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Die Zukunft verspielen

Über die Pläne der großen Koalition

Joahcim Hirsch

„Die Zukunft gestalten“ lautet die Überschrift des Koalitionsvertrags von CDU, CSU und SPD. So ziemlich genau das Gegenteil ist der Fall. Natürlich konnte die SPD keine Steuererhöhungen durchsetzen, weder für „Reiche“ noch für Unternehmen. Deren Steuerbelastung hatte sie immerhin selbst schon zu Zeiten der grün-roten Koalition deutlich gesenkt. Angeblich gefährdet es den „Standort“, wenn die Einkommensunterschiede nicht immer weiter auseinanderklaffen und keine Maximalprofite mehr eingefahren werden können. Auch aus den Ankündigungen, unsinnige Steuervergünstigungen und Subventionen zu streichen, wurde nichts. Die Herdprämie und die Steuernachlässe für Hoteliers bleiben ebenfalls. Das bedeutet, dass es weder für die marode Verkehrsinfrastruktur noch für die Bildung mehr Geld geben wird. Als hätte das mit dem „Standort“ nichts zu tun. Die weniger Reichen werden allerdings nicht ungeschoren davonkommen. Um unter anderem die von der CSU gewünschte „Mütterrente“ zu finanzieren, werden die Rentenkassen geplündert und die Bundeszuschüsse für die gesetzliche Krankenversicherung werden reduziert. Das bedeutet, dass die Rentenversicherungsbeiträge nicht – wie eigentlich geboten – gesenkt werden, sondern in Zukunft weiter steigen werden. Das gilt auch für die Pflegeversicherungsbeiträge. Dazu kommt noch die PKW-Maut „für Ausländer“, das populistische Lieblingskind Seehofers. Man kann annehmen, dass diese am Ende alle bezahlen werden, wenn die EU-Vorschriften berücksichtigt werden müssen. Also keine formellen Steuererhöhungen, aber steigende Beiträge und Kosten für das gemeine Volk. Und die SPD führte ihren Wahlkampf für mehr Gerechtigkeit. Die finanziellen Mehrbelastungen, die neben der Mütterrente vereinbart wurden, fallen vor allem in späteren Jahren an. Damit kann sich dann die nächste Regierung herumschlagen. Auch das ist Zukunftsgestaltung.

Und schließlich die „Energiewende“. Auch diese ist erst mal in die weitere Zukunft verschoben. Die angesichts eines eklatanten Stromüberschusses mit Blackouts drohenden Energiekonzerne haben sich durchgesetzt. Sie stehen, was die Lobbymacht angeht, hinter der Automobilindustrie keineswegs zurück. Da die SPD die Nordrhein-Westfälische Ministerpräsidentin Kraft als Kohlelobbyistin in die Verhandlungen geschickt hat, war Anderes auch nicht zu erwarten.

Immerhin hat die SPD, wie immer wieder betont wird, den Mindestlohn durchgesetzt. Ob wirklich flächendeckend, ist aber noch die Frage. Und vollständig eingeführt werden soll er erst 2017. Es kann darüber spekuliert werden, was die 8,50 EURO, sollte es wirklich dazu kommen, angesichts der Inflationspolitik der Europäischen Zentralbank dann noch wert sind. Dass es einige Einschränkungen bei der Ausbeutung prekär Arbeitender geben soll, ist erfreulich, ändert aber nichts an den strukturellen Schieflagen auf dem Arbeitsmarkt. Bekannt ist, dass die Hartz IV-Regelung als Subvention für Hungerlöhne zahlende Firmen in diesem Fall nun wirklich „missbraucht“ wird. Das war indessen wohl beabsichtigt, als sie damals ebenfalls von der rot-grünen Koalition durchgesetzt wurde. Der Standortvorteil eines Niedriglohnlandes soll schließlich erhalten bleiben. Sonst wäre man ja nicht der „Exportweltmeister“, der damit das europäische Währungssystem ruiniert.

Dass im Koalitionsvertrag praktisch nichts darüber zu finden ist, wie auf die immer weiter ausufernden Abhörskandale reagiert werden soll, darf nicht wundern. Da geht das Interesse der künftigen Regierungsparteien an guten Beziehungen zu unseren amerikanischen Freunden und den sonstigen irgendwie Verbündeten und insbesondere an der Zusammenarbeit mit ihren Geheimdiensten natürlich vor. Das gemeinsame Interesse am Ausbau des Überwachungsstaats bleibt bestimmend. Die Vorratsdatenspeicherung soll unter Missachtung eines Verfassungsgerichtsurteils eingeführt werden. Von CDU/CSU/SPD konnte ohnehin kaum eine ernsthafte Anstrengung zum Schutz grundlegender Bürgerrechte erwartet werden und fast könnte man bedauern, dass es die FDP nicht mehr in den Bundestag geschafft hat, auch wenn Leutheusser-Schnarrenberger da auf relativ einsamem Posten stand.

Dass die SPD bei den Koalitionsverhandlungen angesichts der Mehrheitsverhältnisse im neuen Bundestag nicht viel durchsetzen konnte, ist selbstverständlich. Die Frage ist allerdings, ob und inwieweit sie das überhaupt wollte. Wichtiger war wohl die Regierungsbeteiligung. Ob und wie die den Parteimitgliedern präsentierten Verhandlungserfolge jemals Wirklichkeit werden, bleibt abzuwarten. Aber sie werden den Koalitionsvertrag schlucken. Eine Desavouierung der Parteiführung hätte gewiss eine massive Krise der Organisation zur Folge. Diese ist nun erst mal aufgeschoben, bis bei der nächsten Wahl die Quittung kommt. Vielleicht kommt Gabriel & Co. bei der Urabstimmung auch zugute, dass die Unternehmerverbände ebenso wie die ihnen zu Diensten stehenden Wissenschaftler an den Koalitionsvereinbarungen routinemäßig heftige Kritik geübt haben. Was sie tatsächlich bedeuten, hat die Börse gezeigt. Sie reagierte mit einer Hausse.

Man mag es bedauern, dass das Wahlergebnis den dringend notwendigen Politikwechsel unmöglich gemacht hat. Man kann auch beklagen, dass CDU und CSU die absolute Mehrheit knapp verfehlt haben und für ihre Politik wieder eine Hilfstruppe brauchen, was bedeutet, dass es im Parlament nicht einmal mehr eine wirksame Opposition gibt. Bedenklicher ist allerdings der Zustand der Parteien überhaupt. Offenkundig fehlt es dort an jeder Perspektive dazu, wie den wirklich drängenden Problemen dieser Gesellschaft begegnet werden soll. Dazu zählen nicht nur die maroden Verkehrswege und das – vorsichtig ausgedrückt – veraltete Bildungssystem oder die weltwirtschaftlichen Ungleichgewichte, die aus dem deutschen Lohndumping und der daraus folgenden schwachen inneren Nachfrage resultieren. Es gibt nicht einmal einen Ansatz dazu, mit der offensichtlich gescheiterten, gesellschaftliche und wirtschaftliche Krisen produzierenden neoliberalen Politik zu brechen. Die Spaltung der Gesellschaft wird, durch ein paar kosmetische Maßnahmen verkleistert, weiter gehen. Die Zukunft so zu gestalten heißt, sie zu verspielen. Die Legitimation für diese Politik wird dadurch beschafft, dass die jeweiligen Klientele bedient werden, zumindest symbolisch. Gravierend aber ist, dass es bei den verbleibenden Oppositionsparteien nicht sehr viel besser aussieht. Die GRÜNEN bewegen sich entschlossen auf die gesellschaftliche „Mitte“ und damit dem Status Quo zu und bescheiden sich damit, den neoliberalen Kapitalismus etwas grün anzumalen. Und die Linkspartei bleibt der wirtschafts- und sozialpolitischen Vergangenheit verhaftet, ohne neue und überzeugende gesellschaftliche Zielvorstellungen entwickeln zu können, „There is no alternative“ bleibt das Leitmotiv der herrschenden Politik.

© links-netz Dezember 2013