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Spendenindustrie

Joachim Hirsch

Auch wenn es hierzulande mit Rekorden derzeit etwas hapert, im Spenden anlässlich der Flutkatastrophe sind die Deutschen nun wohl wieder Weltmeister geworden, trotz Hartz IV, Arbeitslosigkeit, Gesundheits- und Rentendebakel. Die "Geiz ist geil"-Nation äußert überraschende Mildtätigkeit. Dass die Bundesregierung sich dabei besonders großzügig gibt, ist verständlich, feilscht sie doch hartnäckig um einen Sitz im UN-Sicherheitsrat und sammelt so internationale Bonuspunkte. Innenpolitisch kam dem Bundeskanzler die Flut wieder mal zum richtigen Zeitpunkt, konnte er sich doch erneut als zupackender Macher ins Szene setzen, während der reisende Außenminister Betroffenheit zeigte. Das hebt die Umfragewerte gewaltig. Da mochte auch FDP-Brüderle nicht nachstehen und machte den pikanten Vorschlag, deutsche Arbeitslose als Ein-Euro-Jobber in die Katastrophengebiete zu schicken – ein Anlass, mal über Berufsverbote für Politiker wegen nachgewiesener Dummheit nachzudenken. Große Naturkatastrophen haben immer politische Effekte. Sie verschieben die Kräfteverhältnisse in den betroffenen Ländern und wirken sich auf die internationalen Beziehungen aus. Die USA, vorübergehend unter die Fittiche der Vereinten Nationen zurückgekehrt, versuchen durch Hubschraubereinsätze ihr zerrüttetes Image aufzupolieren und die deutsche Regierung visiert längerfristige "Hilfspartnerschaften" an, um endlich auch in diese Region einen Fuß zu bekommen. Inwieweit aus den großzügigen Zusagen dann Realität wird, wo das Geld abgezwackt wird und es ob es wirklich zu dem groß angekündigten Schuldenerlass kommt, bleibt abzuwarten. Dass indessen die großen Hilfsorganisationen zum Teil nicht mehr wissen, wohin sie mit dem Geld sollen, ist eher erklärungsbedürftig.

Dass das Spendenaufkommen so beachtlich ist, hängt auch damit zusammen, dass hierzulande die Spendenindustrie, d.h. das Netzwerk aus professionellen Hilfsorganisationen und Medien besonders gut funktioniert. Die Hilfsorganisationen sind von beständigen Spendenflüssen abhängig. Diese benötigen sie nicht zuletzt, um ihre bürokratischen Apparate zu finanzieren. Das Spendenaufkommen ist in den letzten Jahren jedoch erheblich dünner geworden. Da kommen Katastrophen genau richtig, vor allem wenn sie sich medial gut in Szene setzen lassen. Das Makabre am Hilfsbusiness ist, dass es eigentlich von Katastrophen lebt, sofern sie sich gut verkaufen lassen. Die Hunderttausenden, die jährlich an Hunger und mangelnder Hygiene sterben, eignen sich dazu weniger gut, ebenso wenig wie die, die täglich den in Kriegen und Bürgerkriegen gelegten Minen zum Opfer fallen. Genau so wenig interessant und quotenträchtig sind Vorhaben, die auf eine nachhaltige Verbesserung der Lebensumstände in den armen und peripherisierten Regionen der Welt zielen.

"Entwicklungshilfe" ist bekanntlich mega out. Das hängt auch damit zusammen, dass sie in ihrer bisherigen Form in vieler Hinsicht gescheitert ist, nicht zuletzt deshalb, weil sie immer stärker für die Interessen der reichen Länder instrumentalisiert wurde. Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts muss sie auch nicht mehr zu Legitimationszwecken herhalten. Stattdessen boomt immer stärker die Hilfe bei Katastrophen, an denen kein Mangel herrscht, insbesondere auch an solchen, die durch menschliches Handeln oder Nichthandeln verursacht werden. Auch die Auswirkungen einer Naturkatastrophe wie der großen Flut wären nicht so immens, wenn sie nicht ökonomische und soziale Strukturen treffen würden, die durch vielfältige Formen der Armut besonders verwundbar sind.

Für die vor allem an Einschaltquoten interessierten Medien ist auf der anderen Seite die Chance zur Inszenierung von Reality Shows, die sich humanitär rechtfertigen lassen, und Spendengalas auf jeden Fall eine willkommene Sache. Vor allem dann, wenn die Hilfsorganisationen auch noch dafür bezahlen, wie es jetzt der Fall war. Dass bei der Flutkatastrophe viele europäische Touristen umgekommen sind, macht alles noch interessanter und erhöht den speziellen human touch, der bei Ereignissen, die allein die Bevölkerungen peripherer Länder betreffen, nicht so leicht zu haben wäre. Insgesamt bleibt der Spendenmarkt heiß umkämpft. Dominiert wird er von einem Kartell von Hilfsorganisationen namens "Deutschland hilft", das in einem engen Verbund mit den großen Fernsehanstalten wirkt. Wenn ein Markt boomt, floriert allerdings auch die Konkurrenz. Neben einer Menge dubioser Abzocker finden neuerdings auch immer mehr Unternehmen im Spendensammeln eine nützliche PR-Gelegenheit. Das Problem dabei ist nur, dass auch die großen Hilfsorganisationen mit dem gesammelten Geld zum Teil nichts anfangen können, weil ihnen die technischen Möglichkeiten für ein zweckmäßiges Eingreifen fehlen oder der Zugang zu den Opfern schwierig ist. Dazu kommt, dass jede Hilfe Gegenstand und Mittel interner Machtkämpfe in den z.T. von Bürgerkriegen zerrissenen Regionen werden muss und die von den Hilfsorganisationen proklamierte humanitäre Neutralität eine Illusion ist. Sinnvolle Hilfe müsste auf langfristige Maßnahmen in Zusammenarbeit mit den betroffenen Bevölkerungen und auf eine perspektivische Verbesserung der Lebensbedingungen zielen. Das allerdings sieht das Hilfsbusiness nicht als seine Aufgabe an. Mit einem spektakulären Einfliegen von Notfallbrigaden, die dann wieder abziehen, wenn das öffentliche Interesse nachgelassen hat, ist es nicht getan. "Ärzte ohne Grenzen", einer größten internationalen Hilfskonzerne, hat kürzlich immerhin öffentlich eingeräumt, die empfangenen Gelder nicht mehr verwenden zu können.

Die Existenz der Spendenindustrie erklärt indessen für sich genommen noch nicht die überbordende Spendenbereitschaft. Mobilisierung braucht ein Potential. Unbestreitbar gibt es eine starke Betroffenheit angesichts des über die Bildschirme veranschaulichten menschlichen Desasters. Und sie wirkt natürlich ganz persönlich angesichts der Tatsache, dass man ja auch selbst gern in die Urlaubsghettos im schönen armen Süden reist. In Bezug auf das permanente Sterben an Armut, Krankheit und Gewalt im Normalzustand dieser Welt ist davon wenig zu spüren. Und so gewinnt die Spendenrallye auch den Charakter einer Art von Ablasshandel, von dem alle irgendwie zumindest moralisch profitieren.

Für die Betroffenen rund um den indischen Ozean müsste es um mehr gehen als die Linderung aktueller Notlagen, nämlich um die Schaffung von ökonomischen, sozialen und infrastrukturellen Bedingungen, bei denen auch Naturkatastrophen nicht solche desaströsen Auswirkungen haben müssen. Dies beträfe zum Beispiel die internationalen Handelsbeziehungen, die langfristige Verbesserung der Lebensumstände, die ökonomische Entwicklung und den Aufbau funktionierender gesellschaftlicher Strukturen. Dazu bedürfte es gleichberechtigter Partnerschaften mit gesellschaftlichen Organisationen vor Ort statt Mildtätigkeit, die im schlimmeren Falle nur neue Abhängigkeiten schafft. Medienwirksam ist das nicht, und das etablierte Hilfsbusiness ist dazu auch kaum in der Lage. Es lebt eben von Nothilfen. Eine Konsequenz aus der Katastrophe wäre nicht nur der Aufbau von technischen Frühwarnsystemen, sondern ein praktisch anderes Verhältnis von reicher und armer Welt. Dazu gehörte auch, das bestehende System von Hilfe in Frage zu stellen.

Als ergänzende Lektüre empfehlen wir den anlässlich einer früheren Flutkatastrophe und ihrer politischen Instrumentalisierung verfassten Beitrag von Kathy Laster und Heinz Steinert: „Höhere Gewalt und anderes Unglück. Über den politischen Nutzen von Naturkatastrophen“ (Die Redaktion)

© links-netz Januar 2005