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Rechtspopulismus à la BRD

Joachim Hirsch

Eines muss man Roland Koch, dem hessischen Ministerpräsidenten lassen: Er versteht es, zu mobilisieren. Die letzte Landtagswahl hat er mit einer rassistischen Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft gewonnen. Und jetzt hat er mit seinem Vorschlag, Arbeitslosen- und Sozialhilfeempfänger zur Zwangsarbeit zu verpflichten, einen neuen Hit gelandet. Nicht nur beherrscht er die Schlagzeilen, sondern PolitkerInnen fast aller Parteien überbieten sich seither, ihm nachzuschwätzen. Selbst der unsägliche Scharping hat es sich nicht nehmen lassen, sich als Vorsitzender der Programmkommission einer sich immer noch sozialdemokratisch nennenden Partei mit eigenen Vorschlägen dazu zu äußern. Vielleicht hätte er doch besser daran getan, sich eingehender mit dem Sinn von Eheverträgen zu befassen.

Das sieht zunächst wieder einmal nach medialer Schaumschlägerei aus, haben fleißige Sozialbeamte doch gleich darauf hingewiesen, dass derlei erstens von den Sozialämtern längst schon praktiziert wird und dass zweitens das Streichen von Leistungen für "Arbeitsunwillige" kaum Geld sparen würde. Es ist aber mehr. Es ist die Neuauflage einer populistischen Mobilisierungsstrategie, die darauf abzielt, politische Probleme zu verschleiern, Betroffene zu Schuldigen zu machen, auszugrenzen, die Gesellschaft zu spalten und ihre verschiedenen Gruppen in wechselseitige Konkurrenzen zu treiben.

Aus den neusten Zahlen ist zu entnehmen, dass die Zahl der Sozialhilfeempfänger trotz gleichzeitig steigender Armut rückläufig ist. Daraus lässt sich schließen, dass die Sozialämter schon längst dazu übergegangen sind, einen noch restriktiveren Kurs zu fahren als bisher. D.h. die Zahl derer, die trotz Bedürftigkeit aus der Sozialhilfe herausfallen, steigt weiter. Das wissen natürlich auch Koch & Co. Allerdings geht es ihnen auch gar nicht um Geld und Sparen, sondern um das, was gerne als standortoptimierende "Deregulierung" und "Flexibilisierung" genannt wird:

  • um den systematischen Abbau des bestehenden sozialen Sicherungssystems. Nichts anderes verbirgt sich hinter den Überlegungen zu einem Zusammenlegen von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, mit der jetzt noch existierende rechtlich abgesicherte Leistungsansprüche zugunsten einer abhängig machenden und kontrollintensiven Fürsorge gekappt werden sollen: Ausweitung der Kontrollpolitik;
  • die Durchsetzung von Arbeitsdisziplin nach dem Motto, wer hier existieren will, soll auch arbeiten, und sei es für Hungerlohn und gegebenenfalls auch in völlig unsinnigen Tätigkeiten. Ein schöner Nebeneffekt ist dabei ein weiterer Druck auf das allgemeine Lohnniveau: die Ersetzung des "Welfare-" durch den "Workfare"- Staat;
  • die Behauptung, Arbeitslosigkeit und Armut seien nicht die Folgen der bestehenden ökonomischen Strukturen und einer diese befestigenden neoliberalen Politik - landläufig unter dem Stichwort "Globalisierung" abgehandelt -, sondern des individuellen Verhaltens der Betroffenen: Schuld sind die Opfer, sagen die Täter;
  • um die Mobilisierung der Konkurrenz unter und zwischen den Lohnabhängigen und Arbeitslosen, zwischen "Leistungsträgern" (und die es gerne sein möchten) und "Modernisierungsverlierern". Motto: wenn die sich da unten in die Haare kriegen, sind wir hier oben fein raus
Das funktioniert wunderbar. Befragungen haben ergeben, dass selbst ein beträchtlicher Teil der Arbeitslosen die Kochschen Vorschläge gut findet. Und vor allem ist es gelungen, dass über die Ursachen von Armut und Arbeitslosigkeit praktisch überhaupt nicht mehr geredet wird, sondern nur noch über die, die davon betroffen und der herrschenden Meinung nach selbst daran schuld sind. Nachdem Schröders Wahlversprechungen zum Abbau der Arbeitslosigkeit sich als Seifenblase erwiesen haben, wird nun wieder Tatkraft gezeigt, allerdings nicht bei der überfälligen Revision der Wirtschaftspolitik, sondern beim Schurigeln derer, die das Pech haben, nicht zur "Neuen Mitte" zu zählen. So beweist man politische Kompetenz, zumindest was den eigenen Machterhalt angeht.

Was sich hier abspielt, ist die Inszenierung einer rechtspopulistischen Strategie über alle Parteigrenzen hinweg. Sie dient der Legitimation von Herrschaft durch das öffentliche Lancieren von Scheinproblemen, durch Diskriminierung, Ausgrenzung und das Gegeneinanderausspielen von Betroffenen. PolitikerInnen zeigen sich als entschlossene Macher, indem sie die Schwachen kujonieren, weil sie sich mit den Mächtigen nicht anlegen wollen. Das Gerede von der "neuen Mitte" – gemeint sind damit eben die "Leistungsträger" – entpuppt sich als Mittel zur Durchsetzung eines sozialen Apartheidregimes. Zu dessen Legitimation dient der neue Populismus. Der hiesige Propangandist dieser sozialen Kategorie, Schröder, gilt nicht zufällig als begnadeter Populist.

Aber da gibt es auch noch andere. Koch möchte gerne Bundeskanzler werden, trotz aller seiner derzeitigen Dementis. Dazu hat er durchaus das Zeug, beherrscht er das populistische Medienhandwerk doch fast noch besser als der derzeit amtierende. Er benötigt dazu nicht einmal dessen Tross von Medienberatern, Public Relations- und Werbeagenturen. Stattdessen hat er einen ausgeprägten Sinn dafür, was im Bauch des Volkes vor sich geht. Im Vergleich mit Haider oder Berlusconi operiert er vorsichtiger und geschickter, wenn auch in der Sache und hinsichtlich der Wirkungen kaum anders. Manche verspüren beim Anblick dieses Mannes einen gewissen ästhetischen Schmerz. Aber man sollte mit ihm rechnen. Zieht man in Betracht, wie gut er mit seinen Manövern ankommt, hat dieses Land ihn vielleicht wirklich verdient.

© links-netz August 2001