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Kundgebung München, Urteilsverkündung NSU Prozess

Kein Schlussstrich Bündnis Hessen

Die Links-Netz Redaktion hat sich entschlossen den folgenden Text zu dokumentieren. Es handelt sich um den Redebeitrag des Kein Schlussstrich Bündnis Hessen, dass sich in Vorbereitung des NSU Prozessendes in Frankfurt formiert hat.

Ziel des Zusammenschlusses verschiedener antirassistischer und antifaschistischer Gruppen aus Hessen war es, durch Veranstaltungen, eine Ausstellung und Öffentlichkeitsarbeit auf das nahende Ende des 5 jährigen NSU Prozesses aufmerksam zu machen. Schon die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft, und der Verlauf des Prozesses ließen befürchten, dass die Verurteilung der 5 Angeklagten, alle offenen Fragen um den NSU Komplex für immer vom Tisch wischen sollte.

Das Urteil, dass am 11.07.2018 vom Vorsitzenden Richter des OLG Götzel verkündet wurde, bestätigt die Befürchtungen, dass das Ende des NSU Prozess einen Schlussstrich unter eine über sechs Jährige Anschlag-und Mordserie und die Rolle der Ermittlungs- und Sicherheitsbehörden in diesem Komplex ziehen will, der schon mit dem Auffliegen des NSU 2011 zumindest die Abschaffung des Verfassungsschutz hätte zur Konsequenz haben müssen.

Die viel zu milden Urteile gegen die nach wie vor aktiven Nazis Ralf Wohlleben und André Eminger, sind auch ein deutliches Zeichen an alle, die nach wie vor dafür kämpfen, dass alle Helfer*innen des NSU verurteilt werden müssen. Wenn selbst ein überzeugter Nationalsozialist, der bis zum Schluss einer der wichtigsten Unterstützer der Terroristen war mit Zweieinhalb Jahren Freiheitsstrafe davon kommt, ist wohl kaum mit weiteren Prozessen und Urteilen zu rechnen. Das Urteil wurde von den zehn im Zuschauerraum Anwesenden Nazis lautstark gefeiert. Eminger verließ noch am Tag der Urteilsverkündung den Gerichtssaal als freier Mann, Ralf Wohlleben wurde eine Woche später aus der Untersuchungshaft entlassen. Beide sind nach wie vor wichtige Akteure einer militanten rechtsterroristischen Szene.

Heute verkündet das Gericht das Urteil gegen die 5 Angeklagten im NSU Prozess.

Viele Fragen bleiben nach über 5 Jahren Prozess und zahlreichen Untersuchungsausschüssen offen. Nicht, weil sie nicht gestellt wurden, sondern weil staatliche Behörden kein Interesse an der Aufklärung des NSU Komplexes haben.

Fest steht, der NSU fiel nicht vom Himmel, er entwickelte Strategien und knüpfte Netzwerke unter den Augen der Polizei und mit Hilfe des Verfassungsschutzes, lange bevor er zum ersten Mal mordete.

Konsequent wird die Gefahr, die von Rechtsextremen in der BRD ausgeht, von Sicherheitsbehörden und Politik heruntergespielt.

Einer der brutalsten Angriffe der langen Geschichte rassistischer Gewalt in BRD und DDR ist das Pogrom von Rostock Lichtenhagen.

Dieser viertägige Angriff auf die Menschen in der Zentralen Aufnahmestelle für Flüchtlinge ist ein Ergebnis des Zusammenwirkens rechtsextremer Strukturen, rassistischer Hetze der Medien, Teilen der deutschen Bevölkerung und den Regierungsparteien.

Am 22. August 1992, vor ziemlich genau 26 Jahren, begann dort ein Pogrom, das sich bereits Wochen vorher durch Hetzschriften organisierter Neonazis angekündigt hatte.

Vier Tage in Folge griff ein Mob aus Rechten und bis zu 3000 applaudierenden Zuschauer*innen die Zentrale Aufnahmestelle für politische Flüchtlinge mit Steinen und Molotowcocktails an, bis die Menschen aus dem Gebäude evakuiert wurden.

Zwei Tage später, am 24. August attackierten die Rassist*innen und Neonazis im Siegestaumel das angrenzende Sonnenblumenhaus, in dem vietnamesische Vertragsarbeiter*innen wohnten. Das in Brand gesetzte Haus, in dem sich zu diesem Zeitpunkt Bewohner*innen und linke Unterstützer*innen aufhielten, wurde nicht gelöscht. Die Feuerwehr sah sich dazu gegen den Willen des Lynchmobs nicht in der Lage. Unterdessen flohen die Menschen im Haus über das Dach um ihr Leben zu retten.

Sämtliche Polizeikräfte sind aus bis heute ungeklärten Gründen abgezogen worden, niemand hielt die in Tötungsabsicht randalierenden Neonazis auf. Dagegen wurde noch am 23. August eine Gegendemonstration von 60 linken Aktivist*innen in Gewahrsam genommen.

Der damalige Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Ignatz Bubis und sein Stellvertreter Michel Friedman, reisten nach Rostock um ihren Protest und ihre Abscheu gegen diese menschenverachtenden Ausschreitungen zu demonstrieren, und den Opfern beizustehen.

Politiker*innen nahmen den Anschlag zum Anlass die Anfang der 90er geplante Einschränkung des Grundrechts auf Asyl in der BRD zu forcieren. Daraus resultierte die faktische Abschaffung des Grundrechts auf Asyl. Bundeskanzler Helmut Kohl zeigte aus der Ferne nach einer allgemeinen Verurteilung der Gewalt, Verständnis für die Täter*innen, und forderte die Parteien auf, sich als Konsequenz endlich für eine Einschränkung des Grundrechts auf Asyl zu entscheiden.

Durch den medialen und politischen Erfolg bestätigt und motiviert, wurden in den folgenden Jahren zahlreiche Anschläge und Morde von Neonazis und Rassist*innen verübt.

Nur in wenigen Fällen wurden Täter*innen ermittelt und wegen Mordes oder Mordversuchs verurteilt. Stattdessen wurde häufig gegen die Angehörigen und ihr Umfeld ermittelt.

Während des Plädoyers der Bundesanwaltschaft im NSU Prozess kämpften die Hinterbliebenen der Opfer und die Anwält*innen der Nebenklage weiterhin unermüdlich um eine Aufklärung der Mordserie, die 2000 mit der Ermordung Enver Şimşeks in Nürnberg begann. Die BAW geht bereits in ihrer Anklageschrift von einem Terror-Trio mit vier Unterstützern aus. Während die BAW in ihrem Plädoyer die Opfer und Nebenklageanwält*innen angreift und diffamiert, haben Untersuchungsausschüsse und Nebenklageanwält*innen herausgearbeitet, dass die Mörder*innen auf ein großes Netzwerk an Unterstützer*innen zurückgreifen konnten.

Für den Staat scheint von diesen gut vernetzten und zu allem bereiten Nazis nach allem was geschehen ist noch immer keine Gefahr auszugehen. Vielmehr geht für ihn die Bedrohung von denjenigen aus, die auf einer Aufklärung bestehen.

Die Tatsache, dass eine nationalsozialistische Terror-Organisation über 13 Jahre unbehelligt morden und rauben konnte, hat keinerlei Konsequenzen. Weder für die Behörden die versagt haben, noch für die Beurteilung rechter Überfälle nach dem Auffliegen des NSU. Gnadenlos ignorant wird in der BRD behauptet, man habe es mit Einzeltätern zu tun, selbst wenn Neonazis organisiert zuschlagen, wie gerade wieder in einem autonomen Zentrum in Salzwedel.

Trotz vielfältiger Verschleierungstaktiken der Behörden konnte in der Vergangenheit vieles recherchiert werden. Es ist davon auszugehen, dass die meisten der an den Morden direkt und indirekt Beteiligten weiterhin auf freiem Fuß sind und ihre Ziele nach wie vor verfolgen. Die Ermittlungen gegen die Hinterbliebenen, die Presseberichte und das allgemeine gesellschaftliche Desinteresse vor der Enttarnung des NSU sowie die andauernde Sabotage der Sicherheitsbehörden vervollständigen den Terror der Neonazis. Das Leugnen und Herunterspielen des Ausmaßes rassistischer Gewalt ist die Fortführung dieser Gewalt.

Besonders widerwärtig und gefährlich ist hier die Rolle der Geheimdienste. Es lässt sich nicht mehr leugnen, dass die Morde und Anschläge unter ihren Augen geschahen. Ein erheblicher Teil der für den Terror Mitverantwortlichen sind vom Verfassungsschutz bezahlte V-Leute.

Am Tatort in Kassel, an dem 2006 der Betreiber des Internet Cafés Halit Yozgat erschossen wurde, war zur Tatzeit ein Beamter des Hessischen Verfassungsschutzes, Andreas Temme. Dieser versuchte seine Anwesenheit zunächst vor den Ermittlungsbehörden zu verheimlichen, und kann sie bis heute nicht erklären.

Er behauptet unter anderem, das Café verlassen zu haben ohne den Mord bemerkt zu haben. Das unabhängige Gutachten von Forensic Architecture überführt Anderas Temme der Lüge.

Das münchner Oberlandesgericht behauptet dagegen, Temme sei vollständig glaubwürdig.

Der Verfassungsschutz muss aufgelöst werden!

Da staatliche Behörden an einer Aufklärung der Mordserie kein Interesse haben, sie vielmehr sabotieren, ist es unsere Aufgabe, den Druck zu erhöhen indem wir den Opfern und Hinterbliebenen sowie den zivilgesellschaftlichen Initiativen und der Nebenklage solidarisch zur Seite stehen.

Wenn wir heute über das Ende des NSU Prozesses reden und gegen einen Schlussstrich demonstrieren, müssen wir auch darüber sprechen, dass die alltäglichen Diskriminierungen und Stigmatisierungen weitergehen, dass das Morden nicht aufhört.

Wir müssen darüber reden, dass Mord und Misshandlung durch die Polizei eine permanente Bedrohung für Schwarze und People of Colour ist. Dass also Hautfarbe und vermeintliche Herkunft in diesem Land darüber entscheiden, ob die Polizei Schutz oder Bedrohung für das Leben von Menschen ist.

Wir müssen darüber reden, dass die Leugnung oder das Ignorieren dieser Tatsache durch die bürgerliche Gesellschaft diese Zustände erst möglich macht, und normalisiert, also legitimiert und verharmlost.

Wir müssen auch darüber sprechen, wie Rassismus gebraucht wird, um zu spalten, um Arme gegen noch Ärmere aufzuhetzen. Die Tatsache, dass diese Hetze schon immer Mord und Totschlag zur Folge hatte wird dabei jedes Mal billigend in Kauf genommen.

Es ist wichtig Rassismus zu benennen, ihm zu widersprechen und ihn zu bekämpfen. Gerade auch dann, wenn er behauptet kein Rassismus zu sein. Weil er alle Strukturen dieser Gesellschaft mit geformt hat wird er von vielen tatsächlich nicht mehr als Rassismus erkannt. Es ist dieser Rassismus, der auch uns die Sicht darauf verstellt hat, was die Betroffenen gesehen und benannt haben: nämlich dass die Täter Neonazis und Rassist*innen sind die migrantische Kleinunternehmer hinrichten.

Wir müssen endlich den Opfern rassistischer Gewalt zuhören und mit ihnen sprechen, anstatt darüber zu diskutieren ob und wie wir mit Rechten reden sollten. Ob sie sich nun besorgte Bürger, AfD oder religiöse Fundamentalist*innen nennen, es gibt mit ihnen nichts zu besprechen, denn Dialogbereitschaft suggeriert, sie hätten ein legitimes Anliegen.

Mit Faschisten gibt es keine Verhandlungsbasis. Faschisten konnten noch nie mit Argumenten überzeugt werden. Faschisten interessieren sich nicht für Austausch. Sie wollen nicht verstehen oder in Frage stellen. Sie streben nach der Macht zu Vernichten. Faschisten lassen sich nur bekämpfen in dem wir uns ihnen in den Weg stellen und sie nicht zu Wort kommen lassen. Denn während sie abwechselnd hetzen und jammern, verbreiten sie ihre menschenverachtende Ideologie, machen sie salonfähig und für viele Parteien im Parlament zum Köder im Kampf um Stimmen. Angriffe auf das Leben von Geflüchteten, People of Colour, Antifaschist*innen und allen die nicht ins menschenverachtende Weltbild der Nazis passen und das Morden des NSU sind das Ergebnis genau dieser Politik.

Was Faschisten zu sagen haben endet in Entmündigung, Erniedrigung, Entmenschlichung und Massaker. Das zumindest sollte aus der Geschichte dieses Landes abzuleiten sein.

Wir müssen gemeinsam antifaschistische Selbstverteidigung und Angriff organisieren!

© links-netz August 2018