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Das Elend des guten Geschmacks

Christine Resch und Heinz Steinert

I

„Wissensgesellschaft“, wie Soziologen die Produktionsweise des Neoliberalismus gern bezeichnen, tut mit intellektueller Arbeit, was Fordismus seit Beginn des 20. Jahrhunderts mit den handwerklichen Fertigkeiten von körperlicher Arbeit getan hat: sie werden (weg-) rationalisiert. Zuerst wurden die Setzer und Drucker mit einigem und lautstarkem Widerstand als überflüssig geworden abgeschafft, als nächstes wurde mit schon weniger Widerstand Journalismus auf Auswahl von Agenturmeldungen und Konkurrenz der freien Zeilenverkäufer reduziert. Im Bücher-Gewerbe sind zunächst die Verlags-Lektoren verschwunden und durch freie Literatur-Agentinnen ersetzt worden. Das Sachbuch, nicht von Wissenschaftlern, sondern von den freigesetzten Journalisten (siehe oben) geschrieben, griff um sich, beim Roman wurde der nach den Regeln, die die Creative-Writing-Schulen vermitteln, zusammengekleisterte Bestseller dominant. Literatur „mit Anspruch“ ist ein aussterbendes Gewerbe. Jetzt ist dieser Vorgang bei den Literaten selbst angekommen, die daraus „letzte Romane“ machen, so wie im Kino das Ende des Western von immer noch einmal versuchten „letzten Western“ begleitet wurde und wird.

Diese „letzten Western“ haben in ihren besten Exemplaren, etwa „Little Big Man“ (Arthur Penn 1970), „Unforgiven“ (Clint Eastwood 1992) oder „Brokeback Mountain“ (Ang Lee 2005), Dimensionen des Western, etwa Rassismus, Helden-Stilisierung und Homoerotik, die ihn in seiner klassischen Zeit prägten und an ihm attraktiv waren, zur Reflexion verfügbar gemacht. Zumindest im Abgesang ist im Unterhaltungsfilm Kulturindustrie imstande, die Mechanismen, die das Künstlerische und also Widerständige ausmachen, so zu mobilisieren, dass unterhaltsame und sogar eindrucksvolle Einsicht in Kulturindustrie entsteht.

Die „anspruchsvolle Literatur“ könnte das vielleicht ähnlich und damit nützliche Einsichten und interessante Lektüre aus ihrem eigenen Untergang im Meer der Kulturindustrie schaffen. Wir wollen das hier an zwei viel gelobten neuen Romanen „mit Anspruch“, Das bin doch ich von Thomas Glavinic und Haus, Friedens, Bruch von Margit Schreiner prüfen. Wir eignen uns zum Zweck der Auswahl also an, was uns kulturindustriell als qualitativ hochwertig nahegelegt wird. Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Die Literatur kann dem Kino puncto unterhaltsame Reflexivität nicht das Wasser reichen.

II

In der letzten Wochenend-Ausgabe des Jahres 2007 von Der Standard (Wien), 29. Dezember 2007, wird, wie das um diese Jahreszeit so üblich ist, heftig bilanziert. In der Beilage mit dem Namen „Album” findet sich ein „Rückblick auf den ‚literarischen Jahrhundertherbst 2007’”, der, wie die Neue Zürcher Zeitung im letzten Spätsommer ihn ausgerufen habe, ein „Jahrhundertherbst der österreichischen Literatur” gewesen sei. Als gemeinsame Formel wird, wie auch die Sammelbesprechung überschrieben ist, „Prägend ist das Private” gefunden. Der Artikel enthält aber auch einige Anmerkungen zum Literaturbetrieb. Über das Buch von Thomas Glavinic heißt es dort: „Vielleicht ist es kein Zufall, dass eines der erfolgreichsten Bücher dieses Herbstes, Glavinics Das bin doch ich, den durchaus selbstironischen Ich-Erzähler Thomas Glavinic als einen sich selbst, dem Betrieb und der Kulturschickeria ausgesetzten Kleinstunternehmer präsentiert. Das Buch zeigt zudem schön, dass mittlerweile die Welt der Ranglisten und Klassements auch die Literatur erfasst hat. Bestseller-, Besten- und andere Listen, Rankings und Autorenhomestorys sind dabei, die literarische Wertung zu ersetzen.“ (Stefan Gmünder in: Der Standard, 29.12.07) Im Text herausgehoben ist folgende Passage: „Entweder schafft man es als Autor, Aufmerksamkeit zu erregen, und schreibt sich in die Top Ten, oder man bleibt, selbst wenn man ein bedeutender Schriftsteller ist, draußen.”

Die Zeitschrift Literaturen startet mit demselben Thema „Schreiben jetzt. Wie Autoren auf dem Markt überleben” ins Neue Jahr. Auch Sigrid Löffler, die einen der Titelbeiträge verfasst hat, weiß, dass es mit der Schriftstellerei dieser Tage nicht so einfach ist: Überproduktion; Marktbeschleunigung, die dazu führe, dass Bücher rasend schnell künstlich veralten; Charts, die den Bücherschwall für den Leser vorsortieren sollen; Brachialmethoden der großen Buchketten. Dazu komme die Kreation von Literaturmoden (mit der Wende der Metropolen-Roman der „Generation Berlin”, dann das „Fräuleinwunder” und die „Debütantenwelle”, gefolgt von der „Ostalgie-Welle”), die ein Schrei um Aufmerksamkeit auf einem hoffnungslos verstopften Buchmarkt seien.

Am Deutschen Buchpreis (im letzten Jahr verliehen an Julia Franck Die Mittagsfrau) illustriert Löffler die vom Markt geforderten Qualitäten: „Unterhaltsamkeit, Benutzerfreundlichkeit und leichte Lesbarkeit, sprachliche Eingängigkeit und formale Gefälligkeit ohne großen stilistischen Anspruch, dazu ein rundum anschlussfähiger Stoff, vorzugsweise aus dem Mittelstandsmilieu, in populärer, weichgespülter Aufbereitung (Familienroman, Generationenroman, Beziehungsroman), der bei geringem ästhetischem Risiko hohe Verkäuflichkeit garantiert.”

Inhaltlich dominiere eine Ethnographie des Alltagslebens der Gegenwart: „All diese Romane erzählen auf mittlerem literarischen Niveau von mittelmäßigen Leuten mittleren Alters und mittleren Einkommens, die nicht so recht wissen, was sie wollen.” Medienkompetenz sei selbstverständlich, ferner die Kompetenz, essayistisch zu schreiben und Diskurse in den Medien mitzubegleiten, Hörbucher müssen besprochen und Rundfunkarbeiten souverän bewältigt werden. Daniel Kehlmann und andere, genannt werden Antje Rávic Strubel, Juli Zeh, Ingo Schulze, machten das bravourös vor.

Eine kleine Gegenfrage lohnt sich: Sind wenigstens diejenigen zufrieden, die den ästhetischen und arbeitskraft-unternehmerischen Anforderungen der „Wissensgesellschaft“ besser entsprechen? Auch Hanns-Josef Ortheil kommt in den Literaturen zu Wort, ein Autor, der populäre historische und Liebes-Romane schreibt und gut verkauft. Er beherrscht die PR-Arbeit, die notwendig ist, und berichtet auch davon. Schreiben sei mangels Zeit längst zum Texte-Produzieren zwischen Tür und Angel geworden. Die Erfolgreichen hetzen von Termin zu Termin und sind mit der Vermarktung der Dinge beschäftigt, die zu produzieren ihnen kaum die Zeit bleibt.

III

Die Literaturkritiker sind in der erweiterten Kulturindustrie der „Wissensgesellschaft” angekommen – und die Schriftsteller auch. Bezogen auf die Autoren könnte man das auch in umgekehrter Weise formulieren: Die „Wissensgesellschaft” kommt bei ihren Trägern in aller Kenntlichkeit und Härte an. Sie arbeiten sich an der Entwertung ihrer intellektuellen Tätigkeit ab, kultivieren immer noch den wenn auch längst negativen Bezug auf Genialität, haben zugleich aber vor den kulturindustriellen Helden schon kapituliert.

An den zwei ausgewählten Romanen, deren HeldInnen Schriftsteller/innen sind, kann man das veranschaulichen.

„Der Ich-Erzähler des Romans ‚Das bin doch ich’ ist ein Schriftsteller namens Thomas Glavinic, der gerade das Manuskript seines neuen Romans ‚Die Arbeit der Nacht’ vollendet hat.” (Richard Kämmerlings über Thomas Glavinic, 2007, Das bin doch ich, in: FAZ 1.9.07)

„Wir erleben lesend das Entstehen eines Romans mit.” (Christina Dany über Margit Schreiner, 2007, Haus, Friedens, Bruch, in: Falter 41/2007)

Bei beiden Büchern handelt es sich um Romane. Bei beiden Büchern weisen uns die enthusiastischen Kritiker darauf hin, dass sie „stark autobiografisch gefärbt” seien und dass „die meisten biografischen Details [...] den Fakten” entsprächen, dass aber dennoch das Geschilderte nicht mit der Wirklichkeit zu verwechseln sei. Das wissen wir zwar spätestens seit Goethes Dichtung und Wahrheit und daher auch, dass Autobiografien und Romane zwar anderen Genre-Regeln folgen, eine Abbildung der wirklichen Wirklichkeit aber so oder so nicht zu erwarten oder wünschenswert ist. Literatur hat einen komplizierteren und vermittelteren Realitätsbezug als der Alltag mit seinen Routinen. Diesen Alltag, genauer: den Alltag von SchriftstellerInnen, machen beide Romane zu ihrem Thema. Das macht die Sache vertrackter – aber nur ein wenig. Zunächst heißt das nur, dass (fast) keine Geschichte erzählt wird.

Die Figur Glavinic wartet auf die Zusage eines Verlegers für seinen Roman Die Arbeit der Nacht und vertreibt sich die Zeit: durch Saufen vor allen Dingen, durch den Austausch von SMS mit seinem Freund Kehlmann, dessen Roman Die Vermessung der Welt gerade zum Verkaufsschlager wird, durch Besuche von Literaturveranstaltungen und durch Spielereien am PC inklusive eines besessenen Abrufens von eMails in Erwartung der Antwort seiner Lektorin. Gelegentlich geht er mit seinem kleinen Kind spazieren und lässt sich von der liebevollen Gemahlin pflegen, wenn der Kater allzu heftig ausfällt. Die tägliche Beschäftigung am Schreibtisch fehlt ihm, schreiben will und kann er trotzdem nicht.

Auch die Ich-Erzählerin in Haus, Friedens, Bruch räsoniert darüber, was alles sie vom Schreiben abhält: das Spielen am PC, die nächtlichen Schlafstörungen, bedingt durch Schweißausbrüche, und die Gespenster aus der Vergangenheit (ihre Mutter, ihr Ex-Mann, ein Kinderpsychiater, die Ex ihres Geliebten Bruno), die sie im Bett heimsuchen, dazu Schmerzen und Libidoverlust, mit denen sie es als Frau im Klimakterium nun mal zu tun habe, die pubertierende Tochter, uswusf. Dass die Leser das Schreiben eines Romans miterleben, ist zwar objektiv der Fall, der Gegenstand des Romans ist freilich die Schreibhemmung. Schreibblockaden als Thema von Romanen sind – wie Filme über Robinson Crusoe, die sich nicht des Stilmittels der subjektiven Kamera bedienen – nur kontrafaktisch möglich. Nur der Klassenvorstand ihrer Tochter Julia, ihr Verleger, ihre Schriftstellerkollegen, das Literaturhaus und ihr Liebhaber Bruno, der sich manchmal erkundigt, ob sie ihr tägliches Pensum geschafft habe, glauben sie schreibe und zwar einen Krimi, einen literarischen Krimi, versteht sich, was sie aber kategorisch ablehnt.

Wenn man zu all dem noch dazunimmt, dass beide Anti-Helden Hypochonder sind und unentwegt über vermeintliche Krankheiten grübeln, liegt es nahe, das Genre mit „Klatsch-Romane” genauer zu bestimmen: als Literaturbetriebsklatsch einerseits, als Hausfrauenklatsch andererseits. Das wären sie auch, wäre da nicht der literarische Anspruch.

Glavinic (die Figur im Roman und nur von der ist die Rede, wenn nicht explizit auf den Autor verwiesen wird) liest über seinen Freund Daniel Kehlmann in der Zeitung, dass er der beste Autor seiner Generation sei und denkt sich „Das bin doch ich”. Selbstverständlich schämt er sich für seinen Neid, zugleich macht das seinen Anspruch deutlich: hohe Literatur und Bestseller zu produzieren.

Die Ich-Erzählerin in Schreiners Roman arbeitet sich immer wieder am Genre des literarischen Krimi ab. Sie will keinen schreiben, weil alle langweilig seien und sie ist verwundert über die verbreitete Meinung, dass allein der Krimi Gesellschaftskritik in der Literatur ermögliche. Sie dagegen will unkonventionelle und selbstverständlich gesellschaftskritische Literatur produzieren und damit erfolgreich sein. An einer Passage kann man vorführen, wie Gesellschaftskritik bei Schreiner geht:

„Da lese ich doch neulich in einer Rezension voller Häme, dass in den Büchern einer bestimmten Autorin stets kränkelnde Personen vorkämen. Ja muss man denn neuerdings gesund sein, um literaturwürdig zu sein, wird uns vielleicht mit der Zeit unserer Versicherungsbeitrag nicht nur erhöht, wenn wir selbst zu dick sind oder zu faul oder rauchen, sondern auch, wenn die Figuren in unseren Romanen zu faul und zu dick sind und rauchen? ... Und wenn die Juden wegmüssen, dann alle. Und wenn alle wegmüssen, dann gleich vergasen. Auch die kränkelnden Personen und alle, die zu dick sind und zu faul oder die rauchen. ... Wir sind heute alle so damit beschäftigt, nicht vergast zu werden, wenn es einmal wieder so weit ist, dass wir keine Zeit haben zu kränkeln.“ (62f)

Schreiner traut ihren Einfällen nicht und greift deshalb auf den verbrauchten Vergleich mit der Nazi-Zeit zurück, um den Leserinnen mit dem Holzhammer beizubringen, dass das Leben im Neoliberalismus kein reines Spaßvergnügen ist.

Jedenfalls: Hohe Kunst und kulturindustrieller Erfolg können nur miteinander vereinbart werden, wenn man einen Genie-Verdacht gegen sich hegt. Das tun auch beide, Schreiner wie Glavinic, zugleich werden die Mechanismen der Kulturindustrie zu gut durchschaut, um nicht das Scheitern an diesem Anspruch vorzuführen – allerdings auf unterschiedliche Weise. Bei Glavinic ist es das Scheitern an der Kraftmeier-Männlichkeit, bei ihr das Elend der Banalität des Alltags.

IV

Von den „Eintagsfliegen” abgesehen, die, wenn es gerade einer Mode entspricht, mit ihren Pubertätstagebüchern ihre 15minütige Prominenz erreichen und dann wieder vergessen werden, bleibt man als Schriftstellerin ziemlich lange jung. Bis in die 40er Jahre kann man sich mit Stipendien, Preisen und Stadtschreibereien finanziell über Wasser halten. Wer es dann nicht geschafft hat, altert freilich schnell: Genau diese Situation bearbeitet Margit Schreiner in Haus, Friedens, Bruch. Nach der ziemlich lange verlängerten Jugend wird jetzt die Kränkung bearbeitet, dass die Menschheit nicht auf „die neue Schreiner” wartet, dass man keine Genialität zugeschrieben bekommt. Schreiner „löst” das durch weibliches Ressentiment: Genies machen (männliche) Grenzerfahrungen: Sie saufen, rauchen, konsumieren überhaupt Drogen aller Art, kümmern sich nicht um Haushalt und Kinder, legen dafür aber Frauen reihenweise „aufs Kreuz”: „Du kannst als Frau auch irgendwie schlecht einen Typen nach dem anderen aufs Kreuz legen, wie etwa Henry Miller die Frauen, weil der Unterschied ist: Miller ist ein Genie, und du bist eine Schlampe.” (Margit Schreiner in: Der Standard, 15./16.12.2007) Ihre permanente Grenzerfahrung ist es, eine Frau zu sein. In postfeministischen Zeiten ist das aber unglaubwürdig bis lächerlich geworden. Die Frauenbuchläden haben zudem schon vor zehn Jahren geschlossen, dieser Literatur ist die Bücher kaufende Bewegung längst abhanden gekommen und die „weinerliche” Fraktion derselben hatte gegenüber der „frechen” immer schon das Problem, Ohnmacht stilisieren zu müssen. Und sie hatte das Problem, Gemeinsamkeiten behaupten zu müssen, wo tatsächlich Interessenunterschiede überwiegen – Klassenunterschiede etwa, die auf die Möglichkeiten zurückwirken, wie Weiblichkeit gelebt werden kann. Schreiner tut das auch: Auf dem Buchumschlag wird sie zitiert: „Ein Schriftsteller muss sein wie seine Leser. Dann hat er auch Probleme wie seine Leser und muss keine Probleme erfinden, die ja doch niemanden interessieren, weil niemand außer dem Schriftsteller sie hat.“

Das Buch handelt, grob gesagt, von zwei Problemen: Der Unfähigkeit zu schreiben und den Beschwerden, die die Wechseljahre so mit sich bringen (können). Als Schriftstellerin interessiert sie die (männliche) Konkurrenz (und deren Netzwerke), gemäß ihrem Motto konstruiert sie aber parallel dazu „allgemeinweibliche“ Lebensumstände inklusive spezifisch weiblicher Schuldgefühle und, noch suggestiver, weil am weiblichen Körper festzumachen, biologische Veränderungen. Das sind sie dann, die Probleme, die sie mit ihren Lesern (sic!) teilt. Dass es sich die meisten Endvierzigerinnen nicht leisten können, heute wieder einmal nicht zu arbeiten, weil sie die Nacht schlecht geschlafen haben, sei zumindest angemerkt.

Schreiners Frau-Sein jedenfalls hat eine klar definierte Bezugsgruppe: den Literaturbetrieb und die vermeintliche Übermacht der männlichen Autoren. Genialität, von Schreiner mit keinerlei Qualitätskriterien verbunden, sondern als Lebenshaltung bestimmt, bleibt ihr in dieser Männerwelt ohnehin und grundsätzlich verwehrt. Es sei nun einmal sogar wisenschaftlich erwiesen, dass Frauen sowohl Alkohol und Tabak weniger gut vertragen als Männer, heißt es im schon oben zitierten Essay. (Der Standard, 15./16.12.2007) Die Frage von Anpassung stellt sich gar nicht, so bleibt nur das Leiden an der fortgesetzten Unterdrückung – und dem fehlenden Erfolg.

Schreiner beansprucht, als Schriftstellerin für Aufklärung zuständig zu sein, muss sich dazu allerdings ziemlich verblödete Leserinnen vorstellen, die sich von ihr über Verfall und Untergang und all die Zumutungen der neoliberalen Produktionsweise durch weinerlichen Hausfrauen-Feminismus, der ziemlich antiquiert ist, belehren lassen. Um das Elend des Alltags auszudrücken, bedient sie sich zudem des Stilmittels der Wiederholung, das den Nachteil hat, auch für die Leserin quälend zu sein.

Glavinic, fast zwanzig Jahre jünger und deutlich prominenter, kann es sich noch erlauben, mit seiner fehlenden Anpassung an den Betrieb zu kokettieren. Er tut das, indem er das Cliché eines wienerisch verkommenen Schriftstellers aufgreift: die kraftmeierische Männlichkeit. (Auch die Grazer waren in den 60er und 70er Jahren nicht schlecht darin – Gunther Falk und Wolfgang Bauer etwa. Werner Schwab hat das in den 80ern noch einmal nachgestellt, und ist, wie bei dieser Lebensweise nicht sehr ungewöhnlich, früh gestorben. Seitdem sind Machos dieser Art auch in der österreichischen Literatenszene selten geworden.) Das war seinerzeit eine offensive Haltung und eine Ressource in der Kulturindustrie: Man hat die rechtschaffenen Konservativen provoziert, damit die liberale Öffentlichkeit erreicht, den mittelmäßigen Geschmack ver- und die proletarische Männlichkeit inklusive ihrer Sprache geachtet. Dieser Tage, so auch bei Glavinic, ist das defensiv und depressiv geworden, die Kraftmeierei hat deutlich eklige Züge (etwa wenn die Figur Glavinic die Zahnbrücke ins Zugklo kotzt) und die noch erfolgreicheren Autoren werden bewundert bis beneidet (die eloquente, geschmeidige Figur, als die Kehlmann in Das bin doch ich dargestellt wird). Dazu wird das biedere Familienleben betont, das die Romanfigur führt, Alkoholexzesse und Selbstmitleid dagegen bleiben ungerechtfertigt. Der Kraftmeier wird damit zugleich demontiert. Das bin doch ich ist eine Groteske eines überholten Bildes von Schriftsteller-Machos. Vor Kulturindustrie und den in ihr Erfolgreichen gibt man längst klein bei. Es bleibt nur die Empörung über die Ungerechtigkeit, nicht zu ihnen zu gehören.

Glavinic reproduziert das Stereotyp des Wien-Grazer Kraftmeier-Säufer-Schriftstellers und demontiert es zugleich, indem er ihn als Hypochonder und braven Familienvater darstellt, der in seinem Selbstmitleid gefangen bleibt.

Beide Formen des Jammers geraten nur mit Not zur Ironie – durch Aufschreiben und die Form, die dafür gefunden werden muss –, werden inhaltlich aber eher als Depression dargestellt und bei beiden als Menschenfeindlichkeit verallgemeinert. Wir bekommen einen untergehenden Beruf vorgeführt. Das Leiden an der Konkurrenz und (vermeintlichen) Erfolglosigkeit macht die Anti-Helden weinerlich, neidisch und vorwurfsvoll. Das mehrere Stunden lang zu lesen, ist kein reines Vergnügen.

Eigentlich wünscht man sich den „Hofliteraten“ (damit hätte sich auch die leidige Selbstdisziplinierung erledigt) oder zumindest den „Salonliteraten“ (die Konkurrenz wäre überschaubar) zurück, dem Kritiker und Leserinnen verpflichtet sein sollten, die selbstverständlich sehnsüchtig auf das neue „Werk“ warten. Bodo Kirchhoff, der in den schon genannten Literaturen einen Essay beiträgt, macht das fast explizit. Er schreibt über sich: „Und der Autor dieser Zeilen, der als erfolgreich gilt, rechnet sich dazu: Seine rund dreißig Veröffentlichungen (Romane, Novellen, Erzählbände, Stücke) werfen im Jahr gerade so viel ab, dass es der Familie nicht an Grundnahrung fehlt; seine rund dreißig Drehbücher sorgten bisher für den Rest (und der Bekanntheitsgrad sorgt für das Missverständnis). Schriftstellerei ist kein Brotberuf, obwohl es immer wieder Autoren gibt, die überragend viele Bücher verkaufen; tatsächlich sind es aber verschwindend wenige. ... Wer dennoch in Zeiten des Fernsehens und einer immer mehr Schule machenden Wilderei auf dem Feld des Bücherschreibens Jahre seines Lebens darauf verwendet, an einem Roman zu arbeiten – der durch andere Arbeit vorfinanziert werden muss, und dem am Ende keiner entgegenfiebert, weder die Verlage noch die Kritik und schon gar nicht unser Buchhandel und dessen ratlose Kundschaft –, der ist entweder ein Narr oder ein Fanatiker, der sich im Scherbenhaufen der Literatur blutige Füße zu holen bereit ist.”

Erfolgreiche Bücher, so auch Kirchhoff, werden durch Rankings, angesehene Preise und durch Moden gemacht. Dazu kämen Promi-Autoren – die Talkshow-Tante, der Schlagersänger, der ehemalige Minister, die Serien-Schauspielerin, das Ex-Model, der durch schmutzige Tricks in die Schlagzeilen geratene Manager –, die Bücher schreiben, und sei es über ihre eigene Dummheit – und sie dazu per Prominenz auch verkaufen. Gute Bücher gingen geräuschlos unter. Früher konzentrierten sich die Leitartikler auf den Kernbereich der Literatur, die Ohnmacht des Einzelnen, der sich kraft seiner Sprache und Imagination Gehör und Raum verschaffte. Das interessierte die Leute: Sie lasen ihre Autoren und blieben ihnen treu.

V

Eigentlich sollte man in einer Situation, in der Literaturmoden gemacht werden wie girlie- und boy-groups in der Popmusik, erwarten, dass die „Literaten mit Anspruch“ aussterben. Zumindest sollten sie den merkwürdigen Anspruch aufgeben, von ihren Büchern auch noch leben zu können. Das war in der gesamten Geschichte der „Literatur mit Anspruch“ nur höchst ausnahmsweise der Fall: Der Bestseller-Autor Goethe hatte ein Ministergehalt, Grillparzer arbeitete in der Nationalbibliothek, Benn war Arzt, Brecht war Theaterdirektor undsoweiter. Und ausgerechnet heute, in der erweiterten Kulturindustrie und nach Rationalisierung des Journalismus zum Boulevard-Einheitsbrei, sollte es möglich sein, von „Literatur mit Anspruch“ leben zu können? Und wer, bitte, soll sie im Überangebot an Kulturwaren, die wir allenfalls noch kaufen, aber nicht mehr alle konsumieren können, mühevoll und geduldig lesen? Wenn es um tatsächlich Lesen geht, sollte eigentlich nur mehr der zynische Schundroman, geeignet zur Häppchen-Lektüre in der Straßenbahn, übrigbleiben; Literatur mit Anspruch ist in der „Wissensgesellschaft” notwendig nur mehr, um einen ebenso „gehobenen“ Literaturbetrieb aus Feuilleton, Literaturbeilagen, Journalen mit Material zu versorgen. Aber die anspruchsvollen Autor/inn/en schreiben unentwegt weiter, wenn auch nicht unverdrossen, sondern zunehmend mürrisch. Mit verschiedenen literarischen Mitteln wird Selbstdestruktion vorgeführt, vom Genie-Verdacht gegen sich selbst ist die Einsicht geblieben, sich zum Narren zu machen. Zugleich kann er auf diese Weise aber aufrechterhalten werden.

Konnte man vor einigen Jahren noch vermuten, Arbeitskraft-Unternehmertum wäre, wenn auch nur in der gebildeten Schicht, mit mehr Autonomie verbunden, so bekommen wir jetzt vorgeführt, dass die „Wissensgesellschaft“ Intellektualität nur gegen ihre Strukturen zulässt. Bei den Schriftsteller/inne/n geht aber die Kritik an ihren Produktionsbedingungen, an der erweiterten Kulturindustrie, über Nörgeln und Weinerlichkeit nicht hinaus. Die einen klagen über Arbeitshetze, die die Vermarktung ihrer Bücher mit sich bringt, die anderen über den ausbleibenden Erfolg. „Wissensgesellschaft“ wurde noch vor nicht allzulanger Zeit von der gebildeten Schicht als ihre Chance sich aufzuspielen verstanden. Inzwischen hat sie begriffen, dass auch sie entweder wegrationalisiert wird oder sich der Verwertungslogik anzupassen hat. Faktisch hat sich an der Situation von Schriftstellern so viel nicht verändert: Fast alle der heute kanonisierten Autoren haben ihre Frühstücksbrötchen mit anderen Aktivitäten verdient. Als Erklärung für die Kränkung, mit „anspruchsvoller“ Literatur nicht zugleich zu den Stars zu gehören, bleibt nur, dass man auf die Versprechungen der „Wissensgesellschaft“ hereingefallen ist. Auf den kurzen Rausch folgt jetzt der Kater. Aber der Modus, das Leiden am Überflüssig-gemacht-Werden als individuelle Konkurrenz zu bearbeiten, ist stabil etabliert. Noch jedenfalls.

© links-netz Januar 2008