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Kapitalismuskritik

Reinhard Kreissl

Wenn die herrschende Meinung die Meinung der Herrschenden ist, dann darf man den SPD-Vorsitzenden Müntefering wohl nicht mehr zu den Herrschenden zählen. Er ist mit seiner hausbacken-radikalen Kritik am Kapitalismus ins Fettnäpfchen getreten. Moralische Argumente gestattet der Zeitgeist, wenn es um Verzicht und Einschränkung geht, nicht jedoch im Angesicht des Marktes. Der ist bekanntlich nicht legitimationsfähig und wer einer Bank vorwirft, dass sie Geld verdient, der verkennt die Zusammenhänge.

Das Fatale ist, der Mann hat ja irgendwo recht. Die unverblümte Umverteilung des Reichtums, die Vernichtung von Arbeitsplätzen nach dem Motto Privatisierung der Gewinne und Sozialisierung der Verluste, der Abbau von sozialen Serviceleistungen, die Ausnutzung von Marktmonopolen und Lohndifferenzen – und die Liste der Beschwerden ließe sich verlängern – macht die herrschende Wirtschaftsordnung für diejenigen, die am falschen Ende sitzen, nicht gerade attraktiv. Die Sozialdemokraten müssen um diese Klientel der Modernisierungsverlierer werben. Das linkspopulistische Kasperltheater mit verteilten Rollen ist dafür keine schlechte Strategie. Auf der einen Seite der Autokanzler und die Grünen, die wirtschaftsliberale Rhetorik mit heimeliger Teilhabelyrik kombinieren und auf der anderen Seite Münte als Klassenkämpfer im Westentaschenformat. Eins muss ihm der Neid lassen. Es ist ihm gelungen, wovon jeder Politiker träumt: Vom Leitartikel bis ins Feuilleton beschäftigt sich jeder mit Münteferings Kapitalismuskritik, und der Schein dieses medialen Strohfeuers besteht sogar neben der starken Konkurrenz aus dem Vatikan.

Politik, die nichts mehr zu gestalten hat, findet auf der Bühne öffentlicher Erregung statt. Als Inszenierung ist das Ganze zu loben. Clement für die Steuerzahler, Münte für die realen und potentiellen Opfer von Hartz IV. Und der Streit zwischen den Fakultäten von Arbeitgeberverbänden und Sozialdemokraten als Mantel und Degen Nummer im Vorabendprogramm: Gute Zeiten, schlechte Zeiten als politisch Sitcom.

Was aber, wenn er es wirklich ernst meint? Wenn er wirklich den Palästen den Krieg erklären und den Hütten den Frieden bringen will? Man kann es sich ja einmal vorstellen. Die argumentative Deckungsreserve derjenigen, die für die Beibehaltung der herrschenden Verhältnisse eintreten, ist dünn. Das Mantra der neoklassischen Ökonomie – Kosten runter, Gewinne rauf und dann läuft der Laden – ist nicht unbedingt das, was man als eine erklärungsmächtige Theorie westlicher Gesellschaften bezeichnen könnte. Das macht es den Kritikern auch leicht. Aber Kapitalismuskritik ist heute zur Nörgelei an Nebenfolgen verkommen. Man rechnet vor, was alles auf der Strecke bleibt: die Umwelt, die soziale Gerechtigkeit, der Massenkonsum, die Solidarität, die Dritte Welt – nichts, was sich nicht als Opfer der ungebremsten kapitalistischen Wirtschaftsweise stilisieren lässt. Nur handelt es sich hier um Beschwerden ohne Adressaten. Nach der Erschöpfung der utopischen Energien vom besseren Leben, das sich nicht auf Lohnerhöhung und Arbeitszeitverkürzung reduzieren lässt, klafft eine motivationale und intellektuelle Lücke im linken Lager. Die mit Appellen an die lieben Herren Ackermann und Hundt zu füllen, sie möchten doch bitte etwas behutsamer zu Wege gehen, bei der Durchsetzung ihrer Interessen, ist eher Ausdruck von Hilflosigkeit als Zeichen einer mächtigen Gegenbewegung. Aber kann man sich vorstellen, dass Müntefering sich hinstellt und die Abschaffung des Systems wegen dessen Bankrotts fordert? Wohl kaum. Das darf bestenfalls die PDS und der hört kaum einer zu.

Was die Kapitalismuskritik nach dem Modus Müntefering verkennt, ist die Logik des Systems, das sie kritisiert. Der Kapitalismus ist eine riesige Maschine, ein Allesfresser, ein Shredder, egal was man vorne hineinsteckt, hinten kommen profitabel zu vermarktende Waren raus. Aus Menschen werden Arbeitskräfte, aus Arbeitslosen werden Ein-Euro-Jobber, aus Kritik werden Leitartikel und aus Krankheiten werden Gewinnchancen für die Pharmaindustrie. Selbst aus der vermeintlichen Bedrohung durch radikale Gegner des Systems werden Aufträge an Sicherheitsfirmen, die dem Staat neueste Technologie zur Überwachung des Bösen verkaufen. Große Chemieunternehmen verschmutzen mit der linken Hand das Grundwasser, und verkaufen mit der rechten die passende Umwelttechnologie, alles zur Mehrung des eingesetzten Kapitals.

Nur wenn es gelänge, diesen Kreislauf wirkungsvoll zu stören, würde sich vielleicht etwas ändern. Aber der starke Arm, der alle Räder stillstehen lässt, gehört einer versunkenen Ökonomie an. Es ist das sanfte Klicken der Finger auf Computermäusen und Fernbedienungen, das die Wirtschaft am Laufen hält und die Wahrscheinlichkeit, dass hier der letale Stillstand eintritt und Müntefering als Weltgeist zu Pferde bei Christiansen die Befreiung der Massen aus ökonomisch verschuldeter Unterdrückung einleitet, ist gering. Aber darum geht es auch nicht. Im Mai sind Wahlen in Nordrhein-Westfalen und die wollen die Genossen wenigstens nicht ganz verlieren. Die Herren Hundt und Ackermann haben Verständnis dafür.

© links-netz Mai 2005