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Soldatenspiele

Joachim Hirsch

Die Bilanz der rot-grünen deutschen Bundesregierung ist nach vier Jahren ein ziemliches Desaster: eine lahmende Wirtschaft, horrende Arbeitslosenzahlen, ein marodes Bildungssystem, zerrüttete Gemeindefinanzen aufgrund großzügiger Steuergeschenke an die Unternehmer, Kürzungen von Sozialleistungen auf breiter Front. Nur einen Erfolg kann diese Regierung wirklich aufweisen: sie hat es geschafft, Deutschland, das im vergangenen Jahrhundert zwei Weltkriege angezettelt hat und für den Völkermord der Nazis verantwortlich ist, wieder als sozusagen normale kriegführende Macht zu etablieren. Damit waren auch innenpolitisch Punkte zu machen. Ihre Soldatenspiele konnten als nützliche Ablenkungsmanöver inszeniert werden, wenn Pleiten, Pech und Pannen überhand genommen hatten. Wo immer sich die Chance für eine kleinere oder größere Militärintervention irgendwo in der Welt auftut: die Deutschen wollen dabei sein. Der Eindruck wächst, als warte man in Berlin sehnsüchtig auf den nächsten Terroranschlag. Dazu passt der jüngste Coup von Bundeskanzler Schröder, der vorschlug, deutsche Truppen sollten bei einer bewaffneten "Friedensmission" in Israel und Palästina eingesetzt werden. Eine in mehrerer Hinsicht höchst pikante Idee, nicht nur wegen der Vergangenheit, die trotz aller regierungsamtlichen Normalisierungsbemühungen doch nicht so einfach zu glätten ist. Der Vorschlag war auch deshalb kindisch, weil jedermann weiß, dass es allein von den USA und von sonst niemand abhängt, wer dort wie Krieg führen darf. Dies und weniger die üblichen Koalitionsquerelen – Schröder hatte Außenminister Fischer mal wieder die Show gestohlen – führte dazu, dass dann doch wieder zurückgerudert wurde. Der ganze Vorfall passt in das Bild einer Politik, die zwar von einem erheblichen Grad an Dilettantismus geprägt ist, aber eine gewisse Zielstrebigkeit keinesfalls vermissen läßt. Dahinter steht ein politisches Dilemma, das von Verteidigungsminister Scharping personifiziert wird, der nicht nur wegen seiner privaten Affären sozusagen die Lachnummer der amtierenden Regierung abgibt.
Begonnen hat sie mit den Balkaninterventionen und dem Kosovokrieg, damals noch unter der Flagge von Demokratie, Menschenrechten und zivilisierter Völkergemeinschaft geführt. Der vorläufige Höhepunkt war der Afghanistaneinsatz, jetzt als Kampf gegen den internationalen Terrorismus deklariert. Mit einer ziemlich peinlichen Impertinenz wurde den USA eine deutsche Beteiligung an der Interventionstruppe aufgedrängt, der sie nach einigem Hin und Her schließlich nachgeben mussten. Denen war nämlich eher an politischer Loyalität – Schröders "bedingungslose Solidarität" – denn an praktischer Einmischung gelegen. Seither darf das deutsche Kontingent als Palastwache einer Regierung fungieren, deren Macht nicht einmal Kabul umfasst, während die USA und Großbritannien ihre Stützpunkte in den strategisch relevanten Teilen des Landes ausbauen.
Das Ganze hat einiges mit der neuen Weltordnung nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion zu tun, die durch die fast uneingeschränkte militärische Dominanz der USA gekennzeichnet ist. Sie bestimmen mit ihrer waffentechnischen und logistischen Überlegenheit ausschließlich darüber, wer wo und wann einen Krieg im konventionellen Sinne führen darf. Dieses veränderte globale Machtverhältnis ist auch ein Grund dafür, warum "Terrorismus" als in der Tat "unkonventionelle" Form der gewaltsamen Auseinandersetzung an Bedeutung gewonnen hat. Die europäischen Staaten bringt das in eine prekäre Situation, weil sie nach dem Ende der Blockkonfrontation in der Konkurrenz zwischen den kapitalistischen Zentren erheblich geschwächt sind. Daher die oft bemängelte außenpolitische "Hilflosigkeit" der Europäischen Union. Das gilt insbesondere für Deutschland, das selbst auf den Status einer formellen Atommacht verzichten muss. Was also tun, wenn es um geostrategische Kontrolle, Marktzugänge und Rohstoffsicherung geht? Wenn man von den USA in diesen Fragen nicht völlig abhängig werden will? Inzwischen dürfte auch den Wohlmeinendsten klar sein, dass der eigentliche Grund für die Afghanistan-Intervention weniger der Kampf gegen den "Terrorismus" denn die Sicherung einer strategischer Position in Zentralasien zwecks Eindämmung Russlands und des mächtiger werdenden China und nicht zuletzt zur Gewährleistung der Ölversorgung war. "Bin Laden" hat dafür nur den willkommenen Anlass geliefert. Ebenso übrigens wie die offenkundige Nicht-Intervention der USA im Nahen Osten Teil einer Politik ist, die darauf abzielt, durch das Offenhalten von Konfliktherden den Einfluss auf diese rohstoffstrategisch immer noch zentrale Weltregion zu behalten. Die deutsche Politik steht vor dem Dilemma, angesichts der bestehenden Machtverhältnisse und zur Sicherung der herrschenden ökonomischen Interessen zwar auf die Kooperation mit den USA angewiesen zu sein, aber gleichzeitig in einem starken Konkurrenzverhältnis mit ihnen zu stehen. Das erklärt zum Teil ihre manchmal etwas abstrus erscheinende Militärpolitik. Die Regierung hat sich darauf verlegt, wenigstens irgendwie dabei sein zu wollen, sozusagen wenigstens symbolisch Großmacht zu spielen zu können, in der Hoffnung, daraus erwachse schließlich eine zumindest subalterne Macht- und Einflussposition. Und eben diese Subalternität ist es auch, die ihr permanente Peinlichkeiten nicht erspart. Etwa in der Gestalt, dass deutsche Truppentransporter wochenlang warten mussten, bis ihnen die USA in Afghanistan überhaupt einmal eine Landeerlaubnis erteilten.
Gleichzeitig ist die deutsche Regierung gezwungen, ihre Großmachtattitüden mit höchst unzulänglichen Mitteln zu verfolgen. Es ist immerhin bemerkenswert, dass sich die Bundeswehr schon dann an den Rand eines personellen und logistischen Kollapses manövriert, wenn sie in paar Tausend Soldaten jenseits der eigenen Grenzen einsetzen muss. Und in diesen Zusammenhang gehört nun die zweite Debatte, die in jüngster Zeit die Leitartikler beschäftigt hat: der Streit um die Abschaffung der Wehrpflicht. Diese ist in der Tat ein Relikt aus vergangenen Zeiten, wo man zumindest noch plausibel machen konnte, es ginge um die Notwendigkeit einer militärischen Landesverteidigung. Diese Zeiten sind nach dem Ende des Kalten Krieges passé. Was heute gebraucht wird, sind sogenannte Kriseninterventionstruppen, also hochspezialisierte und mobile Einheiten, die gemäß geostrategischer und wirtschaftlicher Interessen in allen Teilen der Welt eingesetzt werden können. Eine Wehrpflichtarmee taugt dafür kaum. In dieser Frage läuft der Riss nun allerdings direkt durch die regierende Koalition. Die GRÜNEN, die nach eigenem Motto weder rechts, noch links, sondern einfach nur vorne sind, haben die neuen Verhältnisse gut begriffen und fordern konsequent die Berufsarmee. Spezialisierte Einheiten hochtechnisierter Killerexperten passen nicht nur besser zu der neuen militärstrategischen Lage. Nachdem die Partei in einer Art verbalem salto mortale den kriegführenden Pazifismus erfunden hat, lassen sie sich auch besser politisch legitimieren, solange es gelingt, ihnen ein zivilisatorisches oder gar humanitäres Mäntelchen umzuhängen. Konservativere Teile in CDU/CSU und SPD hingegen glauben immer noch, entgegen aller Realitäten die Illusion der Notwendigkeit einer Landesverteidigung aufrechterhalten zu müssen. Der christdemokratische Fraktionschef Merz, immer mal wieder für einen Joke gut, hat dies noch auf die Spitze getrieben, als er im Gegenzug die Einführung der Wehrpflicht für Frauen forderte. Das liege – er muss es ja wissen – in deren Interesse. Echte Neoliberale finden Zwangsarbeit halt immer irgendwie gut. Im Unterschied zur Bundeswehr wird diese in Form des "zivilen Ersatzdienstes" in der Tat auch dringend gebraucht. Dass man die Armee angesichts des Fehlens jeder militärischen Bedrohung einfach abschaffen könnte, taucht als Argument nicht einmal mehr auf.
Kaiser Wilhelm II. hat sich ähnliche Soldatenspielchen geleistet, als das Deutsche Reich Ende des 19. Jahrhunderts den Griff nach der Weltmacht wagte. Davon kann zum Glück heute keine Rede mehr sein. Was allerdings bleibt, ist der entschlossene deutsche Beitrag zur Destabilisierung der Welt und der recht erfolgreiche Versuch, autoritäre Herrschafts- und Unterdrückungsverhältnisse sowohl international als auch im Inneren zu verstärken. Immerhin hat der freudig proklamierte "Kampf gegen den Terrorismus" zu einer zuvor praktisch nicht möglich gehaltenen Perfektionierung des Schnüffel- und Überwachungsstaates geführt. Wie sich inzwischen gezeigt hat, fängt man damit keine Terroristen. Aber darum geht es ja auch nicht.
Eine Diskussion über die strategischen und ökonomischen Interessen, die hinter der Militär- und Sicherheitspolitik stehen, findet in der Öffentlichkeit praktisch überhaupt nicht mehr statt. Dies ist ein inzwischen allseits akzeptiertes Tabu. Wer es antastet, etwa ökonomische Interessen und Machtbeziehungen auch nur erwähnt, gilt – wie vor kurzem in einem Kommentar der sich immerhin als linksliberal bezeichnenden "Frankfurter Rundschau" – als rückständiger "Marxist". Die Abdankung kritischer Intellektueller gehört zu den besonderen Markenzeichen der "Berliner Republik".
© links-netz Mai 2002