Home Archiv Links Intern Editorial Impressum
 
 
Neue Texte
 

Schwerpunkte

Sozialpolitik als Infrastruktur
Ende der Demokratie?
 

Rubriken

Deutsche Zustände
Neoliberalismus und Protest
Bildung
Krieg und Frieden
Biomacht und Gesundheit
Kulturindustrie
Theorie: Empire, Kommunismus und andere Angebote
Rezensionen
 
 

Anzeige

Deutsche Zustände Übersicht

 

  Nur Text    rtf-Datei    pdf-Datei 

Bundestagswahl 2013: was hat sie nun eigentlich gebracht?

Joachim Hirsch

Der Wahlabend war ja recht spannend. Kommt die FDP rein? Schafft Merkel eine absolute Mehrheit? Und wie ist es mit der „Alternative für Deutschland“? Die Frage ist allerdings, was der Gang zur Urne nun eigentlich bewirkt hat.

Das herausragende Ergebnis ist wohl das Scheitern der FDP an der 5%-Hürde. Da eine überwiegende Zahl der WählerInnen sie inzwischen ganz zu Recht als politisch inkompetente Klientelpartei einschätzt, ist ihr schlechtes Abschneiden an sich nicht überraschend. Trotzdem hätte man erwarten können, dass eben dieses Klientel sie wieder über die Hürden bringt. Wegen der nicht durchgesetzten Steuersenkungen war aber wohl auch dieses deutlich vergrätzt. Und die Zahl der Hoteliers hält sich in Grenzen.

Die wichtigeren Wahlverlierer sind die SPD und die GRÜNEN. Die SPD konnte sich von dem Debakel bei der letzten Wahl kaum erholen. Das Hochhalten von sozialer Gerechtigkeit und Solidarität im Wahlkampf wurde ihr und nicht zuletzt ihrem Spitzenkandidaten wohl nicht recht abgenommen – kein Wunder angesichts der Schröderschen Sozialstaats-“Reformen“, von denen sie sich nun doch nicht wirklich abwenden wollte. Ohne eine grundlegende Änderung ihrer Politik wird sie auch in Zukunft kaum hoffen können, eine entscheidende politische Rolle zu spielen. Bei den GRÜNEN haben nach allgemeiner Einschätzung die angekündigten Steuererhöhungen eine Rolle gespielt. Für eine Partei, die sich zunehmend auf die etwas alternativeren Besserverdienenden stützt, ist das sicher nicht eben hilfreich.

Der Erfolg der CDU/CSU ist weniger grandios, als es angesichts der Zahlen scheint. Ihre Stimmengewinne sind immerhin geringer als die Verluste der FDP. Und der Anteil der Nichtwähler übersteigt die Zahl derer, die für die CDU gestimmt haben. Wenn von einem Revival der „Volksparteien“ gesprochen wird – was ohnehin nur für die Union gilt –, so kann dies nicht über die herrschende Krise der Repräsentation hinwegtäuschen. Trotzdem haben CDU und CSU einen beachtlichen Sieg eingefahren und die absolute Mehrheit nur knapp verfehlt. Es ist gewissermaßen ein Witz der Geschichte, dass sie bei ihrer Politik auf dem aufbauen konnte, was die rot-grüne Koalition zuvor an „Reformen“ angerichtet hat, durch die das Kapital wieder international stark.und wettbewerbsfähig wurde. Der Erfolg der Union ist weniger den politischen Leistungen der Partei als der Person der Kanzlerin zu verdanken. Neben ihrem wirklich bewundernswerten taktischen Geschick hat ihr vor allem das genützt, was gemeinhin kritisiert wird: das Nicht-Festlegen, das Wolkige der Aussagen und die Selbststilisierung als Mutter der Nation. Inge Meysel, würde sie noch leben, hätte da sicher auch Chancen gehabt. Für ihre WählerInnen spielte offensichtlich „keine Experimente“ – mit diesem Slogan hatte Adenauer 1961 die CDU zu einem überwältigenden Sieg geführt – eine entscheidende Rolle. Ihr wurde angerechnet, dass es den Menschen hierzulande im allgemeinen und jedenfalls gefühlt besser als in den krisengeschüttelten Ländern des europäischen Südens geht. Und das gilt wohl auch für die immer größer werdende Zahl der Verlierer im neuen „Modells Deutschland“. Es handelt sich um eine Art Wohlstandschauvinismus auf niedrigerem Niveau.

Nach der Wahl begann sich das Personalkarussell zu drehen, insbesondere bei der FDP und den GRÜNEN. Die Führungsgruppe der letzteren hatte es nicht geschafft, die Partei in einem veränderten politischen Umfeld und nach dem Abklingen des Fukushima-Schocks neu zu positionieren und darüber hinaus einen miserablen Wahlkampf geführt. Zu Recht bezeichnete Stuttgarts grüner Oberbürgermeister Kuhn ihre Plakataktionen hinterher als „unterirdisch“. Wenn Joschka Fischer (in einem Kommentar in der Süddeutschen Zeitung vom 29.9.13) beklagt, die Partei hätte sich zu weit von der Mitte weg nach links bewegt, so kann man das nur als Scherz verstehen. Ihr Problem ist eher staatstragende Biederkeit. Steuererhöhungen zu fordern, ist jedenfalls nicht unbedingt „links“.

Die FDP wird Christian Lindner aus der Reserve holen, während bei den GRÜNEN noch offen ist, ob sie überhaupt über ausreichend kompetentes Personal verfügt. Merkels Problem ist, dass sie nun einen neuen Koalitionspartner braucht. Mit den GRÜNEN wird dies aus inhaltlichen Gründen schwierig, auch wenn selbst Seehofer ein Zusammengehen inzwischen für möglich hält und auch die Südwest-GRÜNEN dies für wünschbar halten. Merkels Wunschpartner ist allerdings die SPD. Und dies aus zwei Gründen: Zum Einen hat die letzte große Koalition gezeigt, dass sich mit ihr ganz gut neoliberale Politik machen lässt und zum Anderen wäre dies die beste Methode, ihr politisch den Rest zu geben, zumal ihr Gewicht in der Regierung angesichts der neuen Mandatsverteilung noch geringer wäre.

Würde die Ankündigung von SPD und GRÜNEN ernst genommen, einen Politikwechsel herbeizuführen, dann müssten sie mit der Linkspartei eine Regierung bilden, wofür rechnerisch die Voraussetzungen vorhanden sind. Im Bund ist das schon deshalb schwierig, weil eine harsche Reaktion der „Märkte“ zu erwarten wäre, also von daher, wo die wirkliche Macht haust. In Hessen wäre das leichter, nachdem die schwarz-gelbe Koalition trotz des knappen Wiedereinzugs der FDP in den Landtag auch dort ihre Mehrheit eingebüßt hat. Dazu wird es kaum kommen, nicht nur wegen der persönlichen Animositäten, die die „hessischen“ Verhältnisse kennzeichnen. Allerdings müsste die SPD allmählich realisieren, dass ihre Strategie der Ausgrenzung der Linkspartei gescheitert ist.

Was die Wahl entschieden hat, wird sich erst nach den Koalitionsverhandlungen herausstellen, wenn der „Wählerwille“ keine besondere Rolle mehr spielt. Darüber können die TV-Inszenierungen am Wahlabend nicht hinwegtäuschen. Die Entscheidung zum Nichtwählen, die quer zu den sozialen Schichten festzustellen ist, hat also durchaus gute Gründe. Eine große Koalition wird es wohl vor allem dann geben, wenn es der SPD-Führung gelingt, renitente Parteimitglieder und Landesverbände zu besänftigen. Das kann sie möglicherweise mit einigen kleineren Zugeständnissen erreichen, etwa bei der Einführung eines minimalen Mindestlohns oder einiger Steuererhöhungen, wozu Merkel inzwischen durchaus bereit ist. Im Übrigen wird sich nicht viel ändern. Keine Experimente eben. Die Linkspartei könnte dann darüber glücklich sein, mit Gysi als Chef der drittgrößten Fraktion „Oppositionsführer“ zu werden – eine allerdings nicht mehr als eine symbolische Position.

Und dies, obwohl für alle Parteien viel auf dem Spiel steht. Etwa ob es der CDU gelingt, vom Kanzlerinnenwahlverein wieder zu einer Partei mit identifizierendem politischen Programm zu werden, für SPD und GRÜNE, ob sie es schaffen, eine politische Perspektive zu entwickeln, die den Namen „Politikwechsel“ verdient. Und dann gibt es noch die nationalkonservative „Alternative für Deutschland“, die es beinahe in den Bundestag geschafft hat und die in Zukunft das Parteiensystem noch gehörig durcheinander wirbeln könnte.

Wenn in Berlin der politische Normalbetrieb zurückkehrt, werden die Probleme wieder auf den Tisch kommen, die im Wahlkampf keine Rolle gespielt haben, nicht zuletzt die anhaltende ökonomische Krise. Eine zentrale Rolle wird auch die Europapolitik spielen. Die „Alternative für Deutschland“ hat geflissentlich verschwiegen, dass Europa nicht zu haben ist, ohne dass den Krisenländern und nicht allein den Banken finanziell geholfen wird, mit Geld, das anderswo im Staatshaushalt fehlt. Angesichts dessen und der Tatsache, dass keine der vermutlich regierenden Parteien bereit und in der Lage ist, es mit dem Kapital aufzunehmen, ist es eine offene Frage, wie den gesellschaftlichen Verwerfungen begegnet werden soll, die eine Folge der neoliberalen Politik sind.

Die Zeiten werden also hart bleiben.

© links-netz Oktober 2013