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Casting-Show der Hochkultur

Die Zentrale Intelligenz Agentur, der Bachmann-Preis und die Überlebensstrategien des intellektuellen Prekariats

Christine Resch und Heinz Steinert

Als der Bachmann-Preis dieses Jahr an Kathrin Passig von der Autorengruppe „Zentrale Intelligenz Agentur“ verliehen wurde, wurde über den Wert dieses Preises heftig debattiert. Und das Autoren-Subjekt musste auch zum wiederholten Male sterben: Was den Kritikern und Verlagen als individuelle, eben hochkulturelle Produktion gilt, stellte sich als serienweise produzierbar heraus. Was war geschehen?

Kathrin Passig, die zusammen mit Holm Friebe die „Zentrale Intelligenz Agentur“ (ZIA) gegründet hat, ist für ihre Erzählung „Sie befinden sich hier“ mit dem Bachmann-Preis ausgezeichnet worden.1 Die ZIA wollte mit Textproduktionen Geld verdienen, was kommerziell, ihrer Selbstdarstellung entsprechend,2 gescheitert ist: „Den Auftrag, PR für eine Design-Agentur zu machen, hatten wir gründlich vermasselt.“ „Die ungeliebten Brotjobs flogen uns um die Ohren.“ Also schrieben sie Exposés für Sachbücher und Anthologien, die, so immer noch die Selbstdarstellung, „sich überraschenderweise ordentlich verkauften und ab Herbst erscheinen werden.“ Und sie haben es mit Literaturpreisen versucht. Der Bachmann-Preis bietet sich an, weil man sich da selbst melden und bewerben kann und dann mit etwas Glück von einem / einer Juror/en/in zum Wettbewerb eingeladen wird. Die Mitglieder der Gruppe haben schon in den letzten Jahren den Publikumspreis und den Ernst-Willner-Preis3 abgegriffen, dieses Mal ist ihnen der Hauptpreis (und der Publikumspreis) gelungen.

Mit dem Bachmann-Preis wurde die Tradition der Gruppe 47 fortgesetzt, in der Ingeborg Bachmann ihre Karriere begonnen hatte: Es ist einer der wenigen (nicht regionalen und deshalb) hochdotierten Nachwuchspreise, der für unveröffentlichte Texte und an junge Schriftsteller/innen vergeben wird. Die Autor/inn/en lesen ihre Texte in Klagenfurt selbst vor und setzen sich einer öffentlichen Kritik aus. Auch die Konkurrenten sind während der Lesungen im Saal anwesend. Es handelt sich um eine Veranstaltung, die (in Auszügen) auch im Fernsehen übertragen wird. Auf der offiziellen homepage werden Lesungen und Diskussionen dokumentiert. Mit den Beurteilungen ist die Jury nicht zimperlich. Da ist die Rede von einem „geschwollenen und gestelzten Ton“, vom „Absturz in halbabstrakte Begrifflichkeiten“, bemängelt wird „fehlende Struktur und Spannung“, da sind Geschichten zu „schematisch“ oder die Sprache „auffrisiert wie ein Motor“, um nur einige Beispiele zu nennen, die sich die Bewerber/innen anhören mussten. Mit überschwänglichem Lob wird die Diskussion zu Passigs Text eingeleitet: „Endlich möchte ich fast sagen. Wir haben eine sehr gute deutsche Schriftstellerin entdeckt und einen Text, von dem ich restlos überzeugt bin. Ich kann beim besten Willen nicht sehen, wo dieser Fehler oder Makel hätte.“ Die anderen Juroren schließen sich dieser positiven Kritik an. Hier wird explizit ausgesprochen, was die Fiktion des Bachmann-Preises ausmacht: Die Lebenslüge besteht darin, dass unterstellt wird, man entdecke Genies. Ob das Urteil vernichtend ausfällt oder zur Lobhudelei gerät: Der Gestus bleibt derselbe. Die Jury verfügt über das gesicherte Wissen, was gute Literatur auszeichnet und spricht das auch hemmungslos aus. Aber dieses Mal werden Veranstaltung und Jury bloßgestellt. Wie in anderen Fernseh-Shows auch, ist das Gegenüber nämlich kein bescheidenes junges Talent, sondern ein Kulturindustrie-Profi, der die Situation geschickt ausnutzt.

Passig hat nämlich einen für diesen Wettbewerb maßgeschneiderten Text geliefert und für ihr literarisches Erstlingswerk den Preis gewonnen. Maßgeschneidert ist der Text deshalb, weil Passig das Geschehen letztes Jahr beobachtet hat und zu dem Ergebnis gekommen ist, das könne sie auch. Zwei Tage nachdem sie den Preis erhalten hat, sagt sie in einem Interview, das in der Online-Ausgabe der FAZ4 veröffentlicht wurde:

„Aus meinen Beobachtungen im Vorjahr habe ich geschlossen, es soll auf jeden Fall kein komischer Text sein, es soll nicht um Beziehungsprobleme gehen und er soll keine schlechten Dialoge enthalten. ... Ich dachte, in Klagenfurt kann es nicht schaden, ein ordentliches Metaphernschneegestöber loszulassen, ich hatte aber trotzdem Schwierigkeiten, die geforderte Mindestlänge zu erreichen.“

Die Erzählung zeigt, dass sie es auch wirklich kann: Es ist eine anspielungsreiche und sprachlich durchgearbeitete kleine Geschichte. Der oder die Ich-Erzähler/in verirrt sich im Schneegestöber, alles andere bleibt offen. Gehört die nicht mehr vorhandene Begleiterin Anne schon zu den Halluzinationen eine/r/s Erfrierenden oder ist Annes nackter Arm und ein Teil ihres roten T-Shirts, den man im Windschatten des Felsblocks noch erkennen könnte, Beschreibung ihres Todes, oder ist der Tropfen Blut, in dem die Figur, wenn sie ihn auf bestimmte Weise fixiert, die vollständige Anne erkennen kann, gar die Metapher für den Mord an ihr? Das lässt sich nicht eindeutig klären. Passig wollte keinen „komischen“ Text schreiben, ein tragi-komischer ist es doch geworden. Die Figur macht Überleben zu einer Frage der Planung, der Selbstbeherrschung, der richtigen Einstellung, des klaren Verstandes, des in Bewegung Bleibens, aber die Leser nehmen das schon längst als Selbsttäuschung wahr und vermuten, dass sie, wenn nicht noch überraschend Hilfe auftaucht (was nicht geschieht) über das Sterben lesen. Diese Diskrepanz zwischen den ernsthaften Bemühungen der Figur, sich zu retten, und der nahegelegten Vermutung, dass sie tatsächlich hilflos ist, bringt ein Schmunzeln hervor, das man manchmal an Erwachsenen gegenüber Kindern beobachten kann, wenn sie wissen, dass das Kind nicht schaffen wird, was es angepackt hat, sich aber zugleich freuen, dass der oder die Kleine es sich schon zutraut.

In diesem Kontext hat die Geschichte aber zusätzlich eine Komik: Alle instrumentellen Überlegungen, die die Figur anstellt, um sich zu retten, nützen nichts. Man kann es schaffen, mit einem durchkonstruierten Text nach Klagenfurt eingeladen zu werden und sogar den Preis zu gewinnen. Und, wie um das Ganze zu krönen, kann man dort eine Erzählung vortragen, die genau das Gegenteil aussagt: Jedes Kalkül ist zwecklos.

Jedenfalls: Leute, die darin geübt sind, auf Bestellung zu texten, können mit etwas Recherche auch die Art von Text produzieren, wie ihn die Jury erwartet. Das ist so aufregend nicht und selbstverständlich wählen auch andere Teilnehmerinnen, auch solche, die das ernster nehmen, ihre Texte gezielt für den Wettbewerb aus oder schreiben sie für diesen Kontext. Harald Staun kommentiert dann auch: „Wie sehr Klagenfurt-Texte zu einem eigenen Genre geworden sind, das kann man kaum besser demonstrieren.“ Und fragt: „Worin besteht der Betrug? ... Dass Passigs Text nicht aus dem Herzen käme, sondern aus ihrem Hirn?“5 Ungewöhnlicher ist da schon, dass Passig mit dieser Story hinterher an die Öffentlichkeit gegangen ist. In diversen Interviews hat sie es bereitwillig erzählt, in fast allen Medien-Berichten wird das und manchmal auch die Befürchtung kolportiert, der Bachmann-Preis werde von der ZIA unterlaufen. „Mission erfüllt!“ zitiert der Deutschlandfunk (6.7.06)6 aus dem „Lagebericht“ der ZIA über den Erfolg der „Agentin Kathrin Passig“. Die ironischen Anspielungen auf die CIA und die dazugehörige militärische Sprache überformen die ökonomische Erfindung, die hier tatsächlich gemacht wurde. Die jungen Leute „kulturmanagen“ sich selbst. Sie organisieren eine (virtuelle) Subkultur, pflegen Kontakte zu Journalisten, arbeiten gelegentlich als Übersetzer und kennen daher Verlage und sind mit diesen Ressourcen imstande, sich gekonnt zu vermarkten.

Von der ZIA wird damit beim Wort genommen, was ihnen über die Wissensgesellschaft dauernd erzählt wird: Dass sie mit ihren intellektuellen Fähigkeiten viel Geld verdienen können. Es ist dieses banale Bestreben, das die verschiedenen Aktivitäten der ZIA-Betreiber verbindet. (An den Sachbüchern kann man das leicht veranschaulichen: Dass Sachbücher nach einfachem Muster „gestrickt“ werden, müssen sie niemanden erzählen, das ist bekannt. Hier wird offensichtlich, dass es „nur“ darum geht, Kohle zu machen.) Und dabei machen sie die erbitternden und demütigenden Erfahrungen, die wir alle machen, sind aber in der Gruppe imstande, sich daraus wenigstens abends beim Wein und hinterher am Schaden zu erfreuen. Seit sich der in dem einen Fall auch noch gewinnbringend vermarkten ließ, wird er in der „großen Öffentlichkeit“ in den Vordergrund geschoben.

Dieses Vorgehen macht aus der PR-Arbeit in eigener Sache eine objektiv DADA-istische und Rache-Aktion: Die Aktion besteht nicht im instrumentell gezielten Schreiben, sondern darin, dass man nachher, statt demonstrativ dankbar zu sein und sich über die Anerkennung und Förderung des eigenen keimenden Talents zu freuen, den Coup aufdeckt. Dass Schriftsteller auch Brotjobs übernehmen und ihr Können journalistisch einsetzen, ist nicht ungewöhnlich und hat eine lange Tradition. Passig hat „nur“ die Regeln der Selbstdarstellung verletzt. Sie sagt von sich: „Ich bin jetzt immerhin so weit, dass ich auch schon mal Autor sage, wenn ich nach meinem Beruf gefragt werde.“7 Die unterstellte Hierarchie zwischen einem genialen Literaten und einem kommerziellen Texter teilt sie nicht. Ein Literaturpreis ist eine mögliche Geldquelle wie ein Auftrag der Werbeindustrie auch. Aber objektiv macht sie damit auf die Struktur des Spektakels aufmerksam.

Die Zumutung, mit der man bei der Verleihung des Bachmann-Preises konfrontiert wird, ist Asymmetrie: Man soll mit Herzblut Geschriebenes auch noch selbst vortragen – und gegenüber sitzen ein paar ältere Damen und Herren und machen sich öffentlich darüber lustig. Irgendeine Möglichkeit, ihre Berechtigung dazu anzweifeln oder ihnen auch nur antworten, hat man auch nicht. Auch das Videoporträt, mit dem die Autoren in Klagenfurt vorgestellt werden, hat Passig von einem ZIA-Kollegen drehen lassen. Es sei eine Parodie auf die stereotypen Autorenporträts des Bachmann-Wettbewerbs.8 Kathrin Passig tippt am Computer: „Jeder Anschlag ein Anschlag auf das Nichts. Schreiben, weil man schreiben muss.“ Damit wird der Stereotyp von der Schriftstellerin, die mit Herzblut schreibt, gefüttert und instrumentell eingesetzt: Die Bachmann-Preisrichter müssen ihre Schriftsteller so sehen können, um mit ihnen das Talkshow-Selbstentblößungs-Spiel treiben zu können, das der Preis darstellt. Passig hat das Arrangement des Vorsingens und die Preisrichter als sadistisch entlarvt. Dass Hochkultur mit Mitteln des Proli-TV arbeitet, das ist eine Erkenntnis, die den Akteuren in Klagenfurt ziemlich abgeht – und sogar den ZIA-Leuten. Hier wird immer noch so getan, als werde Hochkultur parodiert.

Der Bachmann-Preis ist eine Casting-Show der Hochkultur, erfunden lange vor DSDS und ähnlichen Sauereien des Proli-TV. Was uns beim Proli-TV immerhin als lächerlich und unmenschlich auffällt, das wird in der Hochkultur seit langem völlig ernsthaft und unkritisiert zelebriert und auch noch mit einem Namen wie Ingeborg Bachmann verbunden. Aber zum Glück stimmen die Hochkultur-Annahmen nicht mehr: Hier sitzen nicht Profis der Kulturindustrie, die Genies entdecken wollen, unbedarften Schreiberlingen gegenüber, um entdeckt zu werden. Vielmehr sind es auch auf dieser Seite Profis des Kulturbetriebs. Wer wen instrumentalisiert, ist nicht ausgemacht.

Anmerkungen

  1. Nachzulesen ist der Text unter: http://bachmannpreis.orf.at/Zurück zur Textstelle
  2. http://www.zentrale-intelligenz-agentur.de/wahrheit_friebe.htmlZurück zur Textstelle
  3. Ernst Willner war Mitbegründer der „Tage der deutschsprachigen Literatur“, wie der Live-Wettbewerb offiziell heißt. Der Ernst-Willner-Preis wird von Verlagen gestiftet, der Ingeborg-Bachmann-Preis von der Stadt Klagenfurt.Zurück zur Textstelle
  4. Das Interview ist überschrieben mit „Ein ordentliches Metaphernschneegestöber“ und so zu finden. Zurück zur Textstelle
  5. http://spiegel.de/kultur/literatur/0,1518,424652,00.html. Zu den Pointen gehört, wie in der TAZ (24.7.2006) nachzulesen, dass Passig den Nukleus ihrer Erzählung, die vom Erfrieren handelt, ihrem privaten Erleben entnommen habe. Im kanadischen Winter habe sie sich einmal verlaufen. Einen sachlichen Bericht dieser Episode habe sie bereits für das Internetforum „Die höflichen Paparazzi“ geschrieben. Zurück zur Textstelle
  6. http://www.radio.de/dlf/sendungen/kulturheute/517668/Zurück zur Textstelle
  7. Vgl. den Artikel „Beruf Schriftsteller“, in: Die Zeit, 17.8.2006Zurück zur Textstelle
  8. Vgl. NZZ, 14. Juli 2006Zurück zur Textstelle
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