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Das Ende von Politik

Joachim Hirsch

Der mühsam ausgehandelte Koalitionsvertrag der Tigerentenparteien ist ein äußerst interpretationsfähiges Dokument. Angesichts des wirren Gezerres darum ist zudem unklar, was davon politisch relevant werden wird. Aber zumindest die neue Regierung steht. Und was für eine! Ein Politclown als Außenminister, dessen politisches Ziel im Wesentlichen darin besteht, sich gegenüber der Kanzlerin in den Medien zu profilieren (deshalb seine erste Reise ausgerechnet nach Polen, während diese ihre Antrittstour in Paris und Washington absolviert hat). Ein Entwicklungshilfeminister, der sich damit hervorgetan hat, dass er das Ressort abschaffen wollte, dem er nun vorsteht. Ein Wirtschaftsminister mit Stammtischperspektive, was – man denke an seinen Vor-Vorgänger Glos – Tradition hat und auch nichts macht, weil er ohnehin wenig Kompetenzen hat. Ein Gesundheitsminister, den bislang keiner kannte und dessen Qualifikation wohl darin liegt, dass er ein Medizinstudium geschafft hat. Unklar ist auch, was den glücklosen bisherigen Verteidigungsminister Jung ausgerechnet für das Arbeits- und Sozialressort qualifizieren soll, außer vielleicht die Fähigkeit zu permanenter Realitätsverleugnung wie im Falle des Afghanistankriegs. Sein Nachfolger zu Guttenberg hat nun doch von einem „gefühlten Krieg” gesprochen, womit er die Wahrnehmung der von allerhand Kollateralschäden heimgesuchten Bevölkerung dort immerhin recht gut getroffen haben dürfte. Und natürlich die Kanzlerin, deren Richtlinienkompetenz sich immer deutlicher als politische Nullnummer erweist und deren vorrangiges Ziel darin besteht, sich im allgegenwärtigen Machtpoker inhaltlich so durchzuwursteln, dass ihre Position unangetastet bleibt.

Charakteristisch ist, dass im Zentrum der Koalitionsverhandlungen (und der Streitigkeiten hinterher) die geplanten Steuersenkungen standen. Immerhin sind sich in dieser Frage selbst die üblichen Experten darüber einig, dass dies ein horrender ökonomischer Unsinn ist. Eine weitere Vergrößerung der Staatsverschuldung wäre vielleicht noch hinnehmbar, wenn es sich dabei um ein echtes Konjunkturprogramm handeln würde, also z.B. Schulen gebaut oder die total vernachlässigte öffentliche Verkehrsinfrastruktur verbessert würde. Bei den Pro-Kopf-Ausgaben für den Schienenverkehr steht Deutschland im europäischen Vergleich jedenfalls ziemlich am Ende. Das ist eine Folge der nun wieder zur Debatte stehenden Bahnprivatisierung. Stattdessen kümmert sich die Regierung um das Klientel der Besserverdienenden, was zwar nicht aus der Krise hilft, aber immerhin ein Wahlversprechen einlöst. Die Erhöhung der Kinderfreibeträge für die Besserverdienenden oder die Senkung der Erbschaftssteuer für Unternehmer als „Wachstumsbeschleunigung“ zu bezeichnen, mutet schon fast wie Orwellsches Neusprech an. Genauso wie die Senkung der Mehrwertsteuer für Gastwirte, womit sich die Biergartenpartei CSU profiliert hat. Da werden sogar die Unternehmer etwas skeptisch, könnte doch das Geld für weitere Konzernrettungsaktionen allmählich knapp werden.

Angesichts der verfassungsmäßigen Schuldenbremse und der EU-Vorgaben kann über Steuersenkungen schlecht diskutiert werden, ohne zumindest mittelfristig mögliche Re-Finanzierungen in Betracht zu ziehen. Die Erhöhung der Sozialbeiträge nur für die Arbeitnehmer, die (vorsichtshalber nun nicht mehr) so genannte Kopfpauschale ist eine Möglichkeit, sich das Geld wieder zu beschaffen. Und auch bei der die Masse der Leute treffenden Mehrwertsteuer gibt es gewiss noch Spielraum. Verkehrsminister Ramsauer, der seinem Vorgänger Tiefensee an Format kaum nachsteht, hat die PKW-Maut ins Gespräch gebracht, gleich wieder dementiert, aber jedenfalls einen Versuchsballon losgelassen. Dem Erfindungsreichtum scheint da keine Grenze gesetzt zu sein. Was den einen gegeben wird, zieht man den anderen aus der Tasche. Das Wort von der Umverteilung von unten nach oben trifft für die Folgen dieses Vorgehens (wie auch für das der Vorgängerregierungen) sicher zu. Dies als Politik zu bezeichnen, ist aber zu hoch gegriffen. Es geht schon lange nicht mehr um umfassendere gesellschaftliche Strategien, sondern schlicht um Klientelbedienung auf dem Weg des geringsten Widerstands. Verantwortungslosigkeit ist für dieses Vorgehen ein eher noch verharmlosender Begriff. Schließlich hat die CSU für ihre konservative, immer noch dem Motto Kinder, Küche, Kirche folgende Anhängerschaft auch noch das Betreuungsgeld, auch Herdprämie genannt, im Koalitionsvertrag untergebracht. Für die betroffenen Kinder hätte dessen Einführung eher schädliche Wirkungen und das Ganze ist somit mehr als nur eine „Schnapsidee” (so die Süddeutsche Zeitung).

Klientelbedienung ist ganz unverhohlen die Leitlinie der neuen Regierung. Dazu gehört auch die Besetzung des zentral wichtigen Gesundheitsressorts mit einem politischen Nobody mit der Folge, dass dieses nun völlig der Ärzte-, Pharma- und Medizingeräteindustrie überlassen wird. Ähnliches gilt für das Entwicklungshilfeministerium. Der neue Minister hat angekündigt, dieses endgültig dem Außenamt unterzuordnen und damit noch eindeutiger geopolitischen und unternehmerischen Interessen verfügbar zu machen. Diesbezüglich war seine erste öffentliche Äußerung allerdings eher kontraproduktiv, hat er doch nicht verstanden, dass die in Frage gestellte Entwicklungshilfe für China in Wahrheit technologische Unterstützung zum Wohle der deutschen Industrie ist. Wichtiger ist jedoch, dass er – ganz im Sinne bisheriger Äußerungen der FDP – Not- und Entwicklungshilfe systematisch privatisieren und damit ein lukratives Geschäftsfeld für private Unternehmen öffnen wird. Dem Vorwurf, konsequent aus der Perspektive der Betroffenen zu denken, setzt er sich damit bestimmt nicht aus.

Politik hat etwas mit Gestaltung und Vorsorge für die Zukunft zu tun. Schon seit längerer Zeit ist das freilich nicht mehr der selbstverständlich. Das Versprechen, „Globalisierung” zu „gestalten”, ist ein Widerspruch in sich. (Selbst der Opel-Betriebsratsvorsitzende Franz mochte kürzlich nach dem GM-Coup die Abwicklung seines Unternehmens nicht mehr mitgestalten, was allerdings nicht sein letztes Wort war). Über Gestaltung, gesellschaftliche Konzepte, gar Strategien wird gegenwärtig nicht einmal nachgedacht. Dass dies zu einer Zeit geschieht, in der in vielerlei Hinsicht der Zukunft der Gesellschaft auf dem Spiel steht, macht das Abdanken von Politik umso mehr zum Politikum. Bei ihrer Ernennung haben die Regierungsmitglieder geschworen, Schaden vom Volke abzuwehren. In Wirklichkeit bedienen sie einige Interessengruppen. Darüber hinaus gehende Überlegungen spielen offenbar keine Rolle. Hauptsache, man kommt für die nächsten Monate über die Runden und befriedigt seine Finanziers. Praktisch wird der Staat den mächtigen Lobbys ausgeliefert und die Parteien fungieren als deren verlängerter Arm. Selbst in einer Demokratie, die auf Mehrheiten angewiesen ist, kann die politische Klasse so agieren. Dies dann, wenn ein großer Teil derjenigen, die den Schaden haben, deshalb nicht mehr zur Wahl geht, weil es im herrschenden Parteienkartell nichts zu wählen gibt und der Rest sich vom Gerechtigkeitsgesäusel der Kanzlerin einlullen lässt.

© links-netz November 2009