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Wissenschaftsfreiheit im Adorno-Jahr

oder die Entsorgung kritischer Wissenschaft an der Frankfurter Universität

Joachim Hirsch und Heinz Steinert

Verwaltung gegen Wissenschaft

Mit den Universitätsreformen der letzten Jahre ist der konstitutive Konflikt zwischen Wissenschaft und Verwaltung an der Universität entschieden. Universitätsverwaltung und Präsidium müssen es nicht länger als ihre Aufgabe ansehen, die Wissenschaft zu ermöglichen und zu unterstützen, die von den Wissenschaftlern aus der Logik ihres Fachs heraus entwickelt und betrieben wird. Vielmehr besteht ihre Funktion nun darin, den Prozess von Forschung und Lehre und die darin tätigen WissenschaftlerInnen im Sinne politischer Vorgaben zu steuern. Diese Vorgaben sind in erster Linie finanzielle. Die gesamte Universitätsreform lässt sich zuletzt als Sparpolitik verstehen. Dazu passt es gut, wenn neuerdings bei offiziellen universitären Anlässen der Finanz- und nicht der Wissenschaftsminister auftritt. Die Verwandlung der Universität in einen „standortgerechten“, möglichst „schlanken“ und „von unproduktivem Ballast befreiten“ Dienstleistungsbetrieb, dessen Leistung im wesentlichen in quantitativen Größen gemessen wird, impliziert natürlich auch inhaltliche Vorstellungen davon, was unter Wissenschaft zu verstehen ist. Und wenig kann die Universitätsverwaltung daran hindern, diese auch durchzusetzen.

Unter fachfremden Eingriffen haben besonders die Gesellschaftswissenschaften schon traditionell gelitten. Jeder Jurist oder jede Wirtschaftswissenschaftlerin, aber selbst Biochemikerinnen oder Mathematiker trauen sich ein Urteil über Soziologie und Politikwissenschaft zu – weil sie ja kompetent mit Gesellschaft und Politik umgehen zu können meinen. Und alle würden einen umgekehrten Einflussversuch empört oder zumindest belustigt zurückweisen. Diese Verwechslung des Gegenstands mit der Wissenschaft, die ihn erforscht, kann sich jetzt, nach der Zerschlagung der Selbstverwaltung der Wissenschaft, in der – angeblich – nach betriebswirtschaftlicher Rationalität geführten Universität ungehemmt durchsetzen.

Ein Präsidium weiß alles über Ideologie und ihre Rechtswidrigkeit

Für solche Eingriffe des Präsidiums in die fachliche Zuständigkeit der Gesellschaftswissenschaften gibt es zwei aktuelle Beispiele. Diese stehen für eine generelle Entwicklung, die keineswegs nur den Fachbereich 03 der Frankfurter Universität trifft. Eine vom Fachbereichsrat einstimmig verabschiedete Berufungsliste für eine Professur Wissenschaftstheorie / Logik der Sozialforschung wurde zurückgewiesen. Die kaum verhohlene Begründung dafür ist, dass die Art der von den Vorgeschlagenen betriebenen Wissenschaft dem Präsidium irgendwie nicht passt, im Klartext: zu stark mit „Kritischer Theorie“ verbunden ist. Ein vom Fachbereichsrat ebenfalls einstimmig verabschiedeter Ausschreibungstext für eine Staatstheorie-Professur wurde beanstandet und auf Anordnung des Präsidiums abgeändert. Sie darf nicht folgenden Zusatz tragen: „Der/Die künftige Stelleninhaber/in soll insbesondere die aktuellen Entwicklungen im Bereich der Staatstheorie unter Einbeziehung feministischer und materialistischer Politik- und Staatskritik berücksichtigen“. Wie der Dekan mitteilt, hält „das Präsidium ... diese Spezifizierung für eine rechtswidrige ideologische Festlegung und eine Verletzung der gebotenen wissenschaftlichen Offenheit“ (Schreiben des Dekans an den geschäftsführenden Direktor des Instituts für Gesellschafts- und Politikanalyse, verlesen in der Direktoriumssitzung am 26.5.03). Der Präsident sieht „diesen Satz als parteiisch und schulenbildend“ an – so die Mitteilung des Dekans in der Fachbereichsratssitzung am 26.5.03. Inzwischen ist allerdings klar gestellt, dass das Präsidium in nächster Zeit überhaupt keine Stellen im Fachbereich 03 ausschreiben lassen wird. Es müssen nämlich noch in diesem Jahr 50 und in den kommenden Jahren mehrere hundert Stellen an der Universität eingespart werden. Das Präsidium greift zu dem Mittel, den Fachbereich einer „Strukturprüfung“ zu unterwerfen, obwohl der Strukturplan des Fachbereichs gerade drei Jahre alt ist. Dass der Fachbereich schon lange erheblich überlastet ist, spielt dabei keine Rolle. Auf diese Weise lässt sich jedenfalls jede weitere Bewegung still stellen und zugleich Sparpolitik zur inhaltlichen Neuausrichtung von Wissenschaft nutzen.

Damit die Belege für die wissenschaftspolitischen Kriterien der Universitätsspitze nicht mangeln, durfte man kürzlich noch erfahren, dass der Grund für die Bevorzugung der Wirtschaftswissenschaften und der Juristen beim Zeitpunkt des Umzugs auf den Campus Westend in der geringeren Reputation der Frankfurter Sozialwissenschaften liege. Nicht nur dem Zeitgeist entsprechend, sondern auch völlig standortgerecht – Frankfurt ist ja schließlich Finanzmetropole – haben im inneruniversitären Privilegiengefüge „Law“ und „Finance“ natürlich Vorrang, jedenfalls denen gegenüber, die den ablaufenden Prozess der Zerrüttung von Ökonomie und Gesellschaft kritisch beobachten. Der Zeitpunkt des Umzugs, so war zu entnehmen, ist eine Belohnung oder Bestrafung für (mangelndes) Wohlverhalten. Diese Disziplinierung ist trotz aller Sparzwänge erhebliche Zusatzkosten wert, z.B. für Mehrfachumzüge. Vor allem: Das Präsidium weiß nicht nur, wie die Sozialwissenschaften in Frankfurt inhaltlich ausgerichtet sein sollen, es ist auch imstande, die Reputationen verschiedener Wissenschaften miteinander zu vergleichen. Wie und nach welchen Kriterien das möglich sein soll, wird freilich nicht gesagt.

Das Präsidium scheint tatsächlich nicht zu wissen, worauf die Reputation der Frankfurter Sozialwissenschaften beruht: nämlich auf der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule und ihren Weiterentwicklungen in den letzten dreißig Jahren – nicht zuletzt durch materialistische Gesellschafts- und Staatstheorie und feministisch initiierte und inspirierte Forschung (sowie durch Hermeneutiken auf strukturalistischer oder psychoanalytischer Grundlage, Arbeiten zu Kulturindustrie und Wissensgesellschaft, durch die Analyse von Prozessen der Transformation kapitalistischer Gesellschaften im Zuge der sogenannten Globalisierung, durch Forschung zur sozialen Ausschließung, durch eine kritische Demokratietheorie, durch Arbeiten zum Nord-Süd-Konflikt, zu Krieg und Frieden – die aber zufällig gerade nicht zur Disposition stehen, weil die entsprechenden Professuren besetzt sind). Es ist ihm wohl auch entgangen, dass die materialistische und feministische Kritik am herrschenden Wissenschaftsverständnis im internationalen Rahmen einen festen und anerkannten Platz in den Sozialwissenschaften hat.

Das Präsidium scheint auch nicht zu wissen, dass am Fachbereich verschiedene Bereiche von Kritischer Theorie, darunter an der materialistischen Theorietradition orientierte Staats- und Gesellschaftsanalyse, seit Jahrzehnten und bis heute einen wichtigen Schwerpunkt in Lehre und Forschung dargestellt haben. Dies nicht im Sinne von Traditionsbewahrung, sondern in kritischer Weiterentwicklung unter Berücksichtigung wichtiger neuerer Theoriestränge – so etwa Foucaults Macht- und Gouvernementalitätstheorie, Diskurstheorie oder Regulationstheorie. Dabei ging es immer auch darum, aktuelle wissenschaftliche Theoriebildung auf die bedeutsamen sozialphilosophischen Denktraditionen zu beziehen und damit kritisch zu reflektieren.

Dieser Bezug auf Kritische Theorie hat bisher den – internationalen – Ruf der Frankfurter Gesellschaftswissenschaften begründet. Frankfurt nimmt damit unter den Universitäten eine besondere Stellung ein. Wenn der Fachbereich Gesellschaftswissenschaften in einschlägigen Rankings nicht schlecht abschneidet, so ist dies nicht zuletzt auch den auf diesem Feld tätigen WissenschaftlerInnen zu verdanken.

Alltagsbedeutungen und wissenschaftliche Begriffe

Man kann von einem Universitätspräsidium nicht verlangen, dass es über die Einzelheiten eines Fachs Bescheid weiß. Es kann auch nicht alle Begriffe kennen, die dort ihren spezifischen Stellenwert haben. Es könnte freilich wissen, dass gerade in Soziologie und Politikwissenschaft auch alltäglich verwendete Worte in besonderen, wissenschaftlichen Bedeutungen vorkommen. Es ist eine der Aufgaben der Sozialwissenschaften, die alltäglich zur Beschreibung von gesellschaftlichen und politischen Zuständen verwendeten Begriffe wissenschaftlich zu klären, sie reflexiv zu verarbeiten und in einen theoretischen Kontext zu bringen. So viel könnte ein Präsidium von den Besonderheiten eines Faches schon wissen. Dann wäre es weniger wahrscheinlich, dass es die Alltagsbedeutungen von Termini gegen das Fach einsetzt, das sie anders verwendet.

Im vorliegenden Fall ist genau das geschehen: Zum Beispiel denkt das Präsidium bei „materialistisch“ vermutlich an „Sowjetmarxismus“, wie es viele im Alltag tun. Dies hat indessen nichts mit der Bedeutung des Begriffs in der Wissenschaft zu tun. „Materialistisch“ verpflichtet dazu, die empirische Realität von Staatstätigkeit und ihre in den herrschenden ökonomischen Strukturen liegenden Bedingungen ernst zu nehmen. D.h. es geht darum, die Materialität der gesellschaftlichen Verhältnisse und Praktiken zum Ausgangspunkt zu machen und nicht die Vorstellungen, die von verschieden Beteiligten und in diversen Dokumenten darüber verbreitet werden. Auch „ideologisch“ verwendet das Präsidium in der Alltagsbedeutung, in der das ein Schimpfwort ist und etwas wie „versteckt (partei-) politisch“ meint. Gerade auf die Klärung des Ideologiebegriffs haben die Sozialwissenschaften besonders viel Mühe verwandt. Dazu wurden Verfahren der Ideologiekritik entwickelt, besonders in der materialistischen und feministischen Theorie, von denen die Sozialwissenschaften instand gesetzt werden, die „Ideologien“ im Alltagsgebrauch des Worts in einer Weise zu analysieren, die gerade von den Alltags-Ideologen gefürchtet wird.

Recht interessant wäre es schließlich zu wissen, ob der Präsident das Wort „rechtswidrig“ nun in seiner Alltagsbedeutung von „wenn es nach mir ginge, würde das verboten“ verwendet, oder ob er es als Jurist ernst meint und tatsächlich etwas im gesatzten Recht kennt, das es ermöglicht, den Verfassungsgrundsatz der Wissenschaftsfreiheit auszuhebeln.

Eine Verwaltung, die zuletzt doch noch ein Minimum an Ergebnis, im Fall der Universität also an Wissenschaft, zumindest zulassen muss, wäre jedenfalls gut beraten, sich nicht nur auf ihren Alltagsverstand zu verlassen, sondern auch die begrifflichen Klärungen und den sonstigen Sachverstand der verschiedenen Wissenschaften zu bemühen.

Ein paar machiavellistische Hinweise zur Ausübung von universitärer Herrschaft

Die Universitätsreform der letzten Jahre hat der Verwaltung, besonders dem Präsidium, ziemlich unbeschränkte Macht gegeben und die Leute, die die Wissenschaft betreiben, die „Produkt“ der Universität sein sollte, die ProfessorInnen und wissenschaftlichen MitarbeiterInnen also, weitgehend entmachtet. Die Studierenden werden von an der Wissenschaft Beteiligten zur Kundschaft einer Bürokratie degradiert. Auf den ersten Blick ergibt sich daraus für die Verwaltung eine schöne Situation: Sie kann weitgehend frei ihre Herrschaft ausüben und glauben, die Wissenschaft zu ihr genehmen Leistungen in Forschung und Lehre zwingen zu können. Kleinere Geister würden dies vielleicht tatsächlich für möglich halten. Das „Produkt Wissenschaft“ hat indessen die Eigenschaft, dass sich seine Qualität weder befehlen noch leicht messen lässt. Man muss es entstehen lassen und man muss die Feststellung von Qualität der wissenschaftlichen community und der Zeit überlassen. Für herrschaftliche Steuerung ist das ein Problem.

Eine Möglichkeit wäre natürlich, dieses „Produkt Wissenschaft“ gleich abzuschaffen und es durch andere zu ersetzen, z.B. durch die Zahl der pro Zeiteinheit durchgeschleusten „Kunden“ oder die Menge der „eingeworbenen“ Forschungsmittel, ganz unabhängig davon, was damit getan wird. Die Betriebsamkeit der Mitglieder und die Emsigkeit der Beteiligung am organisierten Betrieb würde damit selbst zu seinem Produkt. Bei der Erreichung dieses Ziels ist die Universitätsreform schon ziemlich weit gekommen.

Irgendwann könnte allerdings das Problem auftreten, dass die „Kundschaft“, der man beim besten Willen unter dem Diktat von Sparzwang keinen besonderen Komfort bieten kann, an der Lehre dann doch in erster Linie ihre wissenschaftliche Qualität schätzt. Es könnte geschehen, dass die studentische „Kundschaft“ genau weiß, wie leer die Versprechungen auf gute Jobs nach einer möglichst schnell durchlaufenen universitären Lehre sind. Es könnte geschehen, dass die „Kundschaft“ sich schlecht bedient fühlt, wenn sie mit Mogelpackungen abgespeist werden soll und wissenschaftliche, inhaltliche Substanz einfordert. Dann ist es mit technokratischen Messgrößen nicht getan, dann ist man doch auf die Qualität angewiesen, wie sie innerhalb eines Fachs und über längere Zeit entwickelt und festgestellt wird.

Eine andere Möglichkeit wäre, völlig auf die „Reputation“ eines Fachs bei den Spitzen von Wirtschaft und Politik abzustellen. Das Mittel ist Umstellung der Universitätspolitik auf professionelles Marketing, wie es professionelle Berater-Firmen erarbeiten. Hier entsteht allerdings gerade mit dem „Profil“ der Gesellschaftswissenschaften in Frankfurt ein Problem: Wenn es ein „Profil“ der Frankfurter Sozialwissenschaften zu unterstützen gibt, dann ist es das der „Frankfurter Schule“. Seine Marketing-Fachleute werden dem Präsidium sicher bestätigen können, dass man einen so eingeführten Begriff erstens ohnehin nicht loswerden kann und dass man ihn zweitens klugerweise benutzen sollte, wenn man auf „Reputation“, „Internationalisierung“ und „Profilbildung“ setzt. Die Anpreisung, man mache eine gute Sozialwissenschaft, wie man sie überall sonst auch durchschnittlich studieren kann, ergibt jedenfalls kein sehr beeindruckendes „Profil“. „Normalisierung“, so betrieben, führt leicht zu Provinzialität.

Machiavellistisch aufgeklärt würde universitäres Management sich daher in den Auseinandersetzungen in einem Fach nicht mit der Macht der Administration auf eine Seite schlagen, sondern die Wissenschaft sich nach ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten entwickeln lassen. Damit wäre immerhin wenigstens das Minimum an Wissenschaft zugelassen, das selbst in der betriebswirtschaftlich stromlinienförmig gemachten Dienstleistungs-Universität unverzichtbar ist. Machiavellistisch aufgeklärt würde universitäre Herrschaft selbst den Ruf eines Fachs als „kritisch“ auszunützen verstehen. Die Gründer der Frankfurter Universität wussten das noch: Sie haben die damals private Stiftung finanziert, um aus der Handelsschule eine Wirtschafts-Universität zu machen, und sie waren aufgeklärt genug, um auch die „soziale Frage“ (wie es damals hieß) erforscht sehen zu wollen und dafür die erste sozialwissenschaftliche Fakultät an einer deutschen Universität einzurichten. Von solcher „Aufgeklärtheit“ ist die Tradition der Frankfurter Universität bestimmt. Eine ebenso „aufgeklärte“ Verwaltung wird sich davon nicht leichtfertig verabschieden.

© links-netz August 2003