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Was wird mit und aus der Linkspartei?

Joachim Hirsch

In der neu gegründeten linken Partei herrscht Optimismus. Der Zusammenschluss von PDS und WASG wurde erfolgreich über die Bühne gebracht. Ein schönes Ergebnis bei der letzten Landtagswahl und viele Neueintritte scheinen einen bis dahin ausgebliebenen Erfolg im Westen zu signalisieren.

In der SPD herrscht dagegen verständlicherweise Nervosität, scheint der Aufstieg der Linkspartei ihr nun doch die Quittung für ihre neoliberale Politik auf dem Feld zu präsentieren, das allein noch zählt: bei Ämtern und Mandaten. Bisher konnte man sich schön damit einrichten, dass die WählerInnen halt in immer größerer Zahl zuhause blieben, weil es nichts zu wählen gab. Jetzt droht eine „Wahlalternative“. Deshalb ist es kein Wunder, dass etliche SPD-Politiker Schaum vor dem Mund haben und sich zu den absurdesten Denunziationen versteigen. In der Tat hat die SPD eine Menge Probleme: Die endgültige Etablierung einer Partei links von ihr auf der parlamentarischen Ebene stellt ihre Regierungsfähigkeit für unabsehbare Zeit in Frage und würde zumindest Koalitionsbildungen noch schwieriger machen. Mit der Linken zusammengehen kann sie nicht, weil sie politisch dadurch noch mehr in die Defensive geriete. Bleibt also nur der Ausweg, sie außerhalb des Staatsparteienkartells zu halten und politisch nach Möglichkeit auszugrenzen. Das allerdings hieße auch, dass für sie jenseits der großen Koalition mit ihrem perspektivlosen Sichdurchwursteln kaum mehr eine Regierungsalternative besteht. Genau dadurch würde der linken Partei der Spielraum für das eingeräumt, was man ebenso gerne wie gebetsmühlenhaft als verantwortungslosen „Populismus“ brandmarkt.

Dieser Begriff ist hierzulande inzwischen gängige Münze in der politischen Auseinandersetzung und hat eine fast inflationäre Verbreitung gewonnen. Populisten sind natürlich immer die anderen. Bei der linken Partei ist damit vor allem Lafontaine gemeint, der geschickt das aufgreift, was viele Leute fühlen und denken und damit für Verunsicherung tief in die Mitglieder- und Wählerschaft der SPD hinein sorgt. Immerhin stimmen nach Umfragen größere Teile der Bevölkerung mit seinen Forderungen, etwa in der Wirtschafts- und Sozialpolitik oder in Bezug auf die Militäreinsätze der Bundeswehr überein. Indessen kann sich, um nur ein Beispiel zu nennen, durchaus auch Schäuble mit seinen Sicherheitsstaatsorgien der Zustimmung einer (Meinungs-) Mehrheit gewiss sein. Und das galt weiland auch für Clement, wenn er gegen Sozialschmarotzer polemisierte. Es haftet also der Verwendung des Populismusbegriffs eine gewisse Beliebigkeit an.

Allerdings gibt es strukturelle Gründe für seine Konjunktur. Sie liegen darin, dass sich im Zuge der neoliberalen Umstrukturierung des Kapitalismus und der damit verbundenen Transformation des Staates der Charakter des Parteiensystems erheblich verändert hat. Angesichts dessen, dass die Sicherung des Kapitalprofits erste Priorität hat und die Politik diesem „Sachzwang“ gehorsam folgt, beschränken sich die etablierten Parteien immer stärker darauf, eine Politik durchzusetzen und zu legitimieren, die eindeutig gegen die Interessen der Bevölkerungsmehrheit gerichtet ist. Statt Interessen zu bündeln und in die politischen Entscheidungsprozesse einzubringen, haben sich die einstigen „Volksparteien“ gewissermaßen zu Parteien der ökonomisch Herrschenden gegen das Volk verwandelt. Daraus resultiert etwas, was man als eine permanente Krise der institutionalisierten Repräsentation bezeichnen kann: Die Leute fühlen sich durch die etablierte politische Klasse nicht mehr vertreten. Diese versucht immer wieder, ihren Glaubwürdigkeitsverlust durch rassistische, nationalistische und wohlfahrts-chauvinistische Legitimationsstrategien zu kompensieren und konstruiert ständig neue Bedrohungen und Feindbilder, gegen die es zusammen zu stehen gilt. Einer Partei wie der „Linken“, die nicht zum herrschenden Kartell von CDU/CSU/SPD/FDP/GRÜNE gehört, fällt es um so leichter, vernachlässigte materielle Interessen aufgreifen, um Wahlerfolge zu erzielen. Man sieht also: „Populismus“ ist in einer inzwischen höchst defekten Demokratie allgegenwärtig, hat aber durchaus verschiedene Inhalte.

Die entscheidende Frage ist, in welcher Weise mit gesellschaftlichen Problemen und Interessen umgegangen wird. Als Protestpartei, die sie immer noch wesentlich ist, neigt die „Linke“ dazu, sich als Sprachrohr für Frust und Enttäuschungen zu geben und dabei durchaus auch problematische Ressentiments und Vorurteile zu bedienen. Als politisches Ziel propagiert sie im Wesentlichen die Wiederherstellung früherer besserer Zustände, konkret des fordistischen Sozial- und Interventionsstaats. Dabei droht auf der Strecke zu bleiben, dass heute nicht die Rückkehr zu den – im Übrigen gar nicht so guten – alten Verhältnissen, sondern die Durchsetzung ganz neuer Formen von Vergesellschaftung und Politik auf der Tagesordnung steht. Genau genommen geht es nicht nur um den Gegensatz von Kapital und Arbeit, von Reich und Arm, sondern um praktisch alle Facetten des hier herrschenden Lebensstils einschließlich der damit verbundenen Naturverhältnisse. Im links-netz haben wir am Beispiel der Sozialpolitik auszubuchstabieren versucht, was dies bedeuten könnte. Es reicht also nicht aus, den vorhandenen Interessenwahrnehmungen und Bewusstseinsinhalten Ausdruck zu verleihen, sondern es ginge darum, diese selbst zu verändern. Emanzipatorische Politik muss in gewisser Weise gegen herrschende gesellschaftliche und politische Orientierungen angehen. Die GRÜNEN haben dies am Beginn ihrer parlamentarischen Karriere, bevor sie sich zur Staatspartei mauserten, in Bezug auf die Ökologiefrage und das gesellschaftliche Naturverhältnis mit einigem Erfolg geschafft.

Für die Linkspartei ist die Situation heute allerdings sehr viel schwieriger. Sie können nicht wie damals noch die GRÜNEN von den Leistungen einer wirksamen außerparlamentarischen Bewegung zehren, die das Feld für parlamentarische Politik erst bereitet hat. Im Bestreben, auch im Westen parlamentarisch Fuß zu fassen, liegt daher der Rückgriff auf populistische Strategien nahe, die sich im Endeffekt eher als konservativ denn gesellschaftlich weiter treibend erweisen.

Dies wird verstärkt durch ein Problem, mit dem sich die neue Partei mit – zumindest im Westen – schwacher Organisationsstruktur und Mitgliederbasis konfrontiert sieht. Angesichts der durchaus begründeten Parteiendistanz vieler politischer Linker übt sie eine besondere Anziehungskraft für Sektierer aller Art, für Bedeutungsgeile, Karrieristen und Parteifetischisten aus. Noch ganz abgesehen davon, dass sie unter diesen Bedingungen auch zum Betätigungsfeld mehr oder weniger expliziter Rechtsradikaler werden kann, die ihre eigenen gesellschafts- und politikkritischen Vorstellungen haben. Eine Mitgliederschaft, die sich daraus und aus alten SED-Kadern zusammensetzt, böte keine besonders gute Basis für die Formulierung einer weiterführenden politischen Alternative. Die politische Führungsriege der ehemaligen PDS war zumindest in Teilen theoretisch-politisch sehr viel weiter als das Fußvolk. Durch das Zusammengehen mit der traditionslinken WASG wird dieser Bruch noch stärker werden. Das verständliche Bemühen, aus dem politischen Ghetto herauszukommen und „Regierungsfähigkeit“ zu beweisen, führt im Übrigen – wie die Erfahrungen in einigen Landtagen bereits gezeigt haben – zu einem politischem Anpassungsverhalten, das beim Wahlvolk am Ende nur Enttäuschungen zur Folge haben kann. Im Falle der Grünen wurde dies schon einmal durchexerziert. Wie immer man sich politisch positioniert, bleibt man als Partei Bestandteil des kapitalistischen Staatsapparats.

Auch für die Linkspartei werden also die Mechanismen wirksam bleiben, die die Hoffnung zunichte machen, mittels Staat und Parteien könnten grundlegende gesellschaftliche Veränderungen eingeleitet werden. Dennoch ist es nicht unwichtig, was auf dieser Ebene passiert. Ihre Etablierung im Parteiensystem kann dafür sorgen, dass die Friktionen und Konflikte innerhalb des Staatsapparates stärker werden, dass die öffentliche Diskussion breiter und das existierende Parteienkartell brüchiger wird. Dadurch könnten sich neue politische Räume und Möglichkeiten ergeben. Ob es allerdings dazu kommt, hängt von der höchst offenen Entwicklung der „Linken“ ab. Man kann diese kritisch begleiten, sich vielleicht auch aktiv beteiligen. Es bleibt dabei nur im Kopf zu behalten, dass über politische Kräfteverhältnisse und gesellschaftliche Entwicklungen auf ganz anderen Ebenen entschieden wird. Blendet man dies aus, dann bleibt es bei der Wiederholung der Partei- und Staatsillusion, die sich im linken Spektrum schon immer als verhängnisvoll erwiesen hat.

© links-netz August 2007