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„G8“ als Kristallisationspunkt globaler Herrschaft

Was bedeutet das für Widerstand und emanzipatorische Alternativen?

Ewald Lienen

Von 6. bis 8. Juni 2007 werden sich die Regierungschefs der acht mächtigsten Industrieländer im Ostseebad Heiligendamm zu ihrem jährlichen Treffen versammeln, denn im Jahr 2007 hat die Bundesregierung die Präsidentschaft der „Gruppe der 8“ inne. Dagegen gibt es seit Mitte 2005, d.h. bereits zwei Jahre vor dem eigentlichen Ereignis, Überlegungen zu Mobilisierungen um das Treffen herum: von traditionellen linken Gruppen, Attac, dem autonomen „Dissent!“-Spektrum, dem Bündnis der „Interventionistischen Linken“, das die vielbeachtete Flugschrift „G8-extra“ produziert, der Bundeskoordination Internationalismus (BUKO), die an Ostern 2007 in Leipzig ihren Jahreskongress dazu veranstalten wird, der Friedens und der Umweltbewegung sowie von entwicklungs- und umweltpolitischen Nichtregierungsorganisationen. Letztere koordinieren sich in einer „G8-Plattform“. Es gab im März und im November 2006 in Rostock zwei Aktionskonferenzen.

Offen ist noch, wie sich die Gewerkschaften und die Linkspartei in den Prozess einbringen. Durch die Beteiligung der Gewerkschaften würde das Thema Arbeit eine große Aufwertung erfahren. Ein wichtiges Verbindungsglied zwischen verschiedenen Spektren könnte die DGB-Jugend darstellen. Eine Beteiligung der Linkspartei wird durchaus begrüßt, wirft jedoch die Frage des Verhältnisses von Parteien und Bewegungen/NGOs auf.

Meines Erachtens ist der Prozess, der auf diese Mobilisierungen im Mai und Juni hinführt und über sie hinausweist, genauso wichtig wie die Mobilisierungen selbst. Es sollte einer „show down“-Mentalität begegnet werden, der zufolge es etwa im kommenden Juni wirklich darum gegen könnte, das „G8“-Treffen zu verhindern. Dann könnte der „G8-Prozess“ wichtig werden: damit sich ein breites emanzipatorisches Spektrum um einen gemeinsamen Bezugspunkt herum verständigt und weitere Perspektiven entwickelt sowie gesellschaftliche Kritik und Alternativen zu den aktuellen Entwicklungen sichtbar macht.

Knallharte neoliberal-imperiale Agenda

Die „Gruppe der 8“ ist ein Symbol neoliberal-imperialer Globalisierung. Sie ist aber nicht deren Zentrum, denn als Gruppe hat sie keine Entscheidungsgewalt. Aber die Absprachen wirken auf die Regierungsagenden und in die internationalen Organisationen ein. Die „Empfehlungen“ und konkreten Forderungen sind durchaus wirkungsmächtig.

Dabei hat sich die 1975 zunächst als „Gruppe der 6“ (Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, USA) gegründete und durch Aufnahme Kanadas (1976) und Russlands (1998) auf acht Mitglieder erweiterte „Gruppe der 8“, die sich zwischen den medial inszenierten Treffen permanent koordiniert, zu einem zentralen Forum entwickelt, um Probleme zwischen den dominanten Regierungen zu bearbeiten. Man könnte den Begriff des „Ultra-Imperialismus“ (Karl Kautsky) verwenden: Die politisch und ökonomisch herrschenden Länder koordinieren sich zur Ausplünderung der Welt. Dies wurde besonders deutlich während der Verschuldungskrise in den 1980er Jahren und heute bei Energiefragen. Auch Währungsfragen und mögliche Krisen stehen auf der Agenda ganz oben. Durch ihren machtvollen aber informellen Charakter trägt die „G8“ entscheidend zur Ent-Demokratisierung von Politik bei. Die Regierungschefs schaffen sich bei bestimmten Themen „Sachzwänge“, die dann innenpolitisch nicht demokratisch verhandelt werden können. Zudem wird darüber eine schrittweise Entmachtung der UNO betrieben (Hamm 2006). Eine weitere Funktion der „G8“ ist symbolischer Natur, ausgedrückt im alljährlichen Gruppenfoto. Die politischen „Chefs“ haben die Probleme im Griff. Das schafft Zustimmung und untergräbt Alternativen.

Gleichwohl kann die „G8“ nicht einfach das neoliberal-imperiale Normalprogramm durchziehen. Das neoliberale Gesellschafts- und Politikmodell verliert seit Jahren an Zustimmung und hinsichtlich der imperialen Weltordnung gerät das Bild der „ordnenden Hand“ (der USA bzw. NATO) dramatisch ins Wanken.

Der Legitimationsverlust eben dieser Politiken, der sich ja nicht zuletzt in den Protesten gegen die „G8“ und einer zunehmenden Politisierung der Treffen äußert, erzeugt zuvorderst die Kritik von Regierungen des Globalen Südens. Daher werden seit einigen Jahren nicht nur Vertreter von UNO-Organisationen oder der UN-Generalsekretär, sondern auch die Regierungen Indiens, Mexikos, Brasiliens und einiger anderer Länder hinzugeladen. Zudem mussten in den letzten Jahren verstärkt legitimierbare Themen auf die Tagesordnung. Und was liegt da näher, als die drängenden Themen Armut und Fehlentwicklungen in vielen Ländern des Globalen Südens für den dringend notwendigen Prestigegewinn zu wählen (Wahl 2006). Durch die Einbindung von Popstars wie Bono oder Herbert Grönemeyer seitens der G8-Veranstalter möchte man vor allem im Globalen Norden verloren gegangenes Terrain wiedergewinnen.

Die Tagesordnung der jeweiligen Treffen wird von der gastgebenden Regierung mitbestimmt. Das Mitte Oktober beschlossene Motto der Bundesregierung lautet „Wachstum und Verantwortung“. Das übergeordnete Ziel lautet: „Die deutsche Agenda wird der besonderen Verantwortung der G8 für verlässliche und tragfähige Rahmenbedingungen der Weltwirtschaft gerecht. Außerdem stärkt sie das Engagement der G8 für die benachteiligten Teile der Weltbevölkerung.“ Abbau von Ungleichheit, stabile Finanzmärkte, Investitionsfreiheit, Kampf gegen Produkt- und Markenpiraterie sowie nachhaltige Ressourcennutzung, Energieeffizienz und Klimaschutz sind die benannten Schwerpunkte. Dazu liegt ein regionaler Fokus auf Afrika, denn dort sollen Reformen, Wirtschaftswachstum und das Gesundheitssystem gestärkt werden.

Es liegt m.E. nahe, dass die Merkel-Regierung im Hinblick auf den „G8“-Vorsitz und das Treffen in Heiligendamm die Karte „erneuerbare Energien“ spielen wird (sie wäre politisch unklug, wenn sie das nicht täte). Hier kann sie Erfolge aufweisen. Durch die Deindustrialisierung Ostdeutschlands erfüllt Deutschland beispielsweise die Anforderungen des Kyoto-Protokolls spielend. Auch im Bereich der erneuerbaren Energien ist das Land weiter als andere. „Energieeffizienz“ scheint zur großen Versöhnungsformel zu werden, denn es werden dabei keine herrschenden Interessen direkt angegriffen (wobei Studien zeigen, dass es bei der Umsetzung gar nicht so gut aussieht). Ob und wie das Thema Atomenergie behandelt wird, scheint noch offen zu sein.

Seit den massiven Protesten zum G8-Gipfel im Juni 2001 in Genua finden die Treffen nicht mehr in großen Städten statt, auf das symbolische „Bad in der Menge“ verzichten die Regierungschefs seither. Vielmehr werden die Treffen fernab städtischer Metropolen – und damit massiver Proteste – auf dem Land, in Bergdörfchen oder wie in 2007 in einem schlecht erreichbaren Ostseebad abgehalten. Die einzige Ausnahme der letzten Jahre war das Treffen im Juni 2006 in St. Petersburg. Seit Genua hat die „G8“ im Kampf um ihre (De-)Legitimerung allerdings wieder Boden gut gemacht.

„Genua 2001“ machte aber auch etwas anderes deutlich: Die Massivität der Proteste hängt stark von innenpolitischen Konstellationen ab. Damals ging es einem breiten linken Spektrum darum, in einer Art von nationalem Kräftemessen gegen Ministerpräsident Berlusconi zu mobilisieren. Dies erzeugte bekanntermaßen eine enorme Repression und der junge Demonstrant Carlos Giuliani wurde erschossen. In diesem Sinne könnte es sein, dass sich „Heiligendamm“ zu einer großen innenpolitischen Auseinandersetzung mit der Großen Koalition entwickelt.

Elemente erfolgreicher Mobilisierungen

Soviel zum Kontext. Was ist nun wichtig, dass der „G8-Prozess“ auch als solcher verstanden und genutzt wird? Als eine Voraussetzung sollte explizit über die Erwartungen an den G8-Prozess diskutiert werden. In den Diskussionen der letzten Monate ist deutlich geworden, dass es für die unterschiedlichen politischen Spektren nicht darum geht, die eigene Identität aufzugeben. Vielmehr sollen Schnittmengen bei Inhalten und Aktionen gesucht werden. Es werden sich auch nicht alle Spektren hinter allen Forderungen (wie etwa „Grenzen auf für alle“) finden.

Erfolgreiche Mobilisierungen bedeuten eine Demo mit mehr als 50.000 Teilnehmenden am Wochenende vor dem G8-Treffen in Rostock, dezentrale Aktionen in vielen Städten und Regionen, eines oder mehrere große Camps „vor Ort“ und ein großer und spannender Gegenkongress mit mehr als 1.000 Menschen (Gegenkongresse gibt es durch alle dynamischen und weniger dynamischen Zeiten hindurch bereits seit 1984). Das sind wichtige Kriterien. Doch sie sind nicht die einzigen und dem „sichtbaren“ Mobilisierungserfolg (nach dem Motto: „Hauptsache Großdemo, koste es politisch im Vorbereitungsprozess was es will.“) darf nicht instrumentell ein breiterer und längerfristiger Prozess gesellschaftlicher Politisierung, Selbstverständigung und Organisierung untergeordnet werden.

Unter Mobilisierung sollte daher mehr verstanden werden: nämlich ein gesellschaftlicher Prozess, der die Gesellschaft bzw. wachsende Teile von ihr „bewegt“, indem vermeintliche Sachzwänge aufgebrochen werden und Politisierungen entstehen, indem Menschen sich aufeinander beziehen, sich aufklären über die Verhältnisse und sich an verschiedenen Orten organisieren, d.h. am Arbeitsplatz, in den Schulen und Hochschulen, in politischen und kulturellen Vereinen und vieles mehr. Das kann in Vernetzung und (Selbst-)Organisierung münden.

Insofern ist die „G8“ nicht nur selbst ein Kristallisationspunkt für die weltweit herrschenden staatlichen Kräfte, sondern der breite Prozess der Mobilisierungen ist eine Art Kristallisation bestehender und Katalysator wachsender Proteste und der Entstehung von Alternativen.

Eine andere Gesellschaft entsteht ja nicht über die großen öffentlichen Auseinandersetzungen – und schon gar nicht gegen einen polizeilich abgeschotteten Regierungsauflauf –, sondern auch und gerade im Alltag, der natürlich nicht losgelöst ist von den umfassenderen politischen Entwicklungen, wie schon bei der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik deutlich wird. Dann können Lernprozesse angestoßen und gesellschaftliche Räume noch weiter als bisher geöffnet werden, um Gesellschaft zu verändern (vgl. ausführlich Brand 2005). Dies geschieht ja bereits, und dazu bräuchte es keinen „G8-Gipfel“. Aber die Mobilisierungen gegen ihn können das vorantreiben. Etwa über Bildungsarbeit, die bereits jetzt umfassend stattfindet (beispielsweise durch eine „Infotour“), über eine breite und hörbare Kritik, die dann Mut macht, sich gegen bestimmte Entwicklungen zu stellen, darüber, dass Menschen sich kennen lernen und Erfahrungen austauschen.

Wenn diese Perspektive eingenommen wird, dann kann die Freude und Energie der direkten Mobilisierungen in weiterführende Prozesse münden – und Frust nach dem Ereignis, dass nämlich vieles so weitergeht wie bisher, vermieden werden.

Ob die Proteste und Alternativen „hörbar“ werden, ist daher nicht nur eine Frage kluger Bündnis- und origineller Medienstrategien, sondern Teil von alltäglicher politischer „Kleinarbeit“. So sind einzelne Gruppen möglicherweise im Zuge der G8-Vorbereitungen stärker in der Lage, die Kritik an der neoliberal-imperialen Globalisierung zu äußern. Oder die vielen Vorschläge für eine „solidarische Ökonomie“ (Altvater/Sekler 2006) werden in einem anderen Licht betrachtet. Insofern ist es wichtig, eine eigene „Agenda“ zu setzen, die Ausdruck breiter Konsense ist. Die Diskussionen um „globale soziale Rechte“ oder „internationale Demokratie“ (inklusive der Verfasstheit der Europäischen Union) könnten hier eine zentrale Rolle spielen.

Eine wichtige Erfahrung erfolgreicher Mobilisierungen besteht darin, dass möglichst breite und plurale Bündnisse entstehen, die auch auf Außenwirkung zielen. Für diese Außenwirkung ist eine gewisse thematische Bündelung notwendig. Allerdings zeigt der Vorbereitungsprozess bislang, dass breite Bündnisse nicht zu einem Selbstzweck werden dürfen. Der vielfach konstatierte Pluralismus führt teilweise dazu, dass bislang eher wenig über die „eigenen“ Spektren hinaus um politische Einschätzungen und Strategien gerungen wird. Es gibt beispielsweise viele Befürworter einer G8-Reform (Linn & Bradfort 2006), oder neben kapitalismuskritischen auch keynesianische Positionen. Dazu kommen strategische Differenzen im Umgang mit staatlichen Akteure oder Parteien. Dies wird bislang wenig diskutiert (einen guten Überblick über verschiedene Positionen bietet Buchholz/Kipping 2006). Das Thema Migration wird zwar von allen für wichtig erachtet, aber einen politisch hohen Stellenwert wollen ihm nur radikalere Gruppen einräumen. Das NGO-Spektrum und Attac halten das Thema offenbar für zu weit weg von der wirklich als wichtig erachteten politischen Agenda.

Seitens der kritischen Sozialwissenschaften und Intellektuellen geht es m.E. darum, dazu beizutragen, dass in solchen Protestzyklen große Wissens- und Orientierungsbedürfnis zu befriedigen. Dies kann nicht derart geschehen, dass nun „überlegenes“ Wissen in die Bewegungen „gespeist“ wird. Wer die Publikationen und Strategiepapiere der verschiedenen Spektren liest, kann sich eines hohen politisch-strategischen Reflexionsniveaus versichern. Sozialwissenschaftliches Wissen kann die Proteste aber in einen breiteren Kontext stellen. Insbesondere Nord-Süd-Fragen können so besser thematisiert werden. Kritische Intellektuelle und ihre Foren können zudem die wichtige Brücke ins Establishment schlagen, da sie dort über ungleich mehr Reputation verfügen als linke Bewegungen und viele Nichtregierungsorganisationen.

Mögliche strategische Orientierungen

Der Arbeitsschwerpunkt Weltwirtschaft (ASWW) der BUKO schlägt einige strategische Orientierungen vor, die auf breite – jedoch nicht ungeteilte – Zustimmung bei den linken G8-Mobilisierungen stoßen dürften (ASWW 2006; vgl. ähnliche Überlegung der „Interventionistischen Linken“ bei Schröder 2006).

Es geht zuvorderst darum, die „G8“ zu delegitimieren, d.h. den sich koordinierenden Regierungschefs die Zuständigkeit für die „Lösung der Weltprobleme“ abzusprechen. Das ist nicht zynisch gemeint, denn die Probleme sind enorm. Die „Delegitimierung“ zielt darauf, dass die Regierungen der „G8“ gar kein politisches Interesse daran haben, die enormen Aufgaben in einem emanzipatorischen Sinne anzugehen. Vielmehr sollen die bestehenden Herrschaftsverhältnisse stabilisiert werden. Diese Orientierung an „Delegitimierung“ impliziert, weder die Regierungsagenda zu akzeptieren, noch naive Nicht-Beschäftigung zu betreiben. Denn was die Mächtigen aushecken, ist von höchster Relevanz. Daher mündet diese Orientierung nicht in eine „konstruktive Kritik“, die dem Gremium noch mehr Legitimität verleihen würde, sondern in die Forderung nach Auflösung der „G8“.

Zudem soll der G8-Prozess dazu genutzt werden, bereits bestehende oder mögliche gesellschaftliche Alternativen sichtbar zu machen. Dies geschieht vor dem Hintergrund folgender Einschätzung: „Wir sehen, dass viele Menschen in den Metropolen die herrschenden Verhältnisse entweder passiv-resignierend hinnehmen oder sogar aktiv unterstützen – ein schlichtes ’die da oben, wir hier unten’ geht also nicht auf. Wir benötigen überzeugende Argumente und müssen für interessierte Menschen und Medien ansprechbar sein. Die Kunst besteht darin, radikale Kritik und Forderungen zu formulieren und sich gleichzeitig über den Kreis der ohnehin Überzeugten hinaus zu begeben“ (ASWW 2006).

Das bedeutet aber auch, sich der Tatsache bewusst zu sein, dass es keinen umfassenden Gegenentwurf geben kann und soll. „Eine andere Welt kann nicht autoritär geplant und durchgesetzt werden, sondern muss in Lernprozessen, durch Erfahrungsaustausch und Beteiligung aller entstehen“ (ASWW 2006). Es gibt einen großen Konsens hinsichtlich dieser Orientierung. Gleichwohl geraten Bewegungen immer wieder unter Druck, denn ein Teil des herrschenden Denkens besteht ja darin, sich – allem Klein-Klein in der realen Politik zum Trotz – als alternativlos für die gesamte Gesellschaft zu präsentieren.

Für das kritische Spektrum wird es wichtig sein, sich nicht hinter „unserer“ Regierung einzureihen, mag sie auch „Armutsbekämpfung“ oder „erneuerbare Energien“ auf ihre Fahnen schreiben, oder zu meinen, es könne mit der Regierung ernsthaft verhandelt werden. Natürlich muss öffentlicher Druck erzeugt werden, aber immer in Distanz zu den Regierungschefs. Sonst besteht die Gefahr der Instrumentalisierung bzw. Spaltung, denn ein Großteil der Protestierenden wird das nicht mitmachen. Und es drohen wichtige Fragen aus dem Blick zu geraten. Um das Beispiel Energie nochmals aufzugreifen: Wer bestimmt eigentlich heute die Energieagenda? Wie können Produktions- und Konsummuster grundlegend verändert werden? Was bedeutet eine demokratische Energiepolitik? Interessant dürfte hier werden, wie mit einem wahrscheinlichen Besuch von Angela Merkel auf dem Alternativgipfel umgegangen werden wird.

Wichtige Aufgaben

Die wichtigste Aufgabe besteht m.E. darin, stabile Bündnisse zu schaffen und sie auszuweiten. Insbesondere die Gewerkschaften und die Linkspartei bzw. Teile von diesen sind – ohne Anspruch, den Prozess dominieren oder instrumentalisieren zu wollen – hier wichtig. Es sollten aber auch die Möglichkeiten internationaler Kooperation stärker ins Auge gefasst werden. Die Bewegungen für eine andere Mobilisierung sind weiterhin stark auf die jeweiligen Nationalstaaten bezogen, in denen sie agieren.

Zweitens gilt es unbedingt, die Spaltungsfalle zu umgehen. Es ist absehbar, dass die herrschenden politischen Kräfte und die Medien ab Frühjahr die „good guys/bad guys“-Karte spielen werden. Insbesondere am Thema der „Gewaltbereitschaft“, wozu auch Aktionen des zivilen Ungehorsams zählen werden, soll dann das Spektrum gespalten werden. Den Versuch der Delegitimierung des Protestes wird es zudem geben, da auch rechte und rechtsradikale Gruppen gegen G8 mobilisieren werden und in der Öffentlichkeit das emanzipatorische Spektrum als „nationalistisch“ denunziert werden könnte.

Die Spaltungsversuche könnten einhergehen mit einem „Spielwiesen-Szenario“. Der Begriff wurde von den Organisatoren des Weltwirtschaftsforums in Davos angesichts der zunehmenden Proteste geprägt. Er meint, dass den gemäßigten Kräften Räume bereitgestellt werden, in denen sie ihre Anliegen formulieren können und die sich auf diese Art ernst genommen fühlen. Kritik und Protest soll so kanalisiert werden, ohne dass die Anliegen der KritikerInnen ernsthaft berücksichtigt würden.

Drittens sollte bewusst sein, dass es in diesem Land eine entwickelte Protestkultur nicht (mehr) gibt. Diese muss wieder entstehen, wozu der G8-Gipfel ein guter Anlass ist. Praktisch bedeutet das etwa, Ängste von vielen bei Demonstrationen ernst zu nehmen und diese abzubauen.

Viertens, auch das wird immer wieder bei den vorbereitenden Diskussionen angesprochen, sollte bei aller Freude über breite Bündnisse nicht vergessen werden, dass es gesellschaftliche Gruppen gibt, die sich nur schwer organisieren können und entsprechend kaum in Bündnissen repräsentiert sind. Wie können aber diese Kämpfe und Forderungen, etwa von illegalisierten MigrantInnen, berücksichtigt werden?

Fünftens, das ergibt sich aus dem Gesagten, sollte in die hoffentlich dynamische Mobilisierung bereits die Perspektive eingehen, wie nach Juni 2007 die Erfahrungen reflektiert werden können.

Sechstens sollten inhaltliche und organisatorische Verknüpfungen mit der bundesdeutschen EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 geschaffen werden.

Und schließlich: Oben wurde gesagt, dass der G8-Prozess 2007 zu einer innenpolitischen Auseinandersetzung mit der Großen Koalition werden könnte. Dann ist aber ein Sachverhalt von zentraler Bedeutung: Die international verabredeten Politiken müssen mit den nationalen und lokalen Politiken in einen Zusammenhang gebracht werden. Was haben die Privatisierung der kommunalen Wasserbetriebe oder Hartz IV mit der Agenda und den kooperativ verabredeten Politiken der G8 zu tun? Wenn es gelingt, diese Zusammenhänge aufzuzeigen, könnte der Mobilisierungsprozess eine enorme Dynamik entwickeln. Und dann könnten ein dynamischer Vorbereitungsprozess wie auch kraft- und lustvolle Tage im Juni 2007 in der Tat eine katalytische Wirkung für weitere Prozesse haben.

Literatur:

Altvater, Elmar; Sekler, Nicola (Hg.) (2006): Solidarische Ökonomie. Hamburg (Reader des Wissenschaftlichen Beirats von Attac).

ASWW – Arbeitsschwerpunkt Weltwirtschaft der Bundeskoordination Internationalismus (2006): G8 delegitimieren, soziale Bewegungen stärken, Alternativen leben. Erwartungen an den G8-Prozess – ein Diskussionspapier. verschiedentlich publiziert; http://www.buko.info/ (letzter Abruf 9. 11. 2006)

Attac (2006): Zum Stand des G8-Prozesses. Information des Koordinierungskreises von Attac Deutschland über die Protest-Vorbereitungen zum G 8 in Heiligendamm 2007. (letzter Abruf 9. 11. 2006)

Brand, Ulrich (2005): Gegen-Hegemonie. Perspektiven globalisierungskritischer Strategien. Hamburg.

Buchholz, Christine; Kipping, Katja (Hg.) (2006): G8: Gipfel der Ungerechtigkeit. Wie acht Regierungen über 6.000.000.000 Menschen bestimmen. Hamburg.

Hamm, Bernd (2006): „Demokratie im Lichte der Globalisierung: Blockaden auf dem Weg zur globalen Demokratisierung.“ In: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung, Hintergrund, Juli-August, S. 4-8.

Linn, Johannes F.; Bradford, Colin I. (2006): „Einstieg in die Reform der Global Governance: Von der G8 zu einem L20-Gipfelforum?“ In: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung, Hintergrund, Juli-August, S. 1-3.

Schröder, Berit (2006): Selber machen, damit nicht andere das Bild bestimmen. Überlegungen zum Stand der Mobilisierung gegen den G8-2007. In: analyse & kritik 506, Mai, S. 29.

Wahl, Peter (2006): G8: PR-Show oder Weltregierung? Weltwirtschaftsgipfel und Globalisierung. Hamburg (AttacBasisTexte 21).

Dieser Beitrag erscheint auch in der Zeitschrift „Peripherie“

© links-netz November 2006