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Neoliberalismus und Protest Übersicht

 

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Wem nützen eigentlich Schweizer Verhältnisse?

Christine Resch

Die Wortwahl bei der „Volksinitiative gegen Abzockerei“ in der Schweiz, die vom Kleinunternehmer und parteilosen Politiker Thomas Minder betrieben wurde, ist gelungen: Wer ist schon für „Abzockerei“. Die hohe Zustimmung, 68 Prozent der Schweizer Wähler, ist nicht überraschend. In Zukunft entscheiden Aktionäre jährlich über die Gehälter von Verwaltungsräten und Geschäftsführung. Für Manager in Unternehmen, die an der Schweizer Börse notiert sind, entfallen zukünftig „Begrüßungsmillionen“ und „goldene Fallschirme“, wie Anwerbeprämien und Abfindungen in den Medien genannt wurden. Auch beim Verkauf von Firmen sollen keine lukrativen Prämien gezahlt werden. Managern drohen bei Verstößen hohe Geldbußen und Freiheitsstrafen. So weit so gut, aber ist das Ergebnis des Volksbegehrens die internationale Aufregung wert, die es verursacht?

Selbst wer nur über ein kurzes historisches Gedächtnis verfügt, weiß, dass so exorbitant hohe Gehälter für Manager in Europa jungen Datums und aus den USA importiert worden sind. Noch im Fordismus wäre das undenkbar gewesen und das obwohl diese Variante der kapitalistischen Produktionsweise als „Regime der Manager“ (Burnham) bezeichnet wurde. Noch bevor sich in Europa die Karrierewege von Managern (Job-hopping statt firmeninterner Aufstieg) verändert haben und sich mit der Begründung von „brain drain“ Spitzengehälter durchsetzen ließen, haben spitzfindige Wirtschaftstheoretiker (Jensen/Meckling 1976) in den USA nach Lösungen für ein altbekanntes Problem gesucht: dass es nämlich zwischen Aktionären und Managern Interessenkonflikte gibt. Manager verwalteten Konzerne nicht einfach im Sinn der Eigentümer, sondern verfolgten (macht-)politische Eigeninteressen. Dazu gehörte etwa, dass sie hochriskante Geschäfte mieden. Die Gefahr von Fremdkapital abhängig zu werden und dadurch an Autonomie zu verlieren, war zu groß. Manager im Fordismus waren eher bestrebt, erzielte Profite zu reinvestieren und ihren Einflussbereich zu erweitern als hohe Renditen auszuschütten oder die Aktienkurse in die Höhe zu treiben.

Die Aufsichtsräte mögen auf das operative Geschäft und die Entscheidungen des Vorstands wenig Einfluss gehabt haben, alles gefallen haben sie sich auch nicht lassen. Sie waren erfindungsreich, wenn es darum ging, ihre Interessen zu stärken. In Analogie zur „Herrschaft der Manager“ im Fordismus habe ich daher für den Neoliberalismus von „Berater-Kapitalismus“ (Resch 2005) gesprochen. Unternehmensberater fungieren in den Konzernen als die Kapitalfraktion, die den Interessen der Aktionäre verpflichtet ist. Das bedeutete faktisch eine Entmachtung der Manager. Zum Clou dieses Strategiewechsels gehörte sicherlich, dass sie nicht offensiv gegen die Manager durchgesetzt, ihnen ihr faktischer Machtverlust vielmehr abgekauft wurde: mit Gehältern, wie sie bis dahin nur in den USA zu erzielen waren, und Prämien aller Art – beides, zumindest der Idee nach, in Abhängigkeit von den erzielten Aktienkursen. Dazu wussten Manager die Anwesenheit von Beratern in den Konzernen auch noch anderweitig für sich zu nutzen: in internen Konkurrenzkämpfen und um gegenüber Vorgesetzten die von ihnen gewünschten Entscheidungen durchsetzen zu können, indem sie sie „nach oben“ als die Empfehlungen von „neutralen“ Beratern dargestellt haben. Als Vorteil für alle Seiten herausgestellt hat sich auch, dass das Scheitern niemanden verantworten muss und kann: Die Berater waren längst wieder weg, wenn sich eine Umstrukturierung als Irrweg herausgestellt hat, dazu war immer der „Fehler“ der Geschäftsführung, dass die Konzepte nie 1:1 implementiert worden seien, die Manager konnten die Verantwortung gleichwohl auf die Berater schieben. Für alle Beteiligten, oberes Management – das mittlere wurde verschlankt und hat den Kürzeren gezogen –, Unternehmensberater und Aktionäre war das wohl, was man eine win-win-Situation nennt. (Dass den Letzten auch an der Börse die Hunde beißen, gehört zum Spiel.)

Managern ist es allerdings nicht gelungen zu vermeiden, und das im Unterschied zu den Beratern, dass ihrem Tun öffentliche Aufmerksamkeit zukommt. Eher ist das Gegenteil der Fall: Die hohen Vergütungen haben sie anfällig für Skandalisierungen gemacht. (Bei Beratern sind die Honorare allenfalls dann ein Problem, wenn teure Aufträge für Staat, Länder und Kommunen von Oppositionsparteien öffentlich verhandelt werden.) Sie waren als Objekt einer Volksinitiative gegen „Abzockerei“ ein leicht verfügbares Feindbild.

Kurz nach der Abstimmung hat das Ergebnis europaweit für Diskussionen gesorgt. Die Schweizer Verhältnisse sollen zukünftigen EU-Regelungen als Vorbild dienen. Manche Regierungen (F) unterstützen das, andere (D) beobachten es zumindest wohlwollend und warten Vorschläge gelassen ab. Mit größerem Widerstand, wie ihn die Konservativen und die „Wirtschaftsvertreter“ (welche genau eigentlich?) in der Schweiz geleistet haben, ist in Europa offenbar nicht zu rechnen. Besonders erstaunlich ist das nicht.

Wenn plausibel ist, was hier als historische Entwicklung in den letzten dreißig Jahren grob dargelegt wurde, dann indiziert die Volksabstimmung in der Schweiz, dass der Konflikt zwischen Aktionären und Managern inzwischen offen geführt werden kann. Legitimiert durch Volkes Willen brauchen Manager nicht mehr diskret bestochen zu werden, um sie dazu zu bringen, gegen ihre eigenen Interessen zu handeln und die der Aktionäre zu verfolgen, man kann sie ganz direkt erpressen. An einzelnen Spitzen-Gehältern wird das nichts Wesentliches ändern, sofern die Top-Manager sich den Aufsichtsräten bereitwillig anpassen. Insgesamt hat der Volksentscheid vermutlich eine Umverteilung innerhalb des finanzialisierten Kapitals zur Folge: Aktionäre werden zu Lasten von Geschäftsführungen profitieren. Von einem Bruch mit der gegenwärtigen Wirtschaftsmoral kann keine Rede sein, es ist die konsequente Fortsetzung des neoliberalen Casino-Kapitalismus. Dass jetzt als basisdemokratische Entscheidung durchgesetzt werden muss, worauf ohnehin hingearbeitet wurde, ist der Charme an dieser Angelegenheit. Jeder hätte wissen können, dass die Kleinaktionäre, deren Rechte angeblich gestärkt werden sollten, wie auch bisher nicht die Macht haben werden, ihre Anliegen durchzusetzen. Sie dienten nur als Aufhänger für eine populistische Kampagne, als „Rammbock“, den eine Fraktion der Wirtschaftselite gegen eine andere einsetzt, um ihre Macht auszudehnen. „Radikal“ ist einzig und allein die Androhung von Gefängnisstrafen – üblicherweise gehört das nicht zum Repertoire, mit dem sich Fraktionen der Wirtschaftselite gegenseitig bekämpfen.

Die direkte Demokratie in der Schweiz lässt sich unter Bedingungen der gegenwärtig herrschenden Politikform, die die Bevölkerung nur als „Stimmvieh“ braucht, aber keine politische Bildung betreibt, die darauf gerichtet ist, Interessen auszuarbeiten und zu organisieren, leicht instrumentalisieren und liefert Lehrstücke in Sachen Populismus.

Literatur

Jensen, Michael and William H. Meckling (1976) „Theory of the firm. Managerial behavior, agency costs, and ownership structure”, in: Journal of Financial Economics. Band 3, 1976, Nr. 4, S. 305-360

Resch, Christine (2005) Berater-Kapitalismus oder Wissensgesellschaft? Zur Kritik der neoliberalen Produktionsweise. Münster

© links-netz März 2013