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Die Größenfrage: Lang oder Dick oder Beides?

Woran Edmund Stoiber die Größe der Kathedralen-Leitkultur erkennen will

Frieder Hirsch

"Es gibt eine in Jahrhunderten gewachsene Leitkultur in Deutschland. Also: Bei aller Toleranz: Kathedralen müssen größer sein als Moscheen", so Stoiber.*

Von der Pubertät bis zum Tode werden Männer, somit auch Edmund Stoiber, Nicolas Sarkozy und George W. Bush, von der Größenfrage geplagt. Umstritten ist dabei immer, was Größe eigentlich genau bedeutet.

Ein großes Volumen kann damit eigentlich nicht gemeint sein. Denn ein Ding, das niedrig ist, aber eine große Fläche bedeckt, kann mehr Volumen haben als ein Seidenfaden der in den Himmel reicht.

Im aktuellen Fall muss es Edmund also um die Länge gehen. Aber auch die Länge allein ist vermutlich nicht das, was ihn wirklich beschäftigt. Er hat sich bestimmt nicht vorgestellt, dass die Leitkultur-Kathedrale samt Türmen flach am Boden liegt. Dabei bliebe das Volumen der Kathedrale nämlich gleich groß. Bei einer flach gelegten Moschee natürlich auch. Nein, es ist vielmehr zu vermuten, dass er die erigierte Länge meint, also die himmelwärts strebenden Türme der Kathedralen und die Minarette der Moscheen. Leider bleibt trotz dieser semiotischen Analyse des Stoiberschen Gedankenguts immer noch offen, was Edmund mit Größe gemeint haben könnte.

Nachdem die Längegrößen Frage wenigstens geometrisch einigermaßen sinnhaft erschlossen ist, bleibt rätselhaft, weshalb Edmund Stoiber nicht gefordert hat, dass Kathedralen länger als Wolkenkratzer sein müssen. Bekanntlich gibt es eine Menge Hochhäuser und Wolkenkratzer von Banken, Versicherungen und Konzernen hier und in der globalisierten Welt, die allesamt länger als Kathedralentürme und Minarette sind und sogar mehr Volumen als diese haben, geometrisch gesehen also nicht nur erigiert-länger, sondern auch größer sind.

Stoibers Verknüpfung von Leitkultur mit erigierter Längengröße führt zu folgender Vermutung:

Die erigierte Längengröße ist direkt proportional der Größe der Leitkulturen.

Die Wolkenkratzer-Leitkultur ist demnach größer als die Kathedralen-Leitkultur und die Moscheen-Leitkultur.

Leitkultur-Größenbehauptungenwerden oft praktisch-gewalttätig kritisiert. Dabei richtet sich Kritik nicht immer direkt gegen unbewegliche Leitkultursymbolewie Wolkenkratzer, Kathedralen, Moscheen, oder Tempel aller Art, sondern auch gegen mobile Leitkultursymbole wie Bücher, die Anhänger der darin beschriebenen Leitkultur-Mythenoder -Theorien sowie deren menschliche Symbolfiguren.

Ein Beispiel für Leitkultur-Kritik, die sich gegen Immobilien richtet, ist jene praktisch-gewalttätige Kritik, die am 11. September 2001 zum Einsturz zweier Wolkenkratzer führte.EinBeispiel für Leitkultur-Symbolfiguren-Kritik ist die Bombardierung und Erstürmung der Moneda, dem Regierungssitz von Salvador Allende, ebenfalls an einem 11. September, jedoch 1973, mit Hilfe der Christian Intervention Army (CIA) der USA. In diesen und in anderen bekannten Größenvergleichsfällen wurden Flugkörper eingesetzt, die drei weitere Dimensionen in die Größenfrage einführen: die Höhe (Meter über Normal Null), die Geschwindigkeit (zurückgelegte Wegstrecke geteilt durch die dazu benötigte Zeit v=s/t) und die Zerstörungsmacht (gemessen in Kilotonnen TNT). Diese drei Dimensionen bilden die dynamischen Aspekte der Leitkulturen.

Da die Interventionen der Christian Intervention Army zur Demonstration der Größe der Wolkenkratzer-Leitkulturdurchaus öfter kurzfristig erfolgreich waren, wird verständlich, weshalb Edmund Stoiber nicht gefordert hat, dass Kathedralen länger sein müssen als Wolkenkratzer. Damit hat er die praktische Kritik der Wolkenkratzer-Leitkulturan der Kathedralen-Leitkultur vermieden und so einer dynamischen Kürzung eines Symbols der Kathedralen-Leitkultur, der Münchner Frauenkirche, erfolgreich Widerstand geleistet. Er hat sich zudem klammheimlich mit der Wolkenkratzer-Leitkultur verbündet, um gegebenenfalls Unterstützung für praktisch-dynamische Kritik an der Moscheen-Leitkultur zu bekommen. Diesem Zweck dient auch die dynamische Verbreitung von Mini-Symbolen der Kathedralen-Leitkultur, der Kruzifixe, in alle Klassenzimmer und die globalisierte Welt.

Wenn Stoibers Wunsch also Wirklichkeit wird, ist wieder einmal sichergestellt, dass es keine Moscheen geben wird, die höher sind als Wolkenkratzer. Und die Wolkenkratzer-Leitkulturbleibt unangetastet die Größte.

Der "Stoiber-Pfeil", der geplante Transrapid vom Münchner Hauptbahnhof zum Franz-Josef-Strauß-Flughafen,ist ein weiterer Beweis für die Größe der Wolkenkratzer-Leitkultur. Ob dieser dann größer werden darf als die Kathedralen (insbesondere die Münchner Frauenkirche), ist noch nicht ausgemacht. Mit Sicherheit wird das 1,8 Milliarden EURO-Projekt aber nach Fertigstellung auch die wohlwollende Zustimmung der Wolkenkratzer bekommen – und den Segen der Kathedralen.

Darüber hinaus hätte Edmund sich damit nun wirklich eine schöne Barke für die Fahrt über den Styxzugelegt. Eine passende Münze als Obolus für den Fährmann Charon wird sich dank Wolkenkratzer-Leitkultur dereinst schon finden. Fragt sich nur, ob sie auch in Edmunds Mund passt.

Anmerkungen

* dpa-Meldung: Stoiber "Kathedralen müssen größer sein als Moscheen", veröffentlicht in der Frankfurter Rundschau (fr-online) am 21.09.2007 (zuletzt besucht: 21.09.2007)Zurück zur Textstelle

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