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Wie autonom ist die „Selbständige (Hoch-) Schule“?

Ein Bericht über Studien zur globalen Verbetriebswirtschaftlichung von Bildungssystemen

Jürgen Klausenitzer

Gegenwärtig werden in fast allen Bundesländern Modellversuche zur Einführung der Neuen Verwaltungssteuerung (NVS) im Bildungsbereich durchgeführt. Damit sollen die organisatorischen und betriebswirtschaftlichen Kompetenzen von Einzelinstitutionen – Schule und Hochschule – erweitert werden. Begründet wird diese Umstellung von input- (Lehrer, Gebäude, Lehrpläne etc.) zur output-/ ergebnisorientierten Steuerung von Bildungssystemen mit einer Reihe von Gründen – meist pädagogischen, finanziellen und organisationstheoretischen. So z.B. die These: „Selbstständiges Lernen erfordert eine Selbstständige Schule“ (H. G. Rolff). Bestimmend ist dabei die Vorstellung, Bildungsinstitutionen durch Wettbewerb zu größerer Effizienz und einer höheren Leistungserbringung bewegen zu können.

Immer wieder wird in den Begründungen auf das schlechte Abschneiden der 15-Jährigen Schüler in der PISA-Studie und auf die Notwendigkeit eines gut qualifizierten Arbeitskräftereservoirs für den internationalen Wettbewerb unter den hochtechnologisch orientierten OECD-Staaten verwiesen. Wie aber sehen die realen Erfahrungen in den Ländern aus, die seit fast zwei Jahrzehnten diesen Umbau in Richtung Wettbewerb und Privatisierung, nationale Curricula und Evaluationsindikatoren vollzogen haben?

Die im folgenden Text wiedergegebenen Ergebnisse von Studien1 zu Folgen dieses Umbaus beziehen sich vornehmlich auf Länder des anglophonen Sprachbereichs. Deshalb ist es notwendig, in Rechnung zu stellen, dass die historischen, politischen und ökonomischen Bedingungen der verschiedenen Länder eine Übertragung von Erfahrungen nicht erlauben. Nichtsdestotrotz ist es im Kontext der Internationalisierung und Schaffung von supranationalen Institutionen wichtig, die zentralen Züge der neo-liberalen Rekonstruktion und deren Folgen zu identifizieren. Welche spezifischen Formen der Umbau im jeweiligen national-staatlichen Kontext annimmt, ist eine andere – allerdings zentrale – Frage.

Die gegenwärtigen bildungspolitischen Debatten um Neue Verwaltungssteuerung (NVS) und Autonomie, Schulprogramm und Nationale Standards fügen sich ein „in einen großen gesellschaftlichen Diskurs, der (...) um Deregulierung, Abbau gesamtstaatlicher Wohlfahrt und Fürsorge und um verstärkte Privatisierung kreist” (Preuss-Lausitz 1997, S. 584). Er ist – wie z.B. auch die Übernahme von immer größeren (Teil-) Kosten des Bildungswesens durch private Haushalte – ein Kernstück neo-liberaler Strukturanpassungspolitik.2

Diese Restrukturierung lässt sich beobachten seit mindestens 15 Jahren an der Politik der Weltbank in den Entwicklungsländern, sowie auch in weiten Teilen der OECD- und der so genannten Übergangsländer des ehemaligen Ostblocks. Längst ist es nicht mehr die Frage, ob es einen solchen Prozess des „policy learning” überhaupt gibt, sondern in welchen Formen er sich im Detail vollzieht (etwa der Harmonisierung, der Standardisierung oder der zwangsweisen Übernahme im Rahmen von an Konditionalitäten gebundenen Krediten; vgl. Dale 1999). In den Entwicklungsländern betreibt die Weltbank im Rahmen der Strukturanpassungsprogramme (SAP) eine Bildungspolitik, die sich – im Rahmen der Rhetorik von Armutsreduzierung und Wachstumsförderung – an den Zielen verbesserter Zugang zu Grundbildung, Chancengleichheit, Qualitätsverbesserung und Beschleunigung von Reformen orientiert.

Im Rahmen der von dieser Strukturanpassungs-Politik verfolgten Rückführung staatlicher Aufgaben im öffentlichen Sektor bedeutet diese Politik praktisch u.a.:

  • erhöhte Beiträge privater Haushalte und Gemeinden zu Bildungsfinanzierung;
  • die Reduktion von Subventionen und credit markets für sekundäre und tertiäre Bildungswege;
  • die Dezentralisierung der Bildungsinstitutionen und der Schulverwaltung zum Zweck der Steigerung der internen Effektivität und der Kostenreduzierung, aber auch der Privatisierung (vgl. Jones 1977 und Carnoy 1995).

Damit gehen Maßnahmen der Rationalisierung einher, z.B. dadurch dass man die Klassenfrequenzen erhöht, die Lehrerzahl in den Schulen reduziert, die Gehälter senkt, usw.3

Phillip W. Jones zieht in seiner Analyse der Bildungsfinanzierung durch die Weltbank den Schluss, dass diese Politik „was intended for global application as part of the emerging role of the bank as a promotor of an integrated world economy” (Jones 1977, S. 125; vgl. auch Jones 1992). In Deutschland hat diese Restrukturierung des Bildungssystems Ende der 90er Jahre erst nach einer langen Phase der De-Legitimierung4 der staatsbürokratisch Steuerung begonnen.

Im Folgenden soll die international vergleichende Studie von Whitty, Power und Halpin (1998) ausführlicher vorgestellt werden. Diese Studie untersucht die in fünf OECD-Ländern erfolgte Restrukturierung des Bildungswesens nach Maßgabe von Markt und Management im Rahmen gesamtgesellschaftlicher Strukturanpassungen. Sie wird ergänzt mit Hinweisen auf Ergebnisse von Studien von Stephen Ball u.a. zu den Folgen des Umbaus von drei Londoner Schulbezirken nach der Einführung von Markt- und Management-Elementen in die Bildungsverwaltung unter der Thatcher-Regierung Ende der 80er Jahre. Diese Studien können dazu verhelfen, die Diskussion um die Frage nach den Folgen der Restrukturierung auf eine empirisch fundierte Grundlage zu stellen; sie können auch als Beitrag zur Diskussion um den globalen Charakter dieses Paradigmenwechsels gesehen werden.

In einer Reihe von Ländern, meist anglophone OECD-Staaten, sind die Debatten um die Restrukturierung des Bildungswesens und deren reale Umsetzungsstrategien weiter fortgeschritten als in der Bundesrepublik Deutschland. Da in den öffentlichen Auseinandersetzungen hierzulande vielfach institutionelle Einzelprobleme (Schulprogramm, Evaluation, Bildungsfinanzierung etc.) im Vordergrund stehen, ist es nützlich, sich Erfahrungen anzusehen, die in anderen Ländern mit der Restrukturierung des Bildungswesens unter ähnlichen gesellschaftspolitischen (kapitalistischen) Bedingungen gemacht worden sind, vor allem wenn – wie dies bei dem hier vorgestellten Buch der Fall ist – bildungspolitische Aspekte in den Kontext allgemeiner gesellschaftlicher und ökonomischer Entwicklungen gestellt werden.

Bei aller institutionellen und inhaltlichen, historischen und politischen Differenz, die sich hinter Begriffen wie „Dezentralisierung” verbergen, sind gemeinsame Züge der Restrukturierung des Bildungswesens in den in diesem Buch untersuchten Ländern nicht zu übersehen: bei allen dominiert die neo-liberale Version veränderter Steuerungsregularien mit Betonung auf Einführung von Marktmechanismen, neuen Steuerungsmodellen in autonome(re)n Schulen und externe Kontrolle zur Steigerung von Qualität, Effizienz und Effektivität qua zentralbestimmter Performanz-Indikatoren. Der Staat steuert zunehmend aus der Ferne qua Indikatoren und verschiebt Konflikte auf die Ebene, wo Lehrer und Schulen um immer knapper werdende Ressourcen konkurrieren. Bildung – wie auch Gesundheit – wird in nach Marktgesetzen strukturierten kapitalistischen Gesellschaften zunehmend als Ware angeboten.

Zur Erklärung dieser internationalen Entwicklung, die theoretisch und z.T. auch praktisch seit rund 20 Jahren u.a. von Weltbank und OECD vorangetrieben wird, werden von den Autoren unterschiedliche Ansätze andiskutiert: ob neo-fordistisch oder post-modern – sicher ist, dass die Restrukturierung des Bildungswesens, seiner Finanzierung und seiner Regulationsmodi Teil einer umfassenden Umstrukturierung des Wohlfahrtsstaats kapitalistisch organisierter Gesellschaften zum „Wettbewerbsstaat” ist und diese legitimatorisch begleitet qua Stärkung des Leistungsprinzips und verschärfter Selektion. Integraler Bestandteil dieser Politik ist auch die implizite Annahme, durch die Restrukturierung des Bildungswesens könnten, über Kostenreduzierungen hinaus, strukturelle Probleme der kapitalistischen Weltökonomie gelöst werden (symptomatisch dafür ist z.B. Blairs zentrale Politik-Forderung „education, education, education” und die Reformulierung der Humankapital-Theorie).

Die Autoren stellen am Beispiel der Länder England und Wales, Australien, Neuseeland, USA und Schweden Entwicklungen des öffentlichen Schulwesens in den letzten ca. 15 Jahren dar, die seit Mitte der 90er Jahre auch in Deutschland unter den Begriffen „Paradigmenwechsel”, „steuerungsstrategische Umorientierungen” oder „Dezentralisierung und Autonomie” diskutiert werden. Dabei machen die Autoren zweierlei: Sie konfrontieren die mit den Begriffen von Wahlfreiheit (im englischen: choice, Möglichkeiten der Eltern, Schulen jenseits der Schulbezirksgrenzen zu wählen), Vielfältigkeit (diversity), Autonomie, Effizienz, Effektivität und vergrößerter Professionalität verbundenen Ansprüche und Erwartungen mit den realen Entwicklungen in diesen Ländern und überprüfen, was von dieser Rhetorik Bestand hat; und sie unternehmen, zweitens, den Versuch, die meistens beschränkten Reformansätze im Kontext ihrer allgemeinen politisch-ökonomischen Bedingungen zu diskutieren und damit die „sociological naivity” weiter Teile der erziehungs- und sozialwissenschaftlichen Forschung zu überwinden.

Die neo-liberale Restrukturierung des Bildungswesens wird zudem untersucht unter dem Gesichtspunkt ihrer Auswirkungen auf den Anspruch auf (Chancen-) Gleichheit „benachteiligter Gruppen“ dieser Gesellschaften. Die Untersuchung endet mit der Diskussion der Frage, ob es Alternativen gibt jenseits des neo-liberalen Reformmodells, ohne auf bürokratisch-paternalistische Strukturen zurückzugreifen.

Die länderspezifische Darstellung der aktuellen bildungspolitischen Entwicklungen macht deutlich, dass bei aller Verschiedenheit der jeweils unterschiedlichen Bedingungen die allgemeine Entwicklungsrichtung der Bildungspolitik in den fünf Ländern ein beträchtliches Ausmaß an Konsistenz aufweist: die Restrukturierung des öffentlichen Schulwesens beinhaltet in allen fünf Ländern Maßnahmen zur Verlagerung von Finanz- und Managementkompetenzen an untere Verwaltungsgliederungen, Stärkung der elterlichen Schul-Wahlfreiheit (manchmal zusammen mit so genannten Vouchers/Gutscheinen). Diese Maßnahmen zur Deregulierung gehen – scheinbar paradoxerweise – einher mit Maßnahmen zur Stärkung zentralstaatlicher Instanzen, vor allem im Bereich der Curricula und der Qualitätskontrolle (qua Prüfungen, Tests, Evaluationen mit Hilfe zentral festgelegter Indikatoren und Anforderungslevels).

Im anschließenden Kapitel untersuchen die Autoren vier für die neue Bildungspolitik zentrale Komplexe, die auch für die Kritik am bestehenden (staats-bürokratischen) Schulwesen und die Entwicklung neuer Ansätze wesentlich sind: die Einführung neuer Steuerungsmodelle (new public management, corporate management); die Auswirkungen der veränderten Bedingungen auf die Lehrerarbeit (empowerment or intensification); die Folgen dieser Veränderungen für die Qualität des Unterrichts und die Curricula; und abschließend die Frage nach verbesserten Möglichkeiten elterlicher Kontrolle und Einflusses der (Schul-)Gemeinde auf Inhalt und Verlauf schulischen Lernens und die (neue) Rolle der Eltern als Konsumenten am Bildungsmarkt. Die Ergebnisse werden im Folgenden skizziert, bevor am Ende die Diskussion von Alternativen kurz aufgenommen wird.

Schulmanager und Bildungsmarkt: Wie im öffentlichen Denken allgemein lässt sich auch im Bildungsbereich der fünf hier untersuchten Länder ein starkes Vordringen von Management-Theoremen in Vorstellungen, Bewusstsein, Sprache als auch in reale Handlungsperspektiven feststellen. Sie basieren weitgehend auf der Übernahme von Annahmen, dass alle gesellschaftlichen Organisationen nach den gleichen Prinzipien und Werten – hier vor allem dem der Effizienz – strukturiert sein müssten und dass sich Organisationen (kapitalistisch) wirtschaftlichen Handelns quasi natürlich als Vorbild anbieten. Aus diesem Grund wird Führungsqualitäten im Rahmen der „business values” auch ein besonderer Stellenwert zugewiesen. Es wird auch zunehmend nicht länger davon ausgegangen, dass Lehrertätigkeit eine notwendige und angemessene Voraussetzung für Verwaltungsaufgaben in der Schule darstellt. Die zu beobachtende Übernahme von Handlungs- und Bewertungsparametern aus dem Management schlagen sich u.a. in folgenden Entwicklungen nieder:

Übernahme von Verwaltungsaufgaben, die vorher auf anderen Ebenen der Schulverwaltung erledigt wurden;

Polarisierung von Lehrern und Leitungsteams an der Spitze der Schulen, wobei sich das Leitungsteam nun – auch auf Grund der finanziellen Drucks durch den Markt – sich eher als „chief executives” denn als Pädagogen verstehen und verhalten;

Ersetzung von professioneller Kollegialität durch Prinzipien des „corporate management”; Partizipation ist mehr symbolisch als real;

Die Mitglieder der Schulleitung sind aber durchaus nicht nur als „Gewinner” zu begreifen, sie sind einem zweifachen Druck ausgesetzt, dem des Marktes (Eltern als Konsumenten) und dem der zentral definierten und verbindlich vorgegebenen Beurteilungs- und Erfolgskriterien der Evaluationen und league tables, auf die sie keinen wesentlichen Einfluss haben.

Die Ergebnisse der Studien von Stephen Ball in drei Londoner Schulbezirken machen deutlich, dass der über den Markt vermittelte Druck auf die Schulen eine zunehmende Verengung der Pädagogik auf quantitativ messbare Effizienzkriterien zur Folge hat. Er zwingt die Schulen, ständig ihren Marktwert zu verbessern durch sichtbare, messbare und nach außen vorzeigbare Indikatoren der Qualitätsmessung, wie z.B. Examensergebnisse, Schulgebäude etc. Bei gleich bleibenden, bzw. sich verringernden finanziellen Ressourcen bedeutet das eine Vernachlässigung von Erziehungsaufgaben, die jenseits dieser instrumentellen Ziele liegen. Das geht vor allem zu Lasten von Schülern mit Lern- oder Verhaltensschwierigkeiten. Diese sind konfrontiert mit einer zunehmenden Tendenz, dass ihnen immer weniger professionelle Zuwendung zur Verfügung steht und dass sie gegebenenfalls ganz vom Unterricht ausgeschlossen werden. Sie werden den Schulen überlassen, die nicht so nachgefragt und damit auf Neuzugänge von Schülern angewiesen sind. Deshalb stellen die Autoren fest, dass die Verbesserung der Leistungen und damit der Position der einen Gruppe von („guten“) Schulen („star schools“) nur gelingt um den Preis der Bildung einer Gruppe von unterfinanzierten, mit Problemschülern belasteten Schulen – der sogenannten „sink schools“.

Markt und Management erweisen sich in diesen Gesellschaften als indirekte Form der Kontrolle, wobei der Zentralstaat in der Lage ist, einerseits strikte Kontrolle auszuüben über das, was die „autonomen” Schulen tun sollen, und gleichzeitig die Verantwortung auf Schule (und Eltern) zu verlagern für den Fall, dass Konflikte aufbrechen (siehe dazu Weiß, M., 1998, S. 23 und 27).

Veränderte Lehrerarbeit: Die Reformen der neuen Bildungspolitik erheben u.a. auch den Anspruch, die Lehrerarbeit qualitativ zu verbessern, da sie sich nun – befreit von bürokratischer und politischer Gängelung – auf Grund verbesserter Voraussetzungen an den mit größerer Autonomie versehenen Schulen freier entfalten kann. Die Rede ist von „empowering the teachers” und „high employee involvement”, aber in der Praxis erweisen sich die Lehrer eher als Objekt von Politik und Verwaltung, und die Angebote von Partizipation erweisen sich eher als symbolisch denn als real. Der Arbeitsalltag der Lehrer ist in Folge von neu eingeführten Techniken der Rechenschaftspflicht und Kontrolle durch zunehmende Verdichtung, Extensivierung und Präkarisierung der Arbeitsverhältnisse gekennzeichnet.

Die Gewerkschaften werden in dieser Situation, in der die einzelnen Schulen um Quoten und Rangplätze kämpfen, als kollektive Interessenvertretung geschwächt. Das „empowering of teachers” stellt sich in der Regel eher als Deprofessionalisierung dar. Einsicht in die politischen Bedingungen dieser Entwicklung wird aber erschwert durch eine sich ausbreitende Ideologie des „Professionalismus”, bei dem zunehmend die Vorstellung des Lehrers als „reflexive professional” ersetzt wird durch die des Technikers von Lehr- und Lernprozessen.

Veränderungen im Curriculum und Unterricht: Neben der Einführung von Marktkräften sind zentral definierte Curricula, nationale Bildungsstandards und Prüfungen Schlüsselelemente der Reform, mit Hilfe derer die Rechenschaftspflicht von Lehrern sichergestellt werden soll. Zugleich sollen zentral definierte, standardisierte Performanzindikatoren die Steuerungsfähigkeit des Staates sicherstellen, ohne sich in die Niederungen von Konflikten vor Ort einlassen zu müssen, zum anderen sollen die in Leistungstabellen (league tables) zusammengefassten lndikatoren auch den Eltern Hinweise auf Leistungsfähigkeit der Einzelschulen geben.

Aber gibt es überhaupt den von Befürwortern der Reform behaupteten Zusammenhang von autonomer oder selbstständiger Schule (self-managed school) und verbesserter Leistungsfähigkeit? Empirische Untersuchungen legen den Schluss nahe, dass es diesen behaupteten Zusammenhang so nicht gibt; viele Studien übersehen, dass bei Einführungen von Reformen vor allem Veränderungen des zentralen Faktors „input characteristics” (vor allem Schülerklientel) kurzfristig dafür verantwortlich sind, dass Leistungen autonom verwalteter Schulen sich verbesserten – aber keine Aussagen zulassen zum Verhältnis von autonomen Status der Schule und ihrer Fähigkeit zur Leistungserbringung (Weiß, Manfred, 2003, 12; Gewirtz, S., 2002, 91f).

Auch im Hinblick auf das Verhältnis von autonom verwalteten Schulen und einer effektiveren Ressourcenverwaltung zum Zweck verbesserter Schülerleistungen lassen sich (so die Autoren) behauptete Erfolge der Restrukturierung nicht nachweisen: vielmehr gehen größere Anteile finanzieller Ressourcen in an der Einzelschule zunehmende Verwaltung und in Aufwendungen aufwendiger Marketingstrategien. Self-managed schools könnten unter Umständen Kräfte für eine verbesserte Lehr- und Lernsituation freisetzen; dies ist aber nur ein Faktor, neben dem Fortbildung und die Entwicklung von gut zugänglichen Informationssystemen von Bedeutung sind. Aber gerade die kommen im Rahmen einer auf Spareffekte orientierten Reform immer mehr unter Druck.

Was in all den hier diskutierten Ländern zu beobachten ist, ist die Entwicklung einer ausgeprägteren Prüfungskultur (new culture of assessment); an die Stelle der Bereicherung von Möglichkeiten des Lernens tritt zunehmend die Orientierung an der Überprüfbarkeit der Leistungen (performativity). Statt des (Bildungs- und Erziehungs-) Prozesses tritt die Bedeutung des Ergebnisses (output rather than process) in den Vordergrund. Dies hat insofern gravierende Folgen für den Lehr- und Lernprozess, als es das Unterrichtsgeschehen auf die Prüfungen hin orientiert (teaching to the test) und das Curriculum zu konsumierbaren Päckchen verschnürt. Beobachter sprechen von einem Wiederbeleben eines pädagogischen Traditionalismus und einem reduzierten Professionalismus bei den Lehrern, da offene, explorative und integrative Formen des Unterrichts durch stärker strukturierte und ergebnisorientierte verdrängt werden.5

Die Autoren stellen für die hier diskutierten Länder eine immer stärker werdende kommerzielle Durchdringung nicht nur des Curriculums, sondern auch des ganzen Bildungswesens und seiner Werte fest: Statt Gemeinschaft, Kooperation und Gleichheit werden Individualismus, Wettbewerb, Leistung und Differenz gestärkt. Während der zu vermittelnde Inhalt zunehmend Erbe und Tradition betont, ist die Form der Vermittlung immer stärker geprägt durch eine Kultur individueller und institutioneller Konkurrenz/Wettbewerb und durch den immer stärker hervortretenden Warencharakter von Bildung.

Die selbstständige Schule und die (Schul-) Gemeinde: Die Konzepte von Dezentralisierung sind zumeist begleitet von Strategien, die eine Stärkung der (Schul-) Gemeinde und der individuellen (Schul-)Wahl von Eltern beinhalten mit der Begründung, dass das alte Schulsystem einseitig bestimmte gesellschaftliche Gruppen, vor allem die Mittelschicht, bevorteilt hätten. Es ist zu beobachten, dass bei Neugründungen (wie z. B. bei den Charter Schools in den USA) als auch bei bestehenden Institutionen die traditionell einflussreichen Vertreter der mittelständischen Eltern – und da mit deutlichem Übergewicht Repräsentanten der Geschäftswelt – weiterhin dominieren. Das wird auch deutlich selbst in Neuseeland, wo zu Beginn der Schulreform großer Wert auf Gleichheit und Stärkung der Infrastruktur im Bildungsbereich gelegt wurde. Elternvertreter der lokalen Gemeinden sind deutlich unterrepräsentiert, und Schulen aus Gemeinden mit Niedrigeinkommen scheinen kaum in der Lage zu sein, aus den verbesserten Bedingungen elterlicher Vertretungen in der Schulverwaltung Nutzen zu ziehen. Die Autoren zitieren eine Reihe von Untersuchungen, die den Schluss zulassen, dass die Realität weit hinter der Rhetorik von „community empowerment” zurückbleibt.

Von daher wird es als unwahrscheinlich angesehen, dass die in den hier untersuchten Ländern verstärkt betriebene Einbeziehung von Eltern dazu beiträgt, die Verteilung von „winners and losers” neu zu strukturieren oder gar aufzuheben.

Die Studien Balls machen deutlich, dass es das in der neoliberalen Theorie unterstellte Konstrukt eines universellen Konsumenten nicht gibt, sondern dass der Prozess des Wählens einer Schule geprägt ist von den sozialen, kulturellen und ökonomischen Bedingungen, unter denen Eltern mit ihren Kindern leben. Für die Schulwahl ist dabei von besonderer Bedeutung, welche Vorstellungen Eltern von einer „guten Schule“ haben, wie sie Mobilität bewerten und ob sie gegebenenfalls für den Besuch entfernterer Schulen über die entsprechenden notwendigen finanziellen Mittel verfügen, in welchem Maße der Schulbesuch in die innerfamiliäre Arbeitsteilung eingepasst werden kann, welchen biographischen Planungshorizont die Eltern mit dem Schulbesuch ihrer Kinder verbinden, und vor allem, über welche kulturellen Kapazitäten sie verfügen, die notwendig sind, um die bei der Schulwahl wesentlichen Symbole dekodieren zu können. Schon vorhandene Ungleichheiten der Lebenslagen werden dadurch reproduziert und verstärkt.

Die Marktkräfte haben laut Ball zu verschärfter sozialer Selektion beim Zugang zu Schulen geführt. Der Kampf um gute, d.h. wenig verhaltensauffällige und leistungsfähige Schüler, für die die Aufwendung von Zeit in der Schule in einem günstigen Kosten-Nutzen-Verhältnis steht und die auch auf Grund ihrer guten Werte bei allen relevanten Qualitätsindikatoren (akademische Leistung, ordentliches Verhalten, niedrige Schwänz- und Abbruchraten) dazu beitragen, den Rangplatz und damit das Image und die ökonomische Potenz der Schule zu verbessern (vgl. dazu Gordon/Whitty 1997) – dieser Kampf führt dazu, dass sich das traditionelle, akademische Modell der grammar schools bei Eltern und Schulen als Orientierung durchsetzt.

Nicht dass die Reproduktion ungleicher sozialer Lebenschancen durch das Schulsystem strukturell neu wäre: aber statt Chancengleichheit zu fördern, verschärft die Organisation von Bildungsmärkten die soziale Selektion durch die Schule und damit die soziale Ungleichheit allgemein6.

Über den Zusammenhang von Autonomie, Effektivität, Effizienz und Gleichheit: Der autonomen Schule wird von ihren Befürwortern eine positive Beziehung zwischen ihren institutionellen Merkmalen und einer besonders effizienten und effektiven Arbeitsweise zugeschrieben. Aber weder im Hinblick auf Schülerleistungen noch auf Innovationsneigung gibt es, so Whitty u.a., Belege für besondere Effizienz und Effektivität. Wesentliche Merkmale, die die Schuleffektivitätsforschung als Faktoren einer „guten Schule” identifiziert haben (z. B. die Bedeutung von professioneller Leitung, Konsens über Werte und Ziele, Konzentration auf Quantität und Qualität von Lehren und Lernen, unterstützende Kooperation zwischen Schule und Eltern) sind in autonomen Schulen nicht häufiger zu finden als in ‚normalen‘. Im Übrigen weisen die Autoren darauf hin, dass sich bestenfalls Korrelationen, keinesfalls aber kausale Zusammenhänge zwischen diesen Merkmalen und einer „guten Schule” feststellen lassen. Externe Charakteristika von Schulen (z.B. Schülerklientel) sind auf Grund einer Reihe von Untersuchungen von weit größerer Bedeutung (sie werden von verschiedenen Studien mit 90 bis 95% quantifiziert) als organisatorische Eigenschaften von Schulen.

Die Frage, ob autonome Schulen finanziell effizienter arbeiten als herkömmliche, ist in der angelsächsischen Diskussion sehr umstritten, deutlich ist aber, dass die Kosten-Effizienz-Berechnungen weder die zusätzlichen Kosten für das Marketing der Einzelschulen noch die erheblichen Kosten für die umfangreichen zentralstaatlich vorgegebenen Prüfungen und Evaluationen einbeziehen.

Whitty/Power/Halpin bestätigen Ergebnisse von Untersuchungen der englischen Schulreformen, z. B. von Ball und Gewirtz, wonach autonome Schulen und Elternwahlfreiheit, also die Einführung von neuen Steuerungsmodellen und Marktelementen, qua selektiver Aufnahmepolitik (cream-skimming) an den am meisten nachgefragten Schulen zu einer Polarisierung von „star and sink schools” führten. Die von den Befürwortern des Paradigmenwechsels in Aussicht gestellte zunehmende Vielfalt (diversity) in Folge der Wahlfreiheit (choice) erweist sich als Illusion, solange Schulen entlang einer eindimensionalen Skala akademischer Leistungen bewertet werden. Ganz im Gegensatz zu den Ansprüchen und Erwartungen der neuen Schulreformer, wonach „choice” und „diversity” gesellschaftliche Benachteiligung zu beheben in der Lage wären, verschärft diese Reform die soziale Situation der ohnehin schon benachteiligten Gruppen. Von daher kann man die These formulieren, dass das objektive Ziel dieses Paradigmenwechsels in der Bildungspolitik darin zu sehen ist, mit größerer sozialer Differenzierung und verschärfter Selektion die Phase der auf größere Chancengleichheit abzielenden Bildungsreform zu endgültig beenden. Die Rhetorik von Autonomie, Dezentralisierung und elterliche Wahlfreiheit sind in diesem Kontext Mittel, staatliches Handeln zu legitimieren (vgl. Weiler 1990).

Wenn die seit ca. 20 Jahren vorgenommene Restrukturierung des Bildungswesens nach den Paradigmen von Markt und Management zu einer deutlichen Verschärfung gesellschaftlicher Gegensätze führt statt zu ihrer Behebung, wie ernst kann man den Anspruch auf verbesserte Chancengleichheit – ohne den offensichtlich bildungspolitische Reformen in demokratischen Gesellschaften nicht formuliert werden können – noch nehmen? – Ausgangspunkt der Überlegungen der Autoren am Ende ihres Buches ist der Umstand, dass der Wohlfahrtsstaat, insbesondere im Bildungsbereich, an Legitimation verloren hat, weil er seine Ansprüche nicht hat einlösen können (Mittelklassenorientiert hat er autoritäre und patriarchalische Strukturen und Abhängigkeiten verstärkt) und unter massiven Druck neo-liberaler Reform gerät. Sie stellen sich die Frage, ob es möglich ist, die positiven Aspekte von Wahlfreiheit und Autonomie zu realisieren, ohne die oben beschriebenen Konsequenzen in Kauf nehmen zu müssen. Sie gehen davon aus, dass unter den gegebenen Bedingungen einer an der Senkung der Staatsquote orientierten Restrukturierung des Wohlfahrtsstaats und des Bildungswesens sich dies nicht realisieren lasse.

Welche Alternativen bieten die Autoren an? – Sie plädieren für ein öffentliches Schulwesen, das – statt individualisierte Orientierungen zu stärken – kollektive Verantwortlichkeit für das Bildungswesen festigt, ohne gleichzeitig bürokratische Strukturen zu stärken, die ja gerade zur Delegitimierung des staatsbürokratischen Modells beigetragen haben. Chancen für eine solche Entwicklung sehen die Autoren in einer Stärkung demokratischer Kräfte der „civil society”, die einzig in der Lage seien, Alternativen zu entwickeln zum staatsbürokratischen und als auch zum neoliberalen Modell der Reproduktion sozialer Ungleichheit. Da die gesellschaftliche Entwicklung gekennzeichnet sei von zunehmender kultureller (d.h. auch ethnischer) und ökonomischer Differenz, müssten Alternativen eines „truly public educational system” deshalb auf der Anerkennung kulturell-ethnischer Differenz beruhen, aber vor allem auf einer Politik ökonomischer Umverteilung, ohne die eine Perspektive gesellschaftlicher Gleichheit nicht zu haben ist. Obwohl die Autoren am Ende des Buches Möglichkeiten der Stärkung der „civil society” durch Kombination von repräsentativer und partizipatorischer Demokratie, durch Stärkung von „citizenship”, von „associative democracy” diskutieren, bleiben Alternativen (wahrscheinlich notwendigerweise) schemenhaft und unklar.

Die Stärke des Buches von Whitty, Power und Halpin liegt in breit fundierten Analysen realer Entwicklungen in fünf Ländern, die die Autoren mit den Ansprüchen der Reform konfrontieren. Die Ansprüche erweisen sich zum großen Teil als ideologisch, weil sie eingebettet sind in neoliberale Reformen zur Restrukturierung des Sozialstaats, die auf eine Verschärfung sozialer Ungleichheit hinauslaufen, und dass sie diese legitimieren. Welche gesellschaftlichen Kräfte allerdings ein „truly public education system” zu realisieren in der Lage sind, bleibt offen.

Auf Grund der Analyse der Studie von Whitty u.a. wird zweierlei deutlich:

  • es gibt einen globalen Diskurs zur Restrukturierung der nationalen Bildungssysteme; dieser Diskurs ist im Kern geprägt von dem so genannten „Washington Consensus”7, d.h. im Wesentlichen von Politikmaßnahmen wie Privatisierung, Deregulierung und new public managment; und
  • dieser Diskurs ist eingebettet in Bemühungen, Nationalstaaten zu „Wettbewerbsstaaten” umzustrukturieren und international organisatorisch verbindliche Rahmenbedingungen zu schaffen, die ein „Regieren ohne Regierung” ermöglichen (governance without government, so z.B. IMF und WB, OECD, G-7, EU, NAFTA, ASEAN etc.; vgl. Rosenau 1992; Jones 1998).

Beide Bemühungen sind darauf gerichtet, die Wachstums- und Produktivitätskrise der kapitalistischen Gesellschaften durch die Internationalisierung der Produktion und des Handels zu überwinden. Die Politikmaßnahmen im Bildungsbereich sind in diese regionalen und/oder globalen Bemühungen systematisch eingebunden durch sektorspezifische Strategien der Kostenminderung. Die Studie von Whitty u.a. macht deutlich, dass die Aussage von Phillip W. Jones: „For the first time there is unambiguous consonance between the WB's economic, political and ideological goals and those of its education sector” (Jones 1998, S. 178), auch für die OECD8 gilt, auch wenn der unmittelbare Zweck in Entwicklungs- und Industrieländern (Schuldendienst – Senkung der Staatsquote) unterschiedlich ist. Die Existenz eines solchen mehr oder weniger globalen Diskurses gibt Auskunft über die Intentionen der beteiligten Staaten und multilateralen Institutionen, nicht aber automatisch über den jeweils nationalstaatlich bestimmten, konkreten Charakter der Umsetzung der Politikrezepte, ebenso wenig wie über die Erfolgsaussichten ihrer Anwendung (Dale, R. und Robertson, S., 2002).

Die Formulierung eines als allgemein verbindlich erachteten Pakets von neo-liberalen Politikmaßnahmen über alle Differenzen der verschiedenen Gesellschaften hinweg, lässt deutlich werden, dass hinter aller Reformrhetorik das Interesse an Kostenreduzierung und Rückführung der Staatsausgaben grundlegend ist. Darüber hinaus verweist aber der eklatante Widerspruch zwischen reformpädagogisch getöntem Anspruch (Autonomie, Chancengleichheit, empowerment von Eltern und Gemeinden, Armutsminderung...) einerseits und der realen Verschärfung gesellschaftlicher Ungleichheit in Folge der neo-liberalen Politikmaßnahmen andererseits auf den ideologischen Charakter der „Autonomie”-Debatte: Der „Autonomie und Eigenverantwortungs“-Diskurs, der die Restrukturierung begleitet, soll staatliches, Konflikte verschärfendes Handeln legitimieren und gefährdete gesellschaftliche Kohärenz sichern: „Damit (Privatisierung, JK) können die staatliche Verantwortung für das Schulwesen auf formale, finanzielle Aspekte begrenzt und der 'schwarze Peter' aller Erziehungskrisen, die mit der Schule in Verbindung gebracht werden können, an die entstaatlichte Schule – und damit an die Lehrer delegiert werden.” (Preuss-Lausitz 1997, S. 585) 9 Angesichts der immer dünner werdender Verschränkung von öffentlicher Debatte und politischen Entscheidungsverfahren dienen Argumentationsweisen wie die vom „Zuwachs pädagogischer Gestaltungsfreiheit” (Preuss-Lausitz 1997, S. 584) und die Rede von Eigenverantwortung angesichts verknappter Ressourcen, organisierter Arbeitslosigkeit, prekärer Arbeitsverhältnisse und einer immer größer werdenden Anzahl von ‚Unternehmern der eigenen Arbeitskraft‘ offensichtlich nur noch einer „kompensatorischer Legitimation” und Konfliktmanagement (Weiler 1990).

Auf Grund der Tatsache, dass sich große Teile der Gewerkschaften haben einbinden lassen in korporatistische Wettbewerbsbündnisse zur Sicherung von Weltmarktanteilen, sind Vorstellungen von Alternativen zum gegenwärtigen Paradigmenwechsel rarer denn je. Deshalb besteht die Gefahr, dass auch gewerkschaftlich organisierte Lehrer gegenwärtig der Ideologie von Autonomie und Eigenverantwortung nicht mehr entgegenzusetzen haben als die (notwendige) Verteidigung des status quo. Für den lässt sich aber nur schwer mobilisieren ohne Vorstellungen einer zukunftsfähigen Konzeption einer auf gesellschaftliche Gleichheit und individuelle Autonomie gerichteten Bildung. Die vom Sachverständigenrat (SVR) bei der Böckler-Stiftung (1998, S. 11) mit dem Hinweis auf „verbreitete Folgenlosigkeit des sorglosen Umgangs mit Geld und Zeit” intendierte betriebswirtschaftlich optimalere Nutzung von Ressourcen nach Maßgabe der Humankapital-Theorie ist sicher nicht die ideale Voraussetzung für schulische Bedingungen, die sich nicht zuletzt an der Förderung von Welt- und Selbsterkenntnis, individueller Identitätsfindung und persönlicher Autonomie orientieren.

Das gegenwärtige organisatorisch-rechtliche System der Schule ist in der Tat ein Skandalon im Hinblick auf die Verschwendung menschlicher Lebenszeit. Die neo-liberalen Rezepte à la Weltbank, OECD, SVR und Bertelsmann-Stiftung beinhalten allerdings Antworten, die – bei aller Angst um die gesellschaftliche Kohärenz – die Probleme auf die Spitze treiben werden, weil sie darauf setzen, dass die Menschen die immer größer werdende Ungleichheit weiter akzeptieren werden.

Es besteht also die dringliche Aufgabe, mit den Autoren darüber nachzudenken, was Qualität von Schule, Vielfalt und gleicher Anspruch, was individuelle Autonomie und Eigenverantwortung jenseits von bürokratischer Schule und der Vermarktlichung aller Lebensbereiche heißen könnte. Gewerkschaften, die sich nicht als Partner in nationalstaatlichen Wettbewerbsbündnissen begreifen, sondern „jenseits staatlicher Institutionen festere Formen internationaler Kooperation und Kommunikation” (Hirsch 1995, S. 192) aktiv fördern, kommen allerdings nicht darum herum, über nationale und internationale Bildungspolitik jenseits des neo-liberalen Paradigmenwechsels nachzudenken.

Literatur

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Ball, Stephen, J.: Education Reform. A critical and post-structural approach, Buckingham/Philadelphia 1994

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Carnoy, Martin 1995: Structural adjustment and the changing face of education. In: International Labour Review. 134, Nr. 6, S.653

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Dale, Roger, Robertson, Susan, 2002, The Varying Effects of RegionalzOrganisations as Subjects of Globaization of Education, in: Comparative Education Review, vol. 46, no.1, S. 10-36

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Jones, Phillip W. 1998: Globalisation and Internationalism: democratic prospects for word education. In: Comparative Education. 34, 1998, 2, S. 153

Klausenitzer, Jürgen 1999: Wider die Risiken der Schulautonomie. Sollen Markt und Management die Bildungspolitik verändern? In: Die Deutsche Schule. 91, 1999, 1, S. 6-10

Klausenitzer, Jürgen 2002, Altes und Neues – Anmerkungen zur Diskussion über die gegenwärtige Restrukturierung des deutschen Bildungswesens. In: Widersprüche 83, , S. 53-68

Klausenitzer, Jürgen 2002, PISA – Einige offene Fragen zur OECD-Bildungspolitik, in: Widersprüche 83, Sept., 55-69

Preuss-Lausitz, Ulf 1997: Soziale Ungleichheit, Integration und Schulentwicklung. In: Zeitschrift für Pädagogik. 43, 1997, 4, S. 583-596

Reimers, Fernando 1994: Education and Structural Adjustment in Latin America and Sub-Saharan Africa. In: Int. Journal of Educational Development. 14, 1994, 2, S. 119-129

Rosenau, J. (ed.) 1992, Governance without Government. Cambridge

Sachverständigenrat Bildung bei der Hans-Böckler-Stiftung 1998: Für ein verändertes System der Bildungsfinanzierung. Diskussionspapier Nr. 1. Düsseldorf

Samoff, Joel 1995: Reconstruction of Schooling in Africa. In: John, J. Lane (ed.): Ferment in Education. A Look Abroad. Chicago, S. 9-57

Torres, Rosa-Maria 1995: Improving Basic Education? World Bank Strategies, UNICEF

Weiler, Hans N. 1990: Decentralisation in educational governance – an exercise in contradiction? In: Granheim, Marit u.a. (eds): Evaluation as policymaking, London 1990

Weiler, Hans N. 1983: Legalization, Expertise, and Partizipation. Strategies of Compensatory Legitimation in Educational Policy. In: Comparative Education Review. 27, 1983, 2, S. 259

Weiß, Manfred, 2003, Keine Leistungsüberlegenheit, in: Erziehung und Wissenschaft, 3, 2003, S. 12

Whitty, Geoff; Sally Power, David Halpin 1998: Devolution and Choice in Education. The School, the State and the Market. Buckingham-Philadelphia: Open University Press

Williamson, J. 1993: Democracy and the „Washington Consensus”. In: World Development. 21, 1993, 8, S. 1329-1336

Anmerkungen

  1. Geoff Whitty, Sally Power, David Halpin: Devolution and Choice in Education. The School, the State and the Market. Buckingharn-Philadelphial: Open University Press, 1998; Ball, Stephen, J.: Education Reform. A critical and post-structural approach, Buckingham/Philadelphia 1994; Gewirtz, S. / Ball, S. J. / Bowe, R.: Markets, Choice and Equity in Education. Buckingham/Philadelphia 1995. Vgl. ebenso Gewirtz, Sharon, The Managerial School, Post-welfarism and Social Justice in Education, London 2002Zurück zur Textstelle
  2. Die Kennzeichnung des Wortes „neoliberal” als „letztlich alles oder nichts sagend(r) Feindbegriff“ (D. Wunder in Hessische Lehrerzeitung 12, 1998) geht an der Sache weit vorbei. (Vgl. Altvater 1981, Williamson 1993).Zurück zur Textstelle
  3. Zu den pädagogischen Folgen dieser im Rahmen der SAP verfolgten Bildungspolitik vgl.: Torres 1995, Reimers 1994, Samoff 1995.Zurück zur Textstelle
  4. Vgl. dazu Jürgen Klausenitzer, Altes und Neues – Anmerkungen zur Diskussion über die gegenwärtige Restrukturierung des deutschen Bildungswesens, in: Widersprüche 83, 2002, S. 53-68Zurück zur Textstelle
  5. In einem privaten Gespräch hat Stephan J. Ball (vgl. Klausenitzer 1999, S. 6) darauf hingewiesen, dass diese Entwicklung ausgeprägter Kontroll- und Prüfungssysteme für Lehrer und Schüler die Gefahr in sich birgt, dass im Kontext eines dermaßen an Kontrollinteressen entlang strukturierten Bildungswesens Qualifikationen (wie z. B. abfragbares Fachwissen, Sekundärtugenden) vermittelt werden, die im Widerspruch stehen zu Intentionen von hochindustrialisierten Staaten mit Interesse an Stärkung ihres (Human Ressource) Potentials (z.B. Problemlösungsverhalten, Fähigkeit zu Transferleistungen und Teamarbeit, Flexibilität) im Rahmen der Konkurrenz von Hochtechnologie-Staaten auf dem Weltmarkt. Diese Entwicklung scheint darauf hinzudeuten, dass entweder der Bedarf an verbesserten und/oder erhöhten Qualifikationen so nicht besteht, wie behauptet wird (ähnlich wie bei der Bildungsreform in den 60er Jahren), oder dass das Interesse an Kontrolle und restriktiver Selektion größer ist. Ein Hinweis, der diese These stützt, ist einer EG-Studie von 1987 (vgl. New Left Review 204) zu entnehmen, wonach die Mehrheit der europäischen ArbeitnehmerInnen an Arbeitsplätzen arbeiten, für die sie überqualifiziert sind.Zurück zur Textstelle
  6. Vgl. dazu: S. J. Ball: Class Strategies and the Education Market, London 2003Zurück zur Textstelle
  7. Williamson (1993) nennt zehn charakteristische Züge dieses Washington Consensus: fiscal disciplin, public expenditure priorities, tax reform, financial liberalisation, exchange rates, trade liberalisation, foreign direct investment, privatization, deregulation, and property rights.Zurück zur Textstelle
  8. Deren Rolle beschreibt Michael W. Apple in einer Besprechung der OECD-Publikation „Education and the Economy in a Changing Society als „to redefine education as the production plant for paid workers.”...Deren Inhalte werden nach der OECD bestimmt von „socio-economic trends and changes in the empoloyment structures” (In: Comparative Education, Februar 1992, S. 127-129); vgl. dazu Klausenitzer, Jürgen, PISA – Einige offene Fragen zur OECD-Bildungspolitik, in: Widersprüche 83, Sept. 2002, 55-69Zurück zur Textstelle
  9. Dies gilt meines Erachtens auch für die Tendenz einer Teil-Autonomisierung von Schulen bei einer verstärkten Steuerungskompetenz qua Indikatoren durch die Zentralbehörden.Zurück zur Textstelle
© links-netz Juni 2003