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Neuer deutscher Imperialismus

Joachim Hirsch

Die deutsche Regierung hat jüngst ein neues Weißbuch zur Sicherheitspolitik angekündigt, das Leitlinien für den Aus- und Umbau der Bundeswehr und der Sicherheitsapparate angesichts veränderter weltpolitischer Krisenlagen und einer gewachsenen „Verantwortung“ des mittlerweile als eine europäische Führungsmacht angesehenen Landes beinhalten soll. Während die Bundesrepublik sich schon länger als einer der größten Waffenlieferanten profiliert, soll nun auch die Fähigkeit zu militärischen Interventionen in weltweitem Maßstab weiter gestärkt werden. Das passt zu dem von Frank Deppe für das Jahr 2013 datierten Paradigmenwechsel in der deutschen Außenpolitik. In seiner Studie beschäftigt er sich mit den verschiedenen Facetten eines „Elitendiskurses“, in dem sich diese strategische Umorientierung verdichtet. Darüber hinaus ziele dieser Diskurs darauf ab, mit der in der Bevölkerung verbreiteten Ablehnung militärischer Machtpolitik aufzuräumen (7ff.). Es gehe darum, den zwischen Eliten und Volk vorhandenen und den außenpolitischen Ambitionen der Herrschenden hinderlichen „Graben“ zu schließen.

Als zentrales Dokument dieses Projekts sieht Deppe ein 2013 veröffentlichtes Papier, das von der Stiftung Wissenschaft und Politik – einem Think Tank des Außenministeriums – und dem German Marshall Fund vorgelegt wurde und dessen Kernaussagen sich auch im Koalitionsvertrag der aktuellen CDU/CSU/ SPD-Regierung wiederfinden. Darin wird festgestellt, dass Deutschland als stark „globalisiertes“ Land in besonderem Maße von einer „offenen und freien Weltordnung“ – im Klartext der Sicherung von Rohstoff-, Investitions- und Absatzmärkten – abhängig sei und dass es ein sich auf internationaler Ebene auftuendes Führungsvakuum notwendig mache, auf deren Störung notfalls auch mit militärischer Gewalt zu reagieren. Das ist mit dem Ausdruck „Verantwortung übernehmen“ gemeint. Der Hintergrund ist das Ende der Nachkriegs-Blockkonfrontation, die Krise der Europäischen Union, das Aufkommen neuer Mächte wie China, die angeschlagene US-Hegemonie und natürlich der allgegenwärtige Terrorismus.

In der politischen Theorie hat das zu einem Wiederaufleben der sogenannten realistischen Schule geführt, die eine entscheidende Triebkraft der internationalen Politik im Selbstbehauptungs- und Sicherheitsinteresse der in wechselseitiger Konkurrenz stehenden einzelnen Staaten sieht. Der Verweis auf die deutsche „Verantwortung“ ist nicht neu und bewegt spätestens seit der Wende von 1989/90 die Diskussionen hierzulande. Neu aber sei eine massive Propagandastrategie, die darauf abzielt, der Bevölkerung ihre pazifistische Gemütlichkeit auszutreiben und zu einer realistischen Einschätzung von Machtpolitik im Interesse Deutschlands zu bewegen (16). Eine herausragende Rolle spielt dabei Bundespräsident Gauck, der sich in diesem Verantwortungsdiskurs in besonderer Weise hervortut.

Deppe weist darauf hin, dass sich der neue deutsche Imperialismus von dem der Zeit vor und nach dem ersten Weltkrieg deutlich unterscheidet (27ff.). Maßgebend sind dabei die ungebrochene militärische Dominanz der USA, die hohe Verflechtung der nationalen Ökonomien sowie eine starke Transnationalisierung der herrschenden Klassen, verbunden mit einer gewachsenen Bedeutung internationaler Organisationen. Weil Deutschland nicht zuletzt im militärischen Sinne bestenfalls eine Mittelmacht ist, bleibt es bei der Verfolgung seiner Interessen auf die Kooperation mit anderen Staaten, insbesondere mit den USA und in Europa angewiesen. Seine internationale Machtstellung beruht wesentlich auf ökonomischer Stärke und seine Führungsgruppen treten daher als Befürworter einer liberalen, d.h. marktwirtschaftlich-kapitalistischen Weltordnung auf. Grundprinzip dieser Kooperationspolitik ist die Anerkennung der USA-Vorherrschaft und das Streben nach einer vertieften EU-Integration, die zugleich die Dominanz Deutschlands im europäischen Rahmen absichert. Diese Politik kann sich auf einen beachtlichen inneren Konsens stützen (33).

Bei der Entwicklung dieses Projekts komme der Ukraine-Krise ein besonderer Stellenwert zu (63ff.) Dasselbe kann im Übrigen auch für die Syrien/Irak/IS-Krise im Nahen Osten gelten. Krisen dieser Art dienen als „Brandbeschleuniger“ einer militärisch gestützten Machtpolitik (63). Die neueren Entwicklungen bestätigen Deppes Analysen. Die notorischen Forderungen nach einer Erhöhung des Rüstungsetats bekamen nicht nur neue Nahrung, sondern auch gute Erfolgsaussichten. Finanzminister Schäuble hat inzwischen eine deutliche Erhöhung des Rüstungsetats für 2017 angekündigt. Da spielt Sparpolitik keine Rolle. Gleichzeitig zeigen sich hier aber auch einige Gegensätze zwischen den Staaten der westlichen Allianz. Während die USA in dem deutliche geostrategische Dimensionen zeigenden Konflikt tendenziell auf eine militärische Konfrontation mit Russland setzen – etwa in Form von Waffenlieferungen oder die Entsendung von „Militärberatern“ in die Ukraine – steht das deutsche Kapital vor dem Problem, dass es von einem Wirtschaftskrieg mit Russland in besonderer Weise betroffen wäre. Es würde damit einen wichtigen Investitions- und Absatzmarkt verlieren, ganz abgesehen von der Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen. Dies erklärt Kanzlerin Merkels Beharren auf einer politischen Lösung und den Versuch, die Verbindungen zu Russland nicht abreißen zu lassen, selbst unter Inkaufnahme eines Konflikts mit den USA. In der NSA-Abhöraffäre vollführte die deutsche Regierung noch einen peinlichen Kotau vor der US-Regierung. Dabei ging es eben eher um Bürgerrechte als um Wirtschaftsinteressen. Merkel tritt dabei keineswegs als Friedensengel auf, sondern verfolgt eine situationsbedingte Macht- und Interessenstrategie. Dass sie dabei in enger Abstimmung mit dem französischen Präsidenten handelt verweist darauf, dass die deutsche politische und ökonomische Führungsposition in Europa nur durch Kooperation zu sichern ist.

Der 2014 erschienenen Schrift von Deppe sind recht gute Prognosen zur Entwicklung der Ukraine-Krise zu entnehmen. Ihr Schwerpunkt liegt jedoch in der Analyse der Propagandaoffensive, mit der der „Graben“ zwischen den strategischen Interessen der Herrschenden und der eher ablehnenden Haltung der Bevölkerung in Bezug auf Militäreinsätze geschlossen werden soll. Sein besonderes Interesse gilt den „organischen Intellektuellen“ des Machtblocks, die dem „Elitendiskurs“ breitere Wirkung verschaffen sollen. Ausführlich setzt er sich mit Herfried Münkler auseinander, der sich – unter anderem mit der Relativierung der deutschen Verantwortung für den ersten Weltkrieg – der Normalisierung der deutschen Geschichte widmet, und dies unter Preisgabe wissenschaftlicher Standards (41ff.). Er fungiert dabei sozusagen als der Hans-Werner Sinn der Außenpolitik. Dazu kommen die einschlägigen Journalisten, die oft in einer an einen neuen Kalten Krieg erinnernden Rhetorik geopolitische Machtpolitik propagieren und damit von Kontrolleuren der staatlichen Politik zu deren Handlangern werden. Das gilt nicht zuletzt für die deutschen Leitmedien FAZ, Die Zeit, Der Spiegel und die Süddeutsche Zeitung, wo sich insbesondere „das Quartett Kornelius, Frankenberger, Joffe und Stürmer“ hervortut (99). Zu diesem Komplex zählt schließlich auch eine ganze Reihe von zu grünen Bellizisten mutierten Alt-68ern wie Harms, Beck, Cohn-Bendit oder Fischer. Das Feld der Propagandisten deutscher Machtpolitik reicht also weit über das national-konservative Lager hinaus, was sich für die Popularisierung des Elitendiskurses als nützlich erweist.

Im abschließenden Kapitel der Schrift beschäftigt sich Deppe mit dem Problem des linken Internationalismus angesichts der mit der kapitalistischen Globalisierung verbundenen Macht- und Konfliktverschiebungen und skizziert einige Überlegungen zu den Aufgaben der Linken unter diesen veränderten Bedingungen (121ff.). Diese allerdings sind recht allgemein gehalten und dürften zu einer praktischen politischen Orientierung nicht allzu viel beitragen. Richtig ist allerdings, „dass sich traditionelle Antworten der Linken angesichts der veränderten Realität immer wieder blamieren müssen“ und dass sie vor der Aufgabe stehen, „sich ihrer eigenen Geschichte kritisch zu stellen“ (137). Die „schematische Entgegensetzung von Imperialismus und Antiimperialismus“ werde den neuen Realitäten auf jeden Fall nicht gerecht (138).

Deppe fasst in seiner „Flugschrift“ wichtige Informationen zur Wende der deutschen Politik in den vergangenen Jahren zusammen. Die relativ breit angelegte Analyse der „organischen Intellektuellen“, die diesen Prozess begleiten und mit antreiben, ist verdienstvoll. Allerdings nimmt sie teilweise die Form einer über die Thematik hinausreichenden Abrechnung an, die wohl hauptsächlich vergangenen innerlinken Konflikten und Fehden geschuldet ist, in die der Verfasser selbst verwickelt war. So gehört zum Beispiel die recht ausführliche Beschäftigung mit deren Motiven eher in einen anderen Zusammenhang. Erklärungsbedürftig wäre auch, dass die dargestellte Propagandakampagne bislang eher von geringer Wirkung war, wenn man den einschlägigen Umfragen trauen kann. Unabhängig davon handelt es sich aber um eine sehr lesenswerte und informative Schrift.

Frank Deppe: Imperialer Realismus? Deutsche Außenpolitik: Führungsmacht in „neuer Verantwortung“. VSA-Verlag, Reihe Flugschriften, Hamburg 2014, 141 S.

© links-netz März 2015