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Deutsche Zustände Übersicht

 

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Im Schatten des Krieges

Joachim Hirsch

Auf fast schon wundersame Weise sichern Kriege und Katastrophen der derzeitigen deutschen Regierung seit einiger Zeit das politische Überleben. Hatten ihr die Überschwemmungen und Bushs Kreuzzugsdrohungen im vergangenen Herbst noch einmal knapp die Wahlniederlage erspart, eignet sich der jetzt offen geführte Irak-Krieg bestens dazu, von der innenpolitischen Misere abzulenken: dem völligen Debakel der rot-grünen Wirtschafts- und Sozialpolitik. Von den albernen Kriegsberichterstattungen und „Brennpunkten“ in den TV-Hintergrund und in den Zeitungen auf die hinteren Seiten verdrängt, ist die in der groß angekündigten Regierungserklärung Schröders im März offen gelegte innenpolitische Bankrotterklärung kaum noch eine Diskussion wert. Vom Bundeskanzler etwas über das nächste Vierteljahr Hinausreichendes oder gar Visionäres erwarten zu wollen, wäre gewiss unangebracht. Die letzte, als Plan bis zum Jahr 2010 bezeichnete Äußerung war indessen ein neuer Tiefpunkt. Angekündigt wurde eine „Reform“ des Sozialstaats, die nun wirklich nur noch Abbau zu Lasten der Schwächsten beinhaltet, von Arbeitslosen und SozialhilfeempfängerInnen insbesondere. Über weitere Einschnitte, z.B. beim Krankengeld, wird noch gestritten, weil da noch die Gewerkschaften und gewisse „Arbeitnehmerflügel“ auf der Matte stehen. Aber über die grundlegende Richtung gibt es kaum noch eine Debatte: unhaltbar gewordene Strukturen nicht antasten, aber Leistungen immer weiter beschränken. Dass die sozialen Sicherungssysteme umgebaut werden müssen, die unter völlig anderen ökonomischen und gesellschaftlichen Bedingungen entwickelt wurden, wird von kaum jemanden ernsthaft bestritten. Dazu gehörte nicht zuletzt, die Selbstbedienungskartelle im Gesundheitssektor zu knacken und die Koppelung der Alters- und Krankheitsvorsorge an die Löhne zugunsten einer Steuerfinanzierung aufzuheben. Davon ist bei den Regierenden nicht einmal mehr die Rede. Geht auch schlecht, wenn man im gleichen Zug die Steuern für die „Besserverdienenden“ weiter senkt. Auf den bloßen Erhalt ihrer Posten reduziert und unfähig, sich mit den dominierenden gesellschaftlichen Machtgruppen anzulegen, erschöpft sich das Handeln der politischen Klasse inzwischen völlig in planlosem Durchwursteln.

Das Dramatische an der gegenwärtigen Lage ist, dass Politik im Sinne von gesellschaftlicher Gestaltung nicht mehr stattfindet. Dies gilt für die internationale ebenso wie für die innenpolitische Ebene. Während die „Weltordnung“ immer mehr die Züge eines recht- und regellosen Gewaltsystems annimmt, erschöpft sich die Innenpolitik in der Exekution selbstgeschaffener „Sachzwänge“, ohne den gesellschaftlich-politischen Status Quo auch nur noch ansatzweise in Frage zu stellen. Die neoliberale Transformation der Staaten und des Staatensystems, die die fortschreitende Erosion demokratischer Prozesse beinhaltet und damit zugleich den Verzicht auf eine längerfristig orientierte Politik bedeutet, zeigt ihre Wirkungen. Die Ironie liegt darin, dass es der Regierung nicht einmal mehr möglich ist, das zu tun, was in den neoliberalen Katechismen steht. Denn immerhin wären auch dazu Konzepte nötig und es wäre die Fähigkeit verlangt, diese konsequent zu verfolgen, nicht zuletzt auch politische Unterstützung für Veränderungen zu mobilisieren. Davon ist keine Rede. Die deutsche Politik als „neoliberal“ zu bezeichnen, ist eine Übertreibung. Sie ist weder sozial- noch neoliberal, sondern einfach nur unfähig.

Angesichts einer offen ausgebrochenen neuen Weltwirtschaftskrise und dem Desaster der internationalen Politik hofft die Regierung, sich damit politisch über Wasser zu halten, dass sie sich als Friedenskraft stilisiert, die auf internationales Recht und institutionalisierte Kooperation setzt. Dies ist nicht nur deshalb merkwürdig, weil sie es war, die verfassungswidrige Angriffskriege unter dem Deckmantel humanitärer Aktionen und von Terrorismusbekämpfung wieder zur Routine deutscher Politik werden ließ. Es ist darüber hinaus ein populistisches Manöver und eine Lüge. Nicht nur, dass die militärischen Abenteuer der USA und Großbritanniens zwar kritisiert, aber faktisch unter der Berufung auf sogenannte Bündnisverpflichtungen tatkräftig unterstützt werden. Auch mit dem Hochhalten internationalen Rechts ist es so weit nicht her. Das neue NATO-Statut, das den umfassenden Interventionsanspruch der herrschenden Metropolen ohne Rücksicht auf Völkerrecht oder Vereinte Nationen festschreibt, wurde auch von der deutschen Regierung unterzeichnet. Es passt ihr nur momentan nicht, wie die USA und Großbritannien diesen ausüben. Dass internationales Recht bestenfalls taktisch in Anspruch genommen wird, zeigt sich nicht zuletzt an der im Zusammenhang der AVACS-Auseinandersetzung geäußerten Erklärung der Bundesregierung, „politisch“ definieren zu wollen, was als Völkerrecht gilt. Deutschland wird schließlich auch am Hindukusch verteidigt, wie Verteidigungsminister Struck kürzlich wieder einmal äußerte. Es zeigt sich, dass internationale Konventionen und Rechtsregeln eben immer der unmittelbaren Gewalt der Staaten unterworfen und ihrer Anwendung von deren Interessengegensätzen bestimmt bleiben.

Im Irak-Konflikt geht es vor allem darum, wer die Kontrolle über den Mittleren Osten und Zentralasien erringt. Er ist der Typus des internationalen Konflikts, der für das 21. Jahrhundert bestimmend werden dürfte: um die Sicherung der Ressourcen, deren ungehinderter Verbrauch Grundlage der hier herrschenden Lebensweise und Ausdruck des ihr zugrundeliegenden Naturverhältnisses ist, insbesondere Energie und Wasser. Die europäischen Staaten haben in diesem Konflikt militärisch die schlechteren Karten als die USA. Mit dem Einmarsch im Irak hat dieser keinesfalls aufgehört. Die Auseinandersetzungen werden weitergehen, wenn der Krieg in welcher Weise auch immer offiziell für beendet erklärt sein wird. Dann werden „humanitäre Hilfe“ und „Wiederaufbau“ auf der Tagesordnung stehen. Auch die deutsche Regierung arbeitet daran, zumal die Industrie auf lukrative Märkte wartet. Sie beginnt, „ihre“ Hilfsorganisationen dafür in Stellung zu bringen und auf diesem Weg einen Fuß in die Tür des Iraks zu bekommen. Dafür wäre ein UN-Mandat anstelle einer amerikanisch-britischen Militärverwaltung zweifelsohne ein willkommenes Mittel. Dies wirft allerdings auch ein Licht auf die Rolle der Vereinten Nationen, die eben alles andere als das Organ einer „demokratischen“ Weltgesellschaft, sondern ein Komplex rivalisierender staatlicher Herrschaftsapparate sind, die im Zweifel immer von den mächtigen für ihre Zwecke instrumentalisiert werden können.

Es wäre nützlich, wenn sich der politische Protest endlich dem populistischen Dispositiv entziehen könnte, das Krieg und Terror herrschaftsförmig instrumentalisiert. Statt – vielleicht ungewollt – Legitimationsbeschaffung für die Regierung zu betreiben, käme es darauf an, die Zustände zum Thema zu machen, die Grundlage einer immer katastrophischere Züge annehmenden internationalen und innerstaatlichen Politik sind.

© links-netz April 2003