Home Archiv Links Intern Editorial Impressum
 
 
Neue Texte
 

Schwerpunkte

Sozialpolitik als Infrastruktur
Ende der Demokratie?
 

Rubriken

Deutsche Zustände
Neoliberalismus und Protest
Bildung
Krieg und Frieden
Biomacht und Gesundheit
Kulturindustrie
Theorie: Empire, Kommunismus und andere Angebote
Rezensionen
 
 

Anzeige

Kulturindustrie Übersicht

 

  Nur Text    rtf-Datei    pdf-Datei 

Fußball-WM

Weniger Brot, aber jede Menge Spiele!

Joachim Hirsch

Die Party ist vorbei. So gut wie unisono wurde in den Medien der „unverkrampfte Patriotismus“ gefeiert, der die Deutschen in ihrem Jubel für einige berufsmäßige Kicker mit deutschem Pass angeblich erfasst hatte. Allerdings spielen diese gerne auch jenseits der Grenzen, wenn dort mehr Geld winkt. Zu diesem Zweck wird auch schnell mal die Staatsangehörigkeit gewechselt. So wie das Kapital, ist auch der Fußball hochgradig internationalisiert. Was das FIFA-Spektakel 2006 besonders kennzeichnet, ist eine eigentümliche Mischung totaler Durchkommerzialisierung und nationaler Aufwallung. Die Frage ist, wie beides zusammenhängt. Offenkundig ist, dass der Fußball zu einer zentralen Kulturindustrie geworden ist.

Zunächst einmal ist die Weltmeisterschaft ein Arbeitsmarkt, die Spiele dienen als eine Art Casting-Veranstaltung für kommende Sportlergrößen. Vielen Spielern geht es vor allem darum, sich den gut zahlenden Fußballunternehmen in Bestform zu vorzustellen. Die Manager und Transfervermittler sind ein entscheidender, wenngleich unsichtbarer Teil des Spiels. Hier wird nicht zuletzt der „leg-drain“ von der Peripherie in die Metropolen in Gang gebracht, der den internationalen Fußball prägt. Und natürlich dient die Meisterschaft als gigantische Werbeveranstaltung für einige Großkonzerne, die sich Stadionbanden, Sponsorenauftritte und Verkaufsmonopole gesichert haben, nebst ausufernden TV-Reklameeinblendungen vor, nach und während jedes Spiels, die in ihrer unendlichen Wiederholung selbst die Hartgesottensten nerven. Fast 1,2 Milliarden Euro hat die FIFA für Fernsehübertragungsrechte und Sponsoring eingenommen. Etwa 3 Milliarden Euro beträgt der Werbeaufwand rund um die ganze Veranstaltung insgesamt. Die Spiele sind nicht nur selbst ein enormes Geschäft, sondern bilden die Grundlage für noch viel größere Geschäfte.

Dass sich an dieser Kommerzveranstaltung so etwas wie Nationalgefühl entzündet, ist schon für sich genommen bemerkenswert. Um was für eine Art Nationalgefühl handelt es sich? Wirklich um „unverkrampften Patriotismus“, wie einige Schöngeister aus der neuen Mitte jubeln? Oder ist er einfach das neue Gesicht des alten Nationalismus? Die Frage ist nicht einfach zu beantworten. Offensichtlich ist, dass die WM, und das sicher strategisch inszeniert, auch ein politisches Propagandaunternehmen war, dessen Zweck, wie schon bei vielen anderen kulturindustriellen Inszenierungen zuvor, auf die Normalisierung von Geschichte zielte. „Zu Gast bei Freunden“, das soll heißen, dass die Deutschen sich als nett und harmlos präsentieren und dass man nun endlich vergessen kann, was sie früher einmal angerichtet haben, ebenso wie die Tatsache, dass sie selbst gelegentlich weniger als Gäste denn als militärische Invasoren in anderen Ländern einfallen. Es will schon etwas heißen, dass es gelungen ist, angesichts der Geschichte dieses Landes im gehobenen Feuilleton wie im allgemeinen Bewusstsein ein ebenso „unverkrampftes“ wie lockeres Verhältnis zu ihm medial bestimmend werden zu lassen.

Aber es gibt Unterschiede. Zumindest in der Mediendarstellung – und die Stammtische aller Art mal beiseite gelassen – handelt es sich nicht mehr um den alten, dumpfen und bornierten Nationalismus, der sich hier entfaltet hat. Da lag die GEW mit ihrer etwas verqueren Kritik an der Deutschlandhymne einigermaßen daneben. Der Nationalismus präsentiert sich sozusagen neoliberal modernisiert, gibt sich locker (manchmal spielen durchaus auch die anderen gut) und jedenfalls weltoffen. Dass eine Menge „Gäste“ aus diversen Teilen der Welt hierzulande überhaupt nicht gerne gesehen werden und die Grenzen für Flüchtlinge immer dichter verrammelt sind, konnte die allgemeine Partylaune nicht stören. Man bewunderte die ghanaischen Spieler, die sich tapfer geschlagen, aber natürlich rechtzeitig verloren haben, und schweigt über diejenigen Afrikaner, die keineswegs in den Genuss eines Spielervisums kommen und gegebenenfalls an den sogenannten europäischen Außengrenzen verrecken. Aber mit dieser schmutzigen Angelegenheit haben sich zum Glück die Spanier und Italiener zu beschäftigen.

Die WM war als grandios inszeniertes Unterhaltungsereignis angelegt und man kann die überall heraushängenden oder mitgeführten Fahnen auch unter diesem Aspekt sehen. Stimmung war gefragt, nicht zuletzt zur Ankurbelung des dahindümpelnden Konsums und als Dope zur Bekämpfung der alltäglichen politischen und gesellschaftlichen Misere. Dass es angesichts der sozialen und politischen Verhältnisse hierzulande nun wirklich nichts zu feiern gibt, wurde durch ein industriell inszeniertes Partyevent kompensiert. Dessen Prinzip liegt, wie bei vielen ähnlichen kulturindustriellen Inszenierungen darin, dass man es einfach dann schon toll findet, wenn viele da sind, ganz egal was passiert. Deshalb die Anziehungskraft des „public viewing“ in Stadien, Plätzen oder wie in Frankfurt rund um den Main herum. Hergestellte Öffentlichkeit als Kompensation für ein immer trister werdendes Privates.

Das Fähnchenschwenken hat einiges mit Identifikationsbedürfnissen zu tun in einer Welt, in der nichts mehr sicher ist und die Gesellschaften immer mehr aus den Fugen gehen. Mit schwarz-rot-goldener Schminke auf der Backe lässt sich ein Gemeinschaftsgefühl erzeugen, dass darüber hinweg täuscht, dass im Alltag immer mehr jede(r) gegen jede(n) konkurriert. Weil das Tragen von Trendklamotten und Markenlogos nicht mehr viel hergibt, seit sie massenhaft als Billigprodukte aus China kommen, und Betriebsgemeinschaften unter dem Diktat des Shareholder Value auch nicht mehr das sind, was sie einmal waren, trifft man sich halt ersatzweise mit der Deutschlandfahne. Hier zumindest hat „Du bist Deutschland“, die neueste Propagandakampagne der Großwirtschaft, ihre Früchte getragen. In und unter Schwarz-Rot-Gold ist man wenigstens noch etwas, braucht nicht dem Schicksal der Modernisierungsverlierer in die Augen sehen und kann sich irgendwie auf der Seite der Sieger fühlen. Wenigstens bis zum Halbfinale. Dies erklärt vielleicht, weshalb die Fähnchen auch an den BMWs schick gestylter Angestellter aus den Managementetagen zu finden waren, denen man ansonsten eher kosmopolitisches Bewusstsein und Weltläufigkeit unterstellt. Dass der Chefredakteur der Bild-Zeitung eine Deutschlandfahne (mit Bundesadler) aus dem Fenster gehängt hat, zeigt immerhin, dass er gegenüber den Inhalten seines Blatts doch sehr viel weniger Distanz hat, als man bei einem hartgesottenen Manager vermuten könnte.

Nicht zufällig hat das WM-Spektakel an die Nazi-Olympiade von 1936 erinnert. Parallelen sind unübersehbar: die perfekte Organisation, die Masseninszenierungen und das freilich nicht so ganz unverkrampfte Bestreben, in der Welt Anerkennung zu finden. Aber damit endet der Vergleich. Statt militärischen Aufmärschen beizuwohnen, vergnügte man sich in den landesweit eingerichteten WM-Arenen. Und der maßgebende Organisator des Spektakels war nicht der politische Herrschaftsapparat, sondern kommerzielle Unternehmen einschließlich der zum Global Player des Werbemarkts aufgestiegenen FIFA. Diese konnte dem Staat vorübergehend sogar einige Souveränitätsrechte abnehmen. Auch das ein Aspekt der neoliberalen Transformation des Staates. PolitikerInnen spielten deutlich in einer unteren Liga und waren froh, gelegentlich wenigstens einmal ins Bild zu kommen. Statt Blut und Boden ging es um Bier und Partylaune. Die weltweite Durchkommerzialisierung der Gesellschaft hat insofern durchaus auch ihre positiven Seiten. Man sollte sich indessen nicht darüber hinwegtäuschen, dass der neoliberal geläuterte Nationalismus bei anderen politischen Konstellationen ein sehr viel hässlicheres Gesicht zeigen könnte. Zumindest sind weitere Schranken eingerissen worden, die dem bisher entgegenstanden.

Dass die Weltmeisterschaft als Manövrierfeld und Legitimationshintergrund für eine neue Sicherheitsstaatsorgie wurde, war während der Spiele kaum noch zu bemerken. Auch das spricht für eine gelungene Inszenierung. Die Spiele sind vorbei, aber der weiter aufgerüstete Überwachungsstaat bleibt. Im Übrigen passten die „Spiele“ ganz hervorragend in die politische Konjunktur. Wenn das „Brot“ mittels Steuererhöhungen, Sozialleistungskürzungen, Arbeitslosigkeit und Prekarisierung sozusagen ständig knapper gemacht wird, braucht es Ersatz. Von „panem et circenses“, mit denen die römischen Herrscher ihr Volk ruhig stellten, ist im wesentlichen der Zirkus übrig geblieben. Während die Fans feierten, bastelte die Berliner Regierung an einer „Gesundheitsreform“, die vor allem den Zweck verfolgt, den Leuten zugunsten der diversen Abkassierer – Ärzte und Apotheker, vor allem aber die Medizingeräte- und Pharmaindustrie – noch mehr Geld aus den Taschen zu ziehen. Ganz zu schweigen von der erneuten Senkung der Unternehmenssteuern. Und dass es kein Zufall ist, dass die Allianz ihre Massenentlassungen just Mitten im Weltmeisterschaftsrummel angekündigt hat, wurde selbst vom „Spiegel“ bemerkt. Auch in dieser Hinsicht hat die Veranstaltung ihre Zweck wunderbar erfüllt.

© links-netz Juli 2006