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Neoliberalismus und Protest Übersicht

 

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Warum kandidiert eigentlich jemand für das Präsidentenamt der USA?

Joachim Hirsch

In den Vereinigten Staaten ist der Kampf um die Nachfolge von George W. Bush angelaufen, der ein drittes Mal nicht mehr kandidieren kann. So weit geht alles seinen normalen Gang. Indessen fragt man sich, weshalb sich überhaupt jemand traut, als Konkursverwalter einer grandios gescheiterten Politik anzutreten.

Bush hat es geschafft – dabei durchaus auf der Politik seiner Vorgänger aufbauend – das Land ökonomisch und politisch in eine ziemlich ruinöse Lage zu manövrieren. Der Wirtschaftsaufschwung, der hierzulande immer noch gerne als vorbildhaft bewundert wird, beruht im Wesentlichen auf einer immer gigantischer anwachsenden öffentlichen und privaten Verschuldung. Nicht zuletzt hat die großzügige Vergabe von Immobiliendarlehen an eigentlich nicht zahlungsfähige Schuldner die Konjunktur angeheizt, gleichzeitig aber eine Kreditblase entstehen lassen, deren drohendes Platzen das weltweite Finanz- und Bankensystem bereits jetzt in erhebliche Turbulenzen gestürzt hat. Selbst in Japan und Europa wackeln die Börsen, Banken und Immobilienfonds stehen vor der Zahlungsunfähigkeit. Ein Zusammenbruch hätte gravierende Folgen für die ganze Weltwirtschaft. Die neoliberale Politik hat die Unternehmensgewinne in schwindelnde Höhen getrieben und dafür gesorgt, dass profitsuchendes Kapital im Überfluss vorhanden ist. Dieses muss immer spekulativer eingesetzt werden und genau dies beginnt nun auf ihre Urheber zurückzuschlagen: in Form einer gigantischen Kapitalvernichtung, für die jene gerade zu stehen haben, die ihre Schäfchen nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen konnten. Das ebenso gigantische und immer weiter wachsende Außenhandelsbilanzdefizit der USA wird im Wesentlichen damit finanziert, dass insbesondere China enorme Dollarreserven hortet. Auf diesem Weg muss die chinesische Regierung weiter machen, wenn eben diese Reserven nicht abgewertet werden und die schiefen Wechselkursrelationen erhalten bleiben sollen, die wiederum die Grundlage des dortigen Wirtschafts“wunders“ sind. Vor allem die öffentliche und private Verschuldung der USA treibt also derzeit den Weltkapitalismus an. Ewig kann diese Form der internationalen Schuldenökonomie allerdings nicht fortgeführt werden. Ein großer Krach ist nur eine Frage der Zeit. Die Ironie des neoliberalen Projekts besteht darin, dass es auf einem globalen Keynesianismus, d.h. einer gigantischen Defizitfinanzierung aufbaut und dass damit eigentlich genau das praktiziert wird, was man verbal bekämpft. Indessen geht es beim Neoliberalismus bekanntlich nicht um die reine Lehre, sondern um gesellschaftliche Kräfteverhältnisse. Diese sind wirklich entscheidend verschoben worden – allerdings mit den immer deutlicher sichtbaren ökonomischen Krisenfolgen.

Ebenso schlimm sieht es auf der außenpolitischen Ebene aus. Die Bush-Regierung hat es geschafft, das Land mit ihrer nur noch auf die militärische Karte setzenden Politik international immer stärker in die Isolation zu treiben. Rufschädigend wirkt nicht zuletzt, dass den USA nicht ohne Grund der Ruch eines Folterstaats anhaftet. Auch hier zeigt sich, wie schnell das auf einen zurück schlägt, was man zu bekämpfen vorgibt. Wie eine Ironie mutet es an, dass die stärkste Militärmacht der Welt ausgerechnet mit ihrer Kriegführung grandios gescheitert ist. Nach Clausewitz ist der Krieg die Fortsetzung der Diplomatie mit anderen Mitteln. An letzterer herrscht freilich in den USA in den letzten Jahren ein eklatanter Mangel und deshalb sieht es auch auf den Kriegsschauplätzen schlecht aus. Die Invasionen in Afghanistan und in den Irak und die damit angezettelten neuen Formen des Krieges haben die Grenzen einer technologisch hochgerüsteten Militärmaschinerie deutlich gemacht. Inzwischen ist unverkennbar, dass die Besetzung zweier militärisch eigentlich hoffnungslos unterlegenen „Schurkenstaaten“ die US-Kriegsmaschinerie völlig überfordert. Beide Kriege sind nicht zu gewinnen. Dennoch ist ein Abzug nicht möglich, ohne eine verheerende Ausweitung kriegerischer Konflikte in der ganzen Region zu riskieren. Ebenso gescheitert ist die US-Politik im Nahen Osten, wo sie ein politisches und humanitäres Desaster sondergleichen hinterlassen hat.

Der eigentliche Hintergrund der US-amerikanischen Politik ist der lange bewunderte american way of life, der auf einen enormen Ressourcenverbrauch gegründet ist und die USA dazu zwingt, möglichst große Teile der Welt zu kontrollieren. Dazu kommt, dass das Kapital zu seiner Expansion die Öffnung immer neuer Absatz- und Investitionsmärkte verlangt. Die immer noch vorhandene Stärke der USA rührt nicht zuletzt daher, dass sie vor allem diesem Interesse Rechnung tragen, also sozusagen als internationaler Staat oder besser: Gewaltapparat des Kapitals fungieren. Damit befördern sie – durchaus unterstützt von den Regierungen der befreundeten Staaten einschließlich der deutschen – einen „Fundamentalismus“ und „Terrorismus“, der nicht nur gewaltförmig, sondern auch politisch, in Form des Ausbaus eines tendenziell totalitären Sicherheitsstaates, immer stärker auf sie selbst zurückschlägt. Ausweglosigkeit und Sackgassen also, wohin man schaut. Ähnlich schlecht sieht die innere Lage aus. Der religiöse Fundamentalismus, der mit der Bush-Regierung offen an die Macht gekommen ist, spaltet das Land, genauso wie die Kluft zwischen Arm und Reich immer gravierender wird.

Wer die nächste Präsidentschaftswahl in den USA gewinnt, trifft also auf Zustände, die kaum mehr bewältigbar erscheinen und in denen man eigentlich nur scheitern kann. Trotzdem mangelt es durchaus nicht an BewerberInnen. Über deren Motive kann man nur spekulieren. Die Gier nach Macht und Geld spielt natürlich eine Rolle und die Rechnung könnte vielleicht auch aufgehen, wenn es den neuen AmtsinhaberInnen gelingt, nochmals ein paar Jahre über die Runden zu kommen, ökonomisch wie politisch. Oder vielleicht hegen sie die Hoffung, dass es nach der schlechtesten US-Präsidentschaft aller Zeiten eigentlich nur noch besser werden kann, irgendwie eben. Dass PolitikerInnen vor allem ihre höchst privaten Interessen verfolgen und ihnen die Konsequenzen ihrer Politik ziemlich egal sind, ist zu einem allgemeinen Charakterzug der politischen Klasse geworden und man kennt dies ja auch von woanders her. Eine Rolle dürfte auch spielen, dass in den USA der Glaube besonders verbreitet ist, Einzelne könnten die Verhältnisse grundlegend verändern. Der Typus des ärmelaufkrempelnden Machers ist dort noch häufiger anzutreffen.

Ein politischeres Kalkül könnte darin bestehen, zu versuchen, wieder etwas stärker auf die diplomatische Karte zu setzen, d.h. den außenpolitischen Unilateralismus zu korrigieren und zumindest einen langsamen Wechsel der Innen, insbesondere der Wirtschafts- und Umweltpolitik herbeizuführen. Vielleicht gibt es auch die Hoffnung, den religiösen Fundamentalismus mit seinen verheerenden Folgen wieder zurückzudrängen und etwas mehr Rationalität in die Politik einziehen zu lassen. Dafür könnte der oder die neue PräsidentIn möglicherweise sogar die Unterstützung einiger wichtiger ökonomischer Machtgruppen gewinnen und selbst bei konservativen Denkfabriken gilt der um sich greifende Fundamentalismus inzwischen als ernstes Problem. Grundsätzlich stehen die Chancen für einen entscheidenden Politikwechsel allerdings nicht eben gut. Die Bush-Regierung ist ja nicht nur eine Ansammlung ideologisch fehlgeleiteter Nichtskönner, die einfach durch bessere Leute ersetzt werden könnten, sondern Ausdruck einer relativ fest gefügten kapitalistischen Machtkonstellation. In dieser dominiert neben dem militärisch-industriellen Komplex, der Bauindustrie und den Energiekonzernen das wesentlich mit Finanzgeschäften befasste Kapital. Dieses kalkuliert nicht nur in äußerst kurzen Zeithorizonten, sondern orientiert sich im Zuge seiner Internationalisierung immer weniger an den Interessen eines einzelnen Landes. An diesen ökonomischen Machtverhältnissen wird ein Wechsel des politischen Personals nichts ändern. Pläne für einen grundlegenderen Kurswechsel haben demzufolge die PräsidentschaftsbewerberInnen bisher jedenfalls nicht erkennen lassen. Ihre immer teurer werdenden Wahlkämpfe müssen schließlich finanziert werden. Clinton und Obama, die beiden Favoriten für die demokratische Kandidatur sind sich jedenfalls darin einig, den Militärapparat weiter aufzurüsten und den „Kampf gegen den Terror“ energisch weiter führen zu wollen. Ihr politischer Multilateralismus erschöpft sich einstweilen darin, die Verbündeten zu einer stärkeren Unterstützung für die in Bedrängnis geratene US-Militärmaschinerie bewegen zu wollen. Populär ist das allemal. Die Mehrheit der Bevölkerung verübelt Bush nicht, dass er die Welt mit Krieg überzogen hat, sondern dass er militärisch erfolglos blieb.

Im Verlauf der Geschichte haben die USA bewiesen, dass sie in schwierigen politischen und gesellschaftlichen Situationen zu grundlegenderen Politikwechseln in der Lage sind, so etwa bei der Durchsetzung des New Deal nach der großen Krise der dreißiger Jahre. Dabei haben die demokratische Struktur dieses Landes und eine lebendige politische Öffentlichkeit eine wichtige Rolle gespielt. Auch damit steht es indessen nicht mehr zum Besten, nicht zuletzt auch angesichts der gravierenden gesellschaftlichen Spaltungen, der massiven (Selbst-) Ausgrenzung kritischer Intellektueller und einer massenmedialen Industrie, die für alles Andere als politische Aufklärung sorgt. Die Verschiebung der politischen Gewichte von der Ostküste hin zum mittleren Westen hängt sehr wesentlich damit zusammen. Derartige Entwicklungen prägen auch die Situation hierzulande. Beim mächtigsten Staat der Welt werden sie aber zur Bedrohung für eben diese. Da fällt es einigermaßen schwer, auf einen Politikwechsel nach Bush & Co. zu hoffen.

© links-netz August 2007