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Landtagswahlen: das ignorierte Menetekel

Joachim Hirsch

Das Ergebnis der Landtagswahlen im März 2016 – in Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg – müsste eigentlich ein Menetekel für die etablierten Parteien sein. Nicht so sehr wegen des Abschneidens der AfD, das erwartbar war. Damit hat allerdings der rechte Rand der Gesellschaft seinen Weg in die Institutionen gefunden und dort für eine deutliche Verschiebung gesorgt. Die im Bundestag vertretenen Parteien haben allesamt verloren, wenn man einmal von den sehr personenbestimmten Wahlergebnissen der GRÜNEN in Baden-Württemberg und der SPD in Rheinland-Pfalz absieht. Da es keine klaren Mehrheiten für die sich selbst so nennenden demokratischen Parteien mehr gibt, sind sie de facto gezwungen, sich in etwas wechselnden Konstellationen zu nicht mehr ganz so großen Koalitionen zusammen zu schließen, um Regierungen bilden zu können. Es existiert jetzt also sozusagen eine virtuelle große Koalition, was auch inhaltlich Sinn macht, unterscheiden sich CDU/CSU, SPD und GRÜNE doch immer weniger. Einiges spricht dafür, dass die nächste Bundestagswahl zu einer ähnlichen Konstellation führen könnte, also zu einer faktischen Einheitspartei, von der Johannes Agnoli schon Ende der sechziger Jahre vorausblickend gesprochen hatte. Dafür, dass die AfD nicht so kurzlebig sein wird, wie oft angenommen wird, spricht auch die Tatsache, dass sie ihre größte Anhängerschaft bei den jüngeren WählerInnen hat. Das hat wohl damit zu tun, dass deren traditionelle Parteibindung ohnehin schwächer ist.

Angesichts dieses Debakels wäre es eigentlich angebracht, dass sich die etablierten Parteien zu einigen strategischen Überlegungen aufrafften. Davon ist allerdings keine Rede. Das Menetekel bleibt unbeachtet. Fast ausschließlich wird als Erklärung für die Wahlniederlagen die „Flüchtlingskrise“ und das diesbezügliche Gezerre in der Berliner Koalition genannt, mit der Schlussfolgerung, dass man mit den Bürgerinnen und Bürgern eben besser kommunizieren müsse. Das ist falsch. Die Flüchtlingsfrage war sicher ein wesentlicher, aber nicht der einzige und nur in einem größeren Zusammenhang zu sehende Grund für diese in der Geschichte der Bundesrepublik wohl einmalige Protestwahl. Sie war nur der letzte Anlass dafür, dass sich ein verbreiteter Unmut Geltung verschaffen konnte: über Sozialstaatsabbau, unsichere Renten, Abstiegsängste, unbezahlbare Wohnungen, wachsende Lebensunsicherheiten und eine immer größer werdende Kluft zwischen Arm und Reich. Wenn SPD-Chef Gabriel neuerdings davon spricht, Aufgabe seiner Partei sei es, für den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu sorgen, so ist das purer Hohn angesichts der Tatsache, dass gerade sie lange Zeit entschlossen daran gearbeitet hat, genau dieses gesellschaftliche Auseinanderfallen voranzutreiben.

Die AfD hat nicht nur wegen der Flüchtlinge gepunktet. Den zu kurz Gekommenen, sozial Abgehängten, Verunsicherten und Ausgegrenzten bot sie die Gelegenheit, ihren Unmut zum Ausdruck zu bringen – wenn auch ihr diffuses Programm dazu nicht viel hergibt und anzunehmen ist, dass sich daran nichts ändern würde, wenn sie an der Regierung wäre. Ihr offener Rassismus hat dazu gedient, ihr Feindbild zu komplettieren und Verteilungskämpfe zu mobilisieren, was zu der nationalkonservativen Programmatik passt, die sie schon in der Europafrage ausgezeichnet hat. Ihr Erfolg zeigt, was das eigentliche Problem hierzulande ist: dass Politik über die Köpfe sehr vieler Menschen hinweg und gegen ihre Interessen gemacht wird. Dass die Europäische Union als Elitenprojekt ohne ausreichende demokratische Legitimation durchgesetzt worden ist, gehört ebenfalls in diesen Zusammenhang. Die AfD konnte auch viele ehemalige WählerInnen der Linkspartei an sich ziehen. Dies weist darauf hin, dass diese kaum mehr als Protestpartei fungiert und für viele auch zu „denen da oben“ gehört. Es könnte nebensächlich wirken, aber sagt dennoch etwas, wenn auf AfD-Kundgebungen Schilder mit der Aufschrift „Nein zu TTIP“ gezeigt werden. Von den „demokratischen Parteien“ ist derart Klares dazu nicht zu hören.

Die AfD verdankt ihren Erfolg zu einem wesentlichen Grade der Mobilisierung von Nichtwählern. Also den „Politikverdrossenen“ und Resignierten, die jetzt glaubten mit ihrer Hilfe wieder eine hörbare Stimme zu bekommen. Indem sie sich gegen die etablierten politischen Machtstrukturen stellt, ist sie sozusagen der klassische Ausdruck eines rechten Populismus, der nun auch in Deutschland auf institutioneller Ebene Fuß gefasst hat. Den von der herrschenden Politik Vernachlässigten hat sie eine Stimme gegeben, die aber von denen nicht gehört wird, auf die es ankäme. In Leserbriefspalten wird dieser Zusammenhang durchaus erörtert, weiter oben herrscht darüber Schweigen. Wenn es darum geht, die Demokratie zu retten und die AfD zu bekämpfen, müsste bei dem angesetzt werden, was sie so groß gemacht hat. Und das ist viel mehr als die „Flüchtlingsfrage“. Mit dieser könnte man im Übrigen überzeugender umgehen (im Sinne der viel beschworenen besseren Kommunikation), wenn man eine deutlichere Vorstellung von einer gesellschaftlichen Perspektive entwickeln würde, in der Platz für alle und nicht nur für die Besserverdienenden ist. Davon ist nichts zu erkennen. Auch so kann man Gesellschaft und Politik ruinieren.

© links-netz März 2016