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Zu den Waffen!

Die neue deutsche Außenpolitik

Joachim Hirsch

Der Start der großen Koalition gilt allgemein als verunglückt. Das ist angesichts dessen, was sie plant noch bescheiden formuliert. Sie opfert die Zukunft dieses Landes ihrer Klientelbedienungspolitik, insbesondere durch das Plündern der Rentenkassen und das Zurückfahren der Energiewende. Dazu kommen die ebenso teure wie überflüssige PKW-Maut oder die Untätigkeit in der NSA-Geheimdienstaffäre, die inzwischen schon fast peinliche Züge annimmt. Die Kritik in der Presse bezieht sich vor allem darauf, dass es der überwältigenden Bundestagsmehrheit in keiner Weise gelungen sei, neue politische Perspektiven zu entwickeln und dass „Weitermachen wie bisher“ ihr zentrales Motto darstelle. In mindestens einem Punkt stimmt das allerdings nicht: der Außen- oder genauer gesagt Militärpolitik.

Verteidigungsministerin von der Leyen und Außenminister Steinmeier haben eine einschneidende Wende angekündigt, die darauf abzielt, die deutschen Militäreinsätze im globalen Maßstab auszuweiten, „Verantwortung“ zu übernehmen, wie es so schön heißt. Die GRÜNEN, die von ihrer Regierungsbeteiligung her ja einige Erfahrungen mit Militärinterventionen haben, finden das im Prinzip gut. Das nennt sich konstruktive Oppositionspolitik. Bundespräsident Gauck hat diese Wende positiv unterstrichen, als er bei seinem Auftritt bei der letzten Münchner Sicherheitskonferenz in das gleiche Horn blies. Das hat offensichtlich Symbolcharakter, ist er doch der erste Bundespräsident überhaupt, der diese etwas merkwürdige Versammlung mit seiner Anwesenheit beehrt hat.

Hatte der vorherige Außenminister Westerwelle bezüglich internationaler Militäreinsätze noch gebremst, so wird jetzt in die Vollen gegriffen. Angeblich deshalb, weil dies von den verbündeten und befreundeten Staaten verlangt würde. Nun waren solche Wünsche bisher kaum eine Leitlinie der deutschen Politik. Die Frage ist also, welche wirklichen Motive dahinter stehen. Erhellend ist dabei die von der Politik und in der Presse immer wieder angeführte Begründung, die gewachsene ökonomische Stärke Deutschlands verlange auch ein verstärktes militärisches Engagement. Deshalb sei mehr „Verantwortung“ gefragt, eine Metapher, die irgendwie an das Orwellsche Neusprech erinnert, weil es dabei (wie fast immer) um die Durchsetzung eigener Interessen in internationalen Zusammenhängen und Konflikten geht. In der Tat gebieten es die wirtschaftlichen Interessen eines sich zum Global Player mausernden Staates, diese – also die Kontrolle über Rohstoffquellen, Investitions- und Absatzgebiete – mit militärischen Mitteln zu sichern. Um dies festzustellen, braucht man nicht einmal die Imperialismustheorie, zu bemühen. Simpler ausgedrückt geht es um Standortpolitik. Es reicht wohl auch nicht mehr aus, andere Staaten mit Waffen zu beliefern, wie neuerdings wieder bei dem durch Bundesbürgschaften abgesicherten Verkauf von Patrouillenbooten an Saudi-Arabien. Dieser den westlich-demokratischen Werten so nahestehende Staat soll damit die Transportwege für das Öl aus dem nahen und mittleren Osten besser überwachen können.

Ein wesentlicher Hintergrund für diesen politischen Schwenk sind aber die in den letzten Jahren veränderten weltpolitischen Machtverhältnisse. Nicht zuletzt mit dem Aufstieg Chinas und dem Zerbröseln der US-Hegemonie haben sich diese stark verschoben. Die Militärinterventionspolitik der USA nach dem 11. September 2001 ist nicht nur gescheitert, sondern hat sie auch ökonomisch überfordert und politisch isoliert. Konnte das deutsche Kapital seine internationalen Interessen bis lange in die Nachkriegszeit hinein unter dem militärischen Schirm der USA verfolgen, so ist dieser inzwischen etwas löcherig geworden und die relative Harmonie zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten ist merklich getrübt, und dies nicht nur durch die aktuelle Spionageaffäre, die zugleich zeigt, in welchem Ausmaß eine Regierung von ihrem bevorzugten Verbündeten gedemütigt werden kann. Der Ärger über die Weigerung der Schröder-Regierung, am Irakkrieg teilzunehmen sitzt in den USA offensichtlich tief. Das Verhältnis zu Frankreich ist infolge der in Europa verschobenen ökonomischen Machtverhältnisse auch nicht mehr das Beste, d.h. auch die „europäische Balance“ ist aus dem Gleichgewicht. In einem derart multipolar gewordenen Weltsystem wird die Staatenkonkurrenz härter. Auf „Freunde“ ist da kein unbedingter Verlass mehr. Also muss eben „Verantwortung“ übernommen werden. Irgendwie erinnert das an das gerade als Jubiläum begangene Jahr 1914. Auch damals brachte die gewachsene ökonomische Stärke des Kaiserreichs die bestehende internationale Machtbalance durcheinander und die SPD war es auch, die den Kriegskrediten zugestimmt hat. Nun ist klar, dass Deutschland heute weder ökonomisch noch militärisch in der Lage ist, einen größeren Krieg anzuzetteln. Aber dabei sein und mitmischen möchte man schon.

In der etablierten Presse wird der Schwenk in der deutschen Außenpolitik überwiegend begrüßt. Gauck sei missverstanden worden, würde er doch der Diplomatie den Vorrang einräumen und den Militäreinsatz nur als letztes Mittel begreifen. Allerdings sind üblicherweise diplomatische Bemühungen nur wirksam, wenn dahinter militärische Potentiale stehen und die Bereitschaft da ist, diese auch einzusetzen. Das immerhin weiß der Bundespräsident. Stefan Kornelius bezeichnet in seinem Kommentar in der Süddeutschen Zeitung (1./2.2.2014) die Rede von der Militarisierung der Außenpolitik als Unfug. Sie belege, „wie verkümmert die Phantasie über die Wirkungsmöglichkeiten der deutschen Außenpolitik jenseits der eigenen Grenzen“ sei. Deshalb stimmt er Gauck zu, der in seiner Rede auf der Münchner Konferenz tatsächlich meinte, dass „Sicherheit“ eine nationale Existenzfrage sei, die in den Pflichtenkanon der Gesellschaftskunde gehöre. Was „Sicherheit“ dabei bedeutet, wird schon daran deutlich, vor welchem Publikum er gesprochen hat. Offenbar mangelt es der deutschen Bevölkerung an derartiger Phantasie und an Verantwortungsbewusstsein. Immerhin lehnen nach einer neuen Umfrage fast zwei Drittel eine Ausweitung der Militäreinsätze ab. Gauck hält das für „Bequemlichkeit“ und Kornelius spricht sogar von einer „Geschichtsvergessenheit“, wobei er wohl vergisst, dass gerade die deutsche Geschichte an militärischen Überfällen und Völkermord nicht eben arm ist. Im Übrigen kann man fragen, wer sich eigentlich gestört fühlen soll, wenn eine Söldnertruppe irgendwo in der Welt Krieg führt – außer dass das natürlich Geld kostet.

Man kann einige Zweifel daran haben, dass die Bundeswehr technisch und personell überhaupt in der Lage wäre, militärisch die Rolle eines Global Player „auf Augenhöhe“ einzunehmen. Allein die Art und Weise sowie die Folgen ihres unsinnigen Einsatzes in Afghanistan sprechen dagegen. Ständig ist schon heute von einer Überforderung die Rede. Diese wird durch die Einrichtung von Kindergärten und familiengerechte Teilzeitarbeit in Kasernen kaum zu beheben sein. Wohl deshalb hütet sich von der Leyen, mit ihren Absichten konkreter zu werden – zumal dummerweise bald wieder Wahlen anstehen. Auch bei den von den Militärs geforderten Kampfdrohnen, die für die neue Strategie sicher gebraucht werden, hält sie sich noch zurück. Bei dem militärischen Getöse geht es deshalb zuallererst darum, Ansprüche anzumelden, sich als Mitspieler zu positionieren und die Öffentlichkeit auf die neue Politik einzustimmen, den Leuten also das richtige Geschichtsbewusstsein einzubläuen und sie aus ihrer Bequemlichkeit zu reißen. Die journalistischen Hilfstruppen stehen schon bereit.

Es reicht indessen nicht aus, die neue deutsche Außenpolitik zu kritisieren. Sie ist nur der Ausdruck dessen, was die dominierenden ökonomischen Interessen erheischen. Diese zu verfolgen, verleiht angeblich „Sicherheit“. Es ist vor allem die des Kapitals und meint kaum das Schicksal von Arbeitslosen, peripher Beschäftigten oder MigrantInnen. Wenn man sich nicht in Militärphantasien verliert, könnte man sich eine weniger gewaltsame Weltordnung durchaus vorstellen, zum Beispiel wenn etwas dafür getan würde, die internationalen Ungleichheiten, die Not und die Perspektivlosigkeit in vielen Teilen der Welt zu beseitigen, die eine Ursache vieler Konflikte und auch des „Terrorismus“ sind, vor dem man sich schützen will. Es ist der „Exportweltmeister“ Deutschland, der durch Lohndumping immer größere ökonomische Verwerfungen nicht nur in Europa schafft. Dem hierzulande waltenden Kapital verschafft dies allerdings eine Blüte, die die Grundlage der vielzitiertem „ökonomischen Stärke“ des Landes darstellt. Und so weiter. Um also einen von Horkheimer auf den Faschismus bezogenen Satz zu variieren: Wer von Militäreinsätzen redet, sollte vom Kapitalismus nicht schweigen.

© links-netz Februar 2014