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Schule der Globalisierung

zur Restrukturierung des deutschen Bildungswesens1

Jürgen Klausenitzer

„There is an obvious conflict between the logic of capital accumulation which drives the global economy, and the logic of legitimation, which drives politics in all states with free elections.“ (Colin Leys)2

Im Anschluss an Colin Leys geht der folgende Beitrag davon aus, dass alle Institutionen in zugleich kapitalistisch und demokratisch verfassten Gesellschaften bestimmt sind vom Widerspruch zwischen den Notwendigkeiten ihres Beitrags zur Kapitalakkumulation einerseits und den Ansprüchen und Legitimationsmustern demokratischer Gesellschaften andererseits. Für den Bildungsbereich heißt das, dass die in ihm tätigen Institutionen in ihrer konkreten Arbeit bestimmt sind von ihrer unterschiedlichen Funktion zur Vermittlung von Qualifikationen, Selektion im Hinblick auf das Beschäftigungssystem und der Legitimation dieser gesellschaftlichen Aufgaben. Auf der anderen Seite unterliegen – zumindest seit der französischen Revolution – diese Prozesse den Ansprüchen der bürgerlichen Gesellschaft, Gleichheit und Solidarität für alle ihre Mitglieder sicher zu stellen. Das bedeutet, dass Bildung sich an der Entfaltung aller Potentiale der in ihrer Obhut sich befindenden Personen und an der Vermittlung von Selbst- und Weltverständnis zu orientieren hätte. Traditionelles Verständnis dieser Aufgabe ist es, dass die Bildungsinstitutionen dieser Aufgabe in relativer Eigenständigkeit nachzugehen hätten. Das Ausmaß dieser vermeintlichen Eigenständigkeit unterliegt Wandlungen und Strukturveränderungen, die von historischen und politischen Bedingungen abhängig sind. In der gegenwärtigen Phase lässt sich eine zunehmende Unmittelbarkeit des Zugriffs der Ökonomie auf Institutionen des Bildungswesens – z.B. in Form der Organisierung von Wettbewerb und der Privatisierung – feststellen. Es stellt sich daher die Frage: Wie ist dieser unmittelbarer werdende Zugriff der Ökonomie zu verstehen?

Die Finanzkrise des Staates und die Versuche umfassender Rationalisierung staatlicher Tätigkeit erscheinen auf nationaler Ebene als Verwaltungsreform öffentlicher Dienste, auch des Bildungssystems, und im internationalen Kontext als die Institutionalisierung eines Benchmarking-Systems, deren zentrale Indikatoren von einzelwirtschaftlichen Effizienzerwägungen geprägt sind. Eine Klärung dieser Zusammenhänge ist Voraussetzung dafür, Reichweite und Möglichkeiten bildungspolitischen Handelns angemessen beurteilen zu können.

1. Phasen der Restrukturierung

In den 70er Jahren wurden der Zugang zu weiterführenden Schulen und eine größere Durchlässigkeit des dreigliedrigen Schulwesens als notwendige Voraussetzungen für eine optimalere Begabungsausschöpfung und ein verbessertes Wirtschaftswachstum erachtet und mit Hilfe entsprechender Maßnahmen umgesetzt. Allerdings gelang es in Deutschland – im Gegensatz zu den meisten anderen OECD-Staaten – nicht, in der Sekundarstufe ein integriertes Schulwesen zu institutionalisieren und das traditionelle dreigliedrige Schulwesen abzulösen. Damit wurde der Modernitätsrückstand des deutschen Schulwesens für die nächsten Dekaden festgeschrieben.3 Diese Bildungsexpansion wurde Mitte bis Ende der 70er Jahre in Folge der Finanzkrise des Staates und der knapper werdenden Ressourcen beendet. In den 80er Jahren stand nach der Expansion die Rückführung der Kosten auf der Tagesordnung.4 Begleitet wurde dieser Prozess in der zweiten Hälfte der 80er Jahre durch einen öffentlichen Diskurs der Delegitimation des staatsbürokratischen Bildungswesens und des in ihr zentral agierenden pädagogischen Personals, der LehrerInnen – in den angelsächsischen Ländern benannt als „blaming the teachers“. Die Bewertung des Bildungswesens in der Öffentlichkeit verschob sich – unterstützt nicht zuletzt von Öffentlichkeit und Institutionen wie der Bertelsmann-Stiftung – von der eines zentralen Motors der Gesellschaftsreform hin zu einer sich gegen Innovation widersetzenden, von „Besitzstandswahrung“ geprägten Institution. Die Defizite des staatsbürokratischen Schulwesens – im Anschluss an Weltbank und OECD auch „Blockaden“ genannt – wurden kritisch beschrieben im Hinblick auf Innovation, Flexibilität, Effizienz und Effektivität, Qualität, Vielfalt, Rechenschaftspflicht, bürokratischen Zentralismus und Eigeninteressen von Pädagogen und Verwaltungsbeamten. Zur Beseitigung der Defizite bzw. Blockaden wurden in den 90er Jahren zunehmend Rezepte diskutiert, die der privatwirtschaftlich verfassten Ökonomie entlehnt waren: Dezentralisierung („Autonomie und Eigenverantwortung“), Wettbewerb, Vielfalt, Einsatz von Managern und betriebswirtschaftlicher Rechnungslegung (Neue Verwaltungssteuerung) sowie Privatisierung.5 Diese Verbetriebswirtschaftlichung oder „Ökonomisierung der Binnenstruktur“ von Bildungsinstitutionen (Thomas Bultmann) erfolgt im Zusammenhang der vor allem von Weltbank und OECD verfolgten mikro-ökonomisch orientierten Humankapitaltheorie, die nun in variierter Form die zielgenaue Identifizierung von profitablen Bildungsinvestitionen ermöglichen soll. Hier ist auch das PISA-Projekt als Teil des Indikatoren-Projekts der OECD zu verorten. Für die erste Dekade des dritten Milleniums zeichnet sich – parallel zur Rationalisierung qua Markt und Management – die Privatisierung von Institutionen und Kosten ab – z.B. über Studiengebühren, Bildungsgutscheine etc. Die gegenwärtigen Verhandlungen im Rahmen der WTO über die Liberalisierung von Dienstleistungen – auch im Bildungsbereich – sind Ausdruck einer zunehmenden Internationalisierung von Entscheidungen über Entwicklungen von Bildungssystemen, z.B. in Form von Standardisierung und Harmonisierung.6 Als langfristige Perspektive dieser Restrukturierung scheint sich – im Anschluss an Rationalisierung und Privatisierung – eine weitergehende Veränderung des Verhältnisses von Bildungsinstitutionen und Beschäftigungssystem abzuzeichnen7, die im Kern auf eine Neubestimmung von Bildung als Grundbildung, die in einer „Wissensgesellschaft“ erforderlichen Kompetenzen und auf Inhalt und Formen lebenslangen Lernens sowie die individuelle Verantwortung abzielt.

2. Internationale Agenturen des globalen Paradigmenwechsels

Wer sind diese globalen Agenturen oder Institutionen? Zum einen sind es in den entwickelten Industrieländern, die eben schon erwähnten Institutionen der Welthandelsorganisation WTO und die Organisation für wirtschaftliche Kooperation und Entwicklung (OECD), in der 29 Industriestaaten zusammengeschlossen sind. In den Entwicklungsländern sind es auch die WTO, aber vor allem die Weltbank und der IWF, die über Strukturanpassungsprogramme eine Politik der Liberalisierung und Privatisierung durchsetzen. Diesem Zweck dienen auch die regionalen Wirtschaftszusammenschlüsse wie z.B. Asean oder die EU und NAFTA. An der Durchsetzung dieser Politik sind wesentlich auch Organisationen der Privatwirtschaft beteiligt, die im Kontext der Internationalisierung von Entscheidungsprozessen ihren Einfluss hinter dem Rücken demokratisch legitimierter Strukturen massiv geltend machen wie z. B. die European Round Table of Industrialists (ERT) und der Transatlantic Business Dialogue (TABD).8

Im Kontext zunehmender Internationalisierung der Produktion, des Handels mit Finanztiteln, Gütern und Dienstleistungen organisieren diese supra- und internationalen Netzwerke aus formellen und informellen Institutionen eine Politik verstärkter Liberalisierung, Deregulierung und Privatisierung – eine Politik, die meist als neo-liberal, post-keynesianisch oder auch als „Washington Consensus“9 bezeichnet wird – wegen der zentralen Rolle der in Washington ansässigen Institutionen der Weltbank, des IWF und des US-amerika-nischen Finanzministeriums.

Zentraler Bestandteil des „Washington Consensus“ und seiner Politik der Strukturanpassung ist – neben Strategien der Verbilligung der Arbeitskraft – eine Veränderung staatlicher Aufgaben und Tätigkeiten im Sin-ne einer kostenmindernden Rationalisierung zur Senkung der Staatsquote (prozentualer Anteil der Staats-ausgaben am Brutto-Inlandsprodukt), um Ressourcen freizumachen für die Subventionierung potentiell wachstumsfördernder Branchen wie z.B. IKT und Genforschung. Diesem Ziel dient auch die Restrukturierung des öffentlichen Dienstes – sofern er nicht privatisiert wird – entsprechend des neuen Paradigmas von Markt und Management, deren sichtbarer Ausdruck die Neue Verwaltungssteuerung (NVS) ist. Die OECD beschreibt im Detail die zentralen Charakteristika dieses neuen Paradigmas öffentlicher Verwaltung – und damit auch der Bildungsverwaltung:

  • Qualität definiert als Effizienz
  • Dezentralisierung auf operativer Ebene
  • Stärkung zentraler Kapazitäten auf strategischer Ebene
  • Organisierung von internem und externem Wettbewerb
  • Nutzergebühren, Gutscheine (vouchers)
  • Alternativen zur öffentlichen Daseinsvorsorge: Privatisierung, Public-Private-Partnership etc.10

Das Ziel dieser Umstrukturierung ist der Gewinn an Produktivität und Effizienz durch Flexibilisierung und Ökonomisierung der Binnenstruktur der Institutionen.

Diese Politik der Rationalisierung durch Wettbewerb und Effizienzsteigerung wird auf nationaler Ebene in Deutschland getragen und öffentlich offensiv vertreten von Institutionen der Privatwirtschaft wie z.B. dem BDI und der IHK, von Stiftungen wie der Bertelsmannstiftung und ihrem „Centrum für Hochschulentwicklung“ (CHE), der Heinrich-Böll-Stiftung – nicht zuletzt mehr oder weniger unisono begleitet von den Medien. 11

3. Instrumente einer marktvermittelten Steuerung von Bildungssystemen

Im Wesentlichen sind es zwei zentrale Instrumente, von denen man sich Effizienzgewinne verspricht:

  • die Organisierung von Wettbewerb zwischen den (Bildungs-)Institutionen, und
  • die Privatisierung, sowohl von Institutionen als auch der Kosten.

Wettbewerb

Unter den Parolen von Dezentralisierung, von Autonomie und Eigenverantwortung, Qualitätssicherung und Rechenschaftspflicht werden Bildungsinstitutionen dazu angehalten, im Wettbewerb um knapper zugeteilte Ressourcen und Kunden ihre Qualität und Effizienz zu verbessern. Dabei geht man davon aus, dass Entscheidungen auf operativer Ebene vor Ort angemessener zu treffen sind als in zentralen Bürokratien.

Der Effizienzsteigerung der Einzelinstitution soll auch die Ablösung der Kameralistik (traditionelle Systematik öffentlicher Haushaltführung) und die Einführung von betriebswirtschaftlicher Rechnungslegung, die Neue Verwaltungsteuerung (NVS), dienen. Damit wird die bisher geltende Input-orientierte Steuerung der Bildungsverwaltung abgelöst durch eine Ergebnis-orientierte Steuerung. Dazu ist es notwendig, Ergebnisse und entsprechende Indikatoren bzw. Kennziffern für zu erbringende Leistungen zu definieren. Diese Indikatoren, die nicht von den teil-autonomen Einzelinstitutionen, sondern von strategischen Zentralstellen (Bildungsministerium und/oder einer speziellen Agentur) definiert werden, sind von Bedeutung für die Evaluation der erbrachten Leistungen, für das Kontrakt-Management zwischen Zentrale und Einzelinstitution und nicht zuletzt auf internationaler Ebene für ein internationales Benchmarkingsystem – sei es der OECD oder der EU.

Privatisierung

Strategien der Privatisierung können neben dem Verkauf vormals staatlicher Institutionen an privatwirtschaftliche Träger auch folgende Formen annehmen:

  • Öffnung vormals ausschließlich staatlicher Tätigkeiten für privatwirtschaftliche Organisationen (Privatschulen, ÖPNV, etc.);
  • Organisierung von Wettbewerb und Quasi-Märkten innerhalb des öffentlichen Dienstes oder zwischen staatlichen und privaten Institutionen auf der Grundlage betriebswirtschaftlicher Kosten-Leistungsrechnung (Jugendamt und private Träger);
  • Einrichtung von privatwirtschaftlich arbeitenden, staatsnahen Agenturen (Evaluation, Tests, Akkreditierung)
  • Public Private Partnerships.

Jenseits der verschiedenen institutionellen Formen der Privatisierung ist auch die zunehmende Privatisierung von Kosten (entsprechend dem von der Weltbank so benannten „cost-sharing“-Prinzip) von Bedeutung. Dabei werden (umfassendere und erhöhte) Beiträge privater Haushalte in Form etwa von Studiengebühren oder Bildungskonten zur Finanzierung von Bildungsausgaben erhoben. Begründet werden sie mit der in der Tat nicht zu übersehenden Ungleichheit von Chancen im Bildungswesen. Allerdings verschärfen diese Maßnahmen die benannten Probleme eher, als dass sie zu einer Lösung beitragen. Wer die Ungleich-heit von Bildungschancen korrigieren will, muss die ihr zu Grunde liegenden sozialen und institutionellen Ursachen beseitigen.

4. Folgen der Rationalisierung

Im Hinblick auf die Folgen der Ökonomisierung der Binnenstruktur lassen sich im Wesentlichen drei Aspekte unterscheiden:

1. Polarisierung innerhalb der Kollegien und zwischen Schulen

  • Es zeichnet sich deutlich eine Polarisierung ab zwischen LehrerInnen einerseits und Leitungsteams bzw. Managern an der Spitze der Schulen andererseits; die Marktkräfte, d.h. der Zwang, genügend Schüler zu rekrutieren, gelten als Grund für den Einsatz von nach betriebswirtschaftlichen Kriterien urteilenden Managern an den Schulen, die ihre Entscheidungen zunehmend eher an Kostenzwängen und Ertragsüberlegungen orientieren als an den (Lern-) Bedürfnissen der SchülerInnen.
  • Der Druck, genügend SchülerInnen zu rekrutieren, hat eine zunehmende Verengung der Pädagogik auf solche Faktoren zur Folge, die den Marktwert der Schule verbessern, d.h. sichtbare, qualifizierbare und nach außen vorzeigbare Indikatoren der Qualitätsmessung – wie z.B. Examensergebnisse, Schulgebäude, Glanzbroschüren über die Schule etc. („core business“). Bei gleich bleibenden bzw. sich verringernden finanziellen Ressourcen bedeutet das eine Abwertung und Vernachlässigung von Erziehungs- und Bildungs-aufgaben, die jenseits der genannten instrumentellen ‘Ziele’ liegen. Das geht vor allem zu Lasten von SchülerInnen mit Lern- oder Verhaltensschwierigkeiten. Diese sind konfrontiert mit der Tendenz, dass ihnen immer weniger professionelle Zuwendung zur Verfügung steht und dass sie gegebenenfalls ganz vom Unterricht ausgeschlossen werden. Sie werden jenen Schulen überlassen, die nicht so nachgefragt und damit auf Neuzugänge von SchülerInnen angewiesen sind. Deshalb wird in einer Reihe von Untersuchungen festgestellt, dass die Verbesserung der Leistungen und damit der Position der einen Gruppe von so genannten „guten“ Schulen nur gelingt um den Preis der Bildung einer Gruppe von unterfinanzierten, mit ProblemschülerInnen belasteten Schulen. Damit wird das Problem ungleicher Zugangschancen zu Schulen und die Polarisierung von „star and sink schools“ weiter verschärft; nicht zuletzt wegen des Umstands, dass Mittelschichtseltern auf Grund ihrer sozialen und kulturellen Kompetenz eine gezielte Wahl ihrer Schulen wesentlich leichter vornehmen können als Unterschichtseltern. Der Markt erweist sich so als Mechanismus sozialer Spaltung.
  • Die Mitglieder der Schulleitung sind aber durchaus nicht nur als „Gewinner“ zu begreifen; sie sind einem zweifachen Druck ausgesetzt: dem des Marktes (auf dem Eltern als eine Art von Konsumenten agieren) und dem der zentral definierten und verbindlich vorgegebenen Beurteilungs- und Erfolgskriterien, die per Evaluation überprüft werden und auf die sie in der Regel keinen Einfluss haben.

2. Veränderungen in Unterricht und Curriculum

Neben der Einführung von Marktkräften sind zentral definierte Curricula und extern, meistens von privaten Consultingfirmen durchgeführte Evaluationen Schlüsselelemente der Reform. Mit ihrer Hilfe soll die angeblich vernachlässigte Rechenschaftspflicht von Lehrern sichergestellt werden. Zugleich sollen standardisierte Leistungsanforderungen die Steuerungsfähigkeit des Staates sicherstellen, ohne dass dieser sich auf Konflikte vor Ort einlassen muss.

In vielen angelsächsischen Ländern ist die Entwicklung einer ausgeprägten Prüfungskultur zu beobachten12; an die Stelle der Ausweitung von Möglichkeiten des Lernens tritt zunehmend die Orientierung an der Überprüfbarkeit von Leistungen. Statt des Bildungs- und Erziehungsprozesses tritt die Bedeutung messbarer Ergebnisse in den Vordergrund. Dies hat insofern gravierende Folgen für den Lehr- und Lernprozess, als es das Unterrichtsgeschehen auf die Prüfungen hin orientiert („teaching to the test“) und das Curriculum zu konsumier- und testbaren Päckchen verschnürt. Beobachter sprechen von der Wiederbelebung eines pädagogischen Traditionalismus und eines reduzierten Professionalismus bei den Lehrern, da offene, erkundende und integrative Formen des Unterrichts durch stärker strukturierte und ergebnisorientierte verdrängt werden.

3. Veränderungen in der Lehrerarbeit

Die Reformen der neuen Bildungspolitik erheben u.a. auch den Anspruch, die Lehrerarbeit qualitativ zu verbessern, da sie sich nun – befreit von bürokratischer und politischer Gängelung – an den mit größerer Autonomie versehenen Schulen freier entfalten kann. In der angelsächsischen Diskussion ist daher die Rede von „empowering the teachers“. In der Praxis aber erweisen sich die Lehrer eher als Objekt von Politik und Management, und die Partizipationsangebote sind eher als symbolische zu begreifen. Der Arbeitsalltag der LehrerInnen ist in Folge von neu eingeführten Techniken der Rechenschaftspflicht und Kontrolle durch zunehmende Verdichtung, Extensivierung und Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse (minderwertige Beschäftigungsverhältnisse wie Zwangs-Teilzeitarbeit, befristete Arbeitsverträge für Hilfskräfte, Studenten und Hausfrauen, out-sourcing z.B. an Sport-Vereine, private Träger für Musik-Unterricht etc.) gekennzeichnet. Für eine begrenzte Anzahl von LehrerInnen werden dagegen besser bezahlte Positionen als „master-teachers“ eingeführt. Insgesamt wird eine Bezahlung aller LehrerInnen entsprechend bestimmter Leistungskriterien angestrebt (wie z.B. Unterrichtsbeobachtung, aber auch Schülerleistungen).

Die Gewerkschaften werden in dieser Situation, in der die einzelnen Schulen um Quoten und Rangplätze kämpfen, als kollektive Interessenvertretung geschwächt – sicher eine der unausgesprochenen Zielsetzungen der Gegenreform.

Mit der Durchsetzung dieses veränderten Modells öffentlicher Bildung wird absehbar, dass die in den letzten drei Jahrzehnten gewachsene Bedeutung der Rolle der LehrerInnen als Organisatoren von Bildungsprozessen zunehmend abgelöst wird von der als „Experten“ für standardisierte quantitative Verfahren der Leistungsmessung, Evaluation und computergestützte Testverfahren.

Zwischen-Fazit zum Zusammenhang von Teil-Autonomie, Effektivität und Effizienz

Die BefürworterInnen dieses veränderten Modells öffentlicher Bildung stellen nun eine positive Beziehung her zwischen diesen neuen institutionellen Merkmalen und einer besonders effizienten und effektiven Arbeitsweise. Aber weder im Hinblick auf Schülerleistungen noch auf die neu eingeführten institutionellen Veränderungen gibt es, so die meisten Untersuchungen, Belege für besondere Effizienz und Effektivität.13 Merkmale, die in der Schuleffektivitätsforschung als Kriterien für die Bestimmung „guter Schulen“ gelten, sind in teil-autonomen Schulen nicht häufiger zu finden als in ‘normalen’.

Die Frage, ob autonome Schulen finanziell effizienter arbeiten als herkömmliche, ist in der angelsächsischen Diskussion sehr umstritten. Deutlich ist aber, dass in die Kosten-Effizienz-Berechnungen weder die zusätzlichen Kosten für das Marketing der Einzelschulen noch die erheblichen Kosten für die umfangreichen zentralstaatlich vorgegebenen Prüfungen und Evaluationen, noch die für den umfangreicher werdenden Transport der SchülerInnen einbezogen werden.14

Damit stellt sich natürlich die Frage, warum eine solch aufwendige und langwierige Umstellung auf eine Ergebnis-orientierte Steuerung von Bildungssystemen organisiert wird. In diesem Rahmen lassen sich nur kurze, thesenartige Antworten skizzieren:

  • Zunächst geht es um die erhoffte „Effizienzdividende“;
  • sodann verbindet sich mit den größeren operativen Kompetenzen im Rahmen der Restrukturierung auch die Vorstellung, dass Konflikte über knapper werdende Ressourcen sich auf untere Verwaltungsgliederungen, Einzelinstitutionen und Individuen verschieben lassen;
  • dies hat darüber hinaus für zentralstaatliche Institutionen auch den Vorteil, im Rahmen einer Dezentralisierungsrhetorik verloren gegangene Legitimation wiederzugewinnen.15

5. Elemente des globalen Paradigmenwechsels

Bevor ich zum Schluss komme, möchte ich kurz auf jene Annahmen eingehen, die als wesentliche Begründungen dienen für die betriebswirtschaftliche Ausrichtung von Bildungssystemen (und anderen öffentlichen Dienstleistungen):

1. Die Annahme, dass es einen Idealtypus von KundInnen oder KonsumentInnen gäbe, der sich in freier Wahl ökonomisch-rational für und gegen bestimmte Bildungsinvestitionen entscheidet, lässt sich nicht halten. Studien über Bildungsverhalten in drei Londoner Schulbezirken nach den Thatcher-Reformen 1988 haben deutlich gemacht, dass der Prozess der Auswahl einer Schule geprägt ist von den sozialen, kulturellen und ökonomischen Lebensbedingungen der Eltern. Für die Schulwahl ist dabei von besonderer Bedeutung, welche Vorstellungen Eltern von einer guten Schule haben, wie sie Mobilität bewerten und ob sie gegebenenfalls für den Besuch entfernter liegender Schulen über die entsprechenden notwendigen finanziellen Mittel verfügen, in welchem Maße der Schulbesuch in die innerfamiliäre Arbeitsteilung eingepasst werden kann, welchen biographischen Planungshorizont die Eltern mit dem Schulbesuch ihrer Kinder verbinden, und vor allem, über welche kulturellen Kapazitäten, die bei der Schulwahl notwendig sind, sie verfügen. Bereits vorhandene Ungleichheiten der Lebenslagen werden dadurch reproduziert und verstärkt. Nicht dass die Reproduktion ungleicher sozialer Lebenschancen durch das Schulsystem neu wäre: Aber statt Chancengleichheit zu fördern, verschärft die Organisation von staatlich regulierten Quasi-Bildungsmärkten die soziale Selektion durch die Schule und damit die gesellschaftliche Ungleichheit.

2. Die Vorstellung, Wettbewerb und lokales Management sei ein universelles Mittel zur Steigerung von Leistung, mag für die industrielle Produktion oder einzelne Lebensbereiche gelten – sie stimmt nicht für Institutionen, die Bildungsprozesse organisieren. Die internen Prozesse der Schule basieren zu einem großen Teil auf interpersonellen Beziehungen, in denen u.a. die Verfügbarkeit von Zeit und die Berücksichtigung sozialer und kultureller Orientierungen der Lernenden eine wesentliche Voraussetzung für das Gelingen von Lernprozessen darstellt. Die Organisierung von Wettbewerb zwischen Schulen und die Verknüpfung von zur Verfügung gestellten Ressourcen mit in Test und Prüfungen gemessenen Leistungen mag die Anhäufung reproduzierbaren Wissens optimieren – aber auch da formuliert die internationale Bildungsforschung Zweifel: Ein Beitrag zur besseren Vermittlung heute gesellschaftlich notwendiger Kompetenzen stellen Wettbewerb und Standardisierung mit Sicherheit nicht dar.

3. Im Kontext der Verbetriebswirtschaftlichung von Bildungsinstitutionen wird die Qualität von Bildung zunehmend unter Gesichtspunkten der verbesserten Effizienz verstanden – vor allem im Hinblick auf Fachleistungen (wie bei der PISA-Studie). Aber selbst die Vorstellung, die Schule würde durch Wettbewerb und betriebswirtschaftliche Rechnungslegung besser, d.h. meistens gebraucht im Sinne von effektiver, hält nicht nur den empirischen Analysen der Bildungsforschung nicht stand (s.o.), sondern unterstellt gesicherte Grundlagen und Ergebnisse der Schulforschung, die so nicht gegeben sind. Die „school-effectiveness“-Forschung in den angelsächsischen Ländern hat eine ganze Reihe von Faktoren bei als effektiv definierten Schulen festgestellt, wie z.B. Schulgröße, Konsistenz von Lehrerverhalten, positive Leistungserwartung, bestimmtes und kooperatives Schulleiterverhalten etc.16 Aber die Gewichtung der Faktoren, ihr spezielles Wirken und ihr Zusammenspiel sind alles andere als klar. Völlig unklar sind auch die Prozesse des Transfers: Wie kommt man eigentlich zu dem Ergebnis „effektive Schule“?

Die Diskussion über Neue Verwaltungssteuerung und Qualitätssicherung wird bestimmt von der unausgesprochenen Annahme, dass die effektive Schule auch die gute Schule ist. Dies ist sie bestenfalls unter dem Gesichtspunkt der kostengünstigen Ressourcennutzung. Die Kosten-Leistungs-Rechnung gibt aber keine Auskunft auf die Frage nach der „guten Schule“.

Bei einer Diskussion über die gute Schule und deren Qualität stünden Fragen nach dem Beitrag der Schule zur Bewältigung zukünftiger Lebenssituationen im Mittelpunkt, nach den zur Bewältigung der zukünftigen Herausforderungen notwendigen Schlüsselqualifikationen (O. Negt), nach ihrem Beitrag zur Selbst- und Welterkenntnis oder etwa nach ihrem Beitrag zur Reduzierung gesellschaftlicher Ungleichheit. Das gegenwärtig augenfällige Ignorieren der Frage nach dem Beitrag der Schule zur Reproduktion bzw. Minderung gesellschaftlicher Ungleichheit kommt einer unausgesprochener Zustimmung zur deren Permanenz gleich.

6. Rationalisierung und Privatisierung

Gegenwärtig sind zwei zentrale Entwicklungen zu beobachten, die das Bildungswesen verändern werden:

  • Eine Rationalisierung und Effizienzorientierung zum Zweck der Kostenreduzierung; die Mittel dazu sind – wie oben beschrieben – Dezentralisierung und Einführung teil-autonomer Institutionen, Wettbewerb, Ergebnisorientierung, Produktkennziffern (Indikatoren) und Neue Verwaltungssteuerung (NVS). PISA ist ein willkommenes Mittel, um den gesellschaftlichen Druck zu erhöhen, die weiter oben beschriebenen „Blockaden“ zur Modernisierung zu beheben.
  • Eine Privatisierung, deren Grenzen mit Hilfe der WTO bzw. des GATS erweitert werden über die von den europäischen Binnenmarktregelungen eröffneten Möglichkeiten hinaus.

Hier ist nicht die Zeit und der Platz, auf PISA und GATS im Einzelnen einzugehen.17 Beiden Projekten gemeinsam ist die zentrale Bedeutung von Produktkennziffern, zum einen für die Einführung der NVS und von Evaluationen und zum anderen für das Kontraktmanagement zwischen Einzelinstitution (oder privatem Träger) und zentraler Behörde im Rahmen der Privatisierung. Dieser zentrale Stellenwert von Indikatoren ist Ausdruck nicht nur der zunehmenden Bedeutung der Humankapitaltheorie und deren Instrument der Ertragsrechnung, sondern auch der sich abzeichnenden Verschiebung im Verständnis von Qualität von Bildungsprozessen: Mit der Bestimmung von Qualität als Effizienz und deren quantitativ messbaren Indikatoren werden Bildungsziele jenseits der Messbarkeit18 marginalisiert.

Die GATS-Verhandlungen werden sich in den nächsten Monaten – genauer bis zum 31. März 2003 – auf die Liberalisierungs-Angebote der EU konzentrieren, über die dann im Rahmen der WTO bis Ende 2004 im Rahmen eines Prozesses über Liberalisierungsangebote und -forderungen verhandelt werden wird. Wer den oben skizzierten Entwicklungen Einhalt gebieten möchte, muss sich in die auf nationaler und internationaler Ebene in Gang gekommenen Bewegungen gegen die (zunehmende) Privatisierung von Bildung einschalten.

Abschließend könnte man die These formulieren, dass das objektive Ziel des Paradigmenwechsels in der Bildungspolitik darin zu sehen ist, die Phase der auf größere Expansion und Chancengleichheit abzielenden Bildungsreform endgültig zu beenden und einer Kosten-senkenden bzw. -verlagernden Rationalisierung und Privatisierung Vorrang einzuräumen. Rationalisierung und Privatisierung, Wettbewerb und einzelinstitutio-nelle Effizienz sind Elemente einer institutionellen Oberfläche, hinter der sich ein neuer „common sense“ von dem herausbildet, was im Rahmen von Bildungsprozessen für wichtig erachtet wird. Hinter dem Schleier von Rationalität werden deutlich sichtbar Werte eines Sozialdarwinismus, der unter der Losung von „Autonomie und Eigenverantwortung“ den TeilnehmerInnen am Markt – sei es dem Einzelnen (Eltern/Schüler) oder der einzelnen (teil-)autonomen Bildungsinstitution – die alleinige Verantwortung über Erfolg und Versagen zuschreibt. Diese Verantwortung des/der Einzelnen für ihre/seine „employability“ (Beschäftigungsfähigkeit) und die sie begleitenden Kompetenzen äußert sich auch in der Forderung nach „lebenslangem Lernen“.

Anmerkungen

  1. Zuerst erschienen in express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, Teil I und II, in Nr. 9 und 10/02Zurück zur Textstelle
  2. Leys, Colin: „Market-driven Politics. Neoliberal Democracy and the public interest“, London 2001, S. 26Zurück zur Textstelle
  3. Vgl. dazu Levin, Henry: „The Dilemma of Comprehensive Secondary School Reforms in Western Europe“, in: Comparative Education Review, 1978, Vol. 22Zurück zur Textstelle
  4. Vgl. dazu Block, Rainer/Klemm, Klaus: „Lohnt sich Schule? „ Hamburg 1997Zurück zur Textstelle
  5. Zur gegenwärtigen Situation der Restrukturierung vgl. ausführlicher: Klausenitzer, Jürgen: „Altes und Neues – Anmerkungen zur Diskussion über die gegenwärtige Restrukturierung des deutschen Bildungswesens“, in: Widersprüche 1/02Zurück zur Textstelle
  6. Dale, Robert: „Specifying globalization effects on national policy: a focus on the mechanisms“, in: Journal for Education Policy, 1999, Vol. 14, No. 1, 1-17Zurück zur Textstelle
  7. OECD: „Bildungspolitische Analysen“, Paris 2001Zurück zur Textstelle
  8. Vgl. dazu Balanyá, Belén, et al.: „Europe Inc. – Regional and Global Restructuring and the Rise of Corporate Power“, London 2000Zurück zur Textstelle
  9. Vgl. dazu Williamson, John: „Democracy and the Washington Consensus“, in: World Development 21 (1993), 8, S. 1332f.Zurück zur Textstelle
  10. Vgl. dazu OECD: „Governance in Transition“, Paris 1995Zurück zur Textstelle
  11. Zur gegenwärtigen Situation der Restrukturierung vgl. FN 4; Bennhold, Martin: „Die Bertelsmann-Stiftung, das CHE und die Hochschulreform“, in: Lohmann, Ingrid/Rilling, Rainer (Hrsg.): „Die verkaufte Bildung“, Opladen 2002Zurück zur Textstelle
  12. Whitty, Geoff/Power, Sally/Halpin, David: „Devolution and Choice in Education – The School, the State and the Market“, Open University Press, Buckingham 1998.Zurück zur Textstelle
  13. Weiß, Manfred: „Privatisierung im Bildungsbereich“, in: Radtke, Frank-Olaf/Weiß, Manfred: „Schulautonomie, Wohlfahrtsstaat und Chancengleichheit“, Opladen 2000, S. 49.Zurück zur Textstelle
  14. Vgl. Levin, Henry: „The Public-Private Nexus in Education“, unveröff. Ms., 1999.Zurück zur Textstelle
  15. Weiler, Hans N.: „Control Versus Legitimation, The Politics of Ambivalence“, in: Hannaway, Jane/Carnoy, Martin: „Decentralization and School Improvement“, 1993, S. 55-83Zurück zur Textstelle
  16. Vgl. z.B.: Reynolds, David: „School Effectiveness and School Improvement: An Updated review of the British Literature“, in: Reynolds, D. / Cuttance, P.: „School Effectiveness: Research, Policy and Practice“, 1992; Thrupp, Martin: „Sociological and Political Concerns about School Effectiveness Research: Time for a New Research Agenda“, in: School Effectiveness and School Improvement, Vol. 12, 2001, No. 1, pp. 7-40Zurück zur Textstelle
  17. Vgl. dazu FN 3 in Teil I; Fritz, Thomas / Scherrer, Christoph: „GATS 2000 – Handelspolitische Weichenstellung für die Bildung“, in: Widersprüche 1/02Zurück zur Textstelle
  18. Vgl. etwa Negts Schlüsselqualifikationen, in: Negt, Oskar: „Kindheit und Schule in einer Welt der Umbrüche“, Göttingen, 1997. Zurück zur Textstelle
© links-netz Februar 2003