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Ist Bildung die Antwort und was war eigentlich die Frage?

Reinhard Kreissl

(Dieser Beitrag wurde gesendet im „Politischen Feuilleton“ des DeutschlandRadio Berlin am 25. Mai 2004.)

Das deutsche Bildungssystem steht am Abgrund und droht unsere Volkswirtschaft gleich mit in die Tiefe zu reißen. Es besteht dringender Handlungsbedarf. Parlament und Parteien diskutieren und wetteifern um die beste Remedur einer neuerdings diagnostizierten Bildungsmisere. Wenn mangelnde Bildung der Grund für den Rückfall Deutschlands ins untere Mittelfeld der OECD ist, dann – so die einfache Logik – ist Investition in mehr und bessere Bildung die Strategie der Wahl, um wieder nach vorne zu kommen. Mir will das nicht einleuchten.

Ich kann mir nicht vorstellen, wie das gehen soll. In unseren Volkswirtschaften wird die Arbeit knapp, nicht das Angebot an qualifizierten und gut gebildeten Arbeitskräften. Wenn ich – schließlich geht es ja um Wirtschaft – das Angebot an Arbeitskräften erhöhe, dann sinkt zunächst deren Preis. Also müsste die Logik so funktionieren: Erhöhe ich das Angebot an gut gebildeten Arbeitskräften, dann bekomme ich gut gebildete Mitarbeiter zu günstigeren Konditionen, kann meine Lohnkosten senken und billiger produzieren, werde also auf dem Weltmarkt mit Produkten Made in Germany wieder konkurrenzfähig. Erhöhe ich also zum Beispiel durch den Ausbau von privaten Business Schools das Angebot an gut qualifizierten Kandidaten für die freiwerdenden Posten von Vorstandsvorsitzenden großer Unternehmen, so müsste dies – wenn alles nach den Regeln von Angebot und Nachfrage funktioniert – das Gehalt der Nachfolger der Herren Schrempp, Ackermann und Co. drastisch reduzieren. Erhöhe ich die Anzahl der Medizinstudenten, dann müssten irgendwann auch mit den Einkommen der Ärzte die Kosten im Gesundheitswesen sinken.

Interessanterweise funktioniert der Marktmechanismus am oberen Ende des Arbeitsmarkts aber nicht so wie am unteren Ende. Dort lässt sich, nicht zuletzt als Folge der letzten Bildungsexpansion, eine Verschärfung der Konkurrenz feststellen. Ausbildungsplätze, für die früher ein normaler Hauptschulabschluss ausreichend war, werden heute bestenfalls an Kandidaten vergeben, die über einen Realschulabschluss verfügen oder noch besser, ein Abitur vorweisen können. Normale Studienabschlüsse reichen nicht mehr aus, gefordert wird ein Prädikatsexamen und drei Jahre Auslandsaufenthalt bei einer Altersgrenze von maximal dreißig Jahren. Dieser Sandhaufeneffekt zeigt sich auf allen Stufen, wo formale Qualifikation gefordert wird.

Die bittere Lektion lautet: Expansion der Bildungsabschlüsse, im quantitativen, wie im qualitativen Sinne verschärft in erster Linie die Konkurrenz um knappe Arbeitsplätze durch Anhebung der geforderten Bildungsstandards auf der Nachfrageseite des Arbeitsmarktes. Die Folge ist eine Senkung der Arbeitskosten oder anders formuliert: im Verhältnis zur Leistung geringere Einkommen.

In der ökonomischen Theorie wird dieses Problem unter dem Titel der kollektiv irrationalen Folgen individuell rationalen Handelns diskutiert. Es mag für jeden Einzelnen vernünftig sein, sich um eine möglichst gute Ausbildung zu kümmern, aber der Wert dieser Ausbildung sinkt, wenn die anderen ebenso handeln. Am Ende sind alle schlechter dran als vorher.

Die gesellschaftsdiagnostische Hoffnung der Politik könnte nun von folgender Überlegung ausgehen: Konkurrenz belebt das Geschäft. Wenn es nur ausreichend Gebildete und weiterhin wenig Arbeitsplätze gibt, dann werden die Aspiranten sich noch mehr anstrengen und dabei wird dann schon was rauskommen aus dem Rohstoff Wissen. Schließlich leben wir, so wird uns gesagt, in einer Wissensgesellschaft und die braucht Bildung so dringend, wie die Industriegesellschaft Kohle und Stahl brauchte.

Der Kurzschluss von Bildung auf Wirtschaftswachstum ist so verlockend wie er verkehrt ist. Das häufig zitierte Beispiel der Vereinigten Staaten, von wo immer wieder mal Wachstumsraten der Beschäftigung gemeldet werden, von denen Deutschland nur träumen kann, ist ein schlechter Beleg für den behaupteten Zusammenhang. Denn erstens sind die Stellen, die dort geschaffen werden, keineswegs in den Bereichen zu finden, die eine gute Bildung voraussetzen, zweitens ist das amerikanische Bildungssystem mit Ausnahme einiger weniger Eliteinstitutionen grottenschlecht und drittens gehen die amerikanischen Beschäftigungswunder meist ebenso schnell wieder zu Ende, wie sie begonnen haben.

Was steckt also hinter der Rede von der heraufziehenden Wissensgesellschaft, in der nur der Rohstoff Bildung noch ausreichend Profit und Wachstum verspricht, während die materielle Produktion in die neuen Billiglohnländer auswandert? Das Wissen, das diese Gesellschaft produziert, kann nur verkauft werden, wenn es zuvor als Privatbesitz angeeignet wird. Der Entwicklungsingenieur in der Automobilindustrie, der Genforscher in der Pharmaindustrie, der Software-Entwickler, sie alle stellen im traditionellen Sinne nichts her, sondern produzieren Wissen, mit dessen Hilfe sich gegebenenfalls etwas Neues herstellen und profitabel vermarkten lässt. Das schaffe Reich- und Wachstum. Also brauchen wir eine Vielzahl gebildeter Arbeitskräfte, die in Unternehmen solches Wissen entwickeln. So in etwa argumentieren die Anhänger dieser Denkrichtung, die fordern, in Köpfe zu investieren.

Aber auch in der Wissensgesellschaft gilt die Regel, dass der Preis über das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage bestimmt wird. Auch hier gilt, dass ein jeder, der sich auf den Weg ins Rennen um die knappen Positionen der Wissensökonomie macht, sowohl die Konkurrenz verschärft, als auch den Preis, den er für seine eigene Arbeitskraft erzielen kann, tendenziell senkt. Was sich also abzeichnet, ist eine neue Runde der paradoxen Entwertung von Bildung durch ihre Expansion.

Es wiederholt sich also ein bereits bekannter Kreislauf. Es ist wie mit dem Hasen und dem Igel: diejenigen, die durch ihre Tätigkeit Wert schöpfen, kommen hechelnd am vorläufigen Ziel an, nur um festzustellen, dass diejenigen, die ihn abschöpfen, schon da sind.

Vielleicht braucht es mehr Bildung, um diesen Zusammenhang wirklich zu verstehen.

© links-netz Juli 2004