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Rezension zu „Immaterielle Arbeit und imperiale Souveränität“

Herausgegeben von Thomas Atzert und Jost Müller, Verlag Westfälisches Dampfboot 2004.

Serhat Karakayali

Zweifellos haben Michael Hardt und Toni Negri mit ihrem gemeinsamen Buch Empire einen beachtlichen Coup gelandet. Ein Coup ex post, denn nicht einmal sie selbst hatten mit dem großen Erfolg gerechnet, den ein Werk, das den Spuren von Michel Foucault, Gilles Deleuze, Karl Marx, Spinoza und den italienischen Operaisten folgt, auch kaum erwarten ließ. Den Autoren erging es dabei auch nicht anders als dem 1. FC Bayern München: Gut gespielt aber von allen gehasst. So wurde das „kommunistische Manifest“ unseres Zeitalters, wie Slavoj Zizek es genannt hat, hierzulande als Hype abgetan, als neoliberales Machwerk verunglimpft oder als Wahnsinn gebrandmarkt. So sah Jörg Lau in Empire „eine einzige große Geschichtsklitterei im Dienste altlinker Gewissheiten“ am Werk (ZEIT 22/2002), während Uli Brand nur erstaunt zu Protokoll gibt, dass das „Einreißen historisch erkämpfter sozialer Rechte und Sicherungssysteme willkommen geheißen“ wird (Argument). Weiter auseinander können Einschätzungen wohl nicht liegen und dennoch liegt die Wahrheit nicht in der Mitte. Das tut sie nie.

Der „Hype“ jedenfalls, von dem sich die Mehrzahl der Rezensionen abgrenzte, muss irgendwo im Ausland stattgefunden haben. Ein Überblick über die Rezeption in Deutschland vermittelt ein anderes Bild. Es erinnert eher an jene Hysterie, mit der − vor allem in linken Kreisen − auch den Arbeiten Michel Foucaults und später Judith Butlers begegnet wurde. War Foucault für jemanden wie Habermas einfach ein Jungkonservativer, so schien Butlers Absage an die Unterscheidung zwischen sozialem und biologischem Geschlecht die Grundlage des Feminismus zu untergraben. Auch Empire steht für einen grundlegenden Perspektivwechsel im Denken des Politischen. Vielen der Reaktionen war anzumerken, dass sie Symptome eines Abwehrkampfs waren, in dem bestimmte tradierte Politikkonzeptionen sich noch einmal ihrer eigenen Kohärenz versichern wollten. Der postmoderne Unsinn erschien da als ideale Projektionsfläche.

Nur eine Minderheit setzte sich mit den in Empire vertretenen Thesen wirklich auseinander, ohne sie gleich zu verdammen. Das kleine Archipel der empirefreundlichen Publikationen hat seine eigene Genealogie. Zu ihm gehören unter anderem die Zeitschrift Beute, ihre Nachfolgerin, die ebenfalls mittlerweile eingestellte Jungle World-Beilage Subtropen, die Verlage ID und b_books, die Frankfurter Studierendenzeitschrift diskus sowie einige einzelne Autorinnen und Autoren und Gruppen wie etwa nospoon. Aus diesem theoriepolitisch-publizistischen Umfeld kommt auch der Sammelband „Immaterielle Arbeit und imperiale Souveränität“, der zum ersten Mal Beiträge zu einer seriösen Auseinandersetzung mit „Empire“ zusammenstellt. Der von Thomas Atzert und Jost Müller herausgegebene Band enthält freilich nicht nur Texte aus dem deutschsprachigen Raum, sondern auch aus Europa und Nordamerika. Damit scheinen auf den ersten Blick zugleich die Grenzen der globalen Debatte gezogen zu sein. Es wäre aber sicher interessant, einmal Beiträge z.B. aus Lateinamerika zu diskutieren, etwa von der argentinischen Gruppe „colectivo situaciones“ (vgl. dazu den Beitrag von Beitrag von Jessica Zeller und Martina Blank im links-netz), die sich in ihren Arbeiten auf die Konzepte beziehen, die in Empire entwickelt werden. Mit Begriffen wie Situation, Resonanzen und Diffuse Netze betonen sie, dass die unterschiedlichen konkreten Lebensbedingungen in einem emanzipatorischen Projekt berücksichtigt werden müssen. Konkreter Universalismus kann nur durch eine Politik der diffusen Netze erreicht werden, womit eine Sichtweise umschrieben wird, die Situationen zum Ausgangspunkt macht. Begegnungen oder Verbindungen münden nicht automatisch in einem neuen globalen, möglichst homogenen Raum. Für einen solchen stehen die expliziten Netze. Sie fassen Situationen als Knotenpunkte eines Netzes, dem ein „virtueller Raum der Kommunikation zwischen homogenisierten Erfahrungen auf der Basis gemeinsamer Eigenschaften“ zugrundeliegt. Die expliziten Netze sind immer Ausschnitte aus dem globalen Netz, das für globalen Kapitalismus oder auch Weltmarkt steht. Die expliziten Netze erlauben das Denken des Staates, der Partei, der Organisation. Die diffusen Netze erlauben das Denken der Multitude. Bei b_books und assoziation a sind vor kurzem Bücher mit Texten der Gruppe erschienen. Bemerkenswert ist jedenfalls, dass sich ihre Arbeit vor allem auf die Erfahrungen des argentinischen Aufstands vom Dezember 2001 beziehen, wähend die Debatte in Deutschland, so sie überhaupt stattfindet, theoretischer Natur bleibt.

Auch der vorliegende Band beschreitet hier keine anderen Wege, was freilich nicht den Herausgebern, sondern den Verhältnissen anzukreiden ist.

Er enthält Arbeiten zur Geschichte der Massenintellektuellen von Jost Müller und der „Diggers“, einer kommunistischen Bewegung des 17. Jahrhunderts in England, von Francois Matheron, Untersuchungen konkreter Felder immaterieller Arbeit, wie der von Nick Dyer-Witheford, der eine Analyse der Computerspiele-Industrie vorlegt sowie philosophisch wichtiger Bezugsgrößen wie Spinoza von Warren Montag.

Während die eine Hälfte der Autoren die in „Empire“ verwendeten Begriffe und Theoreme eher anwendet und damit ihre theoriepraktische Tauglichkeit prüft, diskutiert die andere sie kritisch und kontrastiert sie mit theoretischen Alternativen. Letztere könnte man auch als Debattenbeiträge bezeichnen.

Die Aufsätze von Thomas Seibert und Frieder Otto Wolf setzen sich überdies mit der eingangs erwähnten Abwehrhaltung auseinander. Unter dem etwas seltsamen Titel „Empire oder was“ plädiert Wolf dafür, eine „konstruktive kritische Auseinandersetzung“ mit Hardt und Negri zu suchen. Adressiert ist dies an eine Linke jenseits eines strategisch integrationsfähigen Reformismus einerseits und einer „revolutionaristischen Selbstisolierung“ andererseits. Denn „Empire“ stelle Fragen, auf die eine zeitgemäße Politik der Emanzipation Antworten zumindest suchen muss, etwa die nach der globalen Ebene einer Gegenmacht, die aber im Sinne einer Hollowayschen Anti-Macht organisiert sein müsste. Die Grenzen eines fröhlichen Eklektizismus sind damit aber erreicht, denn Holloway denkt den Ort der Gegenmacht außerhalb der Zitadellen der Macht, während in der Theorie des Empire die widersprüchliche Einheit von Korruption und Generation Verlaufsformen der Menge darstellen. Im Grenzfall sind Empire und Multitude identisch.

Seibert wiederum skizziert die Fluchtlinien von Ökonomie- und Metaphysikkritik, deren Verbindung in „Empire“ er für die massiven Widerstände verantwortlich macht. Der darin artikulierte Vorwurf des Eklektizismus, der Inkohärenz, verkenne aber den Charakter philosophischer Begriffe, die Problematisierungen nicht abschlössen, sondern überhaupt erst eröffneten, so Seibert. Vor allem aber das Bekenntnis der beiden Autoren, sie orientierten sich an Marx’ Kapital und „Mille Plateaux“ von Gilles Deleuze und Felix Guattari gleichzeitig, ruft all jene auf den Plan, die darin das Projekt einer „Zerstörung der Vernunft“ in der Tradition von Heidegger am Werke sehen. Diese Schlachtordnung läuft auf jenen Gegensatz hinaus, der in Deutschland zwischen Kritischer Theorie und Poststrukturalismus aka Postmoderne gerne konstruiert wird. Seibert zeigt aber, dass Hardt und Negri sich diesem Gegensatz zu entziehen vermögen. Von feministischer Seite wurde wiederholt die Unsichtbarmachung der geschlechtlichen Arbeitsteilung im Konzept der immateriellen oder affektiven Arbeit kritisiert, etwa von Susanne Schulz in der Zeitschrift Argument. Ausgehend von hier rekonstruiert Cornelia Eichhorn die feministische Debatte um Hausarbeit, ihre Entlohnung und die sogenannte Hausfrauisierungsthese, um Bezüge zu der aktuellen Diskussion um „Affektive Arbeit“ herzustellen. Der Begriff ermögliche zwar die Reartikulation der feministischen Kritik an einem verkürzten, auf Lohnarbeit reduzierten Arbeitsbegriff, dürfe aber nicht die „Bedingungen ihrer Organisation und Strukturen ihrer Verwertung“ verschweigen, in denen sie sich realisiert. Ihre Kritik verbindet sie aber nicht mit dem Plädoyer für eine Rückkehr zu den binären Oppositionen zwischen Produktions- und Reproduktionsarbeit, privat und öffentlich oder Freizeit und Arbeit. Es geht also nicht um „veränderte Grenzziehungen“ oder bloße „Verschiebungen innerhalb binärer Systeme“, sondern um gänzlich neue Formen der Arbeitsteilung, die auch neuer Kämpfe bedürfen. Die Kritik von Alex Demirović schließlich ist zwar freundlich, aber grundlegend. Weder könne von einer imperialen Souveränität jenseits der Nationalstaaten gesprochen werden, das habe die unilaterale Politik der Bush-Administration gezeigt, noch sei auf lokale bzw. nationale Kontexte ausgerichtete Politik obsolet, hätte doch eine von einem Präsident der demokratischen Partei geführte US-amerikanische Regierung, sicher eine andere Linie verfolgt. Auch die im Fordismus gewonnenen Emanzipationskriterien, wie der positive Bezug auf Differenz, seien zu verteidigen, auch wenn sie durch den Neoliberalismus scheinbar in den Dienst der Unterdrückung gestellt wurden. Die Kämpfe gegen den Essentialismus der Identität, so Demirović, müsse man auch als von der Menge ausgehend analysieren, ohne sie von vorneherein auf der Seite der Macht zu verorten. Mit Bezug auf die kritische Theorie verteidigt er schließlich den Begriff der Vermittlung, der nicht gegen Immanenz gerichtet sei, wie Negri und Hardt annähmen, er moderiere vielmehr den Zugriff des „Ganzen“ auf die einzelnen, wodurch „Hindernisse und Verzögerungen“, schließlich Autonomie entstünden. Das Gegenteil also von unmittelbarer Gewalt.

Die Frage ist auch, ob es so etwas wie eine Autonomie „der Gesellschaft“ gegenüber der Menge gibt und ob daraus die Notwendigkeit einer Vermittlung durch Instanzen folgt. Hardt und Negri verfielen, so der Vorwurf, einer „Ideologie der direkten Demokratie, so als könne sich das gesellschaftliche Leben völlig ungegliedert abspielen“. Demirovic spricht damit ein entscheidendes hegemonietheoretisches Problem an, nämlich die Frage, wie sich gesellschaftliche Gruppen selbst organisieren und ihre Interessen verallgemeinern können, wenn die herkömmliche „Zivilgesellschaft“ verschwindet. Anstatt aber dieses Problem mit Begriffen aus dem fordistischen Universum lösen zu wollen, wäre es sicher produktiver, darüber nachzudenken, wie so etwas wie „imperiale“ Hegemonie zu konzipieren wäre. Ob der Begriff der Vermittlung dann noch angemessen sein wird, steht auf einem anderen Blatt. Sicher ist aber, dass wir erst am Anfang einer Debatte um das biopolitische Paradigma stehen, die die Beschränkungen, die eine von Foucault diktierte Perspektive auferlegt, noch zu überwinden hat. Es kommt darauf an, einen Unterschied zu machen zwischen Biopolitik und Biomacht, zwischen der Regulierung und Kontrolle von Körpern, Leben und Singularitäten und etwas, das man in Ermangelung besserer Alternativen vielleicht eine Politik der Subalternen nennen könnte, oder eine Biopolitik „von unten“.

© links-netz November 2004