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Das angegriffene Imperium

Eine zentrale politische Devise in der neuen Weltordnung lautet: Lokal denken, global handeln

Christine Morgenstern

An Begründungen für den Krieg gegen den Irak fehlte es nicht, nur an deren Plausibilität. Bemerkenswerter als die vorgelegten Beweise, war deren schlampige Fälschung. Auch nach Beendigung der offiziellen Kriegshandlungen konnten weder Al Qaeda-Verstecke enttarnt werden, um dem Terror die Grundlage zu entziehen, noch war das Arsenal an Massenvernichtungswaffen aufzufinden, das zuvor den Weltfrieden bedroht hatte. Der Eindruck einer gewissen Beliebigkeit bei der Wahl von Kriegsgründen drängte sich auf (vgl. Görg, 2002). Zur Rechtfertigung des Angriffs auf den Irak hatte letztlich der Verdacht genügt, dort würden Angriffspläne gegen den Westen geschmiedet, insbesondere gegen die Vereinigten Staaten, die folglich gezwungen seien, sich in einem Akt ‚legitimer Selbstverteidigung’ gegen einen ‚Schurkenstaat’ zur Wehr zu setzen. Erst kurz vor dem sogenannten ‚Showdown’ USA gegen ‚das Böse’ waren in der öffentlichen Darstellung noch zwei hehre Ziele nachgeschoben worden: Die Verteidigung der Menschenrechte und der Aufbau einer zivilen, demokratischen Gesellschaft im Irak.

Ungewohnt ist ebenfalls die ostentative Missachtung, die die Regierung Bush jr. internationalen Institutionen, Abkommen und rechtlichen Regelungen entgegenbringt. Völkerrecht und UN-Charta werden, wie UNO oder NATO, Welthandelsorganisation oder Weltwährungsfonds nur solange anerkannt, wie sie dem dienen, was nach Auffassung der US-Administration ‚amerikanische’ Interessen sind. Die Interessen internationaler Bündnispartner finden nur Berücksichtigung, wenn sie mit den wirtschaftlichen und militärstrategischen Zielen der USA übereinstimmen. Multilaterale Übereinkommen werden durch direkte Vereinbarungen mit einzelnen Ländern ersetzt, die Stärke der USA lässt sich in bilateralen Verhandlungen mit ‚willigen Partnern’ uneingeschränkter einsetzen. Auffällig sind auch die offenen Einmischungen in nationales Recht anderer Staaten, wie Belgien oder die Niederlande. Das wiederholte Hinwegsetzen über internationale Regeln und Verfahrensweisen transportiert die Aussage: Wir tun es, weil wir es können.

Der unverstellte Unilateralismus, mit dem die Bush-Administration ‚nationale’ Interessen vertritt, entspricht nach Ansicht derer, die eine solche Politik seit Langem einfordern, „America’s leadership role in the world“ (Gedmin, 2001). Der von Konservativen in den USA traditionell als außenpolitische Strategie vertretene Isolationismus wurde durch ein aggressives, unilaterales Vorgehen ersetzt. Das dazugehörige politische Konzept wird seit Ende der achtziger Jahre von sogenannten ‚Neokonservativen’, bei denen es sich eher um Neu-Rechte handelt, propagiert. In ihrer Einschätzung der Weltlage beziehen sie sich auf Theorien, die in ihrem Umfeld entstanden, dazu gehört Fukuyamas „Ende der Geschichte“ ebenso wie Huntingtons „Kampf der Kulturen“. Jahrelang verbreiteten sie ihre Erklärungen und Forderungen, die zwischen Untergangsvisionen, moralischen Handlungsanweisungen und politischen Omipotenzvorstellungen changieren, ohne dass sie damit auf größere Resonanz getroffen wären. Schließlich ist das, was sie über einen militanten Unilateralismus hinaus anzubieten haben, lediglich verstaubter Ultra-Konservativismus und Interessenvertretung für monopolartige transnationale Mischkonzerne. Sie sind gegen Scheidung und für moralische Werte, gegen Abtreibung und für das Schulgebet, gegen zu hohe Umweltstandards und für freies Unternehmertum.

William Kristol, einer der eifrigsten Promoter neokonservativen Gedankenguts, räumt ein: „Vermutlich wären wir mit dem, was wir schreiben, noch immer Außenseiter, wenn der 11. September nicht eine größere Offenheit für unsere Ideen geschaffen hätte“ (Spiegel, 27/2003). Eine Untertreibung, angesichts der optimalen Ausnutzung eines singulären Ereignisses, wie es die Zerstörung des World Trade Centers und das brennende Pentagon darstellen, durch die Hardliner in der zweiten Bush-Administration. Wie der medial abgebildete Beweis für die Angreifbarkeit der Vereinigten Staaten in die Chance verwandelt wurde, einem politischen Konzept zu breiter Zustimmung zu verhelfen, das kurz vorher keinerlei Aussicht hatte, je in gesellschaftliche Realität umgesetzt zu werden, kann als anschauliches Lehrstück erfolgreicher politischer Strategie betrachtet werden. Der Wahlverlauf hatte gezeigt, dass die von Bush jr. und Cheney vertretenen partikularen Macht- und Interessengruppen als solide Basis einer dauerhaften Mehrheitsbeschaffung nicht ausreichen würden. Auch die Unterstützung der christlichen Rechten, der sogenannten ‚moralischen Mehrheit’ im ‚Bible Belt’ des Mittelwestens und Südens, auf die die religiöse Rhetorik des ‚erweckten’ Präsidenten zielte, genügte nicht. Nicht einmal der Beistand rechts-konservativ ausgerichteter Medien half. Mit der erfolgreichen Vereinnahmung der Katastrophe gelang es jedoch das Legitimationsdefizit des Präsidenten vergessen zu machen und die Zustimmung zur Regierungspolitik in der Bevölkerung stark zu erhöhen.

Judith Butler bezeichnete die Folgen des 11. September als „Shock and awe“-Effekt. Das Entsetzen und die Furcht vor neuem Unheil noch schlimmeren Ausmaßes wurde durch die anschließenden Milzbrand-Attacken und immer neue Terrorwarnungen aufrechterhalten. Daneben fiel kaum auf, dass sich in der öffentlichen Diskussion eine Erklärung für der Ursachen und Folgen des 11. September durchzusetzen begann, mit der es gelang, die parlamentarische Opposition und andere Kritiker der Bush-Administration bis auf weiteres nahezu mundtot zu manchen (vgl. Krell). Ohne weiteres hätte der amtierenden Regierung die Verantwortung für die enorme Sicherheitslücke in der us-amerikanischen Zivilluftfahrt zugewiesen werden können. Sie hatte ihr Augenmerk statt auf die später viel beschworene innere Sicherheit, auf die Errichtung eines Abwehrschildes gegen Nuklearraketen gelegt. Doch mit der ersten Aufwallung von Patriotismus begann die Bush-Administration die Auffassung zu verbreiten, allein der Liberalismus der Vorgängerregierung sei Schuld am Desaster. Eine gefährlich naive, gutgläubig auf internationalen Ausgleich und Stabilität bedachte Politik, habe zu einer völlig unrealistischen Einschätzung der internationalen Sicherheitslage geführt. Ergebnis seien folgenschwere strategische Fehlentscheidungen gewesen, wie die Vernachlässigung der Rüstung und der Streitkräfte. Erst mit der republikanischen Regierung sei der notwendige politische ‚Realismus’ wieder gewährleistet, aufgrund dessen sich wirksame Vorkehrungen gegen neuerliche Katastrophen dieser Art treffen ließen. Die den Republikanern ohnehin zugeschriebene größere Kompetenz in Sicherheitsfragen wurde unablässig betont. Terrorismusbekämpfung, Sicherheitspolitik und die militärische Stärke der Vereinigten Staaten, das waren die Themen, die die Bush-Administration von da an in den Vordergrund der öffentlichen politischen Debatte stellte.

Der Begriff ‚Liberalismus’ wurde im Gegensatz dazu mit wirklichkeitsferner Ahnungslosigkeit, Unvermögen, Schwäche und Feigheit gleichgesetzt. Jemanden als ‚liberal’ zu bezeichnen gilt inzwischen als Vorwurf, denn ein Großteil der amerikanischen Öffentlichkeit hält eine solche politische Einstellung für unpatriotisch und gefährlich. Gegner und Kritiker der rechts-konservativen Regierungspolitik müssen damit rechnen, des stillschweigenden Einverständnisses mit dem Terrorismus verdächtigt zu werden (vgl. Butler, 2003). Da das ‚liberale’ Establishment der USA die Beschuldigung ‚unpatriotisch’ zu sein ebenso fürchtet wie die Medien, verläuft die öffentliche Diskussion der politischen Maßnahmen der Regierung Bush jr. seither extrem affirmativ. Nur wenige ‚liberale’ KritikerInnen setzten ihre Karriere oder ihren Ruf aufs Spiel, um unter derart ungünstigen politischen Bedingungen gegen die Einschränkung von Freiheitsrechten, den Ausbau nationaler und internationaler Kontroll- und Überwachungssysteme oder die rapide steigenden Rüstungsausgaben einzutreten. So konnte die Regierung ihr politisches Programm bislang weitgehend ungestört umsetzen, während der politische Diskurs sich insgesamt nach rechts verschob.

Schlichte Auffassungen, wie jene, die Welt sei in ‚Gut’ und ‚Böse’ aufgeteilt, gelten seither als ein der internationalen Bedrohungslage angemessenes Analyseinstrumentarium. Davon auszugehen, nicht ‚Gegner’ oder ‚Feinde’ würden bekämpft, sondern ‚das Böse’, macht allerdings nicht nur einen rhetorischen Unterschied. Mit einem beinahe übermächtigen ‚Bösen’ kann es keine Verhandlungen, keine Kompromisse und keinen Waffenstillstand geben, es muss unbarmherzig bekämpft und vernichtet werden. Andernfalls, das steht als finstere Drohung dahinter, wird es ‚das Gute’ hinterrücks überwältigen. Eine Auffassung die auch Verschwörungstheorien stets zugrunde liegt. Ob Außen in der Welt der Terroristen und Massenvernichtungswaffen oder Innen, wo unerkannte Verräter lauern: ‚Das Böse’ ist so gefährlich, dass im Kampf dagegen jedes Mittel Recht ist. Gesetze müssen da im Zweifel zurückstehen, schließlich fragt ‚das Böse’ auch nicht nach der Rechtmäßigkeit seines Handelns. Schließlich geht es in diesem Kampf um Überleben oder Untergang: „In this century, when evil men plot chemical, biological and nuclear terror, a policy of appeasement could bring destruction of a kind never before seen on this earth.“ (Bush, 2003)

Angesichts solcher apokalyptischen Visionen ermächtigte der Kongress den Präsidenten, ohne nennenswerten Widerstand der parlamentarischen Opposition, zum ‚Erstschlag’ gegen jede ‚unmittelbare Gefahr’ für die USA und ihre Verbündeten. Ausgangspunkt dafür ist eine Bedrohungsanalyse, der zufolge die größte Gefahr für die Sicherheit der Vereinigten Staaten seit Ende des Kalten Krieges von Terroristen ausgehe, die von ‚Schurkenstaaten’ unterstützt und beherbergt würden. Die abschreckende Wirkung von Vergeltungsdrohungen könne gegenüber Terroristen und Selbstmordattentätern nicht greifen, so dass rein reaktive Verteidigungsstrategien nicht mehr ausreichten. Die veränderte internationale Lage erfordere ‚präventive’ Militäreinsätze, denn: „We cannot let our enemies strike first“. Alle, die weiterhin auf der engen Auslegung von Völkerrecht und UN-Charta bestünden, hätten, so die Argumentation der Hardliner, die neue Bedrohung noch nicht erkannt. „Unmittelbare Gefahr“ bestünde nicht mehr nur dann, wenn es eindeutige Beweise dafür gäbe, dass ein Angriff direkt bevorstehe. Terrorakte und der Einsatz von Massenvernichtungswaffen könnten nur durch „preemptive actions“ verhindert werden: „The reasons for our actions will be clear, the force measured, and the cause just.“ (The National Security Strategy of the United States of America, offizielle Abkürzung: NSS).

In den Wochen nach den Anschlägen erfolgte nicht nur ein Stimmungsumschwung in der Bevölkerung zugunsten der rechts-konservativen Regierung, darüber hinaus gelang es den Hardlinern einen grundsätzlichen Politikwechsel herbeizuführen. Die Durchsetzung des Unilateralismus als außenpolitischer Strategie ist keineswegs Resultat klandestiner Machenschaften, sondern Ergebnis einer politischen Auseinandersetzung zwischen Vertretern multilateraler und unilateraler Politikkonzepte innerhalb der us-amerikanischen Regierung. Oder, wie Kristol bemerkt, wenn es sich um eine Verschwörung handele, „dann ist sie ziemlich transparent. Jeder kann lesen, was wir denken und wollen.“ (Spiegel, 27/2003) So beförderten die Vertreter des Unilateralismus auch die diplomatische Niederlage der Multilateralisten im UN-Sicherheitsrat offenkundig und nach Kräften. Etwa durch die von US-Regierungsmitgliedern wiederholt verkündete Absicht, unerwünschte Sicherheitsratsbeschlüsse zu ignorieren. Verteidigungsminister Rumsfeld tat sich mit plump aggressiven Äußerungen hervor, die Chefdiplomat Powell immer wieder öffentlich desavouierten und ihn zwangen mühsam zurückzurudern. Hinzu kamen die peinlich schlecht gefälschten Beweise für die Existenz von Massenvernichtungswaffen im Irak, die der Außenminister dem Sicherheitsrat vorlegen musste. Nachdem der Versuch eine internationale Legitimation für den Angriff auf den Irak zu erhalten, für die Mulilateralisten in einem politischen Debakel geendet war, wuchs der Einfluss der Unilateralisten in der US-Regierung erheblich.

International nutzt die unilaterale Politik die Chance in der gegenwärtigen Situation, „die Spielregeln neu zu bestimmen und dadurch zu verhindern, dass mögliche Konkurrenten zu einer wirklichen Bedrohung werden“ (Heinrich, 2003). Voraussetzung dafür ist die in der Nationalen Sicherheitsdoktrin betonte „beispiellose militärische Stärke“ und der „große wirtschaftliche und politische Einfluss“, über den die Vereinigten Staaten gegenwärtig verfügten. Weiterhin gelte aber, „we do not use our strength to press for unilateral advantage” (NSS). Doch „full spectrum dominance“ als Schlüsselkategorie zukünftiger US-Verteidigungspolitik, soll die US-Streitkräfte befähigen – allein oder gemeinsam mit Verbündeten – jeden Gegner zu besiegen und jede Situation zu kontrollieren, quer durch das Spektrum militärischer Operationen. Ob „major theater wars“, regionale Konflikte, Kriege, in denen Massenvernichtungswaffen eingesetzt werden oder friedenserhaltende und friedenserzwingende Einsätze. Ziel ist, der Ausbau der militärischen Überlegenheit der USA in allen Bereichen – „space, see, land, air, and information“. Die US-Streitkräfte sollen „faster, more lethal, and more precise“ gemacht werden, im Dienste der nationalen Sicherheit, der Wahrnehmung internationaler Verantwortung und zum Schutz nationaler Interessen (Joint Vision 2020, 2000).

Verbunden in dem Vorhaben, „Demokratie, Entwicklung, freie Märkte und freien Handel in jeden Winkel der Erde zu tragen“ (NSS), setzen die nationalen Wettbewerbsstaaten alle verfügbaren Mittel gegeneinander ein, um Einflusssphären, Ressourcen und Transportwege zu erringen und zu sichern. Seit dem Ende der Blockkonfrontation ist diese Auseinandersetzung unübersichtlicher und asymmetrischer geworden. Über die Möglichkeit, die eigene Vorherrschaft im globalen Konkurrenzkampf durch offensive Gewaltausübung zu demonstrieren, unabhängig von Bündnispartnern und internationalem Interessenausgleich, verfügen derzeit allein die USA. Konkurrenten, wie die Europäische Union und Japan, aber auch China und Russland, wurden damit zunächst einmal auf die Plätze verwiesen. Vor allem für die europäische und japanische Konkurrenz entstand dadurch eine neue Situation. Der Multilateralismus hatte es ihnen zuvor ermöglicht, unter Bedingungen, die auf der militärischen Absicherung durch die Vereinigten Staaten beruhten, ihre nationalen Interessen zu verfolgen. Der Preis dafür war die unbedingte Anerkennung der Führungsposition der USA, die sich auch in der Bereitstellung militärischer, finanzieller oder geheimdienstlicher Ressourcen ausdrückte. Nach Ende des Kalten Krieges begann die Neuordnung von Grenzen und Einflusszonen.

Die Ideologie des Multilateralismus besagt, es gäbe ein einvernehmliches Ziel aller westlichen Staaten, das in der Herstellung eines guten und gerechten internationalen Ausgleich bestünde. Gemeinsam mit den internationalen Organisationen stellten die nationalen Regierungen neutrale, friedensstiftende Sachwalter eines imaginären globalen Allgemeininteresses dar (vgl. Wissel). Der Unilateralismus setzt dagegen nicht auf die Schaffung eines möglichst stabilen internationalen Kompromisses, im Gegenteil hebt er unablässig die aufgrund unterschiedlicher Interessen und Prioritäten bestehenden zwischenstaatlichen Konflikte hervor. Für die Politik der Hardliner ist allein der nationale Konsens von Bedeutung, zu dessen Herstellung und Aufrechterhaltung verweisen sie gern auf die Unfairness der globalen Konkurrenz und der internationalen politischen Gegner der USA. Auf der Grundlage eines solchen nationalistisch formierten Konsenses fand die Verweigerung jeglicher politischer Zugeständnisse an Regierungen unbotmäßiger, militärisch und ökonomisch unterlegener Staaten breite Zustimmung in der us-amerikanischen Bevölkerung. Angesichts der globalen Bedrohung kann es als ‚das Beste für das Land’ und als im ‚nationalen’ Interesse liegend dargestellt werden, wenn der Staatshaushalt zur Alimentierung von Rüstungs-, Öl- und Anlagenbaukonzernen verwendet und dem reichsten einen Prozent der Bevölkerung ein Steuergeschenk von 726 Milliarden Dollar gemacht wird.

Die europäischen Staaten verfügen bisher nicht über ausreichende militärische Mittel zur Durchsetzung ihrer ‚nationalen’ Interessen. Politik und Wirtschaft nutzen neben Finanz- und Entwicklungshilfe die guten Kontakte zu den alten und neuen Eliten in Osteuropa, ‚auf dem Balkan’, in arabischen und afrikanischen Staaten. Da sie auf die Zusammenarbeit mit bestehenden Regimes angewiesen sind, sind die europäischen Staaten eher an deren Stabilisierung interessiert. Es sei denn, die Umgestaltung eines militärisch wehrlosen Staates findet, wie im Falle Ex-Jugoslawiens, unter ihrer Ägide statt. Während die Koalition der ‚Willigen’ mit der Unterordnung unter die Ziele der USA ihre Position gegenüber den ‚Unwilligen’ zu stärken versucht, setzen die europäischen Mitglieder der Antikriegskoalition, Deutschland und Frankreich, auf eine gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik. Zur wirkungsvolleren Umsetzung seiner angeblich guten Absichten benötigt das zivilisierte, friedliche Europa nun allerdings eine starke interventionsfähige Armee.

Wer kurzfristig davon profitiert, wenn die Vereinigten Staaten ihre militärische Vormachtstellung nicht nur aufrechterhalten, sondern immer wieder auch demonstrieren müssen, und Europa deutlich höhere Militärausgaben plant als bisher, liegt auf der Hand. Ebenso steht aber auch fest, wer die Rechnung dafür begleichen wird. Unter den Bedingungen eines globalisierten Neoliberalismus ist das, sowohl diesseits wie jenseits des Atlantiks, der Großteil der Bevölkerung mit kleinem und mittlerem Einkommen. Hinzukommen jene, die als Arbeitslose, Kranke und Alte auf die sozialen Hilfen angewiesen sind, an denen weiter gespart werden wird. Für uns EuropäerInnen existieren bereits zwei Erklärungsmodelle für die vermeintliche Unausweichlichkeit der Kosten, die da auf uns zu kommen: Entweder muss Europa ein starkes, aber selbstverständlich gerechteres Gegengewicht zu den USA bilden oder an der Seite der USA den aus dem Rest der Welt drohenden Gefahren begegnen.

Den anderen Teil der Rechnung bezahlt die Bevölkerung in den Regionen, die aus geostrategischen, politischen und ökonomischen Gründen auf Interesse in den westlichen Wettbewerbsstaaten stoßen. Die Auflösung staatlicher Einheit, wie sie derzeit im Irak stattfindet, gehört zu den gängigen Verfahren zur Errichtung und Kontrolle von Einflusszonen. ‚Freedom and democracy’ spielen dabei lediglich solange eine Rolle, wie sie im Einklang mit den militärischen, politischen und ökonomischen Absichten der dort vertreten Interessengruppen stehen. Verbunden ist die „Kantonisierung“ dagegen häufig mit einer Ethnisierung der Bevölkerung, offensiv gefördert durch die Hervorhebung religiöser und kultureller Unterschiede, die Aufwertung einiger „Stammesführer“ und die Unterstützung neofeudaler Herrschaftsstrukturen (vgl. Alnasseri). Vorhandene politische, soziale und ökonomische Strukturen lassen sich auf diese Weise bei Bedarf erfolgreich destabilisieren, Folge davon ist die Entstehung immer neuer regionaler Konflikte und Bürgerkriege.

Literatur

Alnasseri, Sabah, 2003, Was wird aus dem Zwei-Strom-Land? Präzedenzfall(e). Irak II. 7 Thesen zur Nachkriegsordnung, in:
http://www.links-netz.de/T_texte/T_alnasseri_irak2.html

Atzert, Thomas/ Jost Müller, 2003, Die Fortsetzung des Krieges, in: Subtropen 04/2003, siehe auch:
http://www.jungle-world.com/seiten/2003/14/642.php

Buckel, Sonja, 2003 Weltordnungskriege, in:
http://www.links-netz.de/K_texte/K_buckel_krieg.html

Bush, George W., 2003, Iraq. Denial and Deception. President Says Saddam Hussein Must Leave Iraq Within 48 Hours. Remarks by the President in Address to the Nation, 17. März 2003, The White House, Office of Press Secretary, in:
http://www.whitehouse.gov/news/releases/2003/03/20030317-7.html

Butler, Judith, 2003 Ästhetik als Teil der Kriegsstrategie, in Frankfurter Rundschau, Nr. 74, 28. März 2003, S. 9

Die neue Nationale Sicherheitsdoktrin der Vereinigten Staaten. Vollständige Dokumentation der Langfassung in deutscher Übersetzung. Teil I bis V, September 2002, in: Friedenspolitischer Ratschlag, AG Friedensforschung an der Uni GH Kassel mit dem Bundesausschuss Friedensratschlag

Görg, Christoph, 2002, Von der Pax Americana zum bellum Americanum. Oder: Krieg als Terror, in:
http://www.links-netz.de/T_texte/T_goerg_nwo.html

Gedmin, Jeffrey/Gary Schmitt, 2001, Allies in America’s National Interest, in: The New York Times, 5. August 2001, siehe auch:
http://www.newamericancentury.org/defense-allies-080501.htm

Heinrich, Michael, 2003, Die Logik des Krieges, in: Jungle World, Nummer 18 vom 23. April 2003, siehe auch:
http://www.jungle-world.com/seiten/2003/17/764.php

Hirsch, Joachim, 2002, Die Globalisierung der Gewalt, in:
http://www.links-netz.de/K_texte/K_hirsch_gewalt.html

Joint Vision 2020, 2000, Published by: US Government Printing Office, Washington DC, Juni 2000, Approval Authority: General Henry H. Shelton, Chairman of the Joint Chiefs of Staff, Office of Primary Responsibility: Director for Strategic Plans and Policy, J5; Strategy Division

Krell, Gerd, Arroganz der Macht, Arroganz der Ohnmacht. Vier Erklärungsmodelle, warum sich zwischen den Vereinigten Staaten und Europa so tiefe politische Gräben auftun, in: Frankfurter Rundschau, 4. April 2003, Nr. 80, S. 7

Spiegel, 2003, Eine Welt voller Schurken, Nr. 27, S. 109, siehe auch:
http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,255880,00.html

The National Security Strategy of the United States of America, 17. September 2002, in: The White House, Washington,
www.whitehouse.gov/nsc/nss.html

Wissel, Jens, 2002, Naming the Beast. Nicos Poulantzas und das Empire, in: Das Argument, 2002, Nr. 248, siehe auch:
http://www.links-netz.de/K_texte/K_wissel_beast.html

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