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Rechtsradikalismus der „Mitte“

Joachim Hirsch

Nachdem mit Pegida der Rechtsradikalismus sozusagen die Gestalt einer neuen sozialen Bewegung angenommen und sich mit dem Einzug der AfD in den Bundestag auch auf der institutionellen politischen Ebene fest etabliert hat, wird über die Ursache dieser Entwicklung in Wissenschaft wie in Politik kontrovers diskutiert. Im Vergleich zu Frankreich, Italien, Österreich, den Niederlanden, Dänemark oder auch Großbritannien, wo Rechtspopulismus und Neofaschismus schon viel länger auf der offiziellen politischen Bühne agieren, tritt diese Entwicklung in Deutschland erst in jüngster Zeit auf. Eine Frage wäre deshalb auch, warum dieses Land vergleichsweise spät dran ist.

Lange lautete eine gängige These, dass es die „Modernisierungsverlierer“ beziehungsweise, in kritischer Sicht, die durch die neoliberale Offensive sozial Abgehängten seien, die das Potential für rechtspopulistische Bewegungen und Parteien bildeten. Herkömmliche Sichtweisen konnten dadurch bestätigt werden. Für die offizielle Politik galt das als eine Art Kollateralschaden einer unvermeidlichen gesellschaftlichen Entwicklung, „Globalisierung“ genannt, und für die linke Kritik war es ein Beleg dafür, dass die neoliberale Offensive die Tendenz hat, die liberale Demokratie zu untergraben. Die Ergebnisse empirischer Untersuchungen haben dem allerdings immer widersprochen und zeigen, dass die AnhängerInnen von Pegida, AfD & Co. viel eher aus der etablierten Mitte, also aus den sozialen Milieus stammen, die üblicherweise als politischer Stabilitätsfaktor gehandelt werden. Das gilt inzwischen als gesicherte Erkenntnis.

Stephan Lessenich hat in der Süddeutschen Zeitung (Nr. 2, 3.1.2018) erneut auf diesen Umstand hingewiesen und noch einmal betont, dass der Rechtspopulismus eine entscheidende Wurzel in den Mittelschichten hat, die sich in ihrer sozialen Existenz und Lebensweise bedroht fühlen. Ihm zufolge gilt dies sowohl für die „alten“ als auch für die „neuen“ Mittelschichten, die sich unter den Bedingungen des Nachkriegs-Fordismus eine relativ privilegierte Existenz sichern konnten – unter anderem zu Lasten von Frauen, „Gastarbeitern“ und der kapitalistischen Peripherie insgesamt. Der Rechtsruck sei daher die Folge eines „Aufstands der Etablierten“ und speise sich aus deren Furcht vor einem Aufbegehren der bisher Ausgeschlossenen sowie dem Bewusstsein, dass die ökonomische und technische Entwicklung des „digitalisierten“ Kapitalismus nun auch ihre Position bedroht. Die Folge sei eine „postimperial-rassistische“ – und man muss hinzufügen: antifeministische – Reaktionsweise, verbunden mit Verschwörungstheorien, die die Ursache in korrupten Politikern und von außen kommenden Bedrohungen sähen. Es geht danach also um eine Verteidigung der imperialen Lebensweise, die die gesellschaftlichen Verhältnisse gerade in diesem Land stark prägt. Dieser Komplex fokussiert sich in der „Flüchtlingskrise“, die zu einem zentralen Thema des Rechtspopulismus geworden ist. In der Tat führt die Zuwanderung von Migranten zu sozialen und politischen Umwälzungen, die die gesellschaftlichen Verhältnisse tiefgreifend verändern. Die Peripherie kommt sozusagen hierher, weil die Menschen dort keine Perspektive mehr sehen und deshalb ihr Land verlassen. Dieser Entwicklung kommt eine epochale Bedeutung zu, worauf auch Ivan Krastev nachdrücklich hingewiesen hat (siehe die Rezension auf dieser Webseite).

Sozialstrukturanalysen wie die von Lessenich haben allerdings den Nachteil, die Ursachen für Rechtsradikalismus und Rechtspopulismus nicht ausreichend zu beleuchten. Nicht berücksichtigt wird die Tatsache, dass rechtsradikal-rassistische Einstellungen in der deutschen Gesellschaft keineswegs eine neue Erscheinung sind. Sie sind seit dem 19.Jahrhundert wirksam, haben den Faschismus an der Macht überdauert, blieben aber aus mehreren Gründen zunächst eher unsichtbar, auch wenn sie sich immer wieder in allerdings eher randständigen Parteiformen geäußert haben, so in der vom Verfassungsgericht schließlich in den fünfziger Jahren verbotenen Deutschen Reichspartei und später in der Gestalt der NPD oder der „Republikaner“. Ein Grund dafür war, dass in der Blütezeit des Nachkriegs-Fordismus breite Schichten auf materielle Wohlfahrt und sozialen Aufstieg hoffen konnten, was der bestehenden politischen und ökonomischen Ordnung eine breitere Legitimität verschaffte. Die Krise des Fordismus und die in der Folge einsetzende neoliberale Revolution, deren Auswirkungen inzwischen nicht nur die gesellschaftlichen Ränder berühren, haben dem ein Ende bereitet. Damit ging eine konservative Wende einher, die die gesellschaftlichen Zustände schon seit Beginn der 90er Jahre prägt. Das Aufkommen rechtsradikaler und rechtspopulistischer Bewegungen und Parteien muss nicht zuletzt vor diesem Hintergrund erklärt werden.

Ein weiterer wichtiger Grund liegt im Strukturwandel der Öffentlichkeit, der durch die Einführung der neuen, auf das Internet gestützten Informations- und Kommunikationstechniken verursacht wurde. Dass rechtsradikale und rassistische Einstellungen in der Nachkriegszeit auf der offiziellen politischen Bühne nur gehemmt zum Ausdruck kamen, hängt damit zusammen, dass faschistische Bestrebungen angesichts der Nazi-Verbrechen zunächst stark tabuisiert wurden. Nach der auf die 68er-Bewegung folgenden Liberalisierungsphase und der ebenfalls dadurch angetriebenen Aufarbeitung des Nationalsozialismus fanden zumindest in den herrschenden Medien – vom Boulevard abgesehen – rechtsradikale und rassistische Diskurse wenig Raum. Man könnte für diese Zeit von einer Art antifaschistischer Hegemonie sprechen. Die Erfahrung mit dem Nationalsozialismus und dessen Folgen wirkte deutlich nach. Gelegentliche Entgleisungen einzelner Politiker wurden in der Regel deutlich kritisiert. Faschistische Bestrebungen sollten in diesem Land keinen Platz mehr haben. Dies markiert einen wesentlichen Unterschied zu anderen europäischen Ländern.

Mit dem Internet, insbesondere mit der Ausbreitung der sogenannten sozialen Medien änderte sich dies grundlegend. Sie schaffen eine Öffentlichkeit jenseits und unabhängig von den etablierten Medien, in der nun allgemein sichtbar und präsent wird, was die privaten Unterhaltungen und Stammtische umtreibt. Gleichgesinnte können sich erkennen, ihre Weltsichten austauschen, miteinander in Verbindung treten und sich mobilisieren. Die Phänomene, die Lessenich beschreibt, wurzeln also erheblich tiefer und stehen in einem komplexeren Zusammenhang, als mit den aktuellen gesellschaftlichen Strukturveränderungen erklärt werden kann.

Eine wichtige Rolle spielt schließlich das Parteiensystem. Die Neoliberalisierung der Parteien hat dazu geführt, dass diese immer mehr als Wahlmaschinen ohne klare inhaltliche Aussagen agieren. Statt einer Programmatik, die sich auf drängende gesellschaftliche Probleme bezieht, dominiert die Verwaltung des Status Quo. Die aktuellen GroKo-Sondierungen belegen dies deutlich. Die herrschenden Zustände gelten als „alternativlos“, um ein Wort der Kanzlerin Merkel zu zitieren. Dies ist ein wesentlicher Grund dafür, dass viele von den etablierten Partien nichts mehr erwarten und somit „Politikverdrossenheit“ zunimmt. Das von den Rechtspopulisten genährte Ressentiment gegen „die da oben“ erhält dadurch Nahrung. Zugleich nimmt die Neigung der Parteien zu, sich zwecks Stimmmaximierung darauf zu beziehen, was den öffentlich gewordenen Stammtisch bewegt, also rechtspopulistische wenn nicht rechtsradikale Diskurse zu übernehmen. Das gilt nicht nur für die CSU, sondern macht sich in allen Parteien bemerkbar. „Heimat“ und „Deutschland“ haben allenthalben wieder Konjunktur. Mit dem Einzug der AfD in den Bundestag, die mit der Wiederauflage der großen Koalition die stärkste Oppositionspartei würde, wird sich das eher noch verstärken.

Für eine emanzipative Politik sind das schlechte Bedingungen, zumal dann, wenn sie sich – wie heute immer stärker – auf die Parteiebene beschränkt. Parteipolitik taugt nicht für nachhaltige gesellschaftliche Veränderungen. Von einer „Kulturrevolution“, die im Gefolge der 68er-Bewegung die Gesellschaft tiefgreifend umgestaltet, die Auseinandersetzung mit der faschistischen Vergangenheit angetrieben und die Gesellschaft demokratisiert hat, ist heute nichts mehr zu erkennen und sie spielt auch kaum eine Rolle, wenn jetzt in den Feuilletons ihr fünfzigster Jahrestag begangen wird. Eine gesellschaftliche Bewegung wird auch nicht durch Postings in den sozialen Medien ersetzt, sondern bedürfte eines konkreten und praktischen Handelns, das die bestehenden Verhältnisse angreift. Davon ist allerdings gegenwärtig wenig zu bemerken.

© links-netz Januar 2018