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Die Krim-Krise und ihre Profiteure

Joachim Hirsch

Nun gibt es also zu der nicht enden wollenden ökonomischen auch noch eine ausgewachsene politische Krise, mit der russischen Annexion der Schwarzmeer-Halbinsel als Höhepunkt. Und natürlich wird darüber gestritten, wer sie verursacht hat. Es lohnt sich aber zu fragen, wer eigentlich davon profitiert. Da ist zunächst einmal die unter massiver westlicher Mitwirkung nicht so richtig verfassungsgemäß zustande gekommene, äußerst dubios zusammengesetzte und gewisse Legitimitätsdefizite aufweisende ukrainische Regierung, die sich nun als Opfer stilisieren und nationale Gefühle mobilisieren kann, genauso wie Putin das auf der anderen Seite in Siegerpose tut. Herrschaftssicherung also. Nationalistische Rhetorik kann in der Ukraine die Bevölkerung für eine gewisse Zeit auch darüber hinwegtäuschen, was ihr blühen wird, wenn der Internationale Währungsfonds und die EU mit ihren Strukturanpassungsprogrammen kommen, die zur Bedingung für die dringend benötigten Kredite gemacht werden. Auch die Waffenproduzenten, die zuletzt unter gewissen Absatzproblemen zu leiden hatten, dürften sich freuen – wird doch jetzt nun allenthalben wieder aufgerüstet. Sogar Merkel und Steinmeier profitieren, können sie durch entschlossenes Auftreten die politischen Untaten der großen Koalition in den Hintergrund rücken lassen. Ähnliches gilt für die EU, deren Politik die Krise erst heraufbeschworen hat.

Der EU-Kommission ebenso wie den europäischen Regierungen hätte eigentlich klar sein müssen, dass ein Assoziierungsabkommen mit der Ukraine Russland nicht gleichgültig lassen konnte. Immerhin wurde die 1989 von den US-amerikanischen und deutschen Außenministern Baker und Genscher gegenüber Gorbatschow gemachte Zusage, bei der Aufnahme der baltischen Staaten in die EU die NATO nicht bis an die russische Grenze auszudehnen, kurzerhand gebrochen. Die Aussicht, dass der Stützpunkt der russischen Schwarzmeerflotte auf der Krim eines Tages der NATO zufallen würde, konnte die Russen sicher nicht gerade erfreuen. Die hastige Entscheidung des plötzlich politisch gewendeten ukrainischen Parlaments, in den russischsprachigen Landesteilen Russisch als zweite Amtssprache abzuschaffen, hat wohl auch nicht zur Beruhigung beigetragen. Ob der jetzt in Gang gesetzten Mission der OSZE, die sich um die Rechte der Minderheiten in der Ukraine kümmern soll, Erfolg beschieden sein wird, bleibt abzuwarten.

Nun ist viel vom Völkerrecht die Rede, und zwar gerade bei denen, die es in der jüngsten Vergangenheit öfters selbst gebrochen haben. Natürlich ist das russische Vorgehen ein Völkerrechtsbruch. Aber das Völkerrecht ist immer schon durch Machtpolitik und die Durchsetzung geostrategischer Interessen überlagert worden. In der Presse war gelegentlich von einem neuen Kalten Krieg zwischen Russland und dem Westen die Rede. Das ist nicht nur deshalb falsch, weil es keineswegs um einen ideologischen Systemkonflikt geht, sondern eben um die alte Sorte von (Groß-) Machtpolitik, die es seit der Entstehung des modernen Staatensystems gibt. Das ist auch bei den aktuellen Auseinandersetzungen der Fall. Völkerrecht ist im Übrigen, anders als der Name besagt, Staatenrecht und hat das Prinzip staatlicher Souveränität zu seiner Grundlage, zunächst einmal ganz unabhängig von den jeweiligen inneren Verhältnissen. Daneben und gelegentlich im Widerspruch dazu gibt es Menschenrechte und das Selbstbestimmungsrecht, von dem gegenwärtig überhaupt nicht die Rede ist (und was das mit Russland verbündete China in die Bredouille bringt, hat es doch mit nach Eigenständigkeit strebenden Minderheiten innerhalb seiner Grenzen zu tun). Die ebenfalls völkerrechtswidrige Kosovo-Intervention wurde von der deutschen Regierung mit eben diesem Selbstbestimmungsrecht und humanitären Gründen legitimiert. Und die dafür mitverantwortlichen GRÜNEN rechtfertigen die Politik gegenüber Russland und der Ukraine immer noch mit „westlichen Werten“.

Dass der Westen, also die USA und die EU mit Sanktionen reagiert ist selbstverständlich, muss man doch auch seine Machtinteressen wahrnehmen und versuchen, Russland in die Schranken zu weisen. Die Sanktionen sind allerdings eher symbolischer Art und recht zahnlos. Im Unterschied zu den Zeiten des Kalten Kriegs bestehen nämlich enge wirtschaftliche Verflechtungen über die Grenzen der Machtblöcke hinweg. Das betrifft nicht nur das Gas, von dem die EU-Staaten abhängig sind. Russland ist nämlich mit seiner maroden Infra- und Industriestruktur auch für die westliche Wirtschaft als Investitions- und Absatzgebiet inzwischen hoch interessant, gerade auch für die deutsche. Auch das ist ein Grund dafür, dass die Politik der Bundesregierung ungeachtet aller scharfen Rhetorik auf „Besonnenheit“ und „Diplomatie“ gesetzt hat. Da werden Merkels Freunde aus der Wirtschaft etwas mitgeredet haben. Gelassenheit ist auch angebracht, wird der Konflikt doch im Wesentlichen zugunsten des Westens ausgehen. Putin bekommt die Krim und der Westen die Ukraine, also das, was ursprünglich beabsichtigt war. Eine Rücksichtnahme auf Russland und dessen Interessen ist insoweit nicht mehr erforderlich.

Ein wesentlicher Aspekt der Krise war der mediale Umgang damit. Die Medien haben sich nicht damit begnügt, die Äußerungen der Parteien und der Regierung nachzuerzählen, sondern haben sie noch zusätzlich orchestriert. Man kennt die sorgsam ausgewählten Bilder und Interviews. Es wäre schon geholfen gewesen, wenn wenigstens die Positionen beider Seiten und die dabei jeweils wirksamen Interessen dargestellt worden wären. Kritisches Hinterfragen war sowieso nicht angesagt. Das blieb dem Kabarett überlassen, wobei die „Heute-Show“ und die „Anstalt“ des ZDF recht einsam hervortraten. Eine Situation also fast wie einst in der DDR, wenngleich mit dem wichtigen Unterschied, dass es dafür noch einen Platz im Fernsehen gab. Aber es ist schon bemerkenswert, wo heute noch Informationen über Krisen, ihre Ursachen und Hintergründe zu haben sind.

© links-netz März 2014