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Pegida – oder was es mit der „Mitte der Gesellschaft“ so auf sich hat

Joachim Hirsch

Der Name klingt wie ein Automodell von Opel und scheint ebenso eingängig. Was sich dahinter verbirgt ist allerdings weniger harmlos. Es sind die „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“, womit gleich zwei rechte Stichworte aufscheinen: „Islamisierung“ und „Abendland“.

Pegida hat die ersten Demonstrationen im Oktober 2014 veranstaltet, damals noch mit 500 Beteiligten. Daraufhin nahm die Teilnahme stark zu, zuletzt wurden 17.000 gezählt. Dass die „Bewegung“ in Dresden, der Hauptstadt Sachsens ihren Ausgang genommen hat, einem Land also, in dem es wenig Ausländer und kaum Muslime gibt, spielt dabei keine wesentliche Rolle, denn es geht um viel mehr als die Ängste vor „kriminellen Ausländern“ und „Islamisten“, an die die Veranstalter appellieren. Die Einschätzungen dessen, was sich da abspielt, sind kontrovers und reichen von rechtsradikal bis „wutbürgerlich“. Beides stimmt irgendwie und auch wieder nicht. Sicher ist, dass Rechtsradikale dabei mitmischen und die Veranstaltungen für ihre Zwecke nutzen. Auf der anderen Seite wird darauf hingewiesen, dass sich viele der Demonstrationsforderungen auch in den Verlautbarungen etablierter Parteien finden.

Politik und Medien sind inzwischen hoch alarmiert, droht doch die hierzulande inmitten aller Krisen herrschende politische Ruhe gefährdet zu werden. Während die einen von einer „Schande“ für Deutschland sprechen, meinen die anderen, man müsse zwischen den Initiatoren, den dort aktiven Rechtsradikalen und den verführten Teilen der „gesellschaftlichen Mitte“ unterscheiden, dürfe also nicht alle verurteilen, die montags auf die Straße gehen. Um die gesellschaftliche „Mitte“ handelt es sich in der Tat, wenn man bedenkt, dass nach einer Umfrage fast die Hälfte der deutschen Bevölkerung Verständnis für die Demonstranten aufbringt und augenscheinlich deren Vorstellungen und Forderungen teilt. Hier kommt an die Oberfläche, was an den Stammtischen schon lange gärt. Wenn sich große Massen versammeln, und das Medienecho stark ist, fällt es eben leichter, endlich mal was sagen zu dürfen. Um eine „Mitte“ handelt sich aber auch deshalb, weil sie bis in die Parteien hinein reicht. Mit dem rechten und fremdenfeindlichen Sumpf operieren auch diese, nicht zuletzt die CSU und die AfD. Die AfD, die schon etwas mehr als „Verständnis“ für die Demonstranten aufbringt und deren Prominenz sich teilweise an den Aufmärschen beteiligt, findet in Pegida ein Instrument der Massenmobilisierung, die sich bei den nächsten Wahlen für den Einzug in die Parlamente als nützlich erweisen dürfte. Und die CSU hantiert aus demselben Grund schon lange mit rechtspopulistischen und ausländerfeindlichen, um nicht zu sagen rassistischen Sprüchen. Auch die CDU ist davon nicht frei, man denke nur an den berüchtigten Ausländer-Wahlkampf, den Roland Koch in Hessen gewonnen hat. Kein Wunder also, dass auch Seehofer Verständnis für die Nöte der Bürger hat und einen Dialog mit Pegida wünscht. Und der abgehalfterte Ex-Innenminister Friedrich von der CSU greift Angela Merkel an, weil sie zu stark nach „links“ gerückt sei und damit die rechte Seite der Wählerschaft vernachlässigt habe. Die CSU selbst hat ein Problem. Bisher hatte gerade sie sich zugutegehalten, keine Partei rechts von CDU/CSU aufkommen zu lassen. Ein Erfolg der AfD bei der nächsten Bundestagswahl könnte dem ein Ende bereiten und die Karten im Koalitionspoker ganz neu mischen. Die sich nun auf der Straße artikulierende „Mitte“ hat also ihre feste Stütze in den politischen Apparaten und dies kennzeichnet den gegenwärtigen Zustand der real existierenden Demokratie hierzulande. Wenn die SPD-Generalsekretärin Fahimi die Pegida-Organisatoren als „geistige Brandstifter“ bezeichnet, könnte sie auch mal überlegen, mit wem ihre Partei in Berlin koaliert.

Wer also über die neue „Bewegung“ lamentiert, sollte nicht vergessen, welchen Anteil die Parteien an ihrer Entstehung haben. Pegida wendet sich programmatisch gegen Ausländer und Flüchtlinge, an ihren Demonstrationen nehmen aber auch viele teil, die ganz allgemein von der herrschenden Politik frustriert sind. So ist es bezeichnend, dass ein Demonstrant in einem Interview die PKW-Maut als Grund für sein Mitmachen angegeben hat, die Merkel im Wahlkampf noch ausschlossen hat und die nun doch eingeführt werden soll. PolitkerInnen lügen halt. Wie das Beispiel zeigt, nährt der CSU-Populismus („die Ausländer sollen zahlen“), gerade wenn er als solcher durchschaut wird, wiederum rechte Stimmungen. Die von den herrschenden Parteien betriebene neoliberale Politik geht über die Köpfe der Menschen hinweg, grenzt wachsende Teile der Bevölkerung aus und richtet sich gegen mehrheitliche Interessen. Das kann nicht dauerhaft gut gehen. Der Frust, der dadurch entsteht und die damit erzeugte „Politikverdrossenheit“ bilden den Nährboden für eine rechte Bewegung, die die politische Landschaft der BRD tatsächlich erheblich verändern könnte. Dies auch deshalb, weil eine überzeugende linke, emanzipatorische Alternative praktisch nicht vorhanden ist. Und wenn es Ansätze dazu gibt, dürfen diese kaum auf ein solches Verständnis hoffen wie die Teilnehmer an den Pegida-Aufmärschen. Der von den DDR-Montagsdemonstrationen geklaute Slogan „Wir sind das Volk“ findet hier seinen verqueren Ausdruck. „Islamismus“ wird zum neuen Feindbild stilisiert, nachdem der Antikommunismus seine Zugkraft verloren hat. Wiederum dient die Schaffung eines äußeren Feindes dazu, von gesellschaftlichen Problemen und deren Ursachen abzulenken.

Das nun allenthalben und insbesondere von PolitikerInnen aller Couleur geäußerte Verständnis für die im Grunde „anständigen“, eben aus der „Mitte“ kommenden Pegidademonstranten ist ebenso verlogen wie falsch. Verlogen deshalb, weil es in keiner Weise dazu führt, dass die Politik, die die Leute frustriert, wirklich geändert wird. Davon ist bei allen Verständnisbekundungen überhaupt nichts zu hören. Man hält das wohl eher für ein Kommunikationsproblem. Falsch und gefährlich ist es, die Motive für eine Teilnahme an rechten und rassistischen Aufmärschen zu relativieren. Offensichtlich teilt ein relevanter Teil der Gesellschaft diese Einstellungen. Jetzt wird davon gesprochen, dass die Beweggründe der Demonstranten „ernst genommen“ werden sollten. Ernst genommen sollte allerdings auch die Tatsache, dass sie ihre Interessen auf rassistischen und rechtsradikalen Demonstrationen äußern. Sonst könnte dies auch heißen, dass man eben diese Orientierungen und Bewusstseinslagen politisch ausnutzen möchte. Anbiederei also. Dies könnte gemeint sein, wenn Bayerns Seehofer oder Hessens Bouffier von „Dialog“ sprechen. Die schon lange sich abzeichnende Verschiebung der politischen Verhältnisse hin zu einem autoritären Populismus könnte dadurch also einen weiteren Antrieb erfahren.

Deutlich ist auch, dass die von Parteien und Medien geschürte Aufregung über Pegida einiges dazu beiträgt, die Mobilisierung zu fördern. Im Bewusstsein der Demonstrationsteilnehmer sind die Medien ohnehin gleichgeschaltet und die Parteien verraten die Interessen der BürgerInnen. Förderlich für Pegida ist der hohe mediale Aufmerksamkeitswert auch deshalb, weil z.B. die großen Demonstrationen gegen ihre Aufmärsche in den Medien wenig Erwähnung fanden, ebenso wie die vielen antirassistischen, antifaschistischen oder Flüchtlingsinitiativen in allen Teilen des Landes höchstens mal einer kleinen Randnotiz würdig sind. Sie eignen sich eben nicht zum Hype. Ob sich mit Pegida nun auch in Deutschland eine starke und möglicherweise parteiförmig werdende rechtsradikal-populistische Bewegung wie schon anderorts ist Europa – z.B. in Großbritannien, Dänemark, den Niederlanden, Frankreich oder Italien– herausbildet oder ob es sich dabei um ein ostdeutsche Spezialerscheinung handelt, ist vorerst noch offen. Die Möglichkeit besteht immerhin.

Es führt nicht sehr viel weiter, darüber zu räsonieren, ob die Demonstrierenden zu verurteilen sind oder ob ein gewisses Verständnis für „Irregeleitete“ angebracht sei. Die Schuld an der gefährlichen Entwicklung tragen in einem hohen Maße diejenigen, die in Berlin das Sagen haben.

© links-netz Januar 2015