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Was hinter der Rauchverbotskampagne steht

Joachim Hirsch

Heinz Steinert hatte in seinem letzten Kommentar vermutet, nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Rauchverbot würde etwas Sachlichkeit in die merkwürdig erregte Debatte einkehren. Allem Anschein nach ist dies jedoch nicht der Fall. Deshalb lohnt es sich, weiter über ihre Hintergründe nachzudenken. Halten wir zunächst einmal fest, dass Rauchen gesundheitsschädlich ist. Wer raucht, weiß das und muss die Folgen selbst verantworten. Klar ist auch, dass Nichtraucher vor den Gefahren des „Passivrauchens“ geschützt werden müssen. Um dies zu bewerkstelligen, sind viele Vorkehrungen denkbar, auch ohne dass man unbedingt zum Mittel des generellen Rauchverbots greifen müsste. Soweit ist die Lage eindeutig und das Problem ließe sich ganz unaufgeregt behandeln.

Stattdessen wird um die Frage des Rauchverbots eine Art öffentlicher Hysterie inszeniert, woran diverse Leute mit sehr unterschiedlichen Interessen mitwirken. Angeblich steht dabei Freiheit (auch andere zu schädigen) gegen Gesundheit – ein Gegensatz, der in Zusammenhang mit der Autofetischistenparole „freie Bürger brauchen freie Fahrt“ merkwürdigerweise nicht aufgemacht wurde. Aber das Auto ist ja schließlich keine Droge und Autofahrer sind die Mehrheit. Rauchen gilt längst nicht mehr nur als eine der vielen gesundheitsschädigenden Aktivitäten, denen der moderne Mensch so anhängt, sondern hat den Status eines der Volksgesundheit abträglichen Drogenkonsums erhalten. Das hat Folgen, denn inzwischen ist es schon fraglich geworden, ob man selbst innerhalb seiner eigenen vier Wände noch unbesorgt einen Glimmstängel anzünden darf. Da könnten die Nachbarn oder die Vermieter einschreiten, oder eventuell auch das Jugendamt. Dieses Drogenszenario kann durchaus weiterentwickelt werden. Schon wird von einigen ein allgemeines Alkoholverbot gefordert (wobei Alkohol wahrscheinlich in der Tat mehr Gesundheitsschäden verursacht als das Rauchen). Als nächstes wäre dann wohl der Kaffee dran, der dem Magen und dem Kreislauf auch nicht sehr förderlich ist. Offensichtlich sind wir auf dem Weg in eine drogenfreie Gesellschaft, zumindest was den legalen Konsum angeht. Dass die Illegalisierung von Substanzen neue Geschäftsfelder mit enormen Profitmöglichkeiten schafft, ist schon von der Prohibition in den USA her bekannt, die der Mafia gewaltigen Auftrieb verschaffen hat. Die prohibitive Tabakbesteuerung hat in Bezug auf den Zigarettenschmuggel so gewirkt. Wenn man den „Drogenkrieg“ in Betracht zieht, den die USA seit Jahren in Lateinamerika führen, wird offensichtlich, dass es dabei auch um etwas ganz anderes als um Gesundheit gehen kann. Das Drogengeschäft floriert dort nach wie vor, aber die USA haben sich wichtige politische (und militärische) Interventionsmöglichkeiten gesichert. Es sind derartige Hintergründe, die das eigentlich Interessante an der aktuellen Debatte ausmachen.

Dabei sind verschiedene Interessen im Spiel. Für die Regierenden ist die Raucherkampagne zunächst einmal ein probates Ablenkungsmittel. Wenn sie in wichtigen politischen Fragen nicht weiter wissen, entwickeln sie gerne besondere Aktivitäten auf Nebenschauplätzen. Sich den Anschein zupackenden Handelns zu geben, macht sich auf jeden Fall gut und schafft Legitimation. So wird entschlossen gegen das Rauchen vorgegangen und gleichzeitig der weitere Ausbau der Atomenergie betrieben, auch wenn AKW selbst ohne GAU gesundheitlich keineswegs harmlos sind, und auch keiner weiß, wo der strahlende Müll letztendlich hin soll. Die Landschaft wird mit Straßen und Flughäfen zugepflastert, obwohl bekannt ist, dass Lärmaußerordentlich gesundheitsschädlich ist, von den Folgen fürs Klima ganz abgesehen. Des freien Bürgers freie Fahrt und das Wohl der Autoindustrie haben da Vorrang. Gentechnisch manipulierte Lebensmittel, deren Risiken derzeit niemand abschätzen kann, müssen für den freien Welthandel in Kauf genommen werden. Der eisern verteidigte Patentschutz für Medikamente und Saatgut fordert kaum zählbare Todesopfer und treibt weltweit Bauern in Armut und Verzweiflung. Nur spekulieren lässt sich darüber, welche Gesundheitsschäden der ständig steigende Arbeitsstress anrichtet. Aber auch diese müssen zum Erhalt der internationalen Wettbewerbsfähigkeit halt in Kauf genommen werden. Dass die hiesige Lebens- und Wirtschaftsweise in abgelegeneren Regionen der Welt Massen von Toten verursacht, spielt ohnehin keine Rolle. Hauptsache, wir sterben nicht am eigenen Rauch. Dagegen kann schließlich etwas getan werden, zumal da keine massiven wirtschaftlichen Interessen berührt werden, seit die Tabakindustrie sich diversifiziert hat und auch mit der Illegalisierung Geschäfte macht.

Abgesehen von solchen offenkundigen Manövern hat die Anti-Raucher-Kampagne noch einen anderen und nicht so deutlich sichtbaren Hintergrund. Man kann sie als Bestandteil einer sehr viel weiter reichenden Disziplinierungs- und Selbstdisziplinierungsstrategie betrachten, deren Ziel die Herstellung eines für den Neoliberalismus fitten und konkurrenztauglichen Subjekts ist. Dass RaucherInnen als Drogenabhängige im Grunde haltlos und leistungsunfähig sind, lässt sich schwer beweisen. Ausgemacht ist allerdings, dass andere Lüste zumindest ebensoviel Schaden, auch gesundheitliche anrichten. Man denke nur an die vielfältigen Folgen der Geldgier unserer „Eliten“. Aber es geht bei der Raucherpolitik gar nicht so sehr um Gesundheit. Es geht darum, dass Menschen dazu gebracht werden, sich als „UnternehmerInnen ihrer selbst“ permanent selbst zu kontrollieren und zu überwachen. Wenn sie dies nicht von selbst tun, muss eben nachgeholfen werden. Davon zeugt der boomende Markt für Diagnosegeräte für den Hausgebrauch ebenso wie die Pläne, „selbstverschuldete“ Krankheiten von den Kassen nicht mehr bezahlen zu lassen. Die einen werden mit Waren versorgt, den anderen wird gedroht. Die Raucherkampagne kann so gesehen als disziplinierende Strategie angesehen werden, um die Leute dazu zu bringen, sich als flexibel einsetzbare Arbeitskräfte fit, gesund und leistungsfähig zu halten und dabei die Sozialkassen möglichst wenig zu belasten. Sie fügt sich ein in die allgemeine Tendenz zu einer immer durchgängigeren Kontrolle und Überwachung der Gesellschaft bis in ihre kleinsten Verästelungen hinein. Im sich immer weiter totalisierenden Sicherheitsstaat verschwimmen die Grenzen zwischen „Staat“ und „Gesellschaft“, zwischen „Öffentlich“ und „Privat“ immer mehr. Überwachung und Kontrolle werden universalisiert. Mit dem Kampf gegen das Rauchen lässt sich dies ebenso gut begründen wie mit dem gegen Kriminalität oder Terrorismus. An dieser Strategie wirken viele mit: nationale PolitikerInnen aus den schon angeführten Gründen, die EU-Bürokratie in dem Bestreben, ihre Kompetenzen auszuweiten (was im Übrigen gut damit zusammen geht, dass sie zugleich den Tabakanbau subventioniert) oder „Experten“ vielerlei Art, die sich neben Geld öffentliche Aufmerksamkeit versprechen. Bei den ökologisch angehauchten Mittelschichten, die diese neue Form des (Selbst-) Regierens am weitesten internalisiert haben, stößt dies offensichtlich auf Resonanz. Die nichtrauchende Fahrerin eines spritfressenden Geländewagens, die zum Einkaufen auf den Bio-Hof fährt, verhält sich im herrschenden Bewusstsein jedenfalls korrekt. Wo die Sorge um die individuelle und individuell zu verantwortende Gesundheit zum zentralen Interesse wird, bleibt der Blick auf die Gesellschaft auf der Strecke. So konditionierte Subjekte lassen sich sehr viel leichter regieren. Nicht zuletzt das allmähliche Verrotten der öffentlichen Gesundheitssysteme wird dann eher in Kauf genommen.

Eine vernünftige Gesundheitspolitik täte in der Tat not. Diese findet allerdings nicht statt, solange Ablenkungsmanöver dominieren und ganz andere Ziele den Vorrang haben.

© links-netz August 2008