsbildung übrig. Ob es der SPD gelingen wird, sich aus dieser Rolle heraus zu erneuern, kann bezweifelt werden. Jedenfalls sind bei ihr weder das Personal noch auch nur ansatzweise Konzepte dafür zuerkennen, wie eine sozialdemokratische Politik auf der Höhe der Zeit aussehen müsste. Der kleine Erfolg bei den Landtagswahlen in Niedersachsen scheint dazu beizutragen, dass das personelle und programmatische „Weiter so“ beherrschend bleiben wird. Einer Partei, die eine Politik wachsender gesellschaftliche Spaltung und Ungleichheit in der Vergangenheit entscheidend mit zu verantworten hat, wird man wenig Glauben schenken, solange sie sich nicht personell und inhaltlich völlig neu aufstellt. Die Frage ist nur, von wem dies ausgehen sollte. Dass der rechte „Seeheimer Kreis“ nun die Führungspositionen in der Partei besetzt, lässt da keine Hoffnung aufkommen.

Eine grundlegende Misere des herrschenden Parteiensystems besteht darin, dass es angesichts seiner Rekrutierungsmechanismen an Leuten fehlt, die über die Verwaltung des Bestehenden hinausblicken und Ideen für die dringend anstehenden gesellschaftlichen Veränderungen entwickeln, Veränderungen, ohne die die Zukunft ziemlich düster aussieht. Wenn man über die Grenzen auf andere Länder blickt, wie jetzt gerade z.B. auf Österreich oder auch auf Tschechien, könnte man über Mutti Merkel und ihr Personal fast schon froh sein. Mehr allerdings nicht. Die Dynamik des neoliberal transformierten „Wettbewerbsstaates“ sorgt dafür, dass die Politik weiterhin im Wesentlichen den Interessen der „Märkte“ dienen wird. Auch das ist ein Grund dafür, dass Leute, die eine menschenwürdige gesellschaftliche Zukunft im Auge haben inzwischen eher im bunten Feld der „Nichtregierungsorganisationen“ zu finden sind.

Es besteht kaum ein Zweifel daran, dass die Jamaica-Koalition trotz der scheinbar großen Differenzen zwischen den beteiligten Parteien zustande kommen wird. Der täglich die Medien füllende Berliner Verhandlungszirkus soll nur verschleiern, dass man sich im Grundsatz einig ist und es im Wesentlichen darum geht, dem jeweiligen Wahlanhang ein Profil zu zeigen. Dafür sorgt nicht nur das Interesse an Posten und Pfründen, sondern auch der Umstand, dass alle bei einer Neuwahl weitere Verluste zu befürchten hätten. Man wird also gesichtswahrende Kompromisse finden, und das auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Dieser wird wirklich klein sein. Das bedeutet Stillstand und die Unfähigkeit, zentrale gesellschaftliche und politische Probleme auch nur anzugehen. Mit der FDP wird es keine weiteren Schritte zu einer vertieften europäischen Integration geben. Der französische Präsident Macron wird dabei in der deutschen Regierung noch weniger Rückhalt finden als bisher schon. Den Spaltungstendenzen innerhalb der EU wird also nicht Einhalt geboten und deren Krise weiter verschärft werden. Angesichts der grundsätzlich neoliberalen Orientierung des neuen Bündnisses steht ein grundlegender Umbau des Sozialstaats – etwa in Richtung auf einen konsequenten Ausbau der sozialen Infrastruktur – ohnehin nicht auf der Tagesordnung. Stillstand auf wesentlichen Politikfeldern bedeutet aber, dass Zukunft verspielt wird. Das mag angesichts der ökonomischen Schönwetterperiode, die das Land gerade aufweist erst mal zu keinen größeren Erschütterungen führen, Aber die nächste Krise kommt bestimmt.

© links-netz Oktober 2017