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Neoliberalismus und Protest Übersicht

 

Boykottaufruf zum Gipfel in Johannesburg

Dokumentation des von links-netz unterstützten BuKo-Aufrufs und zwei erläuternde Beiträge:

Rio +10 boykottieren!

Ende August findet in Johannesburg die Nachfolgekonferenz Rio+10 statt. Bereits im Vorfeld wird der 1992 in Rio initiierte Agenda21-Prozess als Erfolg gefeiert. Doch die Bilanz der vergangenen zehn Jahre widerspricht dem. Wachsende Armut, Umweltzerstörung und die weiterhin ungerechte Verteilung von Ressourcen zeigen: Der Rio-Prozess ist gescheitert!

Als Vertreterinnen der "Zivilgesellschaft" packen viele Nichtregierungsorganisationen (NRO) bereits ihre Koffer für Johannesburg, um dort weiter von der Nachhaltigkeit zu träumen. Man müsse den Regierungen und Unternehmen nur noch ein bisschen mehr Druck machen, argumentieren sie. Doch was zehn Jahre nicht gefruchtet hat, wird auch in Zukunft nicht die proklamierten hehren Ziele erreichen.

Wir fordern die NRO dazu auf, den "Gipfel" in Johannesburg zu boykottieren. Fahrt nicht hin! Macht was Schönes!

Die Agenda21 verkennt, dass Globalisierung ein Prozess herrschaftsförmiger kapitalistischer Modernisierung ist. Damit blendet der Rio-Prozess gesellschaftliche Machtverhältnisse aus und stabilisiert sie. Die Auseinandersetzungen darüber können nicht kooperativ an grünen Tischen, sondern müssen konfrontativ gegen die nachhaltig neoliberale Globalisierung geführt werden.

Die Bundeskoordination Internationalismus (BUKO) und die Unterzeichnenden rufen daher auf, die Kritik an der "nachhaltigen Globalisierung" und an den sie vorantreibenden Institutionen zu verstärken.



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Warum die Forderung "Rio+10 boykottieren"?

Ulrich Brand

Die "Rio+10"-Konferenz in Johannesburg hat die öffentliche Diskussion um den Stellenwert nachhaltiger Entwicklung für kurze Zeit wieder aufleben lassen. Konsens ist bei denen, welche die Notwendigkeit grundlegender Veränderungen betonen, dass der dominante Prozess der Globalisierung das hauptsächliche Hindernis darstellt. Das ist schon viel, denn in den 90er Jahren liefen Diskussionen und Politiken im Rahmen "nachhaltiger Entwicklung" weitgehend getrennt vom Prozess neoliberaler Globalisierung.

Dennoch gibt es Differenzen, die sich grob in drei Positionen unterscheiden lassen. Die einen appellieren an Regierungen (und teilweise gar Unternehmen), doch endlich den Knoten durchzuhauen und Ernst zu machen. "Johannesburg steht auf der Kippe" und wird so zum entscheidenden Meeting für die Zukunft der Menschheit hochgejazzt. Eine zweite Position, etwa von Attac vertreten, betont die "Reorientierung der Zivilgesellschaft" jenseits von Lobbypolitik. Eine andere Politik sei nur durch Gegenmacht von unten möglich. Die Bundeskoordination Internationalismus (BUKO) bezieht in der gegenwärtigen Auseinandersetzung eine dritte Position. Diese versuchen wir zu politisieren, indem wir die provokante Forderung aufstellen, die NGOs sollten die Konferenz boykottieren. Dabei wird die zweite nicht zurückgewiesen, sondern lediglich erweitert.

Hintergrund ist: "Rio+10" bringt die kurze und symbolische Politisierung einer breiten Öffentlichkeit. Institutionell wird in Johannesburg nichts entschieden, völkerrechtlich verbindliche Verträge nicht abgeschlossen, die nördlichen Regierungen sind zu keinen Zugeständnissen bereit. Spätestens mit der Bundestagswahl kräht hierzulande jenseits der Fachöffentlichkeit niemand mehr nach Johannesburg.

Was in einer solchen Situation tun? Der BUKO das kritisieren, was mit "Jo-burg" öffentlich transportiert werden wird.

  • Dass die Globalisierung durch den gemeinsamen Willen aller endlich von der neoliberalen zur "nachhaltigen Globalisierung" werde.
  • Dass Technokraten am besten Politik machen würden.
  • Dass die internationale Ebene die wichtigste für effektive Politik sei und am Globalen Runden Tisch sich alle zusammen der Menschheitsprobleme annehmen sollten.
  • Dass am "Westen" und seinem wissenschaftlichen Wissen die Welt genesen soll.
  • Dass die "Rio-Institutionen" im Grunde gut sind, aber noch nicht ausreichend umgesetzt wurden. In Wirklichkeit tragen die Konventionen zu Klima und biologischer Vielfalt dazu bei, dass die natürlichen Lebensgrundlagen nicht erhalten, sondern besser vermarktet werden.

Soziale Bewegungen und kritische Intellektuelle sind immer Teil einer Kräftekonstellation. Darin können wir versuchen, den Referenzrahmen zu verschieben, innerhalb dessen bestimmte Sichtweisen und Handlungen als legitim erachtet werden. Und so zu "ernsthafter Politik" werden. Insofern geht es nicht lediglich um einen "Politikwechsel", sondern um Delegitimierung, um einen phantasievollen Suchprozess oder meinetwegen eine "Strategiedebatte", wie Inhalte und Formen von Politik verändert werden können.

Wir sehen die Ambivalenz des Rio-Prozesses. Die Klimakonvention ist nicht die WTO. Dennoch wollen wir darauf aufmerksam machen, dass sich die NGOs derzeit instrumentalisieren lassen. "Was kann schon schief laufen, wenn die globale Zivilgesellschaft mit am Tisch sitzt?"

Über diese Dinge wollen wir eine Diskussion führen – und die Reaktionen auf unsere Kampagne zeigen, dass das möglich ist. Als Teil einer (noch) schwachen Bewegung wollen wir Denk- und Handlungsräume öffnen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

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Institutionalisierte Sorgenfalten

Weltkonferenzen und die Widersprüche globaler Herrschaft

Christoph Görg

(zuerst erschienen in: iz3w Nr. 262, Juli/August 2002, S. 6f)

Der vorläufige Höhepunkt des Marathons naht. Nachdem im Anschluss an die UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro von 1992 die Weltkonferenzen in kurzen Zeitabständen aufeinander folgten, kommt nun die groß angekündigte Bilanz. Doch schon lange hat sich der "Geist von Rio" als höchst flatterhaftes Wesen offenbart. Was am Anfang der 90er Jahre noch als Anbruch einer "Neuen Weltordnung" mit vielen Hoffnungen versehen wurde, befindet sich schon länger in einer Sackgasse. Spätestens seit den Konflikten um die Welthandelsorganisation WTO in Seattle 1999 war die neoliberale Globalisierung als Weltunordnung kenntlich geworden.

Inzwischen scheinen die Anstrengungen zur Etablierung einer multilateralen internationalen Ordnung, die globale Weltprobleme angeht und dabei den Interessen der divergierenden Staaten Rechnung trägt, vollends auf bloße Lippenbekenntnisse reduziert zu sein. Seit dem 11. September pfeifen es die Spatzen von den Dächern, dass beim mächtigsten Land der Welt der Unilateralismus wieder die Oberhand gewonnen hat: "America first". Doch das ist nicht unbedingt der Kern des Problems, sondern Ausdruck tiefer gehender Widersprüche.

Der Multilateralismus der Weltkonferenzen war nämlich von Beginn an mit einem Webfehler behaftet. Die internationale Zusammenarbeit zur Lösung globaler Probleme konnte und wollte die gesellschaftlichen Verhältnisse, die diese Probleme hervorbringen, nicht wirklich verändern. Nicht die Beseitigung der Ursachen, sondern das Management der Folgeprobleme kapitalistischer Globalisierung stand auf dem Programm. Trotzdem wäre es falsch, die Konferenzen als Verschleierungsversuche beiseite zu schieben. Denn sie können zwei wichtige Einsichten vermitteln. Erstens, dass der globale Kapitalismus zu seiner Stabilisierung politischer Kooperation bedarf und sich diese in Ansätzen auch entwickelt hat. Da sich aber in dieser Kooperation die globalen Machtverhältnisse reproduzieren und verdichten, hat sich zweitens eine neue Form globaler Herrschaft etabliert, die man mit Joachim Hirsch als "Internationalisierung des Staates" bezeichnen kann.

Internationale Kooperation hat sich aus mindestens zwei Gründen entwickelt. Zum einen artikulieren sich hier funktionale Probleme kapitalistischer Vergesellschaftung. Entgegen den Erwartungen der Marktfundamentalisten wie auch manchen Annahmen der marxistischen Orthodoxie bedarf der Kapitalismus stabilisierender Institutionen, damit er sich angesichts seiner ihm innewohnenden Widersprüche reproduzieren kann. Und diese Institutionen sind vermehrt auf internationaler Ebene angesiedelt. Zum anderen ist aber die so entstandene internationale Regulation nicht einfach auf funktionale Zwänge der Kapitalreproduktion zurückzuführen. Sie ist Ausdruck gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse, ökonomischer Strategien, politischer Macht- und Herrschaftsverhältnisse und der Fähigkeit gesellschaftlicher Akteure, diese hegemonial zu stabilisieren oder sie gegenhegemonial zu bekämpfen. Gerade eine globale Hegemonie enthält immer auch diskursive Strategien, mit denen Zustimmung organisiert wird, und sie beinhaltet die Notwendigkeit, gegensätzliche Interessen bis zu einem gewissen Grad in Kompromissen zu berücksichtigen.

Beide Punkte sind zum Verständnis der Weltkonferenzen zentral. Diese sind nicht allein danach zu beurteilen, inwieweit sie einen Beitrag zur Bewältigung globaler Probleme erbringen. Ihre Erträge in sozialer oder ökologischer Hinsicht sind bescheiden – was im Kern auch von niemandem bestritten wird. Vielmehr artikulieren sich in diesen Konferenzen globale Konflikte und Machtverhältnisse. Weltkonferenzen sind also in einer grundsätzlichen Ambivalenz gefangen. Zum einen sind sie Ausdruck gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse, die die Mächtigen zur Reaktion gezwungen haben. Wenn Geschlechterpolitik oder ökologische Probleme auf die Tagesordnung gesetzt werden, dann geht dies auch auf den Protest sozialer Akteure zurück. Zumindest müssen die Herrschenden befürchten, dass eine Nichtbeachtung den Widerstand anheizen würde.

Zum anderen verändern sich aber die politischen Artikulationsformen sozialer Bewegungen, wenn sie sich auf diese Konferenzen hin organisieren. Schon früh wurde auf die Tendenz zur "NGOisierung der Frauenbewegung" (Christa Wichterich) hingewiesen. Kritische NGOs denken schon länger darüber nach, wie sie die Irrelevanzfalle und den "participation overkill" überwinden können, in die sie mit der Beteiligung an solchen Konferenzen und dem internationalen Regulierungssystem überhaupt zu geraten drohen. Während Mitte der 90er Jahre ein Schwenk von den zwar relativ offenen aber machtlosen Institutionen (etwa im Umfeld des UN-Umweltprogramms) zu den machtpolitisch relevanten wie WTO oder Weltbank erfolgte, kam es daher nach Seattle zur Rückbesinnung auf die sozialen Bewegungen.

All dies lenkt den Blick auf die Politikform der Weltkonferenzen. Sie setzt bei der Demonstration von Verantwortlichkeit an – quasi als institutionalisierte Sorgenfalten unseres Noch-Außenministers – und reicht bis zur Ausbildung einer globalen ManagerInnen-Elite, die sich für die Bearbeitung der Weltprobleme zuständig erklärt. Die Situation vor Rio+10-Konferenz von Johannesburg ist darüber hinaus aber auch von der erheblichen Zuspitzung der Widersprüche globaler Herrschaft gekennzeichnet. Während im Vorfeld von Rio die Führungsmacht USA wenigstens in einigen Punkten kompromissbereit erschien – auch wenn sie Abkommen wie der Biodiversitätskonvention nur beitrat, um sie in ihrem und im Sinne der Biotechindustrie zu beeinflussen –, ist sie heute strukturell kompromissunfähig. Aus innenpolitischen Gründen, aber auch weil die nationale Wachstumskonstellation der USA vom Rest der Welt lebt, sind Zugeständnisse heute nicht zu erwarten. Statt um Bearbeitung der Weltprobleme geht es immer stärker um militärische Absicherung gegen ihre Folgen.
Damit steht die Johannesburgkonferenz unter keinem guten Vorzeichen. Wirklich neue Ideen sind im Vorfeld nicht zu verzeichnen gewesen. Angesichts der Erkenntnis, dass alle Versuche zur Umsetzung nachhaltiger Entwicklung weitgehend an der Realität neoliberaler Globalisierung gescheitert sind, ist zu befürchten, dass nun der Bock erst Recht zum Gärtner erklärt wird. Es zeichnet sich ab, dass unter dem Label der "nachhaltigen Globalisierung" ausgerechnet jenen Institutionen, die diese neoliberale Strategie vorangetrieben haben, eine zentrale Rolle zugebilligt wird. Das wäre noch weniger als nichts. So bleibt die traurige Erkenntnis, dass die Aussicht auf die globalen Krisenerscheinungen ohne Gipfel weniger verstellt wäre.

Christoph Görg ist mit Ulrich Brand Herausgeber des Sammelbandes: Mythen globalen Umweltmanagements, Rio+10 und die Sackgassen "nachhaltiger Entwicklung", Münster 2002.

© links-netz August 2002