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Komplett neue Fassung, November 2001

Globalisierung und Terror

von Joachim Hirsch

Der Terrorismus, der mit den Anschlägen von New York und Washington in Erscheinung getreten ist, hat in mehrfachem Sinn mit Globalisierung zu tun. Von seinen Ursachen, Hintergründen und Aktionsformen her scheint er tatsächlich in gewissem Sinne eine neue Qualität aufzuweisen. Er wird als internationales, einzelnen Staaten nicht mehr eindeutig zuzuordnendes Netzwerk mit undurchsichtigem gesellschaftlichem Hintergrund identifiziert und die deregulierten Kapital- und Finanzmärkte liefern ihm ebenso wie die modernen Kommunikationsmittel eine wichtige Operationsbasis. Gleichzeitig ist er in seinen Ursachen und Wirkungen ohne Berücksichtigung der mit dem kapitalistischen Globalisierungsprozess durchgesetzten gesellschaftlichen und politischen Strukturveränderungen, der damit verbundenen sozialen Verwerfungen und Umwälzungen in der Struktur des Staatensystems kaum zu verstehen.

Dem neuen Schub der kapitalistischen Globalisierung, der das Gesicht der Welt in den vergangenen Jahrzehnten entscheidend verändert hat, liegt eine politische und ökonomische Strategie zugrunde, die darauf abzielte, zur Überwindung der Krise der siebziger Jahre die keynesianisch-sozialstaatlichen politischen Strukturen der Nachkriegszeit zu zerschlagen und damit die Produktions- und Verteilungsverhältnisse nachhaltig zugunsten des Kapitals umzuwälzen. Wesentliche Akteure dieses Transformationsprozesses waren das internationalisierte Kapital und die dominierenden kapitalistischen Staaten, neben Großbritannien insbesondere die USA. Die Vereinigten Staaten deshalb, weil dort der korporative Wohlfahrtsstaat traditionell weniger stark ausgebaut und der Marktliberalismus ideologisch prägender war. Dadurch konnten sich hier die bestimmenden Kapitalinteressen am deutlichsten politisch artikulieren und aufgrund der ökonomischen und militärischen Stärke dieses Landes weltweit durchsetzen. Es ist also kein Zufall, dass die USA der bevorzugte Standort des international operierenden Kapitals sind. Dies gilt insbesondere für die zu neuen wirtschaftlichen Schlüsselsektoren heranwachsenden informations-, kommunikations- und biotechnologischen Industrien. Die neoliberale Globalisierung bedeutete damit zugleich die Wiedererrichtung der in den 60er und 70er Jahren - mit Weltwirtschaftskrise, Vietnamkrieg und dem ökonomischen Erstarken Westeuropas und Japans - in Frage gestellten US-amerikanischen Dominanz. Mit ihr gelang es, die konkurrierenden Zentren der kapitalistischen "Triade" merklich zu schwächen. Der Zusammenbruch der Sowjetunion, der ebenfalls als eine Folge dieses globalen ökonomischen und politischen Umstrukturierungsprozesses gesehen werden muss, besiegelte zugleich den vorläufigen Untergang der sogenannten "westfälischen", mit dem Frieden von Münster und Osnabrück am Ende des dreißigjährigen Krieges etablierten internationalen Ordnung, die das moderne Staatensystem bis in das 19. und 20. Jahrhundert geprägt hatte. Das relative militärische Machtgleichgewicht zwischen konkurrierenden Staaten und Staatengruppen hatte den einzelnen Staaten einen gewissen politischen und ökonomischen Bewegungsspielraum gewährt und war eine wesentliche Grundlage ihrer wenn auch immer mehr oder weniger begrenzten "Souveränität". Ihr "Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit", von Max Weber als das entscheidende Merkmal des modernen Staates bezeichnet, beruhte sehr wesentlich auf dieser spezifischen internationalen Struktur. Seit 1989 existiert dieses Verhältnis praktisch nicht mehr, und damit hat sich der Charakter der Staaten und des Staatensystems grundlegend verändert. Kennzeichnend dafür ist auf internationaler Ebene eine unilaterale ökonomisch-militärische Machthierarchie, die sich in der wachsenden Relevanz internationaler Regime und Organisationen ausdrückt. Dies verbindet sich mit einer Verlagerung politischer Prozesse auf regionale und subnationale Ebenen, ein Vorgang, den man insgesamt als Internationalisierung des Staates bezeichnen kann (vgl. Hirsch/Jessop/Poulantzas 2001).

Die "neue Weltordnung", von Präsident Bush I. nicht zufällig anlässlich des zweiten Golfkriegs zu Beginn der neunziger Jahre ausgerufen, ist durch die fast uneingeschränkte ökonomische und militärische Vorherrschaft der USA charakterisiert. Das bedeutet, dass gegen sie – und im wesentlichen auch ohne ihre Duldung und Unterstützung – ein Krieg im konventionellen Sinne praktisch nicht mehr geführt werden kann. In gewissem Sinne ist damit die alte Staatenordnung durch ein neues und nun fast weltumfassendes "Empire" abgelöst worden, das durch die USA in Verbindung mit den ihnen untergeordneten kapitalistischen Triadezentren wirtschaftlich und militärisch beherrscht wird. Diese Machtstruktur definiert - teilweise mittels entsprechender internationaler Organisationen wie Internationaler Währungsfonds, Weltbank und Welthandelsorganisation - die entscheidenden wirtschaftlichen Regelsetzungen und nimmt das Recht militärischer Interventionen in jedem beliebigen Teil der Welt für sich in Anspruch. Die Bedeutung dessen, was "Souveränität" und "Gewaltmonopol" heißt, hat sich damit entscheidend verändert. Im Gegensatz zu den aktuell diskutierten Thesen von Negri und Hardt (2000) bedeutet die Existenz dieses "Empires" allerdings keineswegs eine grundsätzliche Schwächung oder gar Auflösung der Nationalstaaten und schon gar nicht bildet sich dabei ein diffuses politisch-ökonomisches Netzwerk ohne definierbares Machtzentrum heraus. Das komplexe Geflecht konkurrierender und kooperierender Staaten bestimmt immer noch wesentlich die politischen und ökonomischen Prozesse. Dies schon deshalb, weil das dominierende internationale Kapital sich sehr wesentlich auf das bestehende Staatensystem, die immer noch weitgehend einzelstaatlich kontrollierten Gewaltapparate und die durch staatliche Grenzziehungen erzeugten ökonomisch-sozialen Differenzen stützt, auch wenn es als Folge der auf die Deregulierung der Kapital- und Finanzmärkte basierenden Internationalisierung der Produktion den einzelnen Staaten insgesamt unabhängiger gegenübertritt und seine Standorte flexibler wählen kann. Die der Globalisierung zugrundeliegende Internationalisierung des Kapitals setzt daher die beherrschende Stellung der USA als Garantiemacht des freien Waren- und Kapitalverkehrs und der für sie maßgebenden rechtlichen und institutionellen Regelungen voraus und stabilisiert sie im Prozess der neoliberalen Globalisierung zugleich. Wenn man so will, benötigt die globalisierte kapitalistische Ökonomie in der durch das neoliberale Projekt hervorgebrachten Form ein politisches und militärisches Zentrum, das gleichwohl nicht die Gestalt eines "Weltstaates" annehmen kann, sondern die Form eines komplexen Staatenverbundes annimmt. Dies wäre wahrscheinlich eine etwas genauere Definition dessen, was man sich unter dem neuen "Empire" vorstellen kann. Dabei unterliegen die Staaten zwar in ihrer inneren Struktur und in ihren wechselseitigen Beziehungen grundlegenden Transformationsprozessen, das System konkurrierender Einzelstaaten ist und bleibt jedoch ein Strukturmerkmal des kapitalistischen Produktionsverhältnisses. Es ist eine wesentliche Bedingung für die Regulierbarkeit antagonistischer Klassenverhältnisse und Voraussetzung eines kapitalistischen Verwertungsprozesses, der auf die Ausnutzung unterschiedlicher politisch-sozialer "Standorte" angewiesen ist. Bevor man also über den Untergang des Staates, die sogenannte "Weltgesellschaft" oder ein neues "Empire" spekuliert, wäre es daher für eine politische und theoretische Orientierung zweckmäßig, zunächst einmal einige grundlegendere gesellschafts- und staatstheoretischen Überlegungen anzustellen.

Die neuen internationalen Dominanz- und Abhängigkeitsverhältnisse drücken sich darin aus, dass sich die Welt nach dem Untergang der Sowjetunion praktisch in eine Gruppe sowohl konkurrierender wie kooperierender "starker Staaten" – die kapitalistische Triade – auf der einen, die ökonomisch und politisch peripherisierten "schwachen" Staaten auf der anderen Seite teilt. Damit hat das Nord-Süd-Verhältnis als Konfliktachse eine völlig neue Bedeutung erlangt. Nach dem Untergang der "zweiten" gibt es auch keine "dritte" Welt mehr, sondern nur noch Zentrum und Peripherie, die allerdings beide höchst ungleiche sozialökonomische und politische Strukturen aufweisen, in sich stark fragmentiert und geographisch immer weniger eindeutig definierbar sind. Ihren ideologischen Niederschlag findet diese neue Konfliktachse in der Formel vom "Kampf der Kulturen", in der Konstruktion einer "islamischen Bedrohung" und allgemein in der inzwischen geläufig gewordenen Umdefinition politisch-sozialer Konflikte in religiös-weltanschauliche – auf allen Seiten übrigens.

Ein entscheidendes Merkmal des postfordistischen Kapitalismus besteht darin, dass es den USA zwar gelungen ist, eine bislang beispiellose ökonomische und militärische Dominanzposition zu erringen, diese aber nicht zur Grundlage einer neuen hegemonialen Ordnung wurde, so wie es in der Ära des Fordismus in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg bis zu einem gewissen Grade noch der Fall war. Der Unterschied zwischen "Dominanz" und "Hegemonie" ist in diesem Zusammenhang wichtig, gerade weil die Begriffe in der politischen Diskussion sehr oft recht unscharf verwendet werden. Es kommt dabei darauf an, die von Gramsci für den einzelgesellschaftlichen Rahmen entwickelten Kategorien für eine Analyse des internationalen Systems fruchtbar zu machen, was einige Präzisierungen und Modifikationen erfordert (vgl. Bieling/Deppe 1996, Gill 1993). Zunächst einmal muss zwischen ideologischer und politischer Hegemonie unterschieden werden. Der Neoliberalismus mag zwar ideologisch beherrschend geworden sein - bekanntlich bis weit in das ehemalige linksalternative Milieu hinein. Dies bedeutet allerdings nicht, dass sich gleichzeitig eine politische Hegemonie entwickelt hat. Auch ist eine militärisch und ökonomisch beherrschende Stellung nicht notwendig hegemonial, auch dann nicht, wenn sie einigermaßen dauerhaft ist. Politisch hegemonialen Charakter gewinnt ein Herrschaftsverhältnis dann, wenn es sich nicht nur auf - ökonomische und militärische - Gewalt, sondern auch auf Konsens stützt, wenn es nicht nur auf Unterdrückung, Fragmentierung und Ausgrenzung beruht. Dies hat institutionelle und materielle Voraussetzungen. Die Schaffung von Konsens bedarf einer politischen Führung, die relevante gesellschaftliche Gruppen und Kräfte einbindet, gewisse politische und materielle Zugeständnisse auch gegenüber den Untergeordneten und Beherrschten durchsetzt und damit den Menschen über soziale, kulturelle und staatliche Grenzen hinweg eine gemeinsame Perspektive verspricht. Und genau an dieser Eigenschaft mangelt es der bestehenden "Weltordnung".

Dem liegt ein fundamentaler Widerspruch des neoliberalen Projekts zugrunde: die Deregulierungs- und Globalisierungspolitik, mit der die USA ihre ökonomische Dominanz wiedererringen konnten, bedeutet zugleich den programmatischen Verzicht auf eine politische Gestaltung und soziale Integration der "Welt"-Gesellschaft. Sie setzt wesentlich auf die Wirksamkeit des kapitalistischen Marktmechanismus, dessen politisch und sozial desintegrierende und konflikthafte Folgen notfalls mit Gewalt bearbeitet werden. Die USA beherrschen zusammen mit den kooperierenden "starken" Staaten die Welt im wesentlichen mit ökonomischen – eben der weltweit durchgesetzten neoliberalen Deregulierungsstrategie – und militärischen Mitteln. Unter ihrer Führung ist die NATO zu einem globalen, außerhalb der Vereinten Nationen und außerhalb des herkömmlichen Völkerrechts operierenden Interventionsinstrument geworden, im dem sich das trotz permanenter innerer Konflikte gemeinsame Interesse der dominierenden kapitalistischen Zentren an der Erhaltung ihrer ökonomischen und politischen Vormachtstellung und damit zugleich an der Stabilisierung der bestehenden ökonomischen Strukturen ausdrückt. Die Folge ist eine vielschichtige Desorganisation der Welt, die sich in wachsenden ökonomisch-sozialen Ungleichheiten auf nationaler wie internationaler Ebene, der Marginalisierung ganzer Weltregionen, der Fragmentierung und dem Zusammenbruch von Staaten mit den damit verbundenen bürgerkriegsartigen Konflikten äußert. Die zunehmende Welle von Rassismus, Nationalismus und "Fundamentalismus" ist eine Folge davon. Die "neue Weltordnung" ist in der Tat eher eine sich permanent verstärkende "Welt-Unordnung".

Damit wird es unmöglich, der ökonomisch globalisierten und politisch-militärisch durch ein Zentrum kontrollierten Welt und den in ihr existierenden sozialen Gruppen, Staaten und Regionen materiell und politisch eine Existenz- und Entwicklungsperspektive zu geben, d.h. sie nicht nur zu beherrschen, sondern ökonomisch und sozial zu stabilisieren. Dazu wäre es notwendig, dass die dominierenden Staaten in gewissem Umfang materielle und politische Zugeständnisse machen sowie kooperative internationale ökonomische und soziale Regulierungen akzeptieren, die auch die Interessen untergeordneter und schwacher Staaten, Bevölkerungsgruppen und Regionen berücksichtigen. Und nicht zuletzt müsste dies gegen herrschende Kapitalinteressen durchgesetzt werden – so wie es zu Zeiten des Kalten Kriegs unter dem Druck der Systemkonkurrenz in gewissem Umfang noch der Fall war. Ging es damals in der politischen Rhetorik noch um "Entwicklung", "Aufholen", die "Gleichheit der Lebensverhältnisse" und ähnliches, so proklamiert die dominierende Macht heute schlicht das Prinzip des "America first". Dies ist keineswegs nur ein Wechsel der propagandistischen Formeln, sondern kennzeichnet eine deutliche materielle politische Kehrtwendung. Eine Politik, die eine halbwegs egalitäre Gestaltung sozialer Verhältnisse abzielt, die den Interessen unterschiedlicher sozialer Gruppen und Regionen Rechnung trägt, diese nicht ausgrenzt, sondern integriert, ist weder auf nationaler noch auf internationaler Ebene zu erkennen. Die herrschende politische Praxis läuft im wesentlichen auf das genaue Gegenteil hinaus. Die zu "nationalen Wettbewerbsstaaten" transformierten Staaten des Zentrums, nicht zuletzt die USA, orientieren sich im wesentlichen an der Verfolgung kurzfristiger Kapitalinteressen. Dabei entsteht allerdings kein internationaler "Staat des Kapitals", sondern die kapitalistischen Konkurrenzverhältnisse reproduzieren sich auf internationaler Ebene, was zu permanenten Konflikten auch zwischen den metropolitanen Staaten führt. Deutlich wurde dies zum Beispiel bei der inzwischen sozusagen legendär gescheiterten WTO-Konferenz in Seattle 1999, die ja nicht nur wegen der starken internationalen Protestbewegung, sondern auch wegen unüberbrückbarer Differenzen insbesondere zwischen den USA und Westeuropa abgebrochen werden musste. Das Verhältnis zwischen den kapitalistischen Zentren ist also durch außerordentlich komplexe Kooperations- und Konfliktbeziehungen bestimmt. Was sie eint, ist das Bemühen, ihre militärische und ökonomische Vorherrschaft durch permanente Hochrüstung abzusichern. Politische Führung wird in einer ökonomisch, sozial und politisch desorganisierten Welt durch das Diktat von Ökonomie und Gewalt ersetzt. Die herrschende politische Klasse - nicht nur in den USA - scheint in keiner Weise wahrzunehmen, welche Anforderungen die vollmundig propagierte "neue Weltordnung" politisch tatsächlich stellt. Das eigentlich Verheerende an der gegenwärtigen Situation ist, dass die "westfälische" Staatenordnung zwar - zumindest zunächst einmal - untergegangen zu sein scheint, die dominierenden Staaten und an ihre Spitze die USA aber noch nicht einmal ansatzweise realisiert haben, was dies bedeutet, sondern sich nach wie vor auf die Mittel einer an das 19. Jahrhundert erinnernden Interventions- und Kanonenbootpolitik beschränken. Statt über ein aus diffusen politisch-ökonomischen Netzwerken bestehenden "Empire" zu spekulieren, sollte also besser von einer grundlegenden Neustrukturierung imperialistischer Herrschaftsverhältnisse geredet werden, in denen die konkurrierenden Staaten als Gewaltapparate eine entscheidende Rolle spielen.

Über die wirklichen Motive und Hintergründe der Anschläge in Washington und New York kann man bislang fast nur spekulieren. Einigermaßen sicher ist nur, dass die Figur "Bin Laden" sehr wesentlich ein von Geheimdiensten, Propagandaapparaten und Medien produziertes Konstrukt darstellt und sich genau dadurch als ideale Projektionsfigur für antiwestliche Stimmungen und Gefühle anbietet. Festzustehen scheint nur, dass dahinter eine internationale Organisation völlig neuen Typs und mit bisher noch kaum klar ausmachbaren Verbindungen und Verflechtungen möglicherweise auch zu Herrschaftsapparaten nicht nur von "Schurkenstaaten" steht. Nicht zuletzt die Tatsache, dass dieses Netzwerk gerade mit den Instrumenten und Techniken der ökonomisch und politisch Herrschenden - modernsten Kommunikationsmitteln, undurchsichtigen Kapitalverflechtungen und internationalen Finanztransaktionen - operiert, lässt es so gefährlich erscheinen. Sicher ist, dass es nicht die Armen und ökonomisch Marginalisierten sind, die die Anschläge veranlasst und unternommen haben, genauso wie der Charakter der Tat im Gegensatz zu allem steht, was eine Politik der Befreiung heißen könnte. Allerdings muss zwischen den Motiven und Strategien der Attentäter und den Wirkungen ihrer Tat unterschieden werden. D.h. es gilt zu realisieren, dass es gerade die von den dominierenden Staaten produzierte "Weltordnung" und die damit verbundenen Verwerfungen und Konflikte insbesondere in der kapitalistischen Peripherie sind, die ihnen erst die politische und legitimatorische Unterfütterung liefern. Eine nüchterne politische Analyse der Anschläge, ihrer Hintergründe und Wirkungen hätte sich zuallererst mit ihrer durchaus ambivalenten Wahrnehmung und Beurteilung in vielen Teilen der Welt auseinander zu setzen (vgl. dazu Holloway/Peláez 2001). Zur Struktur dieser "Weltordnung" gehört auch, dass sich der terroristische "islamische" und der bis an die Zähne bewaffnete "westliche" Fundamentalismus, der die metropolenkapitalistische Lebensweise und ihre Absicherung selbst zu einem quasireligiösen Prinzip erhebt, gegenseitig bestätigen und verstärken. Und dahinter stehen ganz klare materielle Interessen. Bundes(auto)kanzler Schröder spricht sie mit bewundernswerter Klarheit aus, wenn er sagt, "wir verteidigen unsere Art zu leben, und das ist unser gutes Recht" (Frankfurter Rundschau, 17.10.01). Dass z.B. eine gesicherte Ölversorgung ein ganz grundlegender Bestandteil dieses "Rechts" ist, liegt auf der Hand und wird von einem großen Teil der Bevölkerung durchaus geteilt. Die von den USA betriebene Aufteilung der Welt in "Gute" und "Böse" – was heißt sich ihnen nicht bedingungslos unterordnende Staaten – passt perfekt in diesen fundamentalistischen Diskurs. Nach den Anschlägen redeten Politiker und Medien schnell von einem "Weltbürgerkrieg". Zweck ist die erneute Legitimation von allgegenwärtiger Gewaltanwendung und die Proklamation eines permanenten Ausnahmezustands. Allerdings steckt darin auch ein Körnchen Wahrheit, auch wenn es immer zu berücksichtigen gilt, dass es keine Bürgerkriege ohne die Existenz staatlicher Herrschafts- und Unterdrückungsapparate gibt. Die Fragmentierung der Welt, die Schwächung, der Niedergang, die Abhängigkeit und ökonomisch-politische Manövrierunfähigkeit von Staaten , die ökonomische und politische Perspektivlosigkeit wichtiger Weltregionen auf der einen, die absolute militärische Dominanz von USA, NATO und OECD auf der anderen Seite schaffen das politische Feld und das ideologische Klima, in dem terroristische Formen der Gewalt gedeihen und eine Legitimation finden können. Dass sich die Gewaltanwendung immer stärker allen Regeln und Beschränkungen entzieht, also tatsächlich terroristische Formen annimmt, wurde von der NATO mit ihren völkerrechtswidrigen Kriegsaktionen längst vorexerziert und mag in den Augen vieler jede Form von Terror rechtfertigen. Während die USA die Aufrüstung des Weltraums vorantreiben und immer höher technisierte Waffensysteme entwickelt werden, kehrt die Gewalt in ihren simpelsten und brutalsten Formen wieder. Die Vorstellung, die bestehende "Weltordnung" mittels von "klinischer" Militäroperationen und "sauberer" Kriege aufrechterhalten zu können, hat sich als Illusion erwiesen.

Was wir derzeit erleben, sind die daher Auswirkungen einer in spezifischem Sinne nicht-hegemonialen internationalen (Un-) Ordnung. Ihre Logik besteht - sichtbar an den Reaktionen der internationalen "Allianz gegen den Terror" - in einer immer weitergehenden Eskalation von Gewalt und Repression. Das neoliberale Denken, das glaubt, Gesellschaften, Staaten und das internationale politische System ließen sich mittels einer Kombination von entfesselten Marktmechanismen und staatlicher Gewalt stabilisieren, ist zwar ideologisch beherrschend geworden und in weiten Teilen des politischen Spektrums tief in den Köpfen verankert, kann aber keines seiner Versprechungen einlösen. Tatsächlich könnten die Anschläge von New York und Washington das frühe Ende des neoliberal-postfordistischen Kapitalismus und damit des zweiten "amerikanischen Zeitalters" nach der fordistischen Nachkriegsära bedeuten. In gewisser Weise ähnelt die Situation der nach der US-amerikanischen Niederlage in Vietnam, die einen wesentlichen Faktor der Untergrabung der amerikanischen Nachkriegshegemonie und damit der Krise des Fordismus dargestellt hat. Die Frage ist allerdings, was daraus folgt: eine langanhaltende Phase von Gewalt und Anarchie – von US-Politikern immerhin schon vollmundig angekündigt – oder die Schaffung einer tatsächlich halbwegs stabilen "neuen" Weltordnung. Wenn heute tatsächlich ein "Empire" unter der Dominanz der USA und der mit ihnen verbündeten "starken Staaten" besteht, dann bedürfte dieses einer "Weltinnenpolitik", die etwas anderes beinhaltet als militärische und repressive Strategien, sondern wenigstens ansatzweise den demokratischen ökonomischen, sozialen und kulturellen Prinzipien folgt, die von den ideologischen Wasserträgern der herrschenden Machtstruktur um so gebetsmühlenhafter heruntergeleiert werden, je weniger ihnen die faktische Politik entspricht. Anders ist ein globales Desaster kaum zu vermeiden. Dies wäre allerdings etwas völlig anderes als das, was Schily und Konsorten, die Sicherheitsingenieure und Terrorismusbekämpfer aller Art umtreibt.

Die Lage bleibt indessen widersprüchlich. Das internationale Kapital hatte zwar ein entscheidendes Interesse an der Durchsetzung der neoliberalen Globalisierungspolitik, kann von einem ausufernden "Welt-Bürgerkrieg" und fortgesetzter politischer Instabilität auf längere Sicht aber kaum profitieren. Wahrscheinlich hat dieser Umstand einiges dazu beigetragen, die US-Regierung von ihrer anfänglichen Wildwestattitüde abzubringen und sich um einen internationalen Konsens zu bemühen. Der fällt allerdings insofern leicht, als schließlich fast alle Regierungen - von Russland über China bis zu den USA - mit ihren je eigenen "Terroristen" konfrontiert sind. Dieser Begriff hat in der Tat inzwischen ubiquitären Charakter angenommen und passt tendenziell auf alle, die sich den herrschenden Verhältnissen nicht fügen wollen. Einige europäische Regierungen, die wie immer die Notwendigkeit politischer Lösungen in internationalen Konflikten betonen, tun dies allerdings weniger aus Einsicht in diese Notwendigkeiten als aus dem Bedürfnis heraus, gegenüber den USA einen gewissen politischen und ökonomischen Spielraum jenseits militärischer Gewaltpolitik zu bewahren. Schon jetzt ist abzusehen, dass sich hinter der öffentlich bekundeten bedingungslosen Solidarität mit den USA durchaus eigene geostrategische und ökonomische Interessen verbergen. Überlegungen dahingehend, wie eine "neue Weltordnung" praktisch aussehen könnte, findet man daher, von gelegentlichen Sonntagsreden abgesehen, auch dort praktisch nicht.

Aus dieser Sicht erschließen sich auch die in der öffentlichen Debatte kaum wahrgenommenen geostrategischen Hintergründe, Ursachen und Implikationen des "Kriegs gegen den Terror". Dazu gehört die insbesondere von den USA zwecks Sicherung der Ölversorgung im Nahen Osten permanent betriebene Destabilisierungspolitik, verbunden mit dem Schüren regionaler Konflikte und der Unterstützung autoritärer Regime (vgl. Nitzan/Bichler 1995). Dass Afghanistans Taliban-Regime - das seine Existenz bekanntermaßen ganz wesentlich der Unterstützung antisowjetischer Kräfte in dieser Region durch die USA verdankt - und "Bin Laden" ganz schnell als Ursache und Zentrum des Terrors identifiziert wurden, hängt auch mit der geopolitischen Lage dieses Landes an der Südflanke des ehemaligen sowjetischen Imperiums und im Kontext des für die künftige Ölversorgung der kapitalistischen Metropolen wichtiger werdenden mittleren Ostens zusammen. Nicht zuletzt dies begründet die Absicht, dort ein weiteres Protektorat des Nordwestens zu errichten, wobei die völlig unterschiedlichen Interessen der beteiligten Staaten, nicht zuletzt auch Deutschlands, die künftigen Konflikte bereits jetzt vorprogrammieren.

Auch dies ist ein Hinweis darauf, dass der Untergang der "westfälischen Ordnung" möglicherweise nicht so endgültig ist, wie es im Moment scheint und dass die Imaginierung eines "Empires", das die politisch-ökonomische Ordnung des Kapitalismus ablöst, erheblich an der Realität vorbeigeht. Die "Souveränität" insbesondere der "schwachen" Staaten war nach 1989 nicht nur durch die neuen internationalen Dominanz- und Gewaltverhältnisse in Frage gestellt. Maßgebend dafür waren aber auch die Entwicklung eines Demokratie- und Menschenrechtsdiskurses und die Bestrebungen zur Institutionalisierung eines internationalen Rechtsregimes gegen einzelstaatliche Gewaltverhältnisse. Gewiss wurde beides für die Legitimierung sich als "humanitär" kaschierender Militärinterventionen und zur Etablierung einer Art von Siegerjustiz instrumentalisiert. Die USA weigern sich bekanntlich bis heute, sich einer internationalen Gerichtsbarkeit zu unterwerfen. Dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass darin eine eigene und gegen bestehende staatliche Gewaltverhältnisse gerichtete politische Dynamik zum Ausdruck kam. Der in dieser Entwicklung liegende Widerspruch scheint nach dem 11. September vorerst stillgestellt zu sein. Der Demokratie- und Menschenrechtsdiskurs hat einem Sicherheitsdiskurs Platz gemacht, in dem die Zementierung einzelstaatlicher Gewaltverhältnisse wieder erste Priorität eingeräumt wird. Dabei gewinnt - deutlich z.B. an der flinken "Neubewertung" des Tschetschenienkonflikts durch die deutsche Regierung - das einzelstaatliche Gewaltmonopol wieder an internationaler Legitimität. Ein Widerspruch der aktuellen Entwicklung liegt darin, dass gerade der Untergang des "westfälischen" Staatensystems eine Dynamik entstehen lässt, in der es in neuen Formen wieder entstehen könnte.

Die immer katastrophischere Züge annehmenden "Weltordnung" unterstreicht die Notwendigkeit, der herrschenden Globalisierungspolitik eine andere entgegenzusetzen. Nämlich eine Politik, die die praktischen Notwendigkeiten vernünftigerer politischer und sozialer Verhältnisse im globalen Maßstab thematisiert und sich für eine "Weltinnenpolitik" einsetzt, die wenigstens ansatzweise humanitären, sozialen und demokratischen Prinzipien folgt. Von den existierenden und "wettbewerbsstaatlich" transformierten Staaten, den Regierungen und den sie tragenden Parteien sind Schritte in dieser Richtung kaum zu erwarten. Wenn sich etwas ändern soll, dann kann dies nur als Ergebnis eines massiven Drucks sozialer Bewegungen sein, die sich der neuen Weltsituation stellen und dabei den nationalstaatlichen Rahmen überschreiten. Es bedarf einer neuen Politik jenseits des Staates. Die Ereignisse von Seattle, Prag oder Genua signalisieren bei allen Schwierigkeiten und Widersprüchen, die ihnen innewohnen, am ehesten noch die Herausbildung einer derartigen neuen internationalen Bewegung. Ihre Aufgabe ist kompliziert, weil es darauf ankäme, Forderungen zu einer radikalen Umgestaltung der ökonomischen, sozialen und politischen Weltordnung, zur Etablierung neuer und tatsächlich demokratisch strukturierter internationaler Institutionen sowie zur Durchsetzung demokratischer und rechtsstaatlicher Prinzipien auch auf internationaler Ebene zu formulieren und gegenüber den Staaten durchzusetzen. Zugleich ginge es darum, konkreten Widerstand gegen die herrschende Politik zu leisten und praktisch an der Veränderung der alltäglichen gesellschaftlichen Praktiken und Lebensverhältnisse zu arbeiten, die die Grundlage der herrschenden Verhältnisse sind. Es käme darauf an, deutlich zu machen, dass "unsere Lebensweise" die Ursache der globalen Konflikte darstellt und daher keineswegs "verteidigt" werden darf, zumindest nicht als demokratisches und soziales Recht. Es ginge also um die Konstitution einer wirklich neuen, internationalen politischen und sozialrevolutionären Bewegung. Es ist allerdings schon jetzt abzusehen, dass gerade diese neuen Bewegungsansätze zum eigentlichen Objekt der sich aufrüstenden staatlichen "Terrorbekämpfung" werden. Der italienische Ministerpräsident Berlusconi , der die Bewegung der "Globalisierungskritiker" mit den Attentätern von Washington und New York in einen Topf wirft, spricht nur aus, was andere denken und bereits tun. Mit freundlicher Unterstützung der herrschenden "Zivilgesellschaft" schreitet die Errichtung eines autoritären Überwachungs- und Schnüffelstaates unter Preisgabe grundlegender rechtsstaatlicher und demokratischer Prinzipien zügiger als je zuvor voran. Die Gesetz- und Rechtlosigkeit, die die neue "Weltordnung" kennzeichnet, reproduziert sich verstärkt im Inneren der sich als "zivilisiert" und "demokratisch" etikettierenden Staaten. Damit wird die Schwächung und Aushöhlung liberaldemokratischer Institutionen und die damit verbundene politische Krise, die in der Logik des neoliberalen Globalisierungsprojekts liegt, weiter vorangetrieben. Es gehört zu den Ironien der aktuellen Entwicklung, dass die staatlichen Reaktionen auf den Terror genau das bewirken, worauf dieser abzielt. Die angeblich zu verteidigende "westliche Zivilisation" zeigt dabei ihr nicht eben angenehmes Gesicht. Gegen Attentäter, welcher Couleur auch immer, wird das wenig nützen, wohl aber eben zur Unterdrückung demokratischer und sozialer Bewegungen. Schwierige Zeiten also, die einiges an nüchternem Kalkül, politischer Einsicht, Augenmaß und vor allem viel praktisches Engagement erfordern. Auch wenn die "Zivilisierung" des Kapitalismus, wie die jüngsten Entwicklungen einmal wieder lehren, letztlich eine Illusion bleiben muss.

Literatur:

Bieling, Hans-Jürgen/Deppe, Frank 1996: Gramscianismus in der Internationalen Politischen Ökonomie, in: Das Argument, Jg.38, Nr.217, S.729-740

Gill, Stephen G. (Ed.) 1993: Gramsci, Historical Materialism and International Relations, Cambridge

Hirsch, Joachim/Jessop, Bob/Poulantzas, Nicos 2001: Die Zukunft des Staates. Denationalisierung, Internationalisierung, Renationalisierung, Hamburg

Holloway, John/Peláez, Eloína 2001, O-sa-ma?, in: www.links-netz.de

Negri, Toni/Hardt Michael 2000: Empire, Cambridge

Nitzan, Jonathan/Bichler, Shimabon 1995: Bringing Capital Accumulation Back in: The Weapon-Dollar-Petrodollar Coalition – Military Contractors, Oil Companies and Middle East Energy Conflicts, in: Review of International Political Economy, Vol.2, No.3, S.446-515

© links-netz November 2001