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Ohnmächtige Städte

Joachim Hirsch

Wenn heute von Stadtpolitik geredet wird, sind Finanzknappheit, Wohnungsnot, zerfallende Schulgebäude, geschlossene Schwimmbäder, kaputte Straßen, Armut und soziale Degradierung einschlägige Stichworte. Das Bild ist allerdings widersprüchlich: den sich häufenden sozialen Problemen stehen ambitionierte Großprojekte sowie ebenso kostspielige kulturelle oder sportliche Massenveranstaltungen gegenüber, mit denen einige Städte konkurrieren. Offenbar ist das städtische Geschehen durch deutliche Gegensätze gekennzeichnet.

An sich sind Städte und Kommunen zuständig für die Bereitstellung wesentlicher Teile der (sozialen) Infrastruktur, die der Befriedigung menschlicher Grundbedürfnisse dienen soll, also die Voraussetzung für ein halbwegs „gutes Leben“ darstellt. Dieser Aufgabe kommen sie immer weniger nach. Welches die Gründe dafür sind, untersucht Werner Heinz in seinem Buch „(Ohn-) Mächtige Städte im Zeitalter neoliberaler Globalisierung“. Er präsentiert damit in zusammengefasster Form die Ergebnisse eines umfangreichen, auf Materialerhebungen sowie Interviews mit Kommunalpolitikern und Experten gestützten Forschungsprojekts. Die Frage ist, ob und warum die Städte im Zuge der neoliberalen Globalisierung zunehmend zu „machtlosen Akteuren in einem immer dichter werdenden Netz externer Zwänge und Vorgaben“ werden (10).

Der Autor skizziert zunächst die aktuellen Rahmenbedingungen städtischer Politik, die sich im Zuge der neoliberalen Deregulierungs- und Privatisierungspolitik und dem damit verbundenen Übergang vom Wohlfahrts- zum „Wettbewerbsstaat“ grundlegend verändert haben. Dazu gehören der Abbau sozialstaatlicher Sicherungen, die Ausbreitung des tertiären Dienstleistungssektors, die Internationalisierung der Produktions- und Unternehmensstrukturen, die Zunahme prekärer Beschäftigungsverhältnisse, interne und internationale Wanderungs- und Migrationsbewegungen mit den damit verbundenen räumlichen Disparitäten sowie fortschreitende soziale Spaltung und Ungleichheit, nicht zuletzt die mit den Aktivitäten international operierender Finanzunternehmen und deren Profitinteressen verbundene Veränderung der Bodennutzung und den dadurch mit verursachten Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Obwohl die Städte von dieser Entwicklung in unterschiedlicher Weise betroffen sind, haben sie darauf generell mit einer Intensivierung außenorientierter Wettbewerbspolitik – auch „new urban policy“ genannt – reagiert, und dies zu Lasten sozialpolitischer, an den Bedürfnissen der Bevölkerung orientierten Aktivitäten. Entstanden ist daraus die neoliberale, vornehmlich an (internationalen) Konkurrenzbeziehungen orientierte „Wettbewerbsstadt“.

Der Autor zeigt auf, wie sich in diesem Zusammenhang die kommunalpolitischen Prioritätensetzungen verändert haben. In den Vordergrund rückte nun die Anbindung an (internationale) Verkehrswege, etwa durch den Ausbau von Flughäfen, Häfen und Bahnhöfen – oft gegen den Widerstand der Bevölkerung, die Einrichtung von Entwicklungszentren und Technologieparks, die Durchsetzung von Großprojekten, die der Imageförderung dienen sollen, eine Wohnungspolitik, die von Sozialpolitik zu Wettbewerbspolitik mutiert ist und die Anziehungskraft für qualifizierte und besserverdienende Arbeitskräfte erhöhen soll – von Heinz als „Nobilitierung der Stadt“ bezeichnet. Dazu gehört auch eine Bildungspolitik, die auf eine Internationalisierung des Schulwesens abzielt und die soziale Segregation vorantreibt. Alle diese Aktivitäten gehen zu Lasten der breiten Bevölkerung. Deutlich wird dies nicht zuletzt im Kulturbereich. Schon früh hatte der Frankfurter Kulturdezernent Hoffmann Kulturpolitik als Standortpolitik definiert: das Frankfurter Museumsufer zeugt von diesem Bestreben ebenso wie der Wiederaufbau der Altstadt oder auch das Berliner Stadtschloss oder der Bau der Hamburger Elbphilharmonie. Damit soll die Anziehungskraft der Stadt für ein internationales Publikum erhöht werden. Gleichzeitig bleibt eine allgemeine und breiter angelegte Kulturförderung auf der Strecke. Ein Beispiel dafür ist die Absicht der Stadt Frankfurt, ihren ohnehin minimalen Zuschuss für den Club Voltaire, einem alternativen Politik- und Kulturprojekt zu streichen. Nach Protesten wurde er schließlich nur gekürzt. Zu diesen Maßnahmen, die Heinz breit auflistet, zählt auch der Ausbau des Messe- und Kongresswesens oder die Veranstaltung kultureller oder sportlicher Großevents.

Der finanzielle Spielraum für öffentliche Daseinsfürsorge wird dadurch noch weiter eingeengt, dass die gesellschaftlichen Folgen der neoliberalen Politik, etwa wachsende Armut, Flucht oder die als Folge der Hartz-IV-„Reformen“ auftretenden Belastungen steigende kommunale Mittel beanspruchen. Dazu kommen Einnahmeausfälle, die durch die der wettbewerbsstaatlichen Standortoptimierung dienenden Steuerreformen des Bundes verursacht werden. Dies geht nicht zuletzt zu Lasten freiwilliger sozialer Leistungen, aber auch der technischen Infrastruktur wie Straßen oder der Bereitstellung von Freizeiteinrichtungen. Aktuellstes Beispiel ist dafür die Krise der Wohnungsversorgung. Der kommunale Wohnungsbau hat in Deutschland immer schon eine geringe Rolle gespielt und der soziale Wohnungsbau, der ohnehin nur auf eine befristete Senkung der Mieten abzielt, wurde weitgehend zurückgefahren. Kommunale Wohnungsbauunternehmen verstehen sich inzwischen als Wirtschaftsunternehmen, die mit Luxuswohnungen höhere Renditen erzielen. Die AGB Frankfurt Holding, die früher Frankfurter Aktienbaugesellschaft für kleine Wohnungen hieß und als sozialpolitisches Projekt ursprünglich für bezahlbaren Wohnraum sorgen sollte, überweist inzwischen steigende Renditen an den städtischen Haushalt. Kommunale Wohnungsbestände werden aus Gründen der Finanzknappheit an Privatinvestoren verkauft, deren Interesse ebenso auf Maximalprofite gerichtet ist. Die Folge sind Verdrängungen und wachsende soziale Polarisierungen, eine Entwicklung hin zur „divided city“, wie sie aus US-amerikanischen Großstädten bekannt ist. Der Rückgang bezahlbaren Wohnraums resultiert also aus einer Mischung von finanzieller Notlage und einer städtischen Politik, die auf die Attraktivität des Standorts für internationale Unternehmen und ihre Angestellten gerichtet ist. So hatte auch das 1999 aufgelegte Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt“, das auf eine Stabilisierung benachteiligter Stadtteile und ihrer Entwicklung zielen sollte, nur eine sehr begrenzte Wirkung.

Die ökonomisch restriktiven Rahmenbedingungen und nicht zuletzt der Machtzuwachs mächtiger und international operierender Unternehmen, die an den allgemeinen sozialen Bedingungen ihrer – oft nur vorübergehend genutzten – Standorte nur wenig interessiert sind, machen eine konsistente Stadtplanung und Stadtentwicklung praktisch unmöglich. Hinzu kommt, dass die rechtlichen Spielräume der Städte im Verlauf der letzten Jahrzehnte immer weiter eingeschränkt wurden. Dabei spielen die Kompetenzverlagerungen zur Europäischen Union eine wichtige Rolle, auf deren Entscheidungen die Städte keinen formellen Einfluss haben, aber gleichwohl von deren neoliberaler Deregulierungs-, Spar- und Privatisierungspolitik direkt betroffen sind.

Was die Zukunft der Städte und die Möglichkeiten alternativer kommunaler Politiken angeht, fällt die Einschätzung von Heinz recht nüchtern aus. Grundlegende Voraussetzung dafür wäre eine Abkehr von der neoliberalen Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik sowohl auf EU- als auch auf einzelstaatlicher Ebene sowie eine Stärkung der Städte im europäischen Mehrebenensystem (das bezeichnet die Kompetenzverteilung zwischen Kommunen, Ländern, dem Bund und der EU). Dies steht allerdings derzeit ebenso wenig auf der politischen Agenda wie eine nachhaltige Stärkung der kommunalen Finanzen. Ungeachtet dessen weist Heinz aber darauf hin, dass es durchaus möglich wäre, trotz der vorhandenen Beschränkungen und Abhängigkeiten einen Paradigmenwechsel in der Politik der Städte einzuleiten. „Dazu müssten sie an erster Stelle ihr Selbstverständnis ändern und sich nicht länger als bloße Marktteilnehmer, sondern als steuernde Akteure der kommunalen Entwicklung verstehen; die herrschende Problemfragmentierung der Stadtpolitik zugunsten einer verstärkten Beschäftigung mit den gesellschaftlichen Hintergründen städtischer Herausforderungen und Probleme aufgeben und andere Prioritäten setzen: von finanzstarken Partikularinteressen auf das (Gemein-) wohl aller städtischer Bewohnerinnen und Bewohner, von „areas of opportunity“ und Leuchtturmprojekten auf „areas of need“ (176). Auch dafür gibt es gegenwärtig kaum Ansatzpunkte. Es bedürfte dazu auf jeden Fall der (Wieder-) Belebung einer breiten und intensiven kommunalpolitischen Diskussion.

Dazu kann das vorliegende Buch einen wichtigen Beitrag leisten. Es ist gut leserlich geschrieben sowie mit den vielen angeführten Beispielen und dem komprimiert dargebotenen Zahlenmaterial ebenso anschaulich wie informativ. Bei einer Neuauflage könnten allerdings einige Redundanzen beseitigt und die Kapitelnummerierung korrigiert werden.

Werner Heinz: (Ohn-) Mächtige Städte in Zeiten der neoliberalen Globalisierung. Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster 2015, 194 Seiten.

© links-netz September 2015