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...was nicht sein darf!

Ein Nachtrag

Joachim Hirsch

Der Verfassungsschutzskandal nimmt inzwischen die Gestalt einer unendlichen Geschichte an. Mehrere parlamentarische Untersuchungsausschüsse wurden eingerichtet. Soweit sie überhaupt an die maßgeblichen Dokumente und Aussagen herankamen, war das Ergebnis immer dasselbe: Pannen, Missgeschicke, persönliche Unzulänglichkeiten. Der jüngst bekannt gewordene Coup ist die Vernichtung von Akten, die über die vom Verfassungsschutz angeheuerten V-Leute aus der rechten Szene und die dabei vorherrschenden Methoden Auskunft gegeben hätten. Angeblich wurden sie von einem untergeordneten Referatsleiter ohne Wissen der Vorgesetzten dem Schredder übergeben. Dass dies genau an dem Tag stattfand, an dem die Zwickauer Bande aufflog, scheint keiner weiteren Beachtung wert. In einem Kommentar der Süddeutschen Zeitung wird der Vorgang als „dumm und unsensibel“ bezeichnet – halt wieder mal ein „Fehler“ (SZ, Nr.154, 6.7.2012). Inzwischen wurde bekannt, dass in der nachfolgenden Zeit eine ganze Menge weiterer Akten vernichtet wurden, die mit diesem Fall zu tun hatten. Offensichtlich ist es eine gängige Übung des Verfassungsschutzes, Akten zu vernichten, wie es gerade in den Kram passt, ohne Rücksicht auf behördliche Dokumentationsregeln. Man soll einem Geheimdienst natürlich keinesfalls auf die Spuren kommen. Sonst wäre er ja keiner.

Man könnte Äußerungen wie die des SZ-Kommentators wohlwollend für journalistische Naivität halten. Man könnte auch die Frage stellen, ob es sich angesichts der bekannt gewordenen Verbindungen des Geheimdienstes und seiner Nähe zur rechten Szene nicht doch eher um Dummheit handelt. In Wirklichkeit geht es aber wohl um die Staatsräson, nämlich dass eben nicht sein kann, was nicht sein darf. „Seriosität“ heißt bei der Presse nicht zuletzt, eben diese hochzuhalten. Dazu passt auch, dass im selben Kommentar der Verfassungsschutz als „gemeingefährlich“ bezeichnet wird, dies aber nicht daran hindert, seine Notwendigkeit zu betonen. Natürlich soll er „reformiert“ werden. Offen bleibt allerdings, wie das bei einem Apparat geschehen soll, der sich selbst dann politischer Kontrolle entzieht, wenn dies gewollt wäre, notorisch jenseits der Legalität operiert und sich prinzipiell nicht in seine Karten schauen lässt. Täte er das, wäre er schließlich nicht das, was er sein soll.

PolitikerInnen wie Journalisten werden nicht müde, gegen umlaufende „Verschwörungstheorien“ zu wettern. Diese kommen angesichts dessen, was die Medien fast täglich präsentieren, indessen nicht ganz von ungefähr. Betrachtet man den politischen Kontext, in dem sich der Verfassungsschutz offenkundig verortet, dazu die lange Skandalgeschichte nicht nur des deutschen Geheimdienstes, so lässt sich eigentlich kaum mehr darüber hinwegsehen, dass selbst gewagt erscheinende Thesen mehr Realitätsgehalt haben als gemeinhin vermutet wird.

Seit die geheimdienstlichen „Fehler“ und „Pannen“ öffentliches Furore machen, häufen sich auch die Geschichten darüber, wie es in den Verfassungsschutzämtern alltäglich zugeht, nämlich höchst bizarr. Dass sie, einer notorisch falschen Spur folgend, eigene Dönerbuden betrieben, um vermeintlichen Tätern auf die Spur zu kommen, gehört eher in den Bereich des Slapstickkinos. Und was die politische Orientierung angeht, könnte man auch auf den bis 2000 amtierenden (und dann wegen finanzieller „Unregelmäßigkeiten“ bei der Honorierung von V-Leuten entlassenen) Chef des Thüringer Verfassungsschutzes verweisen, der es liebte, in einem General-Ludendorff-Kostüm mit Pickelhaube aufzutreten. Im früheren Leben war er Panzeroffizier. Die von ihm zu beobachtenden „Verfassungsfeinde“ hielt er ohnehin nicht für „eine Gefahr für die Fortexistenz des demokratischen Systems“ (SZ, Nr.159, 12.7.2012). Eben dieser Helmut Roewer pflegte im Übrigen ausgezeichnete Beziehungen zu einem V-Mann aus der Neonaziszene, der für seine Dienste 20.000 Euro kassierte. Der zuständige Beamte „glaubt“ indessen nicht, dass damit Neonazis finanziert wurden (SZ Nr.157, 10.7.2012). Es gehört schon einiges dazu, angesichts all dessen noch von Pannen zu reden.

Der neue Skandal hat den Chef des Bundesverfassungsschutzamtes neben zweier seiner Länderkollegen den Job gekostet. Ein Bauernopfer, wie aus Kreisen der Opposition zu hören war. Möglicherweise haben sie tatsächlich nicht gewusst, was in ihren Ämtern vorging. Das allerdings zeigt nur, wie solche Apparate funktionieren und was es mit ihrer Kontrolle auf sich haben kann. Jetzt werden Personen ausgewechselt, um eben diese zu schonen – als wäre nicht die Einrichtung von Geheimdiensten selbst das Problem. Eine Behörde, die nicht nur notorisch unfähig, sondern eklatant demokratiefeindlich ist und genau das gefährdet, was sie angeblich schützen soll, gehört abgeschafft.

Dazu wird es nicht kommen. Im Gegenteil: noch während sich die Skandalgeschichten häufen, plant die Bundesregierung dem Verfassungsschutz die Befugnis zu übertragen, allein über die steuerliche Gemeinnützigkeit eingetragener Vereine zu entscheiden, ohne Widerspruchsmöglichkeit und ohne richterliche Kontrolle. Im Geheimverfahren also. Dies würde einigen auf der Verdachtsliste des Geheimdienstes stehende Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen die finanzielle Basis entziehen, weil Spenden dann nicht mehr steuerlich absetzbar wären. Man kann sich leicht ausrechnen, welche Vereine davon betroffen sein werden. Man nennt das Rechtsstaat.

Inzwischen darf man auf den nächsten Skandal gespannt sein. Wie damit gegebenenfalls politisch und in der medialen Öffentlichkeit umgegangen werden wird, ist auch schon sicher.

© links-netz August 2012