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Rauchverbot

Joachim Hirsch

Es herrscht einige Aufregung an den Tresen und Stammtischen, nachdem es hierzulande inzwischen fast flächendeckend ein Rauchverbot in Kneipen, Restaurants und Gaststätten gibt. Die Veränderungen im Straßenbild sind unverkennbar. Vor den entsprechenden Etablissements ballen sich selbst bei schon eher winterlichen Temperaturen Grüppchen von Rauchern, denen nichts anderes übrig bleibt, als ihrem Bedürfnis im Freien nachzugehen. Wenn sie Glück haben, bekommen sie allerdings ein Zeltdach oder sogar Gasheizung – die allerdings ihrerseits wieder Abgase absondert. Das lässt die Vermutung zu, es ginge derzeit vor allem um Emissionsverschiebungen. So etwa auch dann, wenn die Städte die LKWs von feinstaubbelasteten Straßen schlicht in andere umleiten.

Natürlich leuchtet das Argument erst einmal ein, es gehe beim Gaststättenrauchverbot darum, Nichtrauchende von den gesundheitsschädlichen Wirkungen des „Passivrauchens“ zu schützen. Dies gilt noch mehr für die dort Arbeitenden – wiewohl diese nach der geltenden Arbeitsstättenverordnung das Rauchverbot schon längst hätten einklagen können. Und in der Tat ging der Qualm manchmal sogar den Rauchern selbst auf die Nerven. Trotzdem bleibt eine Reihe von Fragen. Weshalb wird hier die Gesundheit geschützt und bei anderen, möglicherweise viel gravierenderen Emissionen nicht? Weshalb lassen sich die Raucher das ziemlich widerstandslos gefallen? Und vor allem: zeichnet sich hier – in einem eher harmlos erscheinenden Fall – nicht eine gesellschaftliche Entwicklung von problematischer Tragweite ab?

Die Gesundheit ist bekanntlich allenthalben bedroht, durch Gifte in Lebensmitteln und in der Luft, nicht zu vergessen der Lärm, den durch Zwangsmobilität erzeugten Stress und so weiter und so fort. Oder gar durch den ominösen Elektrosmog, der inzwischen überall ist. Dagegen wird bekanntlich wenig getan. Wabernde Autoabgase müssen im Interesse des Autostandorts Deutschland halt hingenommen werden. Ebenso dass im Zeitalter der just-in-time-Produktion die Lagerhaltung auf stinkende LKWs verschoben wird, die Autobahnen und Straßen verstopfen, wodurch wiederum die Abgase multipliziert werden. Hier wie auf anderen Feldern gibt es handfeste ökonomische Interessen. Schon eine gesetzliche Beschränkung des Treibstoffverbrauchs von Autos scheitert bekanntlich an der Industrie. Die Raucher hingegen sind unorganisiert und die Gastwirte bilden keine besonders starke pressure group. Bleibt die Tabakindustrie. Diese braucht zurückgehende Umsätze allerdings erst mal gar nicht zu fürchten und ist überdies schon länger dabei, ihre Geschäftsfelder zu diversifizieren. Ganz abgesehen davon, dass sich immense Profitmöglichkeiten auftäten, sollte der Tabak endgültig den Status einer illegalen Droge bekommen. Man weiß schließlich, dass Verbote Drogen erst zu ebenso begehrten wie teuren Waren machen. Einstweilen wird aber der Finanzminister kaum auf die Tabaksteuereinnahmen verzichten müssen, die für den Staatshaushalt so wichtig sind. Raucher hingegen, in der Öffentlichkeit immer stärker zu haltlosen Drogenabhängigen gestempelt, haben im Prinzip ein schlechtes Gewissen und nehmen daher Einschränkungen duldsamer in Kauf. Insoweit handelt es sich beim Rauchverbot um einen speziellen Fall symbolischer Politik. Es wird etwas getan für die Menschen, jedenfalls für diejenigen, die nicht wie anderswo massenhaft an Hunger sterben, verseuchtes Wasser trinken müssen, keine bezahlbaren Medikamente bekommen oder das Pech haben, als Kriegskollateralschäden ihr Leben einzubüßen. Angesichts dessen macht sich eine Debatte über das Rauchen nicht schlecht und man braucht jedenfalls nicht mehr darüber nachzudenken, wer für dies alles verantwortlich ist.

Das eigentlich Problematische ist, dass es sich hier genau genommen um den Aspekt einer generellen Tendenz handelt, nämlich die immer rasantere Entwicklung zu einer Disziplin-, Überwachungs- und Kontrollgesellschaft. „Gesundheit“ ist dafür ein bevorzugtes Einfallstor. Bekanntlich leben die meisten Menschen ziemlich ungesund (nicht zuletzt natürlich weil das Leben selbst irgendwie tödlich ist). Also muss man sie zu ihrem Glück, d.h. Gesundheit zwingen, auch wenn viele andere Aspekte eines guten Lebens den Bach runter gehen. Dies gebietet schon der Sparzwang, der im Gesundheitswesen strukturbestimmend geworden ist. So wollen beispielsweise die Krankenkassen für „selbstverschuldete“ Krankheiten nicht mehr aufkommen. Damit eröffnet sich ein weites Feld. Wir essen bekanntlich zu viel und dann auch noch das falsche Fett, die Übergewichtigen nehmen zu, es wird viel zu wenig Wasser getrunken und auch zu wenig Gemüse gegessen (das allerdings auch immer teurer wird). Das eröffnet erst mal ungeahnte Geschäftsfelder, für Bio- und Wellnessprodukte (natürlich nur für die, die sie sich leisten können), oder etwa das von einem Skiausrüstungshersteller erfundene Nordic Walking. Da trotz Wellness- und Fitnessboom die Menschen jedoch in Bezug auf ihre Gesundheit grundsätzlich unverantwortlich sind, müssen sie überwacht, kontrolliert und gelenkt werden. Schon jetzt ist abzusehen, dass bald ein obligatorisches Gesundheitsführungszeugnis eingeführt werden wird. Die sich in Vorbereitung befindende Gesundheits-Chipkarte, die für die interessierten Stellen eine Fülle persönlicher Daten zum Abruf bereit hält, bietet dafür eine blendende technische Lösung. Es tut sich eine Dimension auf, die die Entwicklung zur totalitären Überwachungsgesellschaft insgesamt kennzeichnet: die Aufhebung der Privatsphäre. In den USA, so hört man, klagen jetzt schon Leute gegen ihre Nachbarn, weil diese in ihrer eigenen Wohnung rauchen. Foucault hatte bei seinen Überlegungen zur Herrschaft durch Führung und Selbstführung die moderne „Gouvernementalität“ als eine Art Rationalisierung des christlichen Pastoralverhältnisses bestimmt. Dieses erscheint nun wieder unmittelbarer: der große Bruder wacht darüber, dass wir ein tugendhaftes, gesundes und damit glückliches Leben führen.

Für diese Entwicklung gibt es, wie bei allen Überwachungsmanövern, gesellschaftliche Ursachen. Unter Verhältnissen, die den Menschen ein halbwegs selbstbestimmtes Leben immer schwieriger machen und angesichts dessen, dass es kaum noch möglich erscheint, auf die Mechanismen Einfluss zu nehmen, die unser Leben und unser Verhalten steuern, wird der Rückzug auf den eigenen Körper zum Ausweg. Er ist die Kehrseite der Entfesselung einer grenzenlosen Markt- und Profitwirtschaft. Wenn gegen Klimakatastrophen, Ozonlöcher und globales gesellschaftliches Chaos ohnehin nichts zu machen ist, bleibt eben noch übrig, darauf zu achten, dass man wenigstens irgendwie gesund bleibt. Damit wird es leichter, sich ausufernden Kontrollmanövern zu beugen. Die Ökologisierung des gesellschaftlichen und politischen Diskurses ist Resultat und von den Herrschenden gerne aufgegriffenes Antriebsmoment dieser Entwicklung.

Vielleicht tut sich aber auch Hoffung auf. Die Zwangsvergemeinschaftung der vor den Kneipen stehenden Raucher schafft durchaus auch neue Kommunikationsmöglichkeiten. Vielleicht eine Gelegenheit, darüber nachzudenken und darüber zu reden, was gesellschaftlich eigentlich nicht nur mit den Rauchern passiert.

Anmerkung:

Weitere Beiträge zum Rauchverbot gibt es unter www.folks-uni.org

© links-netz Oktober 2007