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Die Rolle der Weltbank in der Bildungspolitik

Bildung und globaler Paradigmenwechsel

Jürgen Klausenitzer

Seit Beginn der 80er Jahre vergibt die Weltbank verstärkt Kredite für Bildungsreformen in den so genannten Entwicklungsländern. Wie kommt es, dass eine Bank, die Geld verleiht, um es mit Zinsen angereichert zurückzubekommen, sich um Bildungspolitik in der Dritten Welt kümmert?

Laut Statuten ist es Aufgabe der Weltbank, die wirtschaftliche Entwicklung ihrer Mitgliedsländer zu fördern. Das waren nach dem Krieg zunächst die zerstörten Länder Europas. Mit der Unabhängigkeit der ehemaligen Kolonien konzentrierte sich ihre Tätigkeit aber zunehmend auf diese neuen Staaten. Als Bank vergibt sie Kredite nicht nur an Entwicklungsländer, sondern seit Beginn der 80er Jahre auch an Länder des ehemaligen „Ostblocks“ – den so genannten Übergangsgesellschaften; Kredite, die an ökonomische und damit auch politische Konditionen gebunden sind.

Die Weltbank-Kredite finanzieren aber nicht nur z. B. einzelne Industrien, Landwirtschaft oder Infrastrukturmaßnahmen, sondern seit dem Beginn der 60er Jahre auch Maßnahmen im Bildungsbereich. Grundlage ist dabei die Annahme der so genannten Human-Kapital-Theorie, dass über die Steigerung vor allem der technischen Qualifikationen der Menschen die Produktivität der Betriebe und damit auch das wirtschaftliche Wachstum der Gesamtgesellschaft gesteigert werden könne. War 1980 der Anteil der Bildungsfinanzierung mit 4% am gesamten Kreditvolumen noch relativ gering, so betrug er im Jahre 1996 10%. Der Anteil der Weltbank an der multilateralen Bildungshilfe, d.h. der gemeinsamen Unterstützung durch ausländische Geber, betrug 1990 über 60%. Damit verfügt sie über einen beträchtlichen Einfluss auf die Entwicklung der Bildungssysteme in den meisten Entwicklungsländern.

Die Weltbank verfügt über eigene Forschungskapazitäten zu Bildungsfragen, wie sie keine anderen Institutionen der westlichen Geberländer oder gar die Entwicklungsländer haben. Mit Hilfe dieses seit nunmehr rund vierzig Jahren ausgebauten, aber fast gänzlich auf Wissenschaftler aus Entwicklungsländer verzichtenden Forschungsapparats und ihrer doppelten Rolle als Kreditgeber und wissenschaftlicher Auftraggeber versteht es die Weltbank, starken Einfluss zu nehmen auf die Diskussion und Entscheidungen über Bildungsfragen in Ländern, die auf Kredite angewiesen sind – und das sind in den letzten Jahren neben den Entwicklungsländern auch die Länder Mittel- und Ost-Europas.

Das Interesse der Weltbank an Reformen der Bildungssysteme in den Entwicklungsländern und den so genannten Überganggesellschaften wird begründet mit der Notwendigkeit, auf Änderungen ökonomischer Strukturen zu reagieren, d.h. auf die Krise des Weltwirtschaftssystems und der daraus sich ergebenden Krise der Staatsfinanzen. Deshalb stehen Maßnahmen zur Senkung von Staatsausgaben zu Gunsten erhöhter privater Ausgaben und der Effektivierung vorgegebener Strukturen im Mittelpunkt der Weltbank-Programme zur so genannten Strukturanpassung. Diese Rahmenbedingungen, die vor allem von dem Internationalen Währungsfonds vorgegeben werden, bestimmen wesentlich die Prioritäten in der Bildungspolitik der Weltbank. Sie werden überwiegend bestimmt von Maßnahmen zur Rationalisierung, der Effektivitätssteigerung zum Zweck der Senkung von Kosten für das öffentliche Bildungswesen.

So fordert die Weltbank z. B. Maßnahmen zur Stärkung der Grundbildung durch den Staat und zur Übernahme von Kosten für weiterführende Bildungswege durch die privaten Haushalte, etwa in Form von Studiengebühren oder so genannten Bildungsgutscheinen. Dabei lässt die Weltbank offen, wie arme Haushalte in den Städten und auf dem Land, die gerade in Zeiten der Krise besonders betroffenen sind, diese Ausgaben aufbringen sollen. Die Ausgaben für die offiziell schulgeldfreie Grundschule stellen bereits unter normalen Bedingungen den größten finanziellen Einzelposten in ländlichen Haushalten dar.

In den 80er und 90er Jahren wurden vielen Ländern der Dritten Welt von dem Internationalen Währungsfonds und der Weltbank in Kooperation mit den einheimischen Eliten Strukturanpassungsprogramme auferlegt, um die Fähigkeit der Entwicklungsländer wiederherzustellen, den Schuldenberg abzutragen, der vor allem durch Zinserhöhung der US Notenbank und den Rückgang der Exporterlöse verursacht wurde. Diese Zielsetzungen sollen durch ein Paket von Politikmaßnahmen erreicht werden, wie z.B. Währungsabwertung, Reduzierung von Subventionen, Privatisierung von Öffentlichen Betrieben und Reduzierung der Öffentlichen Ausgaben.

Die Folgen der Strukturanpassungsprogramme für den Bildungsbereich in vielen EL werden von Neville Alexander, Professor für Erziehungswissenschaften an der Universität in Kapstadt in Südafrika, als katastrophal beschrieben: „...Der Abbau an Ressourcen, die Tatsache, dass vom Staat immer weniger Geld für Bildung und Erziehung bereitgestellt wird... ist natürlich eine Katastrophe; d.h. dass immer weniger Geld für die weitere Ausbildung von Schülern und Schülerinnen bereit gestellt wird und dass die Strukturanpassungsprogramme dann dazu führen, dass immer mehr Kinder schon aus der Grundschule herausfallen...“

Es ist offensichtlich, dass mit diesen Folgen die Kosten einer Restrukturierung beschrieben werden, in deren Mittelpunkt zum einen Schuldentilgung und Weltmarktintegration und zum anderen ein verändertes Verständnis von der Rolle des Staates und seinen Aufgaben stehen.

Mit ihrer Bildungspolitik im Kontext der Strukturanpassungsprogramme hat die Weltbank wesentlich zu einem Paradigmenwechsel der Bildungspolitik beigetragen, der seit Mitte der 80er Jahre auch für viele der Industrieländer maßgeblich ist. Sie ist seit 20 Jahren erfolgreich bei der Formulierung und internationalen Durchsetzung einer veränderten Definition staatlicher Aufgaben unter den Bedingungen gezielt verknappter öffentlicher Mittel: Privatisierung, Wettbewerb und Dezentralisierung im öffentlichen Sektor, Ersetzung, bzw. Ergänzung bürokratischer Regulation durch größere Anteile von Marktelementen und Kontrolle durch verstärkte Einführung von zentralen Prüfungen, Tests und Evaluationen. Dabei geht es um ein der Krise der Staatsfinanzen angepasstes Modell der Regulierung öffentlich definierter Aufgaben, wobei Aufgaben des Staates und der privaten Haushalte in eine neues Balanceverhältnis gebracht werden.

Diese Krisendynamik schlägt sich gegenwärtig (hinter der Rhetorik von Autonomie und Qualitätssicherung) in einer Reihe von Industrieländern und in zunehmendem Maße auch in Deutschland nieder in einer Verbetriebswirtschaftlichung des Bildungswesens und seiner verschiedenen Institutionen: u.a. als Budgetierung/Neue Steuerungsmodelle auf der Ebene der Schulämter und Einzelschulen; als ergebnisorientierte Leistungskontrolle („output measurement“, einem zentralen Ziel der Bildungspolitik der Weltbank) und verschärfte Selektion auf der Ebene der Länder und als Benchmarking System auf OECD/EU-Ebene.

Mit der Durchsetzung dieses veränderten Modells öffentlicher Bildung wird absehbar, dass die in den letzten drei Jahrzehnten gewachsene Bedeutung der Rolle der LehrerInnen als Organisatoren von Bildungsprozessen zunehmend abgelöst wird von der der „Experten“ für standardisierte quantitative Verfahren der Leistungsmessung – zur Anwendung gebracht bei TIMSS und PISA.

Die Einführung von Marktelementen in das Bildungssystem heißt aber auch, dass die Teilnehmer an staatlich kontrollierten Bildungsmärkten – Schulen und Eltern bzw. Schüler – verstärkt verantwortlich gemacht werden für Erfolg und Misserfolg ihrer Bemühungen. Der „flexible Mensch“, von dem der amerikanische Soziologe Richard Sennet spricht, ist für seine „employability“, d.h. seine Verwendbarkeit auf den zunehmend prekärer werdenden Arbeitsmärkten als „Unternehmer seiner Arbeitskraft“ selbst verantwortlich. Die gesellschaftlichen Bedingungen der Arbeitslosigkeit verschwinden so hinter dem Schleier des Mythos des alle gleich behandelnden Marktes.

Mit der Durchsetzung des vor allem von den Weltbank und der OECD formulierten Paradigmenwechsels stehen mit der Verbetriebswirtschaftlichung des Bildungswesens auch seine tendenzielle Entpädagogisierung, eine veränderte Lernkultur und die Rückführung der in den 70er Jahren organisierten Öffnung des Bildungswesens auf der Tagesordnung. Laut Weltbank ist es Aufgabe der Politik und der Medien, „die Gesellschaft dazu zu bringen, die Neudefinition der Verantwortlichkeiten des Staates zu akzeptieren“.

Ein Teil der an der deutschen bildungspolitischen Diskussion Beteiligten scheint sich an diese Aufforderung halten zu wollen. So ist auch die deutsche Diskussion über die Restrukturierung des Bildungswesens, über Dezentralisierung und Privatisierung, nicht denkbar ohne die in den letzten 20 Jahren formulierten Konzepte von Weltbank, OECD und EU.

Es wäre dem gegenüber Aufgabe der europäischen Bildungsgewerkschaften, der immer unmittelbarer werdenden Zurichtung der Bildungssysteme auf die Verwertungsbedürfnisse des Kapitals so deutlich entgegenzutreten, wie das die Education International (EI) in der Frage der WTO-Konferenz in Seattle getan hat (vgl. EI, The WTO and the Millenium round: What is at stake for public education?, Brüssel 1999; im Internet unter: educint@ei-ie.org) und die Interessen der Jugendlichen und LehrerInnen an einer breiten Bildung und Ausbildung für alle in öffentlicher Verantwortung wahrzunehmen. Ob die in den Konzepten von Weltbank und OECD gemachten Versprechungen von Autonomie und Eigenverantwortung, Vielfalt und Wahlfreiheit (die auch die deutsche Diskussion bestimmen) den Erfahrungen von zunehmender sozialer Ungleichheit, Ausgrenzung und Prekarisierung standhalten, ist aber mehr als zweifelhaft.

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