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Beitragen Statt Tauschen

zu Christian Siefkes Buch „From Exchange to Contributions – Generalizing Peer Production into the Physical World“

Frieder Hirsch

Ideen und Ansätze für eine post-kapitalistische bzw. transitorische Produktionsweise finden sich in kleinen Gruppen und Initiativen des undogmatischen linken/anarchistischen Spektrums, im Kontext der Freie Software Projekte (siehe www.fsf.org) sowie der Commons/Gemeingüter und Peer-to-Peer Diskussion. Hier hat die Debatte um alternativökonomische Ansätze, um die es lange Zeit still geworden war, wieder einen neuen Schwung bekommen.

Das Buch von Christian Siefkes „From Exchange to Contributions – Generalizing Peer Production into the Physical World“ entstand im Kontext dieser Szene1 und enthält viele Elemente des anarchistischen Diskurses. Es ist im Kern ein Vorschlag, das technisch und ökonomisch erfolgreiche Modell der Produktion Freier Software aus der digitalen (immateriellen) in die physikalische Welt zu übertragen und eine Peer-Ökonomie als Alternative zur herrschenden kapitalistischen Ökonomie zu entwickeln.

Diese Übertragung ist nicht trivial: digitalisierbare Güter (z.B. Software) können gegenwärtig frei und nahezu kostenlos d.h. mit ganz geringem Arbeitsaufwand kopiert verteilt und genutzt werden. Physikalische Güter (z.B. Autos) und Dienstleistungen erfordern jedoch – auch bei hoch automatisierter Massenproduktion – einen vergleichsweise hohen Arbeitsaufwand für Produktion und Verteilung.

Zum Buch

Siefkes entwickelt sein Konzept einer Peer Production2 in neun Kapiteln. Zunächst stellt Siefkes die charakteristischen Elemente der Peer-Produktion am Beispiel von Peer-Projekten der Software- und Inhaltsproduktion dar (z.B. www.apache.org), diskutiert verschiedene Probleme, die bei der Übertragung auf die materielle Produktion gelöst werden müssen und beschreibt dann, wie diese Fragen im Rahmen von Peer-Projekten beantwortet werden können. Danach wird die Perspektive auf die Zusammenarbeit vieler Projekte in einer Peer-Ökonomie erweitert, in der die Peer-Produktion die vorherrschende Produktionsweise darstellt. An den Vergleich der Peer-Ökonomie mit kapitalistischer Marktwirtschaft und Planwirtschaft schließen sich Überlegungen an, wie Menschen in einer Peer Ökonomie verschiedene Aspekte ihres Lebens gestalten können um dann Probleme zu diskutieren, die im Hinblick auf die Entwicklung einer Peer Ökonomie gelöst werden müssen. Schließlich beschäftigt er sich mit den derzeitigen Problemen der kapitalistischen Produktionsweise und den, wie er selbst sagt, spekulativen Gründen, welche die Entwicklung einer Peer-Produktion begünstigen. Im Anhang des Textes finden sich die mathematischen Formeln für die Versteigerungs- und Verteilungsmechanismen.

Ausgangspunkt: Freie Software Projekte

Die Geschichte und der aktuelle Stand der Entwicklung Freier Software in freien und global vernetzten Projekten ist der Ausgangspunkt von Siefkes Ansatz. Das Netzwerk von Projekten auf der Basis freier Software und freier Kooperation von Softwareentwickler_innen, Übersetzer_innen, Nutzer_innen etc. war in den vergangenen 20 Jahren so erfolgreich, dass kapitalistische Unternehmen wie Microsoft sich jetzt einer ernst zu nehmenden Konkurrenz gegenüber sehen. Dieser Erfolg beruht auf der besonderen Produktionsweise (Geschäftsmodell) Freier Software, die folgendermaßen charakterisiert werden kann (S. 13):

  • das Projekt entsteht durch die Idee für und das Nutzungsinteresse an einem (neuen) Produkt
  • die Teilnahme (Projektmitgliedschaft) am Projekt ist freiwillig und wird durch hilfreiche Beiträge (d.h. qualitativ gute)zum Projekt begründet ohne Rücksicht auf Herkunft, Geschlecht, Alter oder Ausbildung/Beruf
  • Der relative Einfluss der Projektmitglieder ist abhängig von der Qualität ihrer Beiträge und ihres Engagements für das Projekt (Reputation/Meritokratie)
  • Projektleiter_innen (maintainer) haben eine koordinierende und moderierende Funktion auf der Basis von Projektzielen
  • Projekt-Entscheidungen werden nach Diskussion im Konsens bzw. groben Konsens getroffen. Nicht auflösbare Differenzen werden durch Abstimmung mit den Füßen und/oder durch Gründung eines alternativen Projekts ausgetragen
  • Zusammenarbeit, Produktion und Verteilung erfolgt über Computer und Internet, ist modular konzipiert und beruht auf Informationsaustausch über Produkt, Instrumente und Verfahren
  • Das Produkt selbst kann von den Nutzerinnen frei kopiert, verteilt und abgeändert werden
  • Das Vergnügen (fun) an der Arbeit am und für das Projekt ist wichtig.

Der Umstand, dass die Produzenten Freier Software relativ frei über ihre Produktionsmittel verfügen können, der Produktionsprozess selbst auf Freiwilligkeit, Offenheit und Kooperation beruht und die produzierten Güter frei verteilt werden, führte dazu, dass Freie Software als High-Tech Produkt sich in gewisser Weise quer zum kapitalistischen Warenmarkt stellt, ohne diesen zu gefährden. Es stellt sich nun die Frage, ob und wie sich die oben beschriebene Produktionsweise immaterieller Freier Güter auf die Produktion materieller Güter und Dienstleistungen übertragen lässt.

Diese oben dargestellten Prinzipien charakterisieren im Wesentlichen ein Peer-Projekt.

Überwindung des Kapitalismus

Um Lohnarbeit und private Aneignung des Mehrwerts, Kapitalakkumulation und Monopolbildung, das Privateigentum, die Produktion für einen anonymen Markt oder Staatsbürokratie und Planwirtschaft zu überwinden, müssen in einer arbeitsteiligen Peer-Produktion ohne Geld andere Steuerungsmechanismen für den Ausgleich von Angebot und Nachfrage von Gütern, Rohstoffen und Dienstleistungen gefunden werden, ebenso Regelungen für die Verteilung knapper Güter (weil nicht beliebig kopierbar) bzw. rivalisierender Güter (Gebrauch schließt Andere aus). Hinzu kommt ein Regelungsbedarf für Bildung und Ausbildung, Kulturelle Einrichtungen, Gesundheitswesen und Altersversorgung, die arbeitsteilige Zusammenarbeit von Peer-Projekten, sowie die Regelung von Infrastruktursystemen in lokalen, regionalen, überregionalen und globalen Dimensionen. Für diese Dimensionen müssen auch informationelle, kommunikative Einrichtungen gefunden sowie Entscheidungsprozesse und Konfliktregelungsmechanismen geschaffen werden.

Siefkes Ansatz

Siefkes Produktionsbegriff umfasst alle Arten des Produzierens: von Entwurf, Design und Herstellung neuer materieller und immaterieller Güter, deren Reparatur und Wartung, Dienstleistungen aller Art und Hausarbeit. Darüber hinaus führt er einige spezielle Begriffe ein. Zentrale Begriffe sind:

  • Peer-Projekt: beruht auf freiwilligen Beiträgen, Freude an der Arbeit am Produkt und fürs Projekt, Kooperation mit Anderen auf der Basis von Gleichheit, Transparenz der Interaktionen und Prozesse.
  • Peer-Produktion: basiert auf Gemeingütern (commons) und Besitz (possession) statt Eigentum und Warentausch.
  • Beitrag (contribution): dient der Abgrenzung vom kapitalistischen Tausch (G-W-G'). Die Menschen leisten Beiträge, d.h. sie bringen ihr Arbeitsvermögen in ein Projekt ein, das sie sich ausgesucht haben zur gemeinsam-arbeitsteiligen Produktion von bestimmten, selbst gewählten Gütern.
  • Aufgaben (tasks): darunter sind jene Güter und Dienstleistungen zu verstehen, die entweder gewünscht werden oder zwingend notwendig sind (z.B. Nahrungsmittel).
  • Aufwand (effort): beschreibt das Maß an Zeit, das erforderlich ist, eine Aufgabe bzw. eine Vielzahl davon zu erfüllen, sowie den Zeitaufwand der als Beitrag eingebracht wird, um ein von anderen Peer-Projekten produziertes Gut zu erhalten.

Ausgehend von der Produktion und Verteilung in einem einzigen Modell-Peer-Projekt entwickelt Siefkes die Produktion und Verteilung in der Kooperation mehrerer Peer-Projekte, die Regelung von Infrastruktur, öffentlichen Diensten und Ressourcennutzung in aufsteigender geographischer Aggregation.

Produktion und Verteilung im Peer-Projekt

Der Kern von Siefkes Konzept der Peer-Produktion sind die Verfahren, nach denen der Aufwand für die Produktion von Gütern (Arbeitszeit) bestimmt und auf die beitragenden Menschen verteilt wird, sowie die Verteilung der auf diese Weise produzierten Güter.

Aufgaben Versteigerung (S. 27)

Der Bedarf an und die Wünsche nach Gütern definieren die Aufgaben, die in einem Peer-Projekt auf die Menschen, die Beiträge leisten können und wollen, verteilt werden müssen. Die Aufgaben unterscheiden sich nach zeitlichem Aufwand und Beliebtheit. Bleiben notwendig zu erledigende Aufgaben ohne Beitragsangebote werden diese unter den Beitragenden versteigert (task auctioning), wobei der geschätzte Zeitaufwand für die Aufgabe mit einem Popularitätsfaktor (abhängig von der Zahl derer, die diese Aufgaben übernehmen wollen) multipliziert wird und ermittelt so den gewichteten Aufwand für eine unbeliebte Aufgabe (z.B. Klo putzen).3

Der Gewichtungsfaktor wird bei wenig nachgefragten Aufgaben so lange erhöht, bis genügend Beitragende gefunden sind um die Aufgabe zu erfüllen. Ihr Vorteil besteht darin, dass sie mehr Aufwandsgutschrift in Form von gewichteten Stunden bekommen als sie tatsächlich Aufwand an Arbeitszeit erbringen müssen. Diese Aufwandsgutschrift kann in mehr Freizeit umgewandelt oder – über die akkumulierten gewichteten Stunden – in Güter, deren Erwerb einen hohen Aufwand an gewichteten Stunden voraussetzen. Bei zu großer Nachfrage kann der Gewichtungsfaktor so lange verkleinert werden, bis eine hinreichende Zahl von Beitragenden erreicht ist. Das bedeutet für sie, dass sie längere Zeit arbeiten müssen um die für die Verteilung von Gütern notwendigen gewichteten Stunden zu erzielen.

Die Verteilung der produzierten Güter (S. 33)

Die produzierten Güter können nach dem Flat-Rate Modell verteilt werden, d.h. auf das Gut kann frei zugegriffen werden so wie bei der Freien Software (s.o.). Wo das aufgrund des reproduktiven Aufwands für ein Gut nicht möglich ist, kann auch eine Pro-Kopf Verteilung stattfinden. Jeder Beitragende erhält ein Exemplar eines Gutes, z.B. Radio (task-allocation). Wenn keine mit gleichem Aufwand produzierten Güter sondern Güter mit unterschiedlicher Qualität und Produktionsaufwand (wie Wohnungen) verteilt werden sollen, können die Nachfragenden einen – entsprechend dem höheren Produktionsaufwand – erhöhten Aufwand beitragen.

Bei rivalisierenden Gütern wie die Wohnung im Haus am See bzw. in bevorzugter Lage ist das nicht möglich. Hier schlägt Siefkes eine Produkt-Versteigerung (product-auctioning) analog der Aufgaben-Versteigerung vor:

Wenn mehr Nachfrage nach einem Produkt besteht als befriedigt werden kann, kann ein Peer-Projekt die dafür benötigten relativen Beiträge erhöhen, solange bis genügend Nachfrager_innen verzichten.

Bei zu gering nachgefragten Gütern können die relativen Beiträge auch verringert werden. Peer-Projekte werden aber alles daran setzen zu verhindern, dass Güter produziert werden die nicht nachgefragt werden.

Durch Versteigerungen wird lediglich der relative Aufwand verändert. Wenn der Aufwand für ein besonderes Gut erhöht wird, wird der relative Aufwand für alle anderen Güter automatisch verringert. Insgesamt wird der gesamte Aufwand, den ein Peer-Projekt für alle seine Vorhaben aufwenden muss, gerecht unter allen Mitgliedern des Projekts verteilt. Das heißt, je mehr Güter ein Mitglied verbraucht, umso mehr muss es dafür arbeiten.

Verteilungsgemeinschaften (distribution pools)

Da ein Peer-Projekt alleine kaum alle benötigten oder gewünschten Güter produzieren kann, können verschiedene Peer Projekte mit beschränkter Güterproduktion eine Verteilungsgemeinschaft (distribution pool) (S. 41) bilden. Jedes Projekt bestimmt zwar seine interne Organisation und die Aufgaben selbst, bringt aber Aufgaben und Produkte in eine Verteilungsgemeinschaft ein. Die Projekte bilden auf diese Weise ein einziges großes Projekt zur Aufteilung der Aufgaben und Ergebnisse der Kooperation. In der Verteilungsgemeinschaft können die Aufgaben und Produkte nach denselben Verfahren verteilt werden wie in einem einzelnen Projekt (s.o). Allerdings partizipieren dann alle an der Verteilungsgemeinschaft teilnehmenden Personen und nicht nur die Mitglieder eines einzigen Peer-Projektes. Der Vorteil dieser Verteilungsgemeinschaften ist, dass Menschen in ihrem sozialen Umfeld nur in einem Peer-Projekt arbeiten und dennoch ihren gesamten Bedarf über Verteilungsgemeinschaften decken können.

Die Mechanismen in einer Verteilungsgemeinschaft sind etwas komplizierter als in einem einzelnen Peer-Projekt. So bevorzugen manche Menschen lokale Produkte (z.B. Brötchen) oder das Ansehen eines anderen Projektes ist niedrig, weil es mindere Qualität liefert. Dadurch wird die Aufgaben- und Produktversteigerung komplexer.

Infrastruktur und öffentliche Dienste (S. 46)

Siefkes geht davon aus, dass in einer Peer-Ökonomie Entscheidungen getroffen werden müssen, die die Reichweite eines Peer-Projektes oder eines Aggregates von Peer-Projekten überschreiten. Dies ist der Fall aufgrund der Verortung der Menschen in einem geographisch abgegrenzten Lebensumfeld, unabhängig von der Verortung der Peer-Projekte. Deshalb empfiehlt er die – basisdemokratische – Einrichtung von Meta-Projekten mittels Delegationsmodus von unten nach oben mit aufsteigender geographischer Reichweite. Ein Grundprinzip dieser Meta-Projekte ist, dass nur die von Entscheidungen selbst Betroffenen (stakeholder) beteiligt sind.

Neben jenen Peer-Projekten, die lokal, regional, überregional oder global über Verteilungsgemeinschaften vernetzt und tätig sind, gibt es Aufgaben und Probleme die nur das lokale Lebensumfeld der Menschen betreffen und nur dort bearbeitet und gelöst werden können: Energie- und Wasserversorgung, Straßenbau, Bildung, medizinische Behandlung, Kinder- und Altenbetreuung, Feuerwehr und Rettungsdienste etc. Diese können zwar von lokalen Peer-Projekten übernommen werden, bedürfen aber ihrerseits einer koordinierenden Instanz in Form einer Lokalen Assoziation (local association) (S. 46). Deren Aufgabe ist es zu verhindern, dass die Infrastruktur-Peer-Projekte chaotisch agieren oder stagnieren und dafür zu sorgen, dass alle erforderlichen Aufgaben sicher erledigt werden.

Einige der lokalen Infrastruktur-Peer-Projekte werden ihre Leistungen nach dem Flat-Rate Modell (Gesundheitswesen, Bildung) verteilen, andere Leistungen nach Produktionsaufwand oder auch über die Güterversteigerung (z.B. Wasser und Energie) z.B. aus ökologischen Gründen.

Abhängig von den zu lösenden Aufgaben und deren funktionalen Erfordernissen (z.B. regionale und überregionale Straßen), können Assoziationen mit größerer Reichweite gebildet werden, von der lokalen Gemeinde (100.000–500.000 Einwohner) über regionale (3–15 Mio) und überregionale Assoziationen (bis 500 Mio.) bis hin zur globalen Assoziation.

Lokale Kooperationen und Nachbarschaften

Neben kleinen sozialen Einheiten wie Haus- oder Nutzungsgemeinschaften können sich für spezialisierte Einrichtungen und Dienste mit erhöhten Anforderungen an Organisation und Koordination, Nachbarschaften (neighbourhoods), ca. 500 bis mehrere Tausend Menschen) bilden. Diese können Gemeinschafts- und Kommunikationszentren mit Bibliotheken, Car-Sharing etc. unterhalten.

Prosumer Assoziationen

Die Arbeitsteilung zwischen den Peer-Projekten verläuft im Wesentlichen horizontal (verschiedene Projekte stellen unterschiedliche Güter her und organisieren das über Verteilungsgemeinschaften). Peer-Projekte, die in demselben Gütersegment arbeiten, können sich in Prosumer-Assoziationen (prosumer associations)4 (S. 54) organisieren. Diese können folgende Aufgaben erfüllen:

  • Erfahrungs- und Wissensaustausch
  • Anpassung der Produktion an den Bedarf, Vermeidung von Unterproduktion oder Überproduktion
  • Optimierung der Produktionstechniken
  • Standardisierung und Verfahrensbeschreibungen

Natürliche Ressourcen (S. 62)

Natürliche Ressourcen sind Voraussetzung für die Peer-Produktion und sie sind geographisch ungleich verteilt. Da die Peer-Produktion auf Gemeingütern, auf Besitz und nicht auf Eigentum beruht, kann es auch kein Privateigentum an natürlichen Ressourcen (Grund und Boden, Ackerland, Wald, Gewässer, Bodenschätze) geben. Diese natürlichen Ressourcen können jeweils von lokalen Assoziationen verwaltet werden. Aufgrund der unterschiedlichen geographischen Verteilung von Ressourcen entsteht ein Anreiz für lokale Assoziationen, ihre Ressourcen in eine Verteilungsgemeinschaft einzubringen, wobei sich eine Tendenz einstellen wird, eine sehr große Verteilungsgemeinschaft für natürliche Ressourcen zu bilden um Standortnachteile auszugleichen.

Da natürliche Ressourcen wie Bodenschätze keinen Produktionsaufwand erfordern, können sie- bei Nachfrageüberhang – in Form von Nutzungsrechten in einer Verteilungsgemeinschaft versteigert werden. Die Nutzung und Verteilung der Ressourcen selbst ist natürlich mit Aufwand verbunden und kann von spezialisierten Peer-Projekten erledigt werden. Der Ausgleich von Aufwand und Nachfrage erfolgt in Verteilungsgemeinschaften (distribution pools).

Politik

Entscheidungsebenen und -verfahren (S. 70,93)

Grundsätzlich geht Siefkes davon aus, dass Entscheidungen und Konfliktregelungen auf allen Ebenen von unmittelbar oder mittelbar Betroffenen/Beteiligten (stakeholder) bzw. deren Delegierten getroffen werden. Lokale Infrastruktur und öffentliche Dienste sind Problembereiche die mit unterschiedlichen Verfahren entschieden werden können. Entscheidungen können demokratisch (über Mehrheiten, ggf. mit Quoren) oder meritokratisch (nach Verdiensten bzw. Expertise, wie bei Freie Software Projekten) entschieden werden, wobei demokratische Entscheidungen bei Zielalternativen dominieren werden und meritokratische Entscheidungen bei der Umsetzung der Ziele. Es sei denkbar, dass meritokratische Umsetzungsentscheidungen durch qualifizierte Mehrheitsentscheidungen wieder rückgängig gemacht werden können. Entscheidungen über die Verfügbarkeit von Ressourcen in lokalen Assoziationen sind besonders heikel, weil diese nicht nur die jeweilige lokale Assoziation sondern auch alle anderen lokalen Assoziationen im Pool betreffen. Siefkes schlägt deshalb vor, dass lokale Assoziationen jeweils Delegierte zur nächst höheren Entscheidungsebene in so genannte Koordinations-Komitees (coordination board) (S. 75f) entsenden.

An den Entscheidungen in solchen Meta-Projekten können alle Menschen teilnehmen die in einer lokalen Assoziation leben.

Soziale Sicherung (S. 109)

Menschen, die (noch) keine Beiträge (mehr) leisten können wie Kinder, Auszubildende, Kranke, Alte etc. muss die Teilhabe an der Güterverteilung möglich gemacht werden und der Aufwand für die beitragslos verteilten Güter auf alle Beitragenden verteilt werden. Die lokalen Assoziationen müssen also bestimmen, welche Personengruppen Güter aus den Verteilungsgemeinschaften bekommen können, ohne entsprechende Beiträge zu leisten. Hierzu müssen die Bedürfnisse der Menschen die in einer bestimmten Region leben mit den Bedürfnissen aller anderen, die ihre Beiträge in die Verteilungsgemeinschaft einbringen, abgestimmt werden. Über die Verfügbarkeit von Gütern für Nicht-Beitragende wird in einem (bottom up) Entscheidungsprozess in den lokalen Assoziationen von der lokalen Gemeinde bis zur globalen Assoziation entschieden.

Die Teilhabe von Nicht-Beitragenden an den Gütern der Verteilungsgemeinschaft muss über die Zuweisung einer bestimmten Anzahl von gewichteten Stunden (weighted hours) an diese geregelt werden. Hierzu sieht Siefkes verschiedene Möglichkeiten. So könnte ein rechnerisch ermittelter Durchschnittsbeitrag der lokalen Assoziation für eine bestimmte Periode ermittelt werden, oder der in der eigenen Lebenszeit erarbeitete persönliche Durchschnittsbeitrag.

Lokale Assoziationen mit abweichenden Vorstellungen können andere Assoziationen entweder überzeugen, oder den Mehraufwand nur auf die Mitglieder ihrer Assoziation verteilen.

Abweichungen

Siefkes diskutiert mögliche Abweichungen (S. 112) von normalen Abläufen in der Peer-Ökonomie.

Was passiert wenn ein arbeitsfähiger Mensch nichts beitragen will oder ein Beitrag im Peer-Projekt nicht akzeptiert wird? Wie kann man z.B. geschlechtsspezifische Diskriminierung bei Aktivitäten die nicht als Aufgabe versteigert werden (z.B. Aktivitäten im Haushalt) verhindern? Wie kann mit außergewöhnlichem Aufwand bei langfristigen Produktionsvorhaben oder Vorhaben mit ungewissem Erfolg (z.B. Anlagenbau, Errichtung einer Chipfabrik, (Grundlagen-) Forschung und Entwicklung) umgegangen werden? Was geschieht mit Menschen die einen längeren Urlaub machen oder eine Sabbat-Periode einlegen wollen? Was geschieht wenn Menschen ihr Lebensumfeld verlassen oder ein neues aufsuchen? Wie geht man mit Nicht-Beitragenden um, die ihr Lebensumfeld verlassen?

Für diese Fragen findet Siefkes Antworten in den schon entwickelten Verteilungsmechanismen und Entscheidungsprozessen der Peer-Ökonomie.

Werden Gesetze und Standards noch gebraucht?

Siefkes fragt, ob in einer Peer-Ökonomie noch ein Staat (Gesetze und Standards) notwendig ist und verneint das (S. 124). Der bürgerliche Staat habe die Aufgabe die kapitalistische Konkurrenz zu regulieren. Die Marktkonkurrenz führe aber nur dazu, dass die schlechteste Praxis (beste Ausbeutung zur Profitmaximierung) zum Quasi-Standard gemacht wird und alle ihm folgen müssen was die Lebens- und Arbeitsbedingungungen verschlechtert.

In einer Peer-Ökonomie dagegen sorgen Freiwilligkeit, freie Kooperation, Produktion von Gebrauchswerten für den Bedarf, Selbstorganisation, Selbstverwirklichung und basisdemokratische Entscheidungen dafür, dass nachteilige Auswirkungen auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen verhindert werden.

Gründe für die Entwicklung einer Peer Ökonomie (S. 132)

Ob eine Peer-Ökonomie tatsächlich entstehen wird, weiß Siefkes allerdings auch nicht. Es gäbe aber Hinweise in der gegenwärtigen kapitalistischen Produktionsweise, welche die Entwicklung einer Peer-Ökonomie unterstützen könnten.

Die gegenwärtige kapitalistische Produktionsweise kann ihr gebetsmühlenartig wiederholtes Wohlstandsversprechen für die Mehrheit der Menschheit nicht einlösen, sie produziert vielmehr Armut, Elend und Ausgrenzung für immer mehr Menschen sowie Umweltkatastrophen. Der Kapitalismus erzeugt Arbeitslosigkeit und Knappheit selbst lebensnotwendiger Nahrungsmittel aus Gründen der Profitmaximierung. Arbeit im Kapitalismus ist erzwungene Lohnarbeit. Dies erhöht die Chancen für Kräfte, die eine Verbesserung ihrer Lebensbedingungen erreichen wollen.

Demgegenüber sieht Siefkes in seinem Entwurf, besonders aber in dem erstaunlichen und unvorhergesehenen Erfolg der Peer-Produktion von Freier Software und Offenem Inhalt Beispiele, die genügend Gründe und Anreize liefern um Menschen zu motivieren eine Peer-Ökonomie aufzubauen – jedenfalls auf lange Sicht.

Anmerkungen zu Siefkes Konzept

Siefkes Entwurf einer Peer Ökonomie kommt aus der Informatik und dem Internet. Freie Software auf Computern sind das unverzichtbare Rückgrat seiner Peer-Economy. Gleichzeitig ist Freie Software auch ein ökonomisch erfolgreiches Produkt. Insofern unterscheidet sich sein Entwurf von allen früheren Versuchen, mit alternativen Projekten dem Kapitalismus zu entfliehen oder in seinen Nischen zu überleben. Man könnte auch sagen, dass Computer nicht nur die effiziente Globalisierung des Kapitals gefördert haben, sondern auch ein Mittel zu seiner Überwindung sein könnten.

Gleichzeitig steht das Konzept auch unter dem Verdacht des Utopismus. Die Geschichte der utopischen Entwürfe war immer auch mit einem neuen Maschinenmodell verbunden, sei es die Entdeckung der Fabrik (als System) für die sozialistischen Klassiker (Saint-Simon, Fourier, Owen etc.), sei es das Fließband und die Massenproduktion oder jetzt die „Universalmaschine“ Computer.

Siefkes Konzept will auf Privateigentum, Kapitalakkumulation, auf entfremdete Lohnarbeit, Warentausch und Geld verzichten. Die Verteilung von Gütern findet nur statt auf dem Wege über den Aufwand an Arbeitszeit (weighted hours) für ein Produkt für den Erhalt der benötigten Güter und Dienstleistungen. In den Verteilungsgemeinschaften (distribution pools) entwickelt sich das Peer-Verteilungssystem. Computer mit passender Freier Software und geeigneten Algorithmen sorgen für weitgehende Transparenz. Risiken und unproduktiver Aufwand werden auf die Mitglieder gleichförmig verteilt, Rationalisierung und vermehrter Arbeitsansatz Einzelner führen lediglich dazu, dass der kollektive Arbeitsaufwand sinkt.

Es ist zu fragen, ob sich hier das Ideenspektrum des (früh-)sozialistischen Utopismus nicht wieder durch die Hintertür einschleicht (Marx) – und bedeutet der Austausch nach 'wirklichen' Arbeitszeiten für den Austausch der produzierten Produkte über die 'Tauschbank', wie sie bei Proudhon heißt, Verrechnung nicht über 'Stundenzettel' (Proudhon) sondern computerisierte Arbeitszeitkonten nichts Anderes als Geld und gleichförmige Verteilung nach bürgerlicher Gerechtigkeitsvorstellung?

Siefkes würde diese Argument verneinen, denn in seinem Konzept findet – bei vorläufiger Bewertung – kein Austausch wie auf dem kapitalistischen Arbeits- oder Warenmarkt statt, schon gar nicht gegen Geld oder „Stundenzettel“ gegen beliebige Güter. Vielmehr entspricht sein Güterverteilungskonzept eher einer Vorstellung von Marx.5

Ob sich in Siefkes Peer-Projekten und Verteilungsgemeinschaften die „endlosen“ Diskussionen wie in den Projekten der „Alternativen Ökonomie“ der 1970er Jahre wiederholen werden ist eher unwahrscheinlich. Schließlich können die Ergebnisse politischer Diskussionen in quantitative Parameter umgesetzt und in (transparenten) Rechnersystemen verwendet werden.

Wenn Siefkes Ansatz vom Kopf auf die Füße gestellt werden soll, ist klar, dass seine Realisierung von handfesten Kämpfen gegen Staat und Kapital begleitet werden wird, sofern er aus der Privatsphäre oder der Schattenökonomie für Staat und Kapital sichtbar und wirtschaftlich relevant wird. Dafür sind die Auseinandersetzungen um Softwarepatente und Nutzungsbeschränkungen in der digitalen Welt ein Beispiel. Es ist weiterhin anzunehmen, dass der Staat auf Privateigentum. Steuern, Rechtsformen und Produkthaftung bestehen wird, zumal eine Peer-Produktion im kapitalistischen Umfeld steht und dort entwickelt werden muss. Völlig unklar ist deshalb auch wie die Schnittstelle Geld/gewichteter Aufwand gestaltet werden muss, damit das Peer-Projekt nicht schleichend vom Kapital geschluckt oder zerstört wird.

Ein garantiertes Grundeinkommen wäre eine gute Voraussetzung für die Entwicklung von Peer-Projekten, verringerte es doch den Zwang zur Lohnarbeit und erweiterte gleichzeitig die Möglichkeit frei und selbstbestimmt tätig zu werden.6 Dies macht aber auch deutlich, dass Peer-Projekte ohne parallel geführte soziale und politische Kämpfe wenig Chancen haben werden.

Literatur

Siefkes, Christian: From Exchange to Contribution – Generalizing Peer Production into the Physical World. 1.01. Berlin : Edition C. Siefkes, 2007. (In verschiedenen Formaten online verfügbar unter www.peerconomy.org)

Siefkes. Christian, Beitragen statt tauschen. Materielle Produktion nach dem Modell Freier Software. AG SPAK Bücher, Neu-Ulm, 2007. (Die deutsche Fassung erschien nach Fertigstellung dieser Besprechung und ist ebenfalls online verfügbar unter www.peerconomy.org/wiki/Deutsch)

Über den Autor

Dr. Christian Siefkes hat an der Freien Universität Berlin in Computerwissenschaft promoviert. Er ist Mitbegründer des Freie-Gesellschaft Wiki und des Keimform Blog. Gegenwärtig arbeitet er als freiberuflicher Softwareingenieur und „text-mining“ Experte. www.siefkes.net

Anmerkungen

  1. z.B. www.oekonux.de, www.freie-gesellschaft.de, www.keimform.de, www.p2pfoundation.net, www.give.at, www.icommons.orgZurück zur Textstelle
  2. Der Begriff Peer Produktion stammt von Yochai BenklerZurück zur Textstelle
  3. Aufgabengewichtung Et = Tt x Lt (mit: E = Aufwand (e_ffort), t = Aufgabe (task), T = geschätzte/notwendige Zeit für Aufgabe t, L = Aufgabengewichtung / Popularität (labour weight) = abhängig von der Anzahl der Interessenten für t. Die Größe von L kann von >0 bis n = die Zahl von Interessenten erreicht ist die ausreichen um die Aufgabe zu erfüllen)Zurück zur Textstelle
  4. Prosumer = Produzenten die gleichzeitig Konsumenten sindZurück zur Textstelle
  5. vgl. Marx' Textpassage im „Kapital“: „Stellen wir uns endlich, zur Abwechslung, einen Verein freier Menschen vor (...)“ siehe: Marx-Engels, Das Kapital, Bd 1, MEW 23, S. 92f, Berlin, Dietz, 1972 (auch im Netz verfügbar)Zurück zur Textstelle
  6. siehe dazu das links-netz-Projekt „Sozialpolitik als Infrastruktur“Zurück zur Textstelle
© links-netz Juni 2008