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Globalisierung, Asyl und die Grenzen des Horizonts

Reinhard Kreissl

Das leichte Sommerhemd, das bei der Hitze zweimal am Tag gewechselt wird, die Sneakers und die Socken, die gegen den Schweißfuß helfen sollen, die Zutaten des Energy-Drinks, der den Flüssigkeitsverlust kompensieren soll, und nicht zuletzt das Mobiltelefon, über das anderen Menschen mitgeteilt wird, dass es auch hier für die Jahreszeit zu heiß ist – würde man die Regionen aufzählen, aus denen all das herkommt, man hätte ziemlich genau eine Landkarte jener Länder, aus denen die Menschen stammen, die hierzulande gerade als unlösbares politisch-administratives Problem und unerträgliche kulturelle Zumutung und Bedrohung betrachtet werden. Auch der Flachbildschirm, von dem allabendlich ratlose Politikergesichter sprechen, wird weder in St. Pölten noch in Parndorf hergestellt.

Man muss nur vor der eigenen Haustüre, im eigenen Wohnzimmer, Kühl- oder Kleiderschrank nachforschen, um die Bedeutung des Begriffs Globalisierung zu begreifen. Wir leben durch die Arbeit der Menschen des globalen Südens, durch die Ausbeutung ihrer Arbeitskraft und natürlichen Ressourcen. Wir leben auf ihre Kosten, jeder von uns und meist ohne es zu merken. Und jetzt stehen sie plötzlich an unseren Grenzen, vertrieben und geflüchtet aus einer Welt, deren Zerstörung die Länder des Nordens billigend in Kauf genommen, wenn nicht gefördert haben. Die krasse Ablehnung durch weite Teile der Bevölkerung, die bizarre Schockstarre der Politik, die medial in unverantwortlicher Weise geschürten Bedrohungsszenarien zeigen in erster Linie eins – den Realitätsverlust, der die hiesigen Gesellschaften befallen hat. Machen wir uns nichts vor: Schwankungen an den chinesischen Börsen haben einen Einfluss auf österreichische Arbeitsplätze, die Dürreperioden in Afrika betreffen uns ebenso wie die Überschwemmungen in Asien, die Drogenkriege in Mexiko oder die religiösen Massenfanatisierungen im Mittleren Osten. Mit ein bisschen historischen Kenntnissen kann man auch wissen, dass wir, der Westen, Europa, dafür Verantwortung tragen. Und dabei geht es nicht um das populistische Wir der neuen Rechten oder alten Linken, sondern um jeden Einzelnen als Konsument und Bürger.

Die Beschwörung einer heilen Welt, einer Leitkultur, einer nationalstaatlich eingehegten und zu schützenden Ordnung hat im Angesicht der aktuellen Situation etwas Gartenzwerghaftes. Abgesehen davon, dass von den globalen Kriegs-, Hunger- und Klimaflüchtlingsströmen nur ein Bruchteil bis an die Mauern der Festung Europa (oder Alpenfestung Österreich) brandet – der Verweis von Ministern, Landesfürsten und Ortskaisern auf die geltenden Regelungen von Bauordnung oder Feuerpolizei zeigt nur, wie tief die hiesigen Verantwortlichen den Kopf in den Sand stecken, um nicht einzugestehen, dass es an der Zeit wäre, etwas zu tun.

Man kann die derzeitige Situation als moralisches Mysterienspiel betrachten, kann an verhallenden Appellen, an Engstirnig- und Hartherzigkeit verzweifeln, aber das eigentlich Erschreckende ist die völlige Unfähigkeit von Politik und Verwaltung. Wenn ein Bundesministerium, das sich in Hochglanzbroschüren brüstet, die Sicherheit der Bürger zu garantieren, damit überfordert ist, Windeln für Kleinkinder, die in einer Kaserne untergebracht sind, zur Verfügung zu stellen, Unterkünfte zu besorgen, Trinkwasser und Verpflegung in ausreichender Menge und Qualität zu beschaffen, dann nährt das erhebliche Zweifel an der Leistungsfähigkeit einer teuren Staatsverwaltung. Hier findet gerade ein Reality-Check statt: Sind die politisch Verantwortlichen hierzulande imstande jenseits von Pressekonferenzen und symbolträchtigen Aktionen ein reales Problem zu lösen oder zumindest erst einmal in seiner gesamten Tragweite zu begreifen? Sind sie mit all ihren Beratern und Experten, Vorschriften, Gesetzen und Personalressourcen handlungsfähig? Derzeit sieht es da wohl eher duster aus und damit werden die derzeit Regierenden zu Steigbügelhaltern jener Figuren, die aus dem Elend der Anderen unverfroren politisches Kapital schlagen, aber keine Lösungen anbieten, sondern bestenfalls die Lage verschärfen. Und dieses Szenario wollen wir an dieser Stelle besser nicht ausmalen.

Eine gekürzte Version dieses Beitrags wurde zuerst veröffentlicht in: Der Standard, 13.8.2015

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