Home Archiv Links Intern Editorial Impressum
 
 
Neue Texte
 

Schwerpunkte

Sozialpolitik als Infrastruktur
Ende der Demokratie?
 

Rubriken

Deutsche Zustände
Neoliberalismus und Protest
Bildung
Krieg und Frieden
Biomacht und Gesundheit
Kulturindustrie
Theorie: Empire, Kommunismus und andere Angebote
Rezensionen
 
 

Anzeige

Deutsche Zustände Übersicht

 

  Nur Text    rtf-Datei    pdf-Datei 

Koalitionszirkus

Joachim Hirsch

Es heißt, die bundesrepublikanische Parteienlandschaft sei mit den Erfolgen der „Linken“ bei den letzten Landtagswahlen in Bewegung geraten. Das ist immerhin insoweit der Fall, als das Koalitionsgezerre und die es begleitende Medienhysterie beachtliche Dimensionen erreicht haben. Bei den politischen Inhalten sucht man Bewegung allerdings weiterhin vergebens. Den Parteien geht es vor allem um taktische Positionierungen mit Blick auf die Bundestagswahl im nächsten Jahr. Indessen ist ganz überraschend die Moral in die Politik zurückgekehrt. Groß ist das Lamento über Lüge, Täuschung und gebrochene Wahlversprechen, als gehörte dies nicht schon immer zum politischen Alltag. Und plötzlich kommt bei Abgeordneten sogar wieder das Gewissen vor.

Eigentlich haben die Wahlen in Hessen, Niedersachsen und Hamburg nur Verlierer hinterlassen. An erster Stelle die Grünen, die von allen Parteien die höchsten relativen Verluste eingefahren und somit verstärkt Anlass haben, über ihre politische Zukunft nachzudenken – insbesondere wenn sie sich nun auch auf Länderebene auf Koalitionen mit der CDU einlassen. Das könnte den verbliebenen linken Teil ihrer Wählerschaft so verschrecken, dass die Fünfprozenthürde droht. Die FDP hat als Wurmfortsatz der CDU von deren unzufriedenen Wählern profitiert, aber in Hamburg wieder nicht den Einzug in das Landesparlament geschafft. Die CDU hat vor allem in Hessen mit Koch ein echtes Debakel erlebt. Koch ist nicht hauptsächlich an seiner rassistischen Kriminalitätskampagne gescheitert. Diese hat er erst als letzten Notbehelf losgetreten, als in den Umfragen die hohen Stimmenverluste für seine Partei absehbar wurden. Seine Kampagne war nicht nur rassistisch und fremdenfeindlich, sondern machte unverkennbare Anleihen bei der Nazi-Propaganda, wenn auf den plakatierten Warnungen vor einem „Linksblock“ nicht nur „Kommunisten“, sondern auch Kandidaten anderer Parteien mit ausländisch klingenden Namen angeprangert wurden. Daran hat sich indessen kaum jemand gestört. Für die deutsche politische Öffentlichkeit ist halt traditionsgemäß „links“ und nicht „rechts“ das Problem.

Das hessische Ergebnis war eine Quittung für dieses ziemlich durchsichtige Wahlkampfmanöver, vor allem aber für eine Politik, die das Land ökonomisch immer weiter zurückfallen ließ und ihm eines der chaotischsten und verlottertsten Bildungssysteme bescherte. Insbesondere die Bildungspolitik erwies sich in Hessen als wahlentscheidend, weil sie auch bei den CDU-nahen Mittelschichten zu erheblichen Verunsicherungen geführt hat. Kochs fundamentalistische Kultusministerin Wolf hatte es geschafft, selbst konservative Lehrer- und Elternverbände gegen sich aufzubringen. Die nie („brutalmöglichst“) aufgeklärten Skandalgeschichten der Koch-Regierung spielten keine große Rolle mehr. Sie scheiterte an ihrer Inkompetenz. Das heißt, dass die WählerInnen mehr Vernunft und Urteilsvermögen bewiesen haben, als man ihnen gemeinhin zutrauen mag. Dass die rassistische Kampagne nicht gezogen hat, könnte man als Anzeichen für die Existenz einer politischen Kultur werten, die man bei denen meist vergebens sucht, die besonders gerne davon schwadronieren.

Die SPD hat dagegen in Hessen beachtliche Prozentpunkte dazu gewonnen, mit denen sie allerdings nichts anzufangen weiß. Wenn man von einem „Wählerwillen“ sprechen wollte, dann wäre das eine Koalition mit den Grünen und der Linkspartei, denn für die Ablösung von Koch gab es eine Mehrheit. Darüber hinaus bestehen zwischen diesen Parteien programmatisch relativ große Übereinstimmungen. Der nach langem Hin und Her und schließlich mit zögerlicher Unterstützung durch Beck unternommene Versuch der Landesvorsitzenden Ypsilanti, sich mit den Stimmen der Linkspartei zur Ministerpräsidentin wählen zu lassen, ist schon im Vorfeld an ihrer eigenen Partei gescheitert. Dass sie Konsequenzen aus einem demokratischen Wahlergebnis ziehen wollte, hat sie und insbesondere Beck in der Medienöffentlichkeit „beschädigt“. Ypsilanti ist nicht zuletzt über parteiinterne Intrigen gestolpert, woran man sieht, dass möglicherweise ganz andere als die Linkspartei die Bezeichnung wirrer Haufen verdienen. Und so bleibt Koch eben geschäftsführender Ministerpräsident, bis irgendeine Partei dann doch noch umfällt. Schon aus ästhetischen Gründen ist das eine rechte Zumutung.

Eine irgendwie geartete Zusammenarbeit der SPD mit der Linkspartei wäre allerdings auch riskant gewesen. Von ihr abhängig, hätte Ypsilanti versuchen müssen, ihre Wahlversprechen einzulösen, z.B. die Studiengebühren abzuschaffen oder die Atomkonzerne zu stoppen. In einer Partei, die der politischen Stimmungslage folgend das Soziale gerade mal rhetorisch pflegt, aber ansonsten mehrheitlich fest an ihrem neoliberal-kapitalkonformen Kurs festhält, war das nicht durchsetzbar. So bleiben Wahlversprechen eben Wahlversprechen – auch dies ein Beitrag zum Thema Wählerbetrug. Herausgekommen ist eine gespaltene und in offene Flügelkämpfe verwickelte SPD, bei der eine klare politische Orientierung überhaupt nicht mehr zu erkennen ist. Ob sie sich von diesem Debakel bis zur nächsten Bundestagswahl noch wird erholen können, bleibt fraglich. Offensichtlich bemühen sich starke Kräfte in der Partei, sie partout in der vielbeschworenen „Mitte“, was heißt bei der Allianz von Kapital und Besserverdienenden zu halten. Dort gibt es allerdings bereits ein erhebliches Parteiengedrängel, ganz abgesehen davon, dass sich an diesem Ort als Folge der auf gesellschaftliche Polarisierungs- und Spaltung zielenden Politik immer weniger WählerInnen aufhalten .

Wenn es also eine Gewinnerin gibt, so ist es vorerst die Linkspartei. Nicht nur konnte sie in drei westdeutsche Landtage einziehen, sondern die über den Umgang mit ihr ausgebrochene öffentliche Hysterie hat ihr, die sonst lieber totgeschwiegen wird, eine beachtliche Medienpräsenz verschafft. Sie ist sozusagen zum Knackpunkt aller möglichen Koalitionsspiele geworden, möglicherweise sogar nach der nächsten Bundestagswahl. Ob sie in der Lage ist, aus dieser Situation politischen Nutzen zu ziehen, bleibt allerdings zweifelhaft. Insofern scheint die um sie ausgebrochene Hysterie stark übertrieben. Diese resultiert jedoch nicht nur aus einer medialen Eigendynamik. Der neoliberale Einheitskurs der etablierten Parteien stößt offenbar auf eine wachsende Ablehnung in der Bevölkerung. Die Stimmen für die Linkspartei sind zum großen Teil als Protest gegen die herrschende Politik insgesamt zu werten. Das ist die Folge einer Krise der Repräsentation, die alle etablierten Parteien betrifft. Bei der politischen Klasse, den mit ihr verbandelten Medien und denen, die hinter ihnen stehen wächst die Furcht, das herrschende Parteienkartell könnte vollends aus den Fugen geraten. CDUCSUSPDFDPGrüne reagieren darauf, indem sie sich noch stärker in ihrer Wagenburg einigeln und die störende Konkurrenz nach Möglichkeit ausgrenzen. Medien und Verfassungsschutz erweisen sich dabei als höchst hilfreich. Die allfälligen Spekulationen über rot-grüne, schwarz-grüne oder „Jamaika“-Koalitionen verdecken nur, dass in diesem Lande inzwischen flächendeckend eine ganz große Koalition aus eben diesen Parteien herrscht und dass diese ungeachtet der katastrophalen Folgen ihrer Politik auf jeden Fall so weitermachen will. Damit hätte sich wieder einmal erwiesen, dass Wahlen eben doch nicht viel verändern.

Dabei bleibt allerdings zu berücksichtigen, dass Parteien gegebenenfalls Regierungen bilden, die reale Macht aber woanders liegt. Wirklich frei sind die Parteien bei ihren Koalitionsmanövern keineswegs. Da gibt es die einschlägigen Geldgeber, diejenigen, die Pöstchen verschaffen wenn die politische Karriere aus ist, diejenigen, die mit ihren Investitions(nicht)entscheidungen der Politik ihre Bedingungen diktieren und schließlich internationale ökonomische und militärische Machtverhältnisse. Das Schicksal vieler reformorientierter Regierungen legt Zeugnis davon ab, was dies bedeutet, auch wenn wegen der Linkspartei selbst die CIA hierzulande wohl keinen Putsch anzetteln würde. Immerhin hat selbst Beck nicht zuletzt deswegen, aus „außenpolitischen Gründen“, wie es so schön heißt, ein Zusammengehen mit der Linkspartei auf Bundesebene ausgeschlossen. Eine politische Reorientierung in Form eines wie auch immer gearteten Zusammengehens mit dieser eher traditionell sozialdemokratisch orientierten Partei würde die SPD angesichts der herrschenden Machtverhältnisse in der Tat wohl kaum durchstehen können, sofern sie nach den nächsten Bundestagswahlen überhaupt noch eine wichtige Rolle spielen sollte. Aussichtsreich wäre ein solcher Kurswechsel nur dann, wenn sich die politischen Kräfteverhältnisse außerparlamentarisch entscheidend verändern würden, wofür es derzeit keinerlei Anzeichen gibt.

Für die Linkspartei könnte es ein Vorteil sein, nicht in die „Regierungsverantwortung“ eingebunden zu werden und damit die Politik mitmachen zu müssen, die die eigentlichen Machthaber wünschen. Sollten sie allerdings mehr werden wollen als eine Protestpartei mit konjunkturell beschränkten Perspektiven, dann müssten sie eine Programmatik und Politikform entwickeln, die über das Bestehende hinausweist. Angesichts ihrer politischen und personellen Kapazitäten erscheint dies momentan mehr als zweifelhaft.

© links-netz März 2008