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Mach mir den Mullah

Reinhard Kreissl

Worüber man nicht reden kann, darüber soll man schweigen. Über alles andere kann und soll öffentlich und kontrovers palavert werden. Die Idee des öffentlichen Gebrauchs der Vernunft in Rede und Gegenrede ist hart erkämpft und steht an der Wiege der modernen Demokratie. Die Gesellschaft bringt sich darin als politische Einheit selbst hervor. Der Witz dieser selbsttragenden Konstruktion ist ihre Ergebnisoffenheit. Keine Heilslehre, kein Dogma, aus denen im Konfliktfall Entscheidungen abgeleitet werden können. Nur der Zwang des besseren Arguments soll gelten und jeder blamiert sich so gut er kann, wenn er die öffentliche Tribüne betritt.

In einer solch entzweiten Gesellschaft des Palavers muss man sich viel bieten lassen und das ist gut so. Schließlich hilft es nichts, Konflikte unter den Teppich zu kehren, Dinge zu beschönigen oder drängende Bedürfnisse einer auf Anerkennung zielenden Artikulation zu unterdrücken. Arbeit und Kapital, Männer und Frauen, Linke und Rechte, Alte und Junge – sollen sie aufeinander einreden und sich zusammenraufen oder im Modus gegenseitiger wohlwollender Missachtung auseinandergehen. Lieber wechselnde Mehrheiten als eherne Wahrheiten.

Der neuerdings erhobene religionsempfindliche Ton will so gar nicht in dieses Bild einer diskursiv verfassten politischen Öffentlichkeit passen. Erinnert er doch eher an die hölzernen Phrasen politischer Korrektheit, wie wir sie von den Lordsigelbewahrern autoritärer Zirkel kennen. Fernsehbilder agitierter muslimischer Massen, deren durchaus berechtigter Ärger über den Westen vor den Fernsehkameras in medienwirksame Wut umschlägt, lösen hierzulande Diskussionen aus, die nur schwer zu verstehen sind. Halbsätze in päpstlichen Reden, Karikaturen in dänischen Zeitungen dienen den Verdammten dieser Erde als Vorwand, ihren Urhebern mit Vergeltung zu drohen. Mag sein, dass Mobilisierung unter dem Banner der Religion leichter ist – vernünftiger wird die religiöse Erregung dadurch nicht. Iraker, Afghanen und Pakistani, die den Mächten des Westens die Pest an den Hals wünschen, tun dies mit Gründen, die vermutlich jedem, der in ihrer Situation lebte, verständlich wären. Zum rasenden Publikum versammelt aber sind sie unter einem falschen Etikett. Und dieser Etikettenschwindel wird hier nicht nur akzeptiert sondern als Maxime einer neuen islampolitischen Korrektheit sanktioniert. Redakteure und Karikaturisten, Politiker und Kommentatoren entwickeln die Empfindsamkeit von Betschwestern, um nur ja nicht die religiösen Gefühle der fernen islamischen Gläubigen zu verletzen. Man erlässt Redeverbote, formuliert vorausschauend mit Blick auf mögliche Fettnäpfchen und hält sich zurück.

Kollateralschäden unter der Zivilbevölkerung im Rahmen militärischer Aktionen werden billigend in Kauf genommen, aber am Barte des Propheten darf nicht gezupft werden.

Basis dieser neuen Rücksicht ist eher Angst als Einsicht. Denn wenn ein durchgedrehter lokaler Warlord seine Anhänger mit Hilfe einer religiös aufgeheizten Propaganda zu den Waffen gegen die Ungläubigen ruft, dann bildet sich in der Tat ein giftiges Amalgam und es steigt die Sorge bei den Adressaten der Massenproteste, dass nun auch sie zum Ziel terroristischer Anschläge werden könnten. Schon droht Al Quaida dem Papst und der hat nichts Besseres zu tun, als sich zu entschuldigen – gleichsam von Fundamentalist zu Fundamentalist.

Man hat hierzulande die katholische Kirche im Namen der Rede- und Kunstfreiheit immer dann in ihre Schranken verwiesen, wenn sie beleidigt von Satire und Kritik vor den Kadi gezogen ist. Wer im öffentlichen Raum sich kritisch zu religiösen Dogmen äußert, genießt das Recht, dies zu tun. Wer in den sakralen Bereich vordringt und eine religiöse Feier stört, dem wird das Recht dazu abgesprochen. Der öffentliche Raum, unser öffentlicher Raum, ist eine säkulare Sphäre und als solcher von religiösen oder sonst wie begründeten Redeverboten freizuhalten. Er findet seine Grenzen an den Mauern jener esoterischen Orte, an denen eine Gemeinschaft von Gläubigen ihre Riten vollzieht. Auch dort entsteht eine Öffentlichkeit, eine communio der Gläubigen, die Anrecht auf ungestörten Vollzug haben. Soviel Differenzierung muss sein. Öffentlichkeit ist eine selbsttragende Konstruktion, die von der Anwesenheit und dem Engagement deren lebt, die dort zusammen kommen. Wer sich da ins Bockshorn jagen lässt, der hat verloren, der gibt den öffentlichen Raum preis, auch wenn es aussehen mag, wie eine Entschuldigung gegenüber Andersgläubigen.

© links-netz September 2006