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Präsidentiale Krisenanalyse

Joachim Hirsch

Bundespräsident Köhler hat kürzlich der Süddeutschen Zeitung ein Interview gegeben (SZ Nr.288 v. 11.12.08). Darin steht die bemerkenswerte Äußerung, man brauche dringend eine systematische Ursachenanalyse der gegenwärtigen Wirtschaftskrise. Dazu benötige man Sachverständige und unabhängige Persönlichkeiten. Unabhängig von wem wohl? Mit den Sachverständigen kann er kaum die üblichen Wirtschaftsberater gemeint haben, die sehr viel von Honoraren, einiges von Medien und so gut wie nichts von dem verstehen, für dessen Analyse sie bezahlt werden. Selbst SPD-Fraktionschef Struck hat dem so genannten Sachverständigenrat erst kürzlich seine völlige Überflüssigkeit bescheinigt. Man könnte die Ursachenanalyse indessen durchaus etwas weniger großspurig angehen. Z.B. indem man bei einem schon recht alten Autor nachlesen würde, der mit einem sich ebenfalls kapitalismuskritisch gebenden Bischof den Namen teilt. Er heißt Marx und von ihm ist in letzter Zeit wieder öfters die Rede. Wenn man verstehen will, was auf den „Märkten“ gegenwärtig so passiert, kommt man um ihn nicht herum. Das hat er den heutigen wirtschaftswissenschaftlichen Exzellenzclustern voraus. Dem „strengen Marktwirtschaftler“, wie die SZ den Bundespräsidenten bezeichnet, sind das allerdings wohl eher böhmische Dörfer. Das Ergebnis einer derartigen Lektüre könnte im Übrigen etwas beunruhigend sein, käme dabei doch heraus, dass der Kapitalismus nicht irgendwie mal Krisen hat, sondern die Krise ist.

Wenn Köhler etwas von Kapitalismus verstünde, so würde er wohl kaum davon reden, dass dieser so „gestaltet“ werden müsste, dass er „für alle den Wohlstand im eigenen Umfeld fassbar macht und alle Menschen am Fortschritt teilhaben lässt..., faire Handelsverträge für die Entwicklungsländer garantiert und die Doppelmoral der Industrieländer abbaut“. So spricht der ehemalige Chef des Internationalen Währungsfonds, der einiges von dem zu verantworten hat, was er jetzt beklagt. Wie war das noch mit den Privatisierungs- und „Strukturanpassungs“-Programmen, die viele Millionen in die Armut gestürzt haben? Selbstverständlich entdeckt er dabei auch die „Soziale Marktwirtschaft“ wieder, nicht ohne sie gleich noch zum Exportmodell zu stilisieren. Er meint wohl, die Welt könne an einer Propagandaformel genesen, deren sozialstaatlicher Inhalt längst entsorgt ist. Vielleicht gehört auch Köhler zu dem vom „Spiegel“ gepriesenen neuen Politikertyp, dem „in der extrem schnelllebigen Politik dieser Zeit die Überzeugung von gestern der Irrtum von heute ist“ (Nr.50/2008, S.64). Diese Eigenschaft teilt er mit seiner Kanzlerin und noch einer ganzen Reihe anderer tonangebender Personen in Politik und Medien. Muss man ihm das übel nehmen? Das Geschwätz von gestern ist in unserer schelllebigen Zeit in der Tat gleich wieder vergessen. Oder wie war das mit den vielstimmigen Lobeshymnen auf die „Globalisierung“ und die Segnungen freier Märkte?

Immerhin will Köhler darüber nachdenken, „wie moderne Demokratien die Komplexität politischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Prozesse so meistern können, dass sie für die Bürger einleuchtend bleiben“. Was heißt, dass es „Prozesse“ nun mal gibt und man als Politiker daran auch nichts Grundsätzliches ändern kann. Das schafft allerdings ein Vermittlungsproblem. Das ist sozusagen das Gegenteil von Information und Aufklärung. Könnten die Leute klarer durchschauen, was die Politik so treibt und welche Interessen hinter den politischen Entscheidungen stehen, dann würde die „moderne Demokratie“ möglicherweise zu einer etwas realeren und damit ganz schnell zu einem Problem für die Herrschenden. Bei dem, was auf der Welt so passiert, kann man auf jeden Fall schon mal den Überblick verlieren. Vielleicht sind die Dinge inzwischen wirklich so „komplex“ geworden, dass sie auch das Politik und Meinung führende Personal nicht mehr zu durchschauen vermag. Dieser Anschein drängt sich auf – ein Umstand, der allerdings noch bedrohlicher ist als die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise.

Köhler will es aber nicht bei der Analyse lassen, sondern denkt auch über Rettungswege nach. „Menschen haben die Krise angerichtet, Menschen können sie auch lösen“. So einfach ist das. Gesellschaftliche Strukturen und ihre Veränderung stehen nicht zur Debatte. Diese gibt es nun mal und man muss halt ordentlich damit umgehen. Verantwortungsbewusst und ethisch vor allem. Klar, dass es dem „strengen Marktwirtschaftler“ bei den Milliardensubventionen für Banken und Industrie irgendwie „graust“. Aber es gibt halt keine Alternative. Den Königsweg in eine bessere Zukunft sieht Köhler in einer Wiederbelebung der „Konzertierten Aktion“ zwischen Staat und Sozialpartnern. Man weiß, dass diese in der Vergangenheit den Zweck hatte, die Gewerkschaften von angemessenen Lohnforderungen abzuhalten. Genau das meint der Präsident auch. Vor der IG-Metall, die in gewohnt kämpferischer Manier gerade eben einen Tarifabschluss hingekriegt hat, der unterhalb der Inflationsrate liegt und damit erneut eine Reallohnsenkung bedeutet, „ziehe ich meinen Hut“. Hauptaufgabe der „Sozialpartner“ sei eben, Arbeitsplätze zu sichern. Das habe „eine moralische Qualität, die überzeugt und stabilisiert“. Die Profite auf jeden Fall. Das ist die oberste Priorität im Kapitalismus und das steht in der Regel zur Debatte, wenn von Arbeitsplätzen geredet wird. Dem „strengen Marktwirtschaftler“ kommt nicht einmal in den Sinn, dass eine permanent weiter geführte Umverteilung von unten nach oben die strukturelle Krise der Ökonomie nur verschärft.

Man sieht also: bei Köhler hört die Analyse da auf, wo es um gesellschaftliche und ökonomische Strukturen geht. Dass diese auf keinen Fall angetastet werden sollen, macht er auch auf einem anderen Feld deutlich. Das deutsche Schulsystem mit seiner hohen sozialen Selektivität ist nicht nur schreiend ungerecht, sondern stellt mittlerweile auch eine Bedrohung für den wirtschaftlichen Standort dar. Das dämmert auch ihm irgendwie. Er gibt zu, dass es „Versäumnisse“ gegeben hat. Was dagegen zu tun ist? „Jedenfalls keine ewigen Schulstrukturdebatten“. Stattdessen etwas mehr und besser ausgebildete Lehrer, die gesellschaftlich anerkannt werden, plus Psychologen und Sozialarbeiter „an den Brennpunkten“. Das Motto ist dasselbe wie in der Wirtschaft: die Misere besser verwalten und Auswüchse vermeiden.

Mit anderen Worten: wir haben einen Präsidenten, der in der Art und Weise, wie er die Probleme lösen will, selbst ein Teil davon ist. Damit steht er freilich nicht allein. Er ist ein würdiger Repräsentant der herrschenden politischen Klasse und bringt deren Unbedarftheit perfekt zum Ausdruck. Dies begründet wohl seine medial hergestellte Popularität. Seine Wiederwahl dürfte jedenfalls sicher sein.

© links-netz Dezember 2008