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Sozialpolitik als Infrastruktur Übersicht

 

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Wozu würde ein bedingungsloses Grundeinkommen dienen?

Joachim Hirsch

Es ist schon des Nachdenkens wert, wenn im ziemlich neoliberal gefärbten Wirtschaftsteil einer überregionalen Tageszeitung ein Artikel erscheint, der für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens plädiert. Das Thema, mit dem sich der Autor Johannes Kuhn beschäftigt, sind sich abzeichnende Veränderungen in den Arbeitsverhältnissen und auf dem Arbeitsmarkt. Seine etwas steile These lautet: „Das Wesen der Arbeit löst sich auf und damit auch ihre Bedeutung“. Einmal abgesehen davon, was das „Wesen“ der Arbeit wohl sein sollte, handelt es sich dabei um durchaus interessante Überlegungen. Es geht Kuhn um die digital vermittelten Jobs für jedermann, sei es nun als Uber-Taxifahrer, Vermieter der eigenen Wohnung oder in einer anderen der vielfältigen Formen von Kurzeitbeschäftigung. „Gig-Economy“ wird das laut Kuhn genannt. Gemeint sind damit die Menschen, die gleichzeitig mehrere Jobs ausüben und freiberuflich als „contractor“ für eine Vermittlungsplattform tätig sind, die damit ordentliche Gewinne einstreicht. Angeblich arbeiten in den USA inzwischen ca. 40 Prozent der Erwerbstätigen in irgendeiner Form der Selbständigkeit. In Deutschland zeichnen sich ähnliche Entwicklungen ab, wobei die „Selbstständigkeit“ in der Regel keinesfalls freiwillig gewählt ist. Vielmehr gehe es um „Scheinselbständigkeit, Zeitarbeit, prekäre Beschäftigung, Generation Praktikum, Beratertätigkeit nach betriebsbedingter Kündigung oder auf zwölf Monate befristete Teilzeitstellen, für die sich vor allem Frau dankbar zeigen soll“. Angesichts von Globalisierung, Digitalisierung und neuer Formen der Automatisierung könne die Gig-Ökonomie zu einem der wichtigsten Arbeitsmärkte der Zukunft werden.

Der Autor geht davon aus, dass entgegen aller Euphemismen von Freiheit und selbstbestimmter Tätigkeit diese Arbeitsformen also sehr oft keineswegs freiwillig gewählt werden, sondern materieller Not geschuldet, also eher ein Ausdruck massenhafter Prekarisierung sind. Damit daraus wirklich Freiheit, Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung würde, müsse die materielle Sicherheit vom Staat garantiert werden, „in Form eines bedingungslosen Grundeinkommens, das über das pure Minimum hinausgeht. Ein Gedanke, dem für viele bisher etwas Frivoles anhaftet“. „Gig-Ökonomie“ also auf der Basis einer staatlichen Grundfinanzierung.

Nun hat die Idee einer garantierten und bedingungslosen Grundsicherung, die die Möglichkeit schafft, entlohnte Arbeiten frei und selbstbestimmt und ohne unmittelbaren materiellen Zwang zu wählen, durchaus etwas Positives. Die Kehrseite der Medaille ist, dass dies de facto hieße, den Unternehmen billige und hochgradig flexible Arbeitskräfte staatlich subventioniert verfügbar zu machen – ein System, das in Deutschland im Zuge der Hartz IV-Regelungen in Gestalt der „AufstockerInnen“ bereits Einzug gehalten hat. Unterstützt würde also mittels des Grundeinkommens ein Prozess der Prekarisierung, bei dem die Betroffenen durch staatliche Unterstützung ruhig gestellt würden. Dies vor allem dann, wenn die Grundsicherung eine Höhe hätte, die den Arbeitszwang nicht aufheben würde, um ein Leben nach dem durchschnittlichen zivilisatorischen Niveau zu ermöglichen. Selbst die Höhe von 2500 Franken (knapp 2300 EURO), die eine Schweizer Initiative fordert (sie hat es immerhin zu einem Referendum geschafft, das allerdings erst mal gescheitert ist), dürfte dazu kaum ausreichen, zumal weitere Einkünfte darauf angerechnet werden sollen. Das Ganze macht erneut deutlich, weshalb auch ein bedingungsloses Grundeinkommen durchaus auf der neoliberalen Agenda stehen kann und wohl in den nächsten Jahren auch stehen wird.

Es wäre damit – sollte es tatsächlich einmal eingeführt werden – keinesfalls getan. Selbst wenn einige flankierende Maßnahmen hinzukommen – etwa der Mindestlohn (der allerdings „Selbständige“ ohnehin nicht betrifft) oder eine öffentliche Kontrolle der Vermittlungsagenturen, wie Kuhn sie vorschlägt, zeigen seine Ausführungen, dass damit die Arbeitsverhältnisse und die herrschenden gesellschaftlichen Strukturen kaum verändert, sondern eher noch befestigt würden. Notwendig wären weitergehende Maßnahmen, die sich nicht allein auf den Arbeitszwang oder materielle Nothilfen, sondern auf tiefgreifendere Umwälzungen der Vergesellschaftungsweise richten, wie wir sie mit den Überlegungen zum Ausbau der sozialen Infrastruktur skizziert haben. Ein bedingungsloses Grundeinkommen wäre ein Teil davon, aber eben nur ein Teil.

Johannes Kuhn: Keine Angst vor Zombies, in: Süddeutsche Zeitung, 26./27.9.2015.

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