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Kommunismus, Universalismus, Antirassismus

von Manuela Bojadzijev, Thomas Seibert und Vassilis Tsianos

I.

Der vorliegende Text hat im links-netz zu kontroversen Debatten geführt, die demnächst auch durch andere Texte, durch explizite Kritiken bzw. alternative Ausarbeitungen des Themas, dokumentiert werden. Die Eröffnung und Veröffentlichung solcher Debatten ist eines der wesentlichen Ziele des Projekts selbst. Da die "Vorgeschichte" der ins Netz gestellten Texte für Dritte nicht unmittelbar einsichtig ist, kann es wie in diesem Fall notwendig werden, darauf ausdrücklich hinzuweisen. Dies umso mehr, als in der Diskussion nicht nur die von uns vertretene inhaltliche Position, sondern auch der Stil des Textes und die darin verfolgte "Methode" umstritten geblieben sind. Um im Interesse der Debatte Missverständnisse auszuräumen, haben wir der ersten Fassung des Textes diese und die folgenden Anmerkungen vorangestellt. Dies hat zu einzelnen Wiederholungen und zum Anschein einer gleichsam vorauseilenden Absicherung vor möglicher Kritik geführt. Beides werden wir in einer neuerlichen Überarbeitung des Textes zurücknehmen, für die wir uns die nötige Zeit nehmen wollen. Indem wir unseren Text jetzt in einer "Zwischenfassung" vorlegen, nutzen wir eine Möglichkeit, die das besondere Medium links-netz bietet, das weder periodisch erscheinende Zeitung, noch blosses Archiv, sondern fortlaufend auch sich selbst kritisierendes Debattenjournal sein will. Der Stil verbessert sich, die Gedanken auch.

II.

Wesentliches Ziel der im links-netz geführten Debatten ist die Rekonstitution einer radikal linken Kritik der gesellschaftlichen Verhältnisse. Eine solche Aufgabe kann nur in mehreren Entwürfen und Versuchen angegangen werden. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass es gegenwärtig zwar vielfältige widerständige Praktiken gibt, diese aber in der Regel ohne Zusammenhang bleiben (was auch nicht unbedingt notwendig ist). Manche ihrer AkteurInnen verstehen sich selbst bewusst nicht als "Linke". Zugleich begreifen selbst die jeweils beteiligten Linken diese Praktiken nicht unbedingt als "linke Praxis", d.h. als Praxis, die explizit auf die Überschreitung der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse im Ganzen ausgerichtet ist.

Gerade dies nehmen wir nun aber zum Ausgangspunkt, uns einer solchen Praxis und ihrem Begriff zu nähern. Gesetzt, dass Linke sich faktisch über widerständige soziale Praktiken bestimmen, die an sich selbst keineswegs "links" sein müssen, kann die Rekonstitution einer radikalen Linken über die Auslegung der Erfahrung, die Linke in ihrer Beteiligung an diesen Praktiken machen, zumindest vorbereitet werden.

Unterstellt wird dabei, dass diese Praktiken der Möglichkeit nach über ihre konkreten Aktionsfelder, damit zugleich über sich selbst und schliesslich auch über die daran beteiligte Linke und deren historisches Selbstverständnis hinaustreiben, ohne deswegen aufhören zu müssen, situativ bestimmte Praktiken zu sein.

Die im links-netz um die Praxis der antirassistischen Gruppe Kanak Attak geführte Diskussion hat unseres Ermessens genau solche Möglichkeiten freigelegt. In der Reflexion vom faktischen Widerstand auf eine sich über diesen Widerstand rekonstituierende Linke geht es dabei um die Konsequenzen der Erfahrungen einer kanakischen und in diesem Sinn dezidiert ‚partikularen' Praxis für das universalistische Selbstverständnis der Linken, um die Problematik von ‚Identitätspolitik' und um das Verhältnis von Theorie und Praxis. Ausgangspunkt war dabei, dass im Aktionsfeld antirassistischer Praktiken – aber auch unter Feministinnen und in der Auseinandersetzung um sog. ‚postmoderne' bzw. ‚poststrukturalistische' Positionen - seit längerem schon eine heftige Auseinandersetzung um den Status von Identitätspolitik geführt wird. Während sich einzelne Praxisansätze der eigenen Identitätspolitik gar nicht bewusst sind, verwerfen andere aus unterschiedlichen Gründe jede Form von Identitätspolitik. Für die Gruppe Kanak Attak wiederum stellt die Verengung der Debatte auf dieses Entweder-Oder das eigentliche Problem dar. Kanak Attak bestimmt die aktuelle Krise antirassistischer Praxis gerade durch ihr Unvermögen, sich der Alternative von reaktiv-spontaner Identitäts- bzw. Repräsentationspolitik einerseits und abstraktem Antiessenzialismus bzw. klassischem (bürgerlichen) Universalismus andererseits zu entziehen. Den Ansatz einer Lösung sieht die Gruppe in dem Versuch, gleichsam quer zu dieser Alternative auf eine "Transformation der Identifizierungen innerhalb einer Praxis" auszugehen, in der es sowohl gegenüber partikularistischen Identitätspolitiken wie gegenüber Antiessenzialismus bzw. Universalismus um "eine Kritik der Kritik und um eine Veränderung der herkömmlichen Veränderungen" geht

III.

Im vorliegende Text versuchen wir, uns in der Folge solcher Erfahrung auf das überkommene linke (kommunistische) Selbstverständnis, d.h. auf die spezifisch ‚linke' Variante von Identitätspolitik, zurückzubeziehen. Wir gehen dabei auf frühe Schriften von Karl Marx und Friedrich Engels zurück, in der Absicht, dort erstens eine Reflexion kommunistischer Identität im Moment ihrer Entstehung zu finden, und diese dann zweitens einer "Transformation der Identifizierungen innerhalb einer Praxis" auszusetzen. Wir schließen zunächst einmal Zeugnisse einer historisch gewordenen Identitätspolitik von Kommunisten mit einer aktuellen Kritik von Identitätspolitik überhaupt kurz. Dabei gehen wir von folgenden Prämissen aus:

  1. Ein kommunistischer Universalismus hängt seiner Möglichkeit nach davon ab, dass seine historische Praxis einer universalhistorischen Bewegung eingeschrieben ist. Diese entspringt den Kontingenzen der kapitalistischen Vergesellschaftung und der Kontingenz ihrer Universalisierung. Das aber heisst: "Universalgeschichte ist zu allem Anfang eine von Kontingenzen und keine der Notwendigkeit, von Brüchen und Grenzen und keine der Kontinuität."2
  2. Kapitalistische Vergesellschaftung erneuert und wandelt sich in erstaunlicher Weise gerade aus den ihr entgegengebrachten Widerständen heraus und kann gleichwohl – wiederum kontingent - abgebrochen, abgelenkt, unterbrochen, umgelenkt, katastrophisch überdreht, aber eben auch, worin der kommunistische Einsatz besteht, emanzipativ gesprengt werden, stets der Möglichkeit nach.
  3. Die Universalisierung der kapitalistischen Vergesellschaftung schliesst schon dem eigenen Begriff nach die Universalisierung der von ihr hervorgebrachten proletarischen bzw. proletarisierten Existenzweisen ein und bringt in ihnen immer wieder antagonistische Kräfte hervor. Der Plural verweist allerdings auf deren gleichzeitige Fragmentierung entlang unterschiedlicher, ineinander verwobener und dennoch nicht auseinander ableitbarer Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse. Das Zusammen- und Gegenspiel von Universalisierung und Fragmentierung macht die Verwendung des für KommunistInnen seit jeher wesentlichen Kollektivsingulars ‚Proletariat' ganz offenbar zu einer metaphorischen. Auch andere im folgenden verwendete Begriffe – Klasse, Partei, Internationale etc. – verwenden wir nicht im Sinne eines naiven Realismus, so als sei das in ihnen Vermeinte ‚draussen' zweifelsfrei gegeben. Auch sie fungieren hier als Metaphern im engen Wortsinn.3 Uns geht es nicht um eine theoretisch durchbuchstabierte Auslegung der von uns herangezogenen Texte und Begriffe. Statt dessen wollen wir einfach eine Idee dessen gewinnen, was wir schon tun, was wir tun wollen und was ein rekonstituiertes "kommunistisches Projekt" sein könnte. Den Ausdruck ‚Idee' verwenden wir schlicht alltagssprachlich, eben in dem Sinn, der in der Frage "Hast du eine Idee, was wir da machen könnten?" unterstellt ist.
  4. Wir gehen allerdings davon aus, dass die durch keine substanzielle Vereinheitlichung zu überspringende Fragmentierung der proletarisierten Existenzweisen und damit auch der sozialen Kämpfe das kommunistische Projekt nicht unmöglich macht, sondern umgekehrt seine Rekonstitution geradezu erfordert. Darin folgen wir dem von Marx und Engels artikulierten "kommunistischen Versprechen",4 bestehen allerdings ausdrücklich darauf, dass dieses Versprechen nicht in der Weise gehalten werden kann, in der die auch für uns definitiv historisch gewordene kommunistische Bewegung mit ihren Parteien, Internationalen und Staatsapparaten dies versucht hat. Im Folgenden werden wir besonderen Nachdruck darauf legen, dass im Unterschied zur Praxis der historischen kommunistischen Bewegung und im Unterschied zu den Ideen von Marx und Engels ein künftiges kommunistisches Projekt nicht unter Berufung auf irgendein "Allgemeininteresse" bzw. nicht mit Bezug auf ein positiv artikulier- und repräsentierbares "Interesse der Gesamtbewegung" gedacht werden kann. Insofern stimmen wir vorab der Kritik ausdrücklich zu, die uns vorhält, wir folgten einem "Avantgardekonzept, nur ohne Avantgarde."5 Herauszufinden, unter welchen Bedingungen diese im Wortlaut paradoxe Formulierung gerade Sinn macht, ist die wesentliche und bei allem Spiel zutiefst ernstgemeint Absicht unseres Denk-Versuchs.
Während die diesem Text vorangegangenen Diskussionen von der Analyse konkreter Praxis auf Fragen führte, die über diese Praxis hinausweisen, geht der Text den umgekehrten Weg und verliert sich in einer historischen Abschweifung, um von dort zur Praxis, zu Praktiken des Widerstands und des Widerstreits zurückzufinden. Das ist ohne Sprünge und Schleifen nicht zu haben und natürlich nicht ohne gewagte Verkürzungen und Auslassungen, wird in der Form des Textes aber offen angezeigt, der nur die Fragen vorbereiten will, mit denen er endet. Entsprechendes gilt von den verwendeten Zitaten und der damit einhergehenden Anrufung ‚grosser Namen' bzw., wichtiger noch, z.T. radikal unterschiedlicher Methodologien: Wer sie doktrinär läse oder unterstellte, dass sie aus doktrinären Motiven ausgewählt worden seien, hat den Sinn und den Gebrauch schon verfehlt, der allererst gesucht, erprobt und eingeübt werden soll. Die Collage und das Plagiat sind notwendig.

Erste Annäherung

Die Bestimmung des kommunistischen Projekts als eines universellen, die Befreiung aller Menschen intendierenden Projekts ist dem Selbstverständnis der Linken - das Wort an dieser Stelle bewusst im Singular genommen – konstitutiv. Historisch beerbt es den Universalismus der bürgerlichen Aufklärung und weiter zurückführender Traditionen und bleibt damit natürlich – gewollt oder ungewollt - unter deren fortwirkenden Einfluss. In einer frühen und trotzdem entscheidenden Ausarbeitung haben Marx und Engels den kommunistischen Universalismus allerdings schon damals auf den Globalisierungsprozess der bürgerlichen Gesellschaft und insofern auf die bloße historische Kontingenz gegründet. Im ersten Teil der Deutschen Ideologie beschreiben sie, wie die weltweite Durchsetzung der bürgerlichen Gesellschaft einer "universellen Entwicklung der Produktivkräfte"6 folgt, mit der zugleich "ein universeller Verkehr der Menschen gesetzt ist, daher einerseits das Phänomen der ‚Eigentumslosen' Masse in Allen Völkern gleichzeitig erzeugt (allgemeine Konkurrenz), jedes derselben von den Umwälzungen der anderen abhängig macht, und endlich weltgeschichtliche, empirisch universelle Individuen an die Stelle der lokalen gesetzt hat." Dergestalt geht die bürgerliche Gesellschaft naturwüchsig "über den Staat und die Nation hinaus, obwohl sie andererseits wieder nach Aussen hin als Nationalität sich geltend machen, nach Innen als Staat sich gliedern muss." Die durch die "Gliederung" in Staat und Nation zugleich gebrochene und stetig vorangetriebene Universalisierung bzw. Globalisierung der bürgerlichen Gesellschaft soll im Prozess der kommunistischen Revolution durch das im selben Zug universalisierte Proletariat überschritten werden: "Die allseitige Abhängigkeit, diese naturwüchsige Form des weltgeschichtlichen Zusammenwirkens der Individuen, wird durch diese kommunistische Revolution verwandelt in die Kontrolle und bewusste Beherrschung der Mächte, die, aus dem Aufeinander-Wirken der Menschen erzeugt, ihnen bisher als durchaus fremde Mächte imponiert und sie beherrscht haben." Entscheidend ist dabei, dass der kommunistische Universalismus im Unterschied zum klassischen Universalismus der bürgerlichen Aufklärung, der Hegelschen Geschichtsphilosophie und der ‚utopischen Sozialisten' weder moralisches Ideal noch bloße Utopie sein soll:

"Der Kommunismus ist für uns nicht ein Zustand, der hergestellt werden soll, ein Ideal, wonach die Wirklichkeit sich zu richten haben wird. Wir nennen Kommunismus die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt. Die Bedingungen dieser Bewegung ergeben sich aus der jetzt bestehenden Voraussetzung. (...) Das Proletariat kann also nur weltgeschichtlich existieren, wie der Kommunismus, seine Aktion, nur als ‚weltgeschichtliche' Existenz überhaupt vorhanden sein kann; weltgeschichtliche Existenz der Individuen, d.h. Existenz der Individuen, die unmittelbar mit der Weltgeschichte verknüpft ist."7

Indem Marx und Engels ihr Unternehmen konsequent einem antiidealistischen Primat der Praxis unterstellen, radikalisieren sie eine Tendenz, welche die Entwicklung der bürgerlichen Aufklärung seit Kant vorangetrieben und beunruhigt hatte. Die fortdauernde Geltung dieses auf die politische Aktion einer universellen, weil weltgeschichtsmächtigen Subjektivität gestützten Projekts wird noch von seinen Dissidenten bezeugt, von Jacques Derrida beispielsweise, dem besondere Affinitäten zur Subjektphilosophie gerade nicht nachgesagt werden können. Derrida sieht in der Verbindung einer theoretischen Kritik sämtlicher "Mythologien" – von denen der Religion und der Metaphysik bis zu denen des Nationalismus und Rassismus – mit der "wirklichen Bewegung" der kommunistischen Internationale die historisch verpflichtende Einzigartigkeit des von Marx und Engels entdeckten ‚wirklichen' Universalismus:

"Für ein solches Ereignis gibt es keinen Vorläufer. In der ganzen Geschichte der Menschheit, in der ganzen Geschichte der Welt und der Erde, in allem, dem man den Namen der Geschichte im allgemeinen geben kann, hat sich ein solches Ereignis (wiederholen wir es, das Ereignis eines Diskurses von philosophisch-wissenschaftlicher Form, der mit dem Mythos, der Religion, der nationalistischen ‚Mystik' zu brechen vorgibt) zum ersten Mal und untrennbar mit weltweiten Formen sozialer Organisation (einer Partei mit universaler Berufung, einer Arbeiterbewegung, einer staatlichen Konföderation usw.) verbunden. All das unter Vorschlag eines neuen Begriffs vom Menschen, von der Gesellschaft, von der Wirtschaft, von der Nation, und mehrerer Begriffe vom Staat und von seinem Verschwinden. (...) Dieses einzigartige Unterfangen hat stattgefunden. Auch wenn es nicht gehalten wurde, mindestens nicht in der Form seiner Aussage, (...) so wird doch ein messianisches Versprechen neuer Art der Geschichte sein inaugurales und einzigartiges Zeichen eingebrannt haben. Und ob wir es wollen oder nicht, welches Bewußtsein wir auch immer davon haben, wir können nicht nicht die Erben davon sein."8

Einsatz

Die Formulierung in doppelter Negation – nicht nicht Erbe des "kommunistischen Versprechens" sein zu können – verleiht auch diesem späten Anschluss an das von Marx und Engels initiierte Projekt den Status einer nicht allein vom Willen und Bewusstsein abhängigen "wirklichen Bewegung", d.h. einer im eminenten Sinn historischen Möglichkeit. Zugleich jedoch wird ausdrücklich angezeigt, dass die Übernahme des fraglichen Erbes dessen radikale Transformation einschließen muss – eben weil es "nicht gehalten wurde, mindestens nicht in der Form seiner Aussage." Folglich gilt es herauszufinden, was und wie wir erben und was wir hinter uns lassen wollen bzw. können. Nach dem hier gewählten Einstieg liegt das Erbe selbst in der Einzigartigkeit des kommunistischen Universalismus, nämlich der Verbindung radikaler theoretischer Kritik mit der internationalen sozialen Organisation der aus ihr sich ergebenden praktischen Folgerungen.9 Zur Sache selbst gehört dabei allerdings, dass diese Organisation, der auch Derrida den Namen ‚Internationale' gibt, zugleich die Voraussetzung der gesuchten theoretischen Kritik ist.

Die Probe auf die Übernahme dieser Erbschaft muss zuerst die Stärken und die Schwächen des Projekts analysieren, sofern in ihm die leitende universalistische Intention mit der radikalen theoretischen und praktischen Kritik historisch zusammenkommt. Der hier ins Spiel gebrachte Einsatz geht darauf aus, beide - Stärke und Schwäche - in seiner Bestimmung als der "wirklichen Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt" zu suchen.

Aufhebung aber wessen? Aufhebung der bürgerlichen Gesellschaft als der universellen Gesellschaft in bloß naturwüchsiger Form, des bürgerlichen wie des proletarischen Individuums als des bloß naturwüchsig weltgeschichtlichen, empirisch universellen Individuums, Aufhebung zuletzt der bürgerlichen Aufklärung als des bloß philosophischen Entwurfs universeller Emanzipation.

Ohne Zweifel ist das Marx-Engelssche Aufhebungsprojekt nun aber in der Hegelschen Dialektik geankert, die es zugleich radikal entstellt. Bei Hegel ist Aufhebung ‚Entwicklung' im eminenten Sinn des Wortes, Selbstbewegung des Absoluten – der Gesellschaft und des Wissens, in dem sie sich begreift –, aufsteigende Folge in Thesis, Antithesis und Synthesis, die den Gegensatz von Thesis und Antithesis nicht nur auflöst (‚aufhebt'), sondern in sich aufnimmt und auf sich nimmt (noch einmal und erst recht: ‚aufhebt') und dabei auf eine "höhere Entwicklungsstufe" bringt. Dem folgen Marx und Engels in ihrer Konzeption der "wirklichen Bewegung" als Aufhebung der bürgerlichen durch die kommunistische Gesellschaft mit dem Proletariat als Subjekt der Aufhebung, und dem entspricht zugleich das Selbstverständnis der KommunistInnen bzw. ihrer Partei als des Philosophie, Moral und Utopismus transzendierenden, in diesem Sinn wahrhaft ‚wissenden' Aufhebungssubjekts der bürgerlichen Aufklärung, der Philosophie bzw., wie Marx und Engels notieren, der Deutschen Ideologie:

"Die Kommunisten sind keine besondere Partei neben den anderen Arbeiterparteien.
Sie haben keine von den Interessen des ganzen Proletariats getrennten Interessen.
Sie stellen keine besonderen Prinzipien auf, wonach sie die proletarische Bewegung modeln wollen.
Die Kommunisten unterscheiden sich von den übrigen proletarischen Parteien nur dadurch, dass sie einerseits in den verschiedenen nationalen Kämpfen der Proletarier die gemeinsamen, von der Nationalität unabhängigen Interessen des gesamten Proletariats hervorheben und zur Geltung bringen, andererseits dadurch, dass sie in den verschiedenen Entwicklungsstufen, welche der Kampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie durchläuft, stets das Interesse der Gesamtbewegung vertreten.
Die Kommunisten sind also praktisch der entschiedenste, immer weitertreibende Teil der Arbeiterparteien aller Länder; sie haben theoretisch vor der übrigen Masse des Proletariats die Einsicht in die Bedingungen, den Gang und die allgemeinen Resultate der proletarischen Bewegung voraus.
Der nächste Zweck der Kommunisten ist derselbe wie der aller übrigen proletarischen Parteien: Bildung des Proletariats zur Klasse, Sturz der Bourgeoisherrschaft, Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat.
Die theoretischen Sätze der Kommunisten beruhen keineswegs auf Ideen, auf Prinzipien, die von diesem oder jenem Weltverbesserer erfunden oder entdeckt sind.
Sie sind nur allgemeine Ausdrücke tatsächlicher Verhältnisse eines existierenden Klassenkampfes, einer unter unseren Augen vor sich gehenden geschichtlichen Bewegung."
10

In der Hauptlinie der wirklichen kommunistischen Bewegung und der meisten ihrer TheoretikerInnen sind diese Sätze nun aber, gerade in der Neubestimmung der Problematik von Universalität und Partikularität11 und zugleich und eben damit von Theorie und Praxis im Sinne der Hegelschen Dialektik interpretiert worden, die Marx und Engels gerade verlassen wollten: Die KommunistInnen als Repräsentanten und In-Spektoren ("unter unseren Augen") des Allgemeinen und folglich als Subjekte des Wissens, das der historische Prozess von sich selbst erwirbt und in ihren Sätzen artikuliert.12

Schwäche, weil das Scheitern der real existierenden kommunistischen Parteien, ihrer Internationalen und staatlichen Konföderationen eben hier – d.h. in der impliziten Philosophie von Marx und Engels - begründet ist - ohne dass damit gesagt sein soll, dieses Scheitern sei durch die Philosophie verursacht, d.h. ein philosophisches Scheitern.13

Stärke, weil damit ein wirkliches Problem gestellt worden ist: Wie kann eine universelle theoretische Kritik mit ihren praktischen Voraussetzungen und Folgerungen in einem partikularen, d.h. parteilichen Universalismus verbunden werden? Wie kann diese Verbindung hergestellt werden, ohne dabei - willentlich oder unwillentlich - die Hegelsche Dialektik in Anspruch zu nehmen? Hier beginnt, dass ist der ins Spiel gebrachte Einsatz, ‚unser' Erbe.

Entwurf

Wird die gemeinte "wirkliche Bewegung" nichtdialektisch gedacht, kann sie nicht als "Aufhebung" des "jetzigen Zustands" und nicht als "Entwicklung" und "Verallgemeinerung" gedacht werden, sondern nur als Auflösung und Überschreitung des Gegebenen. Sie muss folglich als Unterbrechung der Entwicklung und Sprengung des historischen Kontinuums gedacht werden, und nur darin kann ihre universelle Geltung, ihr "Universalismus" liegen.14 Nicht als Eroberung der politischen Macht durch ,das' Proletariat, sondern als deren Unterbrechung im Klassenkampf, als Widerstand ‚des' Proletariats gegen die politische Macht und gegen die Politik, auch gegen die Demokratie, mit den KommunistInnen als dem praktisch entschiedensten, "immer weitertreibenden Teil der Arbeiterparteien aller Länder", die deshalb auch keine ‚Arbeiter'parteien mehr sein werden. Sie werden dies nicht mehr sein, weil das Proletariat dann nicht mehr weltgeschichtsmächtige Subjektivität, nicht mehr nach dem Modell des Hegelschen Weltgeistes figuriertes Subjekt, sondern umgekehrt Defiguration dieses Subjektes sein wird, Auflösung jeder herrschaftsförmigen Vergesellschaftung durch Geschlecht, Klasse, Nation und ‚Rasse', Aufbruch in den Exodus auf nicht nur einem, sondern unüberschaubar vielen Wegen. Marx und Engels nähern sich einem Begriff dieser Defiguration nur dort, wo sie das Proletariat – Stärke und Schwäche in einem – doch als dieses Subjekt figuriert, mehr noch: fingiert haben. Dass verrät sich, zeigt sich in Formulierungen wie der folgenden, nicht minder berühmt und viel zitiert wie die vorangegangen:

"Wo also die positive Möglichkeit der deutschen Emanzipation?
Antwort: In der Bildung einer Klasse mit radikalen Ketten, einer Klasse der bürgerlichen Gesellschaft, welche keine Klasse der bürgerlichen Gesellschaft ist, eines Standes, welcher die Auflösung aller Stände ist, einer Sphäre, welche einen universellen Charakter durch ihre universellen Leiden besitzt und kein besondres Recht in Anspruch nimmt, weil kein besondres Unrecht, sondern das Unrecht schlechthin an ihr verübt wird, welche nicht mehr auf einen historischen, sondern nur noch auf den menschlichen Titel provozieren kann, welche in keinem einseitigen Gegensatz zu den Konsequenzen, sondern in einem allseitigen Gegensatz zu den Voraussetzungen des deutschen Staatswesens steht, einer Sphäre endlich, welche sich nicht emanzipieren kann, ohne sich von allen übrigen Sphären der Gesellschaft und damit alle übrigen Sphären der Gesellschaft zu emanzipieren, welche mit einem Wort der völlige Verlust des Menschen ist, also nur durch völlige Wiedergewinnung des Menschen sich selbst gewinnen kann. Diese Auflösung der Gesellschaft als ein besonderer Stand ist das Proletariat." (Hervorheb. von uns)
15

Als Subjekt der universal-historischen Dialektik eignet sich das Proletariat aus der Position des absoluten Verlustes heraus das ganze, volle Wesen des ‚Menschen' wieder an und bringt diese Entwicklung zu dem Ende, in dem der verlorene Ursprung wiederkehrt. Nichtdialektisch gedacht aber ist das Proletariat – trotz der Formaldialektik des Ausdrucks - ‚nur' die Klasse der bürgerlichen Gesellschaft, die keine Klasse der bürgerlichen Gesellschaft mehr ist, der Stand, der die Auflösung aller Stände ist, der Kanakenstand also, der die Auflösung der Gesellschaft als ein besonderer Stand ist. Nochmals Marx und Engels:

"Die Lebensbedingungen der alten Gesellschaft sind schon vernichtet in den Lebensbedingungen des Proletariats. Der Proletarier ist eigentumslos; sein Verhältnis zu Weib und Kindern hat nichts mehr gemein mit dem bürgerlichen Familienverhältnis; die moderne industrielle Arbeit, die moderne Unterjochung unter das Kapital, dieselbe in England wie in Frankreich, in Amerika wie in Deutschland, hat ihm allen nationalen Charakter abgestreift. Die Gesetze, die Moral, die Religion sind für ihn ebenso viele bürgerliche Vorurteile, hinter denen sich ebenso viele bürgerliche Interesse verstecken. (...) Die Proletarier haben nichts von dem Ihrigen zu sichern, sie haben alle bisherigen Privatsicherheiten und Privatversicherungen zu zerstören. Alle bisherigen Bewegungen waren Bewegungen von Minoritäten oder im Interesse von Minoritäten. Die proletarische Bewegung ist die selbstständige Bewegung der ungeheuren Mehrzahl im Interesse der ungeheuren Mehrzahl. Das Proletariat, die unterste Schicht der bisherigen Gesellschaft, kann sich nicht erheben, nicht aufrichten, ohne dass der ganze Überbau der Schichten, die die offizielle Gesellschaft bilden, in die Luft gesprengt wird" (Hervorheb. von uns).16

Auf der Ebene der Praxis erfordert eine weitergehende Annäherung an das gemeinte (Anti-)Subjekt einer "Sprengung" des Sozialen17 die Rücknahme der auf der selben Seite des Manifests vollzogenen Abspaltung des "Lumpenproletariats" – "dieser passiven Verfaulung der untersten Schichten der alten Gesellschaft"18 - von den übrigen Proletariern, mit der Marx und Engels die "wirkliche Bewegung" mit der weissen, männlichen Industriearbeiterschaft identifizierten. Sie haben damit entscheidend und mit weitreichenden, fatalen Konsequenzen in die Formierung der Arbeiterbewegung eingegriffen, haben sie von ihren luddistischen, maschinenstürmerischen Wurzeln abgeschnitten, den Bruch mit dem Massenanarchismus besiegelt, und die im ersten Teil der Deutschen Ideologie noch prominente Bestimmung der kommunistischen Bewegung als Bewegung zur Befreiung von der Arbeit so zweideutig werden lassen, dass die Hauptlinie des späteren Kommunismus sich eher zur Befreiung der Arbeit bestimmte – was leider nicht dasselbe ist.19

Auf der Ebene der Theorie schließt der Bruch mit der Dialektik, den Verzicht auf die Konzeption einer Aufhebung der Philosophie als ‚Verwirklichung' ein – ein Vorhaben, das Marx und Engels bezeichnenderweise ebenfalls dem Proletariat aufgebürdet hatten, und den Kommunisten als seinen Repräsentanten.20 Das heisst dann, eine theoretische Praxis zu finden, die den Prozess der Proletarisierung, die aus ihm resultierenden sozialen Kämpfe und die Rolle der Kommunisten in diesen Kämpfen so zu denken vermag, dass ihre versprochene Verbindung ohne dialektische Erschleichung und d.h. ohne Einebnung ihrer bleibenden Differenzen gedacht werden kann. Dies wiederum ist nur möglich, wenn sich die theoretische Praxis zugleich in einer anderen Weise auf diese Kämpfe bezieht – was zum Mindesten verlangt, dass Theorie darauf verzichtet, die Zukunft dieser Kämpfe schon kennen zu wollen.

Primat des Widerstands

Solche Fragestellungen sind selbst wieder eine Folge, auch eine Spur der aktuellen sozialen Kämpfe, in besondere Weise der Kämpfe gegen Ethnizismen, Nationalismen und Rassismen. Diese wiederum artikulieren sich auf äusserst heterogene Weise in dem, was man als ‚Identitätspolitiken' bezeichnet. Zu deren Heterogenität gehört allerdings, dass sich jeweils noch der Widerstand gegen Ethnisierung, Nationalisierung und Rassifizierung identitätspolitisch äussert. Identitätspolitik liegt allerdings auch dort vor, wo man sich auf einen universellen Humanismus beruft, d.h. auf die Leitideologie und philosophische Identität des bürgerlichen Subjekts. Der Philosophie verhaftet bleibt zuletzt noch die Kritik der Identitätspolitik, die gegen alle Identität einen abstrakten Antiessenzialismus ausspielt. Sieht man allerdings genauer – und so verstehen wir die Intention von Kanak Attak und das Projekt einer Geschichtsschreibung des migrantischen Widerstands – auf die "wirkliche Bewegung" der Kämpfe gegen Ethnisierung, Nationalisierung und Rassifizierung,21 zeigt sich quer zu reaktiv-spontaner Identitäts- bzw. Repräsentationspolitik einerseits und abstraktem Antiessenzialismus andererseits und gleichwohl stets in beide investiert eine "Transformation der Identifizierungen innerhalb einer Praxis", in der es um "eine Kritik der Kritik und um eine Veränderung der herkömmlichen Veränderungen" geht.22 Dazu muss man allerdings

"die historischen Formen der Identitätspolitik mit den Bedingungen ihres Entstehens und den politischen Anliegen in Beziehung setzen. Man wäre nicht mehr gezwungen, Identitäten entweder (strategisch) zu akzeptieren oder aber kategorisch zurückweisen, sich zwischen Essenzialismus und Nominalismus zu entscheiden, sondern kann historische Kriterien zur Beurteilung des Nutzens bestimmter Politiken entwickeln. Wir meinen, dass es darum geht, die Mechanismen, die Zwänge, die Begrenzungen und Ambivalenzen, die der migrantische Antirassismus trotz ‚bester Absichten' hervorbringt, betonen zu müssen" (ebd.).

Herrschafts- wie Widerstandspraxen bekämpfen sich auf einem Feld, dass mit Michel Pêcheux durch die Begriffe Identifikation, Gegen-Identifikation und Ent-Identifizierung erschlossen und umgrenzt werden kann.23 Pêcheux bezieht sich auf Louis Althussers Analyse der "ideologischen Anrufung" und des "ideologischen Subjekts". Dieses "entzweit sich in ein einzelnes subjekt, das in der empirischen evidenz seiner identität (‚ja, ich bin es!') und seiner stellung (‚es ist wahr, hier bin ich, arbeiter, unternehmer, soldat') befangen ist, und in ein universales Subjekt, das große Subjekt, das in der gestalt gottes, der justiz, der moral oder des wissens etc. die evidenz vermittelt, dass ‚es so ist', immer und überall, und dass es so gut ist."24 Im Prozess der Identifikation fallen das kleine subjekt (empirisches Individuum, das Mitglied einer Kommunistischen Partei z.B.) und das universale Subjekt (die Partei selbst, und mit ihr das Proletariat) so zusammen, dass ersteres in seiner Identifikation mit letzterem von sich aus nach dessen ideologischen Maßgaben "funktioniert" – einen Vorgang, den Althusser assujettissement nennt, Unterwerfung durch oder als Subjektivierung. In der Gegen-Identifikation lösen sich die empirischen subjekte aus dieser Subjektivierung, bleiben jedoch gemäß der Figur der Umkehrung an sie gebunden. Erst die dritte ideologische Modalität im Verhältnis von subjekt/Subjekt, die Ent-Identifizierung, bricht die Symmetrie von Identifizierung und Gegenidentifizierung. Von ihr sagt Pêcheux ausdrücklich, dass es sich dabei

"in keiner weise um eine ‚synthese' hegelschen typs (handelt), die zwei zuvor als affirmation (identifikation) und negation (gegen-identifikation) gefasste momente versöhnen soll; es handelt sich auch nicht um eine unmögliche ent-subjektivierung des subjekts, sondern um eine transformation der subjekt-form unter der einwirkung dieses in der geschichte beispiellosen ereignisses der tendenziellen verschmelzung der revolutionären praxen der arbeiterbewegung mit der wissenschaftlichen theorie des klassenkampfs."25

Was die Ansprüche einer solchen Theorie angeht, so gründen die zwar durchaus in der methodischen Anerkennung des Primats des Widerstands – der eigentlich antiphilosophischen Wende –, doch darf man diesen nicht praktizistisch, nicht als Ersetzung von Theorie durch Praxis verstehen. Der Primat des Widerstands berührt vielmehr die Praxis und die Theorie, bestimmt die Theorie zuletzt selbst als Praxis des Widerstands. Nochmals, ein weiterer Sprung, Derrida:

"Der dekonstruktive Entwurf instituiert sich selbst weder als regionale Theorie (zum Beispiel der Literatur) noch als eine Theorie der Theorien. Er leistet diesen Theoretisierungen, den theoretisch-thetisch-thematischen Stasen, Stanzen und Stationen auf aktive und affirmative Weise Widerstand (résistance). (...) Diese Form des Widerstands gegen die Theorie (besteht) nicht darin, der Theoretisierung reaktiv entgegenzutreten, sondern im Gegenteil darin, regelmäßig die philosophischen Voraussetzungen existierender Theorien oder die impliziten Theorien in philosophie- und theoriefeindlichen Diskursen zu dekonstruieren. Es ging also eher darum, das Theoretische zu überschreiten, als ihm Hindernisse in den Weg zu legen und Positionen ‚gegen' die Theorie zu beziehen" (Hervorheb. von uns).26

Allerdings ist der Widerstand in der Theorie auf die Kommunikation mit dem Widerstand in der Praxis angewiesen, der ihm – auch nach Derridas eigenem Eingeständnis – historisch vorausgeht:

"(...) Die Bewegung der Dekonstruktion (...) ist im Recht und in der Geschichte des Rechts am Werk, in der politischen Geschichte und in der Geschichte überhaupt, bevor sie sich als jener Diskurs präsentiert, den man in der Akademie und in der modernen Kultur ‚Dekonstruktivismus' nennt."27

Ist es möglich, in der jedem schulmässigen Dekonstruktivismus - auch dem Derridas - vorausgehenden "Bewegung der Dekonstruktion" die "wirkliche Bewegung" zu ent-identifizieren, von der Marx und Engels sprachen? Heisst dies, deren Erbe zu übernehmen, jenes Erbe, das wir nicht nicht übernehmen können? Was heisst dann für uns, dass diese Bewegung "den jetzigen Zustand aufhebt", sofern "die Bedingungen dieser Bewegung sich aus der jetzt bestehenden Voraussetzung (ergeben)"? Gibt es überhaupt eine solche Bewegung? Und wenn ja: Schließt sie noch immer KommunistInnen ein, deren Sätze, sofern sie das Glück haben, dass auch und gerade KommunistInnen brauchen, "nur allgemeine Ausdrücke tatsächlicher Verhältnisse eines existierenden Klassenkampfes, einer unter unseren Augen vor sich gehenden geschichtlichen Bewegung" wären? Wie verhalten sich kanakischer Widerstand und eine so verstandene kommunistische Linke zueinander, wären KommunistInnen immer noch, heute wieder, "praktisch der entschiedenste, immer weitertreibende Teil" eines dergestalt unaufhebbar singularisierten und deshalb immer pluralen Widerstands? Vielleicht, weil sie "in den verschiedenen nationalen Kämpfen der Proletarier die gemeinsamen, von der Nationalität unabhängigen Interessen des gesamten Proletariats hervorheben und zur Geltung bringen", die dann allerdings kein substanzielles "Allgemeininteresse" konstituieren, sondern die Permanenz und Polyphonie der Überschreitung jeder beschränkten, d.h. partikularen Perspektive. Konsequenterweise deshalb auch ohne die totalisierend-totalitäre Anmaßung, "stets das Interesse der Gesamtbewegung (zu) vertreten", und zwar nicht nur deshalb, weil niemand in exklusiver Weise "theoretisch vor der übrigen Masse des Proletariats die Einsicht in die Bedingungen, den Gang und die allgemeinen Resultate der proletarischen Bewegung voraus(haben)" kann, sondern aus weitestgehender Verwerfung der Logik der Repräsentation, der Stellvertretung selbst. Wäre dies ein kommunistischer Universalismus, der keinen ‚Menschen', keinen verlorenen Ursprung, kein letztes Ziel und kein Ende der Geschichte mehr voraussetzen muss, weil er allein dem Primat des Widerstands folgt, und zwar so, dass es ihm dabei stets um "eine Kritik der Kritik und um eine Veränderung der herkömmlichen Veränderungen" geht?

Die Veränderung der Welt hat kein Subjekt, weil ‚wir' die Mehrzahl sind, die nicht eine Einzahl vervielfältigt, die (verbal) Menschenwesen, deren Sein niemals ‚eins' ist.28 Was aber wäre dann das Politische, wenn es nicht mehr auf die Etablierung der wahren polis zielte, und sei es eine kommunistische, sondern wenn es dabei endlich um den Exodus ginge, um das, was sich aus jeder polis davonmacht, um - die Internationale?

Anmerkungen
  1. Manuela Bojadzijev, Vassilis Tsianos, Mit den besten Absichten. Spuren des migrantischen Widerstands, iz3w 244, April 2000, S. 35ff.Zurück zur Textstelle
  2. Gilles Deleuze, Felix Guattari, Antiödipus. Kapitalismus und Schizophrenie. Ffm 1974, S. 177.Zurück zur Textstelle
  3. metaphora, Übertragung, metapherein, anderswohin tragen, übertragenZurück zur Textstelle
  4. Der Ausdruck stammt nicht von Marx und Engels, sondern von Jacques Derrida, vgl. im Folgenden.Zurück zur Textstelle
  5. Christoph Görg in einem internen Diskussionspapier des links-netz.Zurück zur Textstelle
  6. Das Wort nicht in dem technizistisch verengten Sinn verstanden, in dem es vielfach verwendet wird.Zurück zur Textstelle
  7. Feuerbach. Gegensatz von materialistischer und idealistischer Anschauung. In: Marx-Engels Studienausgabe Bd. I, Ffm 1966, S. 99 – 101.Zurück zur Textstelle
  8. Jacques. Derrida, Marx' Gespenster, Ffm 1996, S. 147f.Zurück zur Textstelle
  9. Was keinesfalls heißt, den Unterschied zwischen Theorie und Praxis einzuebnen.Zurück zur Textstelle
  10. Karl Marx, Friedrich Engels, Manifest der Kommunistischen Partei, Berlin 1989, S. 36f.Zurück zur Textstelle
  11. Kommunistische (universalistische) Partei (Partikularität), partikulares Universales noch für Derrida, "einzigartiges Unterfangen", dessen Erbe wir nicht nicht sein könnenZurück zur Textstelle
  12. Insofern kann die Bedeutung dieser ersten expliziten Selbstverständigung von Kommunisten über den Sinn der eigenen Tätigkeit nicht hoch genug geschätzt werden. Sie schließt an das traditionelle Selbstverständnis der philosophischen Tätigkeit an und überträgt ihr Mandat einer historisch neuen Gestalt – der KommunistIn. Sie wirkt deshalb auch in allen Auseinandersetzungen um die Rolle der Intellektuellen fort – gleich, ob als "organische" (Gramsci), "universelle" (Sartre), "spezifische" (Foucault) oder als "Massenintellektuelle" (Negri et. al.) gedacht – Entwürfe der intellektuellen Praxis, die nicht nicht Erbe der im Manifest entwickelten Aufgabe sein können.Zurück zur Textstelle
  13. Die vorgelegte Interpretation tritt in keiner Weise mit den Analytiken in Konkurrenz, die in anderer Hinsicht für das Scheitern der real existierenden kommunistischen Parteien, ihrer Internationalen und staatlichen Konföderationen aufkommen, sie stellt in radikalem Sinn ‚nur' eine Hinsicht dar.Zurück zur Textstelle
  14. Diese Formulierung erinnert an Walter Benjamin, vgl. ders., Über den Begriff der Geschichte. In: Illuminationen. Ausgewählte Schriften, Ffm 1977, S. 251ff. Aber auch, noch einmal, Derrida (vgl. ders., Marx & Sons. In: Michael Sprinker (Ed.), Ghostly Demarcations. A Symposium on Jacques Derrida's Specters of Marx, London/New York 1999, S. 213ff., und, ganz besonders, Jean-Luc Nancy, Das gemeinsame Erscheinen. Von der Existenz des ‚Kommunismus' zur Gemeinschaftlichkeit der ‚Existenz'. In: Joseph Vogl (Hrsg.) Gemeinschaften. Positionen zu einer Philosophie der Gemeinschaft, Ffm 1994, S. 167 ff. Im frz. Original lautet der Untertitel des Aufsatzes von Nancy sprechender: De l'existence du ‚communisme' à la communauté de l'‚existence'.Zurück zur Textstelle
  15. Karl Marx, In: Marx-Engels Studienausgabe Bd. I, Ffm 1966, S. 29Zurück zur Textstelle
  16. Karl Marx, Friedrich Engels, Manifest der Kommunistischen Partei, Berlin 1989, S. 30f.Zurück zur Textstelle
  17. Einer "Sprengung" des Sozialen, die – was Marx und Engels im eben zitierten Text freilich nur durch Unterlassung anzeigen – nicht nur Sprengung der Klassen, sondern auch des Geschlechts und jeder anderen Kategorie der Vergesellschaftung sein wird, auch der des Individuums.Zurück zur Textstelle
  18. ebd.Zurück zur Textstelle
  19. In der Deutschen Ideologie vermerken Marx und Engels ausdrücklich, "dass in allen bisherigen Revolutionen die Art der Tätigkeit stets unangetastet blieb, und es sich nur um eine andre Distribution dieser Tätigkeit, um eine neue Verteilung der Arbeit an andre Personen handelte, während die kommunistische Revolution sich gegen die bisherige Art der Tätigkeit richtet, die Arbeit beseitigt und die Herrschaft aller Klassen mit den Klassen selbst aufhebt, weil sie durch die Klasse bewirkt wird, die in der Gesellschaft für keine Klasse mehr gilt, nicht als Klasse anerkannt wird, schon der Ausdruck der Auflösung aller Klassen, Nationalitäten etc. innerhalb der jetzigen Gesellschaft ist". In: Marx-Engels Studienausgabe Bd. I, S. 132.Zurück zur Textstelle
  20. Vgl. wiederum Marxens' Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung, a.a.O., S. 22f.Zurück zur Textstelle
  21. Wie - natürlich - auf die antipatriarchalen oder Klassenkämpfe.Zurück zur Textstelle
  22. Vgl. Fußnote 1.Zurück zur Textstelle
  23. Michel Pêcheux, zu rebellieren und zu denken wagen! ideologien, widerstände,klassenkampf. In: KultuRRevolution 5 u. 6 1984.Zurück zur Textstelle
  24. KultuRRevolution 5/84, S. 62. Vgl. auch Louis Althusser, Ideologie und ideologische Staatsapparate. Aufsätze zur marxistischen Theorie. Hamburg/Westberlin 1977, S. 108ff.Zurück zur Textstelle
  25. An diese Formulierungen Pêcheux' schliesst die eingangs zitierte Formulierung Derridas nahezu wortwörtlich an. Derrida ist dem Althusser-Kreis wenigstens auf der freundschaftlichen Ebene eng verbunden. Vgl. die explizite, allerdings auch kritische Adressierung der Althusserianer in Marx' Gespenster, S. 145.Zurück zur Textstelle
  26. Jacques Derrida, Einige Statements und Binsenweisheiten über Neologismen, New-Ismen, Post-Ismen, Parasitismen und andere kleine Seismen, Berlin 1997, S. 49f. Wir nennen ‚Dekonstruktion' theoretische Arbeiten, die vorgehen, wie Derrida es an dieser Stelle beschreibt; eine schulmässige Verbundenheit mit seiner Arbeit oder der seiner engeren WeggefährtInnen ist damit nicht gemeint.Zurück zur Textstelle
  27. Jacques Derrida, Gesetzeskraft. Der ‚mystische' Grund der Autorität, Ffm 1991, S. 52Zurück zur Textstelle
  28. Diese letzte Anspielung gilt Jean-Luc Nancy, noch einmal: De l'existence du ‚communisme' à la communauté de l'‚existence'.Zurück zur Textstelle
© links-netz April 2001